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Machscheve

England.

(Omer. – Jüdischer Aberglaube. – Lillith.)

Schalom Raphaeli war einer der reichsten Handelsherren in England. Vordem, in junger Jahren, hatte er mit Zündhölzchen gehandelt, jetzt besass er ein Waarenhaus in Bath und ein Palais im italienischen Stil. Seine Schiffe segelten nach Amerika, nach Indien und Japan. Sein ältester Sohn, Moses stand an der Spitze des Geschäftes. Schalom selbst war bequem geworden, er bewohnte mit seiner Familie ein kleines Schloss in der Nähe. Hier trieb jedes Glied der Familie irgend eine Liebhaberei. Schalom zog Blumen und Fruchtbäume, seine Frau Edith war für schöne Pferde und die Hetzjagd passionirt, seine Tochter Noemi zog Tauben, und sein jüngster Sohn, Juda, trieb philologische Studien.

Dieser Juda, den sein Vater geradezu abgöttisch liebte, bereitete ihm auch die meisten Sorgen. Zuerst, weil er keine Lust zum Handel hatte, und sich in hebräischen, griechischen und lateinischen Folianten vergrub, dann, weil er jede Braut, die seine Eltern für ihn erwählt hatten, zurückwies und sich nicht verheirathen wollte.

Schalom Raphaeli war endlich überzeugt, dass sein Sohn behext sei.

Unternehmend als Kaufmann, kühn als Schiffsherr, war Schalom für seine Person unglaublich furchtsam und abergläubisch. Wenn er im Sommer einen Besuch bei Nachbarn machte und entdeckte, dass sich kein Blitzableiter auf dem Dache befand, liess er die Pferde niemals ausspannen und beeilte sich, wieder den Rückweg anzutreten. Schlief er einmal in einem fremden Hause, so untersuchte er sofort, ob wohl Gitter an den Fenstern seien. Begegnete er einem Hunde, der die Zunge heraushängen liess, war er im Stande, sich über den nächsten Zaun zu schwingen und die Flucht zu ergreifen. Eine besondere Angst hatte er vor dem Petroleum. In seinem Hause durfte keines gebrannt werden. Er schnitt aus den Journalen alle Notizen aus, wo von Unglücksfällen durch Petroleum die Rede war und legte sie seinen Bekannten vor, sobald diese den Heroismus besassen, Petroleum zu brennen.

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Wenn die Passahwoche vorüber war, begann eine Zeit immerwährender Aufregung für Schalom. Der Zwischenraum zwischen Passah und Schebuoth (Ostern und Pfingsten), nach dem Maass Gerste, das man vordem in Jerusalem zu opfern pflegte, Omer genannt, galt ihm, der noch ganz in den alten Traditionen des Ghetto befangen war, als eine Zeit der Gefahr und des Unglücks.

Während des Omer haben die bösen Geister und Dämonen, die Scheïdim und Masikim, welche Luft und Erde erfüllen, einen besonderen Einfluss und auch die Machschewes, die Hexen, treiben ihr Unwesen. In dieser Zeit ist die grösste Vorsicht geboten und Schalom Raphaeli war nicht der Mann, es an Vorsicht fehlen zu lassen.

Gleich am ersten Abend des Omer schlug er selbst an dem Thürpfosten den schönen Psalm: »Erhebe ich meine Augen zu den Bergen, woher kommt mir Hülfe? Meine Hülfe kommt von Adonai, der gemacht Himmel und Erde.«

In dieser gefährlichen Zeit achtete Schalom ängstlich darauf, dass Niemand die abgeschnittenen Nägel oder Haare wegwarf, sie mussten vor ihm verbrannt werden, er gestattete weder zu pfeifen, noch Steine zu werfen, noch eine Feuerwaffe abzuschiessen, noch zu Pferde zu steigen oder auszufahren. Sogar den Dienern war es strenge verboten, in Hemdärmeln herumzugehen, verboten Jedermann, einen Kahn zu besteigen, verboten, Nachts in den Spiegel zu sehen.

