Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Die Iliade von Pultoff

Russland.

(Der Zadik. – Theologischer Streit. – Hairem. – Ein Wunder.)

Bendavid Kaftan und Mordahil Grünspan waren Nachbarn. Beide waren Kaufleute und verkehrten in Freundschaft zusammen, ebenso wie ihre Frauen, Vögele und Veigele.

Da aber nichts in dieser Welt Bestand hat, so kam eines Tages ein Ereigniss, das sie veruneinigte und verfeindete.

Bendavid und Mordahil reisten zusammen zu der grossen Messe nach Novgorod. Bendavid dachte im Sinne des Talmud: »Wer sein Weib liebt wie sie sich selbst, und sie noch mehr ehrt als sich selbst, dessen Zelt ist der Friede.«

Beim Abschied gab er Vögele eine grosse Summe Geldes und bat sie, sich während seiner Abwesenheit nichts abgehen zu lassen, ja sich alles zu gestatten, wonach ihr Herz begehren würde. Mordahil folgte seinem Beispiel und gab Veigele eine gleiche Summe.

Als nun die beiden Männer von Novgorod heimkehrten, da empfing Veigele ihren Gatten mit einem grossen Sack voll Geldes in der Hand. Sie hatte gespart und glaubte Mordahil eine grosse Freude zu bereiten, aber dieser sah ihre bleichen Wangen, er sah, dass sie mager geworden war, dass sie schlecht und unsauber angezogen war und verbarg mit Mühe seinen Aerger.

Dagegen hatte Vögele keinen Rubel erspart, aber sie stand auf der Schwelle ihres Hauses, schön wie ein Leben, ein Häubchen mit rothen Bändern auf dem schwarzen Haar, Hals und Arme mit Juwelen bedeckt, die mit ihren schönen Augen um die Wette funkelten, den üppigen Leib in eine prächtige Pelzjacke geschmiegt. Und schöner als alles war ihr Lächeln.

Ihr Mann war glücklich, sie so zu sehen, er zog sie an sein Herz und fragte wenig darnach, ob sie etwas gespart habe oder nicht. Wusste er doch, dass sie sich für ihn gepflegt, für ihn geschmückt hatte. »Endlos ist die Bosheit des bösen, endlos die Güte des guten Weibes«, rief er, den Midrasch zitirend, während Mordahil seine Frau kaum eines Blickes würdigte.

Veigele setzte sich in einen Winkel und weinte, während Vögele die Hände auf die Schultern ihres Mannes legte und ihn schalkhaft anlächelte.

»Was hast Du?« fragte Bendavid.

»Weisst Du, welchen Rath der Talmud der Frau ertheilt?« sagte sie.

»Nun?«

»Er lässt die Mutter zu ihr sprechen: »Meine Tochter, stehe vor dem Gatten wie vor einem Könige und diene ihm, indem Du ihm dienst, machst Du ihn zu Deinem Sklaven und wirst seine Herrin.«

»Und Du meinst, dass ich schon ganz und gar Dein Sklave bin?« rief Bendavid lachend.

Vögele nickte und schloss ihm den Mund mit ihren duftigen Lippen.

Sie verstand es aber nicht nur, ihren schönen Leib für ihren Gatten zu schmücken, sondern auch ihren Geist. Sie las viel und da Bendavid wenig Zeit hatte, sich mit Büchern zu beschäftigten, so erzählte sie ihm, wenn sie abends bei dem warmen Ofen sassen, oder im Sommer auf der Bank vor dem Hause, alles, was sie Schönes oder Merkwürdiges in ihren Büchern gefunden hatte, sie erzählte ihm Romane, wie man einem Kinde Märchen erzählt, und sie belehrte ihn zugleich über die Wunder des Sternenhimmels, über Thiere, Pflanzen und Steine, über die Entstehung des Erdballs, über fremde Länder und Völker und ihre Schicksale im Buch der Geschichte.

So kam es, dass Bendavid nach und nach eine Art Freigeist wurde, während Mordahil die Befriedigung, die er daheim nicht fand, ausser dem Hause suchend, in die Hände der Chassidim gerieth und ein Zelot wurde.

* * *

Die ganze Stadt stand unter der Herrschaft, ja unter der Tyrannei des Zadik, des Frommen und Gerechten, den die Chassidim als ihr Oberhaupt abgöttisch verehrten. Der Rabbiner Mayer Horwitz, ein gelehrter Mann von tadellosem Charakter, war diesem Papst der jüdischen Ketzer gegenüber machtlos und war zufrieden, dass er noch eine kleine Gemeinde verständiger Menschen um sich versammelt sah, die den wahren Glauben festhielten und vertheidigten.

