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Der Todesengel

Italien.

(Der Schnorrer. – Galoth. – Jüdische Askese.)

Es war in einer frostigen Dezembernacht. Der Winter hatte die Appeninen in schimmernde Eiswälle verwandelt und alle Thäler mit Schnee gefüllt. Ein eisiger Wind blies durch die Wipfel der Bäume und schüttelte die Eiszapfen gleich tausend klingender Schellen. Das Heer der Sterne bedeckte den weiten Himmel. Weisse Gestalten standen am Wege, geheimnissvoll, gespensterhaft. Und ringsum war die Stille des Todes.

Trotzdem wanderte ein Mann durch diese wilde Gegend, durch diese Nacht voll Schrecken. In ein härenes Gewand gehüllt, barhaupt, auf einen Stock gestützt, schleppte sich Zeruja Nebuch nur noch mit Mühe vorwärts; aber er fürchtete weder Frost, noch Ermattung, noch die Lawinen, die von den Bergen stürzten, noch die Abgründe, die sich von Zeit zu Zeit am Rande seines Weges öffneten. Er befand sich auf jener grauenhaften Wanderung, die der Jude Galoth nennt und welche den Menschen zum Gefährten des Wolfes und des Raubvogels macht.

Drei Tage und drei Nächte hatte er ununterbrochen gefastet, nicht einmal ein Tropfen Wasser war über seine Lippen gekommen und ebenso lange hatte er unter keinem menschlichen Dache geruht. Noch trugen ihn seine Füsse vorwärts, aber er fühlte, dass seine Kräfte zu Ende waren. Der Frost peinigte seinen erschöpften Körper, der weiche Schnee lud ihn zum Schlafen ein. Er wusste, dass er erfrieren würde, sobald er nur einen Augenblick ruhen wollte, und so ging er vorwärts, obwohl eine Art sanft betäubender Musik in seine Ohren klang und um ihn ein überirdischer Glanz war, wie vor den brechenden Augen eines Sterbenden.

Endlich ertönte Hundegebell und wurde ein Dach sichtbar, aus dem blauer Rauch emporstieg.

Zeruja konnte nicht mehr weiter. Er näherte sich dem Gebäude, einem stattlichen Bauernhof, fand das Thor einer Scheune offen, trat ein und warf sich auf das Stroh.

Noch immer war der seltsame Glanz um ihn, noch immer klang es ihm in die Ohren. Er sagte sich, dass sein Ende nahe sei, zog den Sohar, das heilige Buch der Kabbalisten, aus der Brust und erwartete betend den Tod.

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Plötzlich ging die Thüre auf und auf der Schwelle zeigte sich eine herrliche Erscheinung. Ein Weib von biblischer Schönheit, im weissen Gewande, die schwarzen Haare über die Schulter niederwallend, einen krummen Säbel in der Rechten.

»Sei mir gegrüsst, Engel des Todes!« rief Zeruja und sank zurück. Seine Sinne schwanden.

* * *

Als der wandernde Büsser wieder die Augen öffnete, befand er sich auf einem weichen Lager in einer grossen Stube. Vor ihm stand ein Mann im besten Alter, eine kleine Lampe in der Hand, und das schöne Weib, das er für den Todesengel gehalten hatte, war damit beschäftigt ihn mit Hülfe verschiedener Essenzen in das Leben zurückzurufen.

»Wo bin ich?« fragte Zeruja.

»In einem frommen, jüdischen Hause«, erwiderte der Mann hebräisch. Er hiess Salamone Bologna und besass im Dorfe ein Haus, einen Acker und eine Schenke. Sulamith, seine Tochter, war durch das Hundegebell aufmerksam geworden, hörte das Thor der Scheune knarren, und da sie meinte, ein Dieb habe sich eingeschlichen, eilte sie mit einem alten Säbel in der Hand hinaus und fand den zu Tode erschöpften Pilgrim.

»Woher kommt Ihr?« fragte das Mädchen.

»Aus Polen.«

»Und wohin geht Ihr?«

»Weiss ein Mensch, wohin er geht?« erwiderte Zeruja. »Ich suche Gott, wer weiss, ob ich ihn finden werde.« Er sank zurück in die Kissen und schlief ein.

Es war Mittag, am anderen Tage, als er wieder erwachte. Er kleidete sich rasch an, ergriff seinen Stock und wollte fort. Doch das Mädchen hielt ihn zurück.

»Ich darf nicht länger als eine Nacht unter einem Dache weilen«, sagte Zeruja.

»Bist Du wahnsinnig?«

»Hat nicht Gott zu Kain gesagt: Du sollst unstät und flüchtig auf der Erde sein?«

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Wo bin ich? fragte Zeruja. (Von Vogel.)

»Hast Du Deinen Bruder ermordet, wie Kain?«

»Nein, aber jeder Mensch ist sündhaft, und habe ich meine Sünden abgebüsst, so büsse ich für die Sünden der Anderen.«

»Du kannst nicht fort«, erwiderte Sulamith, »es sind Lawinen herabgestürzt diese Nacht, und die Brücken sind allerorten zerstört.«

Zeruja seufzte.