Da Schalom ein seelensguter Mensch, da er der Sklave seiner Frau, der Diener seiner Tochter und der gute Kamerad seines Sohnes war, so fügten sich alle, aber es gab stets verdriessliche Gesichter, denn Edith entsagte mit schwerem Herzen dem Sattel, Noemi vergoss jedesmal Thränen, wenn ein Habicht ihr ein Täubchen entführte und sie ihre kleine Flinte nicht von der Wand nehmen durfte, und Juda war noch stiller und ernster als sonst vor seinen Büchern, seitdem der Kahn nicht von der Kette gelöst werden durfte.

* * *

Als Schalom eines Tages in die Stadt ging, um seine Geschäfte zu besorgen, athmeten alle befreit auf. Frau Edith liess ihren Rappen satteln, und Noëmi lud ihre Flinte. Juda liess zwar den Kahn an der Kette, aber Nachmittags bestieg er gleichfalls ein Pferd und ritt davon.

Als Schalom Abends heimkehrte, sass Edith bereits wieder in ihrem Salon, und Noëmi stöberte in der Bibliothek umher, aber Juda war noch nicht zurück.

Schalom ging an den Ort, wo der Kahn lag, dann in den Stall und zählte die Pferde. Als er in den Salon zurückkam, war er bleich und ging aufgeregt auf und ab.

»Wo ist Juda?« fragte er endlich.

»Nicht weit«, erwiderte Noëmi, »er muss jeden Augenblick kommen.«

»Muss!« rief Schalom, wenn er aber nicht kommt?«

»Juda ist doch kein Kind«, bemerkte Edith, »wenn ich ruhig bin, brauchst Du doch auch keine Angst zu haben.«

»Brauchen?« rief Schalom, »wenn ich aber doch habe? Niemand kann mir verbieten, Angst zu haben. Wenn er nur nicht zu Cooks ist, dort brennen sie Petroleum.«

Schalom kämpfte einen schweren Kampf. Aber endlich siegte die Liebe zu seinem Sohne über seine Furchtsamkeit und er ging hinab, liess ein Pferd satteln, fragte, in welcher Richtung Juda fortgeritten wäre und schlug denselben Weg ein.

Es war indess dunkel geworden und zum Ueberfluss stieg noch dichter Nebel aus den Wiesen und Gehölzen empor. Schalom war es recht unheimlich zu Muthe, aber er trieb sein Pferd an und sprach sich Trost zu. »Du hast täglich Deine Gebete verrichtet«, sagte er, »Du hast strenge alle Vorschriften beobachtet, Du hast reichlich Almosen gegeben, Gott wird Dich nicht verlassen.«

Doch in demselben Augenblick tauchte aus Nacht und Nebel eine weisse Gestalt, die ihm zu winken schien. Das Pferd fiel in Schritt, während Schalom, am ganzen Leibe bebend, zu beten begann. Eine zweite Gestalt, vom Monde geisterhaft beschienen, der langsam aus den Wolken trat! Schon wollte Schalom umkehren, da erinnerte er sich, dass hier der Friedhof lag. Er näherte sich der Mauer und erblickte jetzt die Reihen der Gräber und die Grabdenkmäler von Cypressen umgeben.

Wieder trabte er vorwärts, als plötzlich vor ihm ein schreckliches Getöse entstand, das rasch auf ihn zukam. Er trieb sein Pferd über den Graben, in das Feld, diesmal waren es ohne Zweifel Schaïdim oder gar Lillith selbst mit ihrem Gefolge.

Vor diesem weiblichen Teufel hatte Schalom einen besonderen Respekt. Aus dem Unflath der Erde erschaffen, war sie Adam's erste Frau gewesen und von Gott verflucht, jagte sie Nachts, von einem Heer von Dämonen begleitet durch die Luft. Alle tausend Jahre versucht sie einen Mann zu verführen, um von dem Fluche, der auf ihr lastet, erlöst zu werden.

Wenn sie Juda antraf? Wenn er in ihre Netze fiel?

Schon stürmte ein kleiner Wagen heran, an den zehn schwarze Ponnis gespannt waren. Die Funken stoben unter dem wilden Gefährte, das im Nu vorüberraste und sofort im Nebel verschwand.

Wenige Minuten später ertönte der Hufschlag eines Pferdes, und ein junges, schönes Weib sprengte heran und hielt vor Schalom. Sie war phantastisch gekleidet. Man hätte sie für eine Zigeunerin halten können, wenn sie nicht so blendend weiss gewesen wäre, und wenn ihr Haar nicht goldroth wie eine Flamme um ihre Schultern gespielt hätte.