Veigele, welche mehr und mehr von einem hässlichen Neid, einer verzehrenden Eifersucht gegen Vögele erfasst wurde, hetzte ihren Mann gegen sie, und Mordahil wieder hetzte den Zadik auf.

Eines Abends, als der Mächtige in seinem Empfangszimmer auf dem Divan sass, von seinen Getreuen und Scholaren umgeben, die bewundernd an seinen Lippen hingen, bemerkte Mordahil, dass dem Zadik die lange, türkische Pfeife ausgegangen war. Er stopfte sie, reichte sie ihm, zündete sie an und flüsterte ihm zugleich in das Ohr: »Vögele Kaftan lässt sich das Haar wachsen, Rabbi, nun wird sie wohl Dein Blitzstrahl treffen!«

Der Zadik, Levi Jaffa Löwenstamm, verzog keine Miene. Er war in seinem Kaftan von dunkelrothem Atlas, der mit Zobelpelz besetzt und gefüttert war, das rothe, seidene Käppchen auf dem schwarzen Haar, auf den weichen Kissen ruhend, vollkommen das Bild des heiligen Mannes, welcher nach Ansicht der Chassidim der Ruhesitz der Schechinach, der personifizirten Gottheit ist. Aber er glich auch einem Sultan, von Sklaven umgeben und bedient.

Mit kaum fünfzig Jahren übte er eine Macht aus, welche andere erst im hohen Alter erreicht hatten, und man begriff diese Macht, sobald man seine gedrungene, kräftige Gestalt sah, sein ausdrucksvolles, schönes Gesicht und seinen gebietenden Blick, der Jeden erzittern machte, auf den er sich zürnend oder strafend richtete.

»Sie liest auch profane Bücher«, fuhr Mordahil fort.

.

Du siehst, sprach sie, dass das Weib mit dem Manne macht, was sie nur will. (Von Ed. Loevy.)

»Für den Sünder gibt es nur ein einziges Mittel, sich mit Gott auszusöhnen«, sprach der Lieblingsschüler des Zadik, Ruben Nesselblatt, »dieses Mittel ist zu Folge dem Sophar Hamidoth (ein Werk des Bescht, des Stifters der Sekte der Chassidim), wenn er sich stets befleissigt, das Einkommen des Zadik zu vermehren.«

Der Zadik nickte zustimmend.

Schames Mäkler, der Dorfgeher, ging aber noch denselben Abend zu Bendavid und rieth diesem, Gott und den Zadik durch ein Geschenk zu versöhnen.

* * *

Als das Geschenk auf sich warten liess, kam wieder Schames Mäkler zu Vögele und drohte ihr und ihrem Manne mit dem grossen Bann.

Vögele begab sich sofort zum Rabbiner.

»Kehren Sie sich nicht an diese Drohungen«, sagte dieser, »ich werde Sie beschützen, falls es nöthig sein sollte.«

Die schöne Frau kehrte beruhigt nach Hause zurück, und da der Zadik ihr den Krieg erklärt hatte, beschloss sie ihrerseits die Offensive zu ergreifen.

Es ergab sich sofort eine köstliche Gelegenheit.

Der strenge Winter hatte die Wölfe bis in die Nähe der Stadt getrieben. Als Schames Mäkler eines Tages über Land gehen sollte, hatte er Angst und bat den Zadik um seinen Beistand.

»Du hast doch einen Stock«, sprach Lewi Jaffa, »wenn Gott will, kann auch der Stock losgehen, und wenn er nicht will, wird Dir auch die Pistole versagen.«

Mäkler trat beruhigt seine Wanderung an und als er im Walde einen grossen Wolf auf sich zukommen sah, zielte er mit dem Stock nach ihm. Da fiel ein Schuss und das Raubthier sank in den Schnee.

Erschreckt gab Mäkler Fersengeld, als er sich aber wieder gefasst hatte, rief er: »So lange habe ich diesen Stock und wusste nicht, dass er geladen ist.«

Die Schüler des Zadik aber priesen dessen Macht und seinen Einfluss im himmlischen Reiche. Mitten in dem allgemeinen Jubel aber erschien Vögele und verlangte Lewi Jaffa zu sprechen. Die Thürhüter wollten sie nicht einlassen, aber Ruben rief: »Das blosse Ansehen des Zadik verscheucht die Laster (Sophar Hamidoth § 14), sie soll eintreten.«

Vögele überschritt also die Schwelle, vor der die Dämonen zurückschrecken und stand jetzt in ihrem weisen, goldgestickten Scharafan und ihrer Pelzjacke vor dem Zadik.