»Und heute Abend ist Sabbathanfang, Du kannst nicht am Sabbath wandern.«

Der Pilger ergab sich in sein Schicksal. Er liess sich auf einen Schemel bei dem grossen Kamin nieder, in dem ein riesiger Holzblock verglühte und starrte in die Flammen. Sulamith füllte aus einer dicken Flasche eine röthliche Flüssigkeit in ein kleines Glas und reichte es dem Pilger.

»Was soll ich damit?« fragte er.

»Trinken – es ist Arznei.«

»Wer zu Gott nach rechter Art zu beten versteht, der bedarf weder des Arztes noch der Arzenei«, sagte der polnische Schnorrer.

»Wenn Gott wollte, dass Du zu Grunde gehst«, entgegnete das Mädchen, »so hätte er Dich in dieser Nacht verderben lassen. Er hat Dich aber unter unser Dach geführt, damit wir Dich retten. Hier, nimm.« Sie sah ihn an und vielleicht war es mehr ihr dunkles Auge, geheimnissvoll, wie die Kabbalah, das ihn zwang, als dass ihre Worte ihn überredeten. Er nahm das Glas und leerte es.

»Und nun sollst Du essen.«

»Heute Abend, zum Sabbath, ja.«

»Nein, auf der Stelle. Du willst für fremde Sünden büssen«, rief Sulamith, »nimm Dich in acht vor allem, dass nicht Andere um Deinetwillen sündigen.«

»Wie?«

»Du willst uns hindern, das Gebot Gottes zu erfüllen, den Hungrigen zu speisen, den Durst des Verschmachtenden zu löschen.«

»Gib mir also zu essen.«

* * *

Eine Woche war vergangen und Zeruja hatte seine Wanderung nicht fortgesetzt. Die Ruhe und die Pflege hatten ihm wohl gethan, das unheimliche Feuer in seinen Augen war gewichen, die Blässe des Todes auf seinen eingesunkenen Wangen hatte einer gesunden Farbe Platz gemacht.

»Ich bin mit Dir zufrieden«, sagte eines Tages Sulamith, »Dein Körper erholt sich langsam, hoffentlich wird auch Dein Geist gesunden.«

»Ich bin nicht wahnsinnig«, antwortete der Büsser.

»Deine Seele ist krank«, sagte das Mädchen, »weil Du im Irrthum befangen bist.«

»Ich weiss, was ich thue«, sagte Zeruja, »es ist nicht genug, Gottes Gebote zu erfüllen, man muss aus Liebe zu Gott mehr thun, als er von uns verlangt, man muss sich sogar das Erlaubte versagen, nichts Weltliches darf den wahrhaft Eifrigen in Anspruch nehmen, kein Geschäft, keine Arbeit, kein Vergnügen. Er soll auch kein Weib haben. Ja, er muss seinen Körper tödten, um das Thier in sich zu bezwingen.«

Sulamith schüttelte den Kopf. »Und zu welchem Zweck dies alles? Dieser Eifer? Diese Qual?«

»Damit sich die Pforten der Geisterwelt öffnen, damit die Seele sich mit Gott vereinigen kann.«

»Gibt es nicht andere Mittel, Gott zu gefallen?«

»Es gibt nur eines«, erklärte der Schnorrer feierlich, »die Busse: Beten, Nachtwachen, Fasten, Geisseln, Qualen erdulden und immerfort wandern.«

»Und Du hast in dieser Weise Busse gethan?«

»Ja, ich habe mich im Winter im Schnee gewälzt und im Sommer auf Dornen, ich habe mich geisseln lassen, bis mein Blut floss, ich bin auf der Schwelle der Synagoge gelegen, damit mich ein Jeder mit dem Fusse tritt, der in den Tempel Gottes eingeht.«

»Zeruja, Du bist doch ein Narr!«

»Ich bin auch gewohnt Spott zu erdulden.«

»Wer sagt Dir, dass ich über Dich lache«, versetzte das Mädchen, »im Gegentheil, ich habe Mitleid mit Dir. Ich möchte Dich heilen.«

* * *

In derselben Nacht hörte Sulamith die Thüre gehen. Es war Mitternacht, als sie sich erhob, rasch ankleidete und hinaus eilte. Ihr erster Gedanke war, dass Zeruja heimlich das Haus verlassen, und seine Wanderung fortsetzen wolle.

Sie fand ihn vor dem kleinen Teich, der dem Hause gegenüber lag, damit beschäftigt, das Eis aufzuhacken.

»Was willst Du hier?« fragte sie erstaunt.

»Mich in das Wasser tauchen.«

»Zu welchem Zweck?«

»Um Busse zu thun. Ich sündige, indem ich meine Wanderung unterbreche, ich muss etwas thun, um Gott zu versöhnen.«

Sulamith nahm ihm die Haue aus der Hand und wies mit einer gebieterischen Bewegung auf die Thüre des Hauses. »Geh' hinein, sofort«, rief sie.

Zeruja sah sie an und gehorchte. Sie folgte ihm in die grosse Stube, sperrte die Thüre und liess sich dann beim Kamin nieder.

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»Du willst Gott dienen«, sprach sie mit einem Ton voll Strenge und Erbarmen zugleich, »Wahnsinniger! Du kennst Gott nicht. Du kennst nur einen Gott des Hasses und der Rache, den Du versöhnen willst, ich kenne einen