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Vorwort

Man hat viel über die Juden geschrieben, aber erst seit einem halben Jahrhundert hat man angefangen sie ohne Voreingenommenheit, ja mit Interesse zu betrachten. Bis dahin waren ihre grossartigen wechselvollen Schicksale im Alterthum und ihr langes Märtyrerthum nach und während ihrer Zerstreuung nur von Gelehrten und Geschichtsforschern in parteiischen, von Leidenschaft getränkten Werken gewürdigt worden, die der jüdischen Rasse oft mehr feindlich als sympathisch gesinnt waren.

Unter der Einwirkung der liberalen und humanitären Ideen, welche jetzt die Welt beherrschen, werden die barbarischen Vorurtheile, welche die Juden ausnahmslos als Parias betrachteten, bald gänzlich verschwunden sein. Ueberall weichen diese Vorurtheile vor den Fortschritten der Freiheit und Zivilisation zurück; man findet sie nur noch und zwar sehr abgeschwächt, in einigen Provinzen des östlichen Europas. Sonst geniessen die Juden überall, wo Freiheit herrscht und besonders in den westlichen Staaten in Frieden alle Vorrechte des freien Mannes, gerade so wie sie dessen Rechte ausüben und dessen Pflichten erfüllen. Sie hängen aufrichtig an dem Lande, in dem sie geboren wurden, ohne jedoch im geringsten die Lebensfähigkeit ihrer Rasse einzubüssen, ohne ihre traditionellen Gefühle zu verleugnen, ohne die Gemeinschaft mit den über die ganze Erde zerstreuten Brüdern aufzuheben. Sie lieben ihr Vaterland und dienen ihm treu.

Sobald es ihnen gestattet ist mit demselben Rechte wie ihre übrigen Mitbrüder nach allen Berufsstellen, Ehren und Auszeichnungen zu streben, wissen Sie sich derselben auch würdig zu bezeigen und viele unter ihnen erreichen sogar die höchsten Stellen. Dadurch haben die Juden ihre Befähigung zur Litteratur, zu den Wissenschaften ebenso wie zu den Gewerben und zum Handel bewiesen.

Seit aber Juden unter den gebildeten Nationen Bürger geworden sind wie alle anderen, müssen sie sich dem Einflusse des Kreises, in dem sie geboren wurden oder in dem sie leben, beugen. Allmählich und unmerklich nehmen sie die äusseren Gewohnheiten und Sitten desselben an; die intimen Gebräuche widerstehen länger, aber für viele unter ihnen ist das alte jüdische Leben heute nur noch eine poetische Erinnerung wie die an das Ghetto.

Um die alten jüdischen Sitten mit ihrem biblischen Charakter, ihrem naiven Aberglauben, ihren poetischen Legenden und ihrem stark ausgeprägten Gefühl für das patriarchalische Leben wiederzufinden, muss man sie in den Dörfern und kleinen Städten des Ostens, im Elsass, im östlichen Deutschland, in Oesterreich, Polen und sogar in England und Spanien, das heisst so ziemlich überall mit Ausnahme der grossen Städte aufsuchen.

In diesen verschiedenen Landschaften nun hat Sacher-Masoch, der wohl bekannte Autor des »Vermächtniss Kains« und zahlreicher ebenso origineller, entzückender Werke, Beobachtungen gesammelt, die er in dem »Jüdischen Leben«, das heute veröffentlicht wird, niedergelegt hat. Auf diese Weise hat er eine abwechslungsvolle Reihe kleiner Gedichte in Prosa geschaffen, von dichterischem Schwung und Kraft, voll schlagender Gegensätze, lebhafter bald scherzhafter, und komischer, bald ernster, düsterer aber immer wahrheitsgetreuer Gestalten und Szenen.

Die Litteraturfreunde wissen in wie hohem Grade Sacher-Masoch es versteht, seinen Schöpfungen Bewegung und Farbe zu verleihen, wie man zuerst versucht ist zu glauben, dass alles auf einer Nadelspitze erbaut ist, und wie es sich dann plötzlich zu einer weiten Szene öffnet, in der sich Personen und Situationen in überraschender Weise vervielfältigen. Man kennt die glänzenden Eigenschaften des Autors, seinen humoristischen Geist, seine alles durchdringende Poesie, seine heit're milde grossmüthige, wenn auch mit einem leichten Anflug von Pessimismus gefärbte Philosophie, seinen kräftigen, massvollen Stil voll Leben, Kraft, diesen so originellen, so ganz persönlichen Stil, der im Geiste des Lesers zahllose Gedanken und Bilder wach ruft.

Der litterarische und moralische Werth dieser reizenden Sittenschilderungen haben uns veranlasst eine reich illustrirte Ausgabe zu veranstalten. Wir haben infolge dessen die berufensten Künstler, die das jüdische Leben aus dem Grunde kennen, zur Mitarbeiterschaft herangezogen. Nach unserer Meinung hätte der Text nicht geistvoller, wahrheitsgetreuer, schöner interpretirt werden können, als es Gérardin, Alphons Lévy, Emil Lévy, Henri Lévy, Eduard Loevy, Schlesinger, Vogel und Worms gethan haben. Die zahlreichen im Text verstreuten Zeichnungen tragen einen lebenswarmen Ausdruck ebenso wie die Kompositionen, welche jeder Erzählung ausserhalb des Textes beigegeben sind.

Wir wagen desshalb zu hoffen, dass alle Leute von Urtheil und gutem Geschmack uns das Zeugniss geben werden, dass das »Jüdische Leben« zu den originellsten litterarischen und künstlerischen Erscheinungen unserer Zeit gehört.

 


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