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Können Sie mir sagen, ob dies der Weg nach Bath ist? (Von Vogel.)

Es war Lillith, die Verführerin, kein Zweifel. Schalom hatte Lust, die Flucht zu ergreifen, aber sie fragte ihn in gutem Englisch: »Ist dies der Weg nach Bath?« und das beruhigte ihn ein Wenig.

»Es ist etwas spät, um einen Spazierritt zu machen«, sagte er, »fürchten Sie sich nicht, Madame?«

»Oh! ich bin auf dem Pferde geboren«, rief die Schöne lachend. »Haben Sie nicht von Miss Cornills gehört? Meine Gesellschaft ist auf dem Wege nach Bath, wo wir einige Zeit Vorstellungen geben werden.«

»Sie sind also?«

»Eine Kunstreiterin«, erwiderte Miss Cornills und gab ihrem Pferde einen Schlag mit der Gerte. Während sie im Nebel verschwand und Schalom seinen Weg fortsetzte, dachte er: »Wenn es auch nicht Lillith ist, eine Teufelin ist es doch, und ich bin froh, dass Juda ihr nicht begegnet ist.«

* * *

In demselben Augenblick strauchelte sein Pferd, und Schalom fiel in den Strassengraben.

»Da haben wir's«, rief er laut. Als er sich wieder erhoben und sich überzeugt hatte, dass er weder Hals noch Arm gebrochen, entdeckte er, dass das rechte Bein ihn schmerzte. »Habe ich nicht gesagt«, murmelte er, »dass man zu Omer nicht reiten soll.«

Indess hatte der Nebel sich etwas verzogen, und Schalom sah, dass er sich nur hundert Schritte von dem Landhaus befand, das die ihm befreundete jüdische Familie Cook bewohnte. Als er sein Pferd beim Zügel führend sich dem Thor des Parkes näherte, gewahrte er einen Reiter, der an der Mauer hielt, und eine weibliche Gestalt, die sich von derselben zu ihm herüberneigte.

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Schalom band sein Pferd an und schlich durch die Gebüsche an das verliebte Pärchen heran. Ja, es war sein Juda, wie er gleich vermuthet hatte, und die Dame war Lea Meborah, die Erzieherin der Kinder Cook's. Ein hübsches Mädchen aus achtbarer jüdischer Familie und sehr gebildet, ja gelehrt, denn sie verstand ebenso gut Griechisch, wie Latein, Hebräisch und Arabisch.

»Das ist also die Machscheve«, dachte Schalom, »diese hübsche Hexe ist es, die ihn behext hat. Darum ist ihm keine Braut vornehm genug.«

»Ich muss nun fort«, sprach Juda, »mein Vater könnte zurückkehren und ich will ihm keinen Kummer bereiten.«

»Sie haben recht«, erwiderte Lea, »Sie bereiten ihm ohnehin Kummer genug, da Sie sich nicht verheirathen wollen.«

»Ich werde niemals verlangen, dass er uns seinen Segen gibt«, sagte Juda, »aber ebenso wenig werde ich jemals eine Andere zur Frau nehmen, als Sie, Lea. Sie, Sie sind mein Alles, nichts kann uns trennen.«

»Ich warte jetzt schon drei Jahre«, gab Lea zur Antwort, »ich kann noch länger warten, mein ganzes Leben, wenn Sie nur Ihr Herz keiner Anderen schenken.«

Schalom hatte genug gehört.

* * *

Am nächsten Morgen sagte Schalom lächelnd zu Juda: »Ich habe wieder eine Braut für Dich.«

»Ich danke«, erwiderte Juda, »ich bleibe lieber unverheirathet.«

»Aber diesmal ist es eine Gelehrte.«

»Ich will keine Gelehrte und keine Ungelehrte.«

»Auch Lea Meborah nicht?«

»Vater scherzen Sie nicht«, rief Juda erregt.

»Ich scherze nicht«, gab Schalom zur Antwort, »Du sollst Lea haben, aber unter einer Bedingung.«

»Oh! ich nehme jede an.«

»Also unter der Bedingung, dass Du nie wieder zu Omer ein Pferd besteigst, und dass Du in Deinem Hause kein Petroleum brennst.«

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