»Was willst Du?« fragte dieser, das schöne Weib mit Wohlgefallen musternd.

»Dir erklären, dass Du entweder ein Narr oder ein Betrüger bist«, rief Vögele.

Ein wilder Tumult entstand unter den Chassidim, welche Miene machten, die Ketzerin zu zerreissen. Doch Vögele kannte keine Furcht.

»Du behauptest, dass Schames Mäkler von Dir unterstützt einen Wolf mit seinem Stocke erschossen hat. Das ist eine Lüge.«

»Sie ist vom Teufel besessen«, sagte der Zadik.

In diesem Augenblick trat der Förster ein, welcher an der Thüre gewartet hatte.

»Ich habe den Wolf erschossen«, sprach er.

Doch nichts vermag den Geist eines Zadik zu verwirren.

»Ich weiss es«, sprach Lewi Jaffa, »aber ich habe Dich gesendet.«

Der Förster zuckte die Achseln.

»Du machst die Worte des Rabbi Bechai wahr«, fuhr der Zadik zu Vögele gewendet fort, »dass mit dem Weibe der Satan zur Welt gekommen ist.«

»Beweise es mir.«

»Es ist bewiesen«, gab Lewi Jaffa zur Antwort. »Bis zur Schöpfung des Weibes kommt in der Schrift der Buchstabe Sameih – der Anfangsbuchstabe des Wortes Satan – nicht vor, aber sofort nach der Schöpfung des Weibes heisst es: Er schloss das Fleisch, und da kommt der Buchstabe Sameih das erste Mal vor.«

»Dein Rabbi Bechai ist ein Tropf«, rief Vögele, »und Jene, die den Zadik die Krone des Weltalls nennen, sind gleichfalls Tröpfe. Die Krone der Schöpfung ist das Weib.«

»Beweise es mir.«

»An jedem Tage hat Gott etwas Besseres, Vollkommeneres geschaffen«, sprach Vögele, »und am letzten Tage den Menschen als den Herrn der Erde. Ist das wahr?«

»Ja.«

»Also. Und da er zuletzt nach dem Manne das Weib erschaffen hat, so ist das Weib sein vollkommenstes Geschöpf, sie ist die Herrin des Mannes.«

»Ich sehe, Du bist klüger, als ich dachte«, erwiderte der Zadik, »und so will ich mir die Mühe nicht verdriessen lassen, Dich zu bekehren.«

»Sieh' zu, dass ich Dich nicht bekehre«, rief Vögele, indem sie den weissen Arm auf die mit Sammt und Pelz bedeckte üppige Hüfte stemmte, »wo hat jemals ein Mann eine Frau bekehrt? Der Talmud erzählt uns, dass sich eines Tages ein edles Ehepaar aus unbekannten Gründen getrennt und dann Jedes wieder sich verheirathet hat, wobei Mann und Frau leider eine gleich unglückliche Wahl trafen. Was geschah nun? Die edle Frau verwandelte ihren zweiten schlechten Mann in kurzer Zeit in einen vorzüglichen Menschen, während der edle Mann durch seine zweite lasterhafte Frau ebenso rasch zum Bösewicht wurde. Du siehst also, dass das Weib aus dem Manne macht, was es nur will, und wenn ich nur wollte, würde ich aus Dir, der Krone des Weltalls, meinen Diener, meinen Knecht, meinen Sklaven machen.«

Mit diesen Worten verliess Vögele stolz das Haus des Zadik und liess die Chassidim sprachlos und versteinert zurück. Ruben sah das Unheil, welches sie angerichtet hatte, und um der Verwirrung der Geister ein Ende zu machen, stimmte er das mystische Lied Rabbi Luria's an:

Die Kinder des Palastes, welche sich scheuen,
Den Seir Anphin (Mikrokosmus) anzusehen,
Mögen hier erscheinen, wo der König in seinem Bilde gegenwärtig ist.

* * *

Nicht lange nach dem ersten Triumph Vögele's bereitete ihr der Zufall einen zweiten, noch glorreicheren.

In einer stürmischen Frühlingsnacht brach in dem Judenviertel Feuer aus und griff rasch um sich, da die Gemeinde keinerlei Löschanstalten, ja nicht einmal eine Spritze besass.

Man hatte allerdings eine Feuerwehr errichtet, aber diese erschien dem Zudik als ein Eingriff in die göttliche Macht und seine Rechte und wurde auf seinen Befehl wieder aufgelöst.

Als nun die Flammen das ganze Judenviertel zu verschlingen drohten, trat Vögele unter die Verzweifelten, welche den Marktplatz füllten und rief: »Seht Ihr jetzt, wie weit die Macht des Zadik reicht und was sein Einfluss bei Gott werth ist? Der Zadik hat Euch gesagt, das Eure Löschanstalten Gott herausfordern. Er hat die Stadt gesegnet und hat erklärt, dass er einen Vertrag mit Gott geschlossen habe, dem zu Folge jährlich nur ein Dach vom Feuer verzehrt werden dürfe. Und jetzt sind es schon elf Häuser, welche brennen und wenn uns nicht die Christen retten, wird unser ganzer Stadttheil in dieser Nacht ein Raub der Flammen.«

»Sie hat recht«, rief Teit Feintuch und Wohl Krakow und viele Andere stimmten bei.

Zum Glück erschien jetzt die christliche Feuerwehr und rettete, was noch zu retten war.

Das Ansehen Lewi Jaffa's hatte aber einen neuen Stoss bekommen, und der Zadik sah sich das Scepter der Allmacht mehr und mehr durch die schwache Hand eines Weibes entwunden.

.

Am dritten Morgen nach dem Brande fand Vögele vor ihre Thüre das Wort »Hairem« geschrieben. Es war der grosse Bann des Zadik. Sie nahm ruhig einen Küchenlappen, wischte das schreckliche Wort aus und ging ihren Geschäften nach, als wenn nichts geschehen wäre.

Es war ein schöner sonniger Tag. Die Bäume blühten, die Felder grünten und die Vögel sangen in den Hainen.

Der Zadik ging hinaus mit seinen Schülern, um ihnen, wie er es liebte, unter freiem Himmel einen Vortrag zu halten.

Kaum sass er unter einer Linde, die ihren Duft in die milde Maienluft strömte, kaum hatten sich seine Schüler um ihn gelagert, da kam eine Frau durch die Felder geschritten.

Es war Vögele.

Als sie vor dem Zadik stehen blieb, in ihrer blausammtenen mit silbergrauem Pelzwerk ausgeschlagenen Jacke, das schwarze Haar mit einem gelbseidenen Tuche umwunden, schien sie eine prächtige Blume mehr, die der Lenz der Erde entlockt hatte.

»Wer hat das Hairem an meine Thür geschrieben?« fragte sie herausfordernd.

»Ich habe es angeordnet«, gab der Zadik zur Antwort.

»Welche Macht massest Du Dir an?« rief Vögele, »bist Du ein Rabbi? und nicht einmal ein Rabbiner kann den Bann aussprechen, nur der Beschdin hat das Recht dazu.«

»Ich frage wenig nach dem Beschdin«, sagte Lewi Jaffa.

»Der Zadik ist die Krone, die Zierde und das Licht des Weltalls«, rief sein treuer Schüler Ruben.

»Wenn Du dies wirklich bist«, fuhr Vögele fort, »so zeige jetzt Deine Macht, zermalme mich, lass ein Wunder geschehen.«

Allmälig hatte sich eine neugierig lauschende Menge um Vögele und den Zadik versammelt. »Ja, gib uns ein Wunder?« riefen mehrere Stimmen.

»Dieses Weib verstumme auf der Stelle!« rief Lewi Jaffa mit dem Ton eines strafenden Richters.

Doch Vögele verstummte nicht. »Ich habe es Dir schon einmal gesagt«, rief sie, »Du bist ein Narr oder ein Betrüger.«

»Die Erde soll sich aufthun und Dich verschlingen!« rief der Zadik immer aufgebrachter.

Aber die Erde verschlang Vögele nicht und jetzt wirkte diese ein Wunder.

»Du bist gerichtet«, sprach sie lachend, »Gott hat Dich vor mir niedergeworfen, komm hierher zu mir, damit ich den Fuss auf Deinen Nacken setzen kann, denn Du bist vom Saamen der Schlange.«

Wüthend sprang der Zadik auf und schritt auf sie zu, um ihr seinen Fluch in das Gesicht zu schleudern, aber sein böser Engel wollte, dass er über einen Feldstein stolperte und der Länge nach zu den Füssen der schönen Frau hinstürzte.

Mit einem lauten, grausamen Lachen setzte Vögele rasch den kleinen Fuss auf den Nacken des besiegten Feindes und stand jetzt über ihm, schön und triumphirend, wie ein Racheengel.

»Gott ist mit ihr?« rief die Menge.

Einige Fanatiker sanken vor Vögele auf die Kniee, andere rissen grüne Reiser ab und schwangen sie um ihr Haupt, gleich Palmenzweigen.

Als sie endlich den Fuss zurückzog, erhob sich Lewi Jaffa, bleich und vernichtet und wankte der Stadt zu, ein geschlagener Feldherr ohne Armee.

.

 


 << zurück weiter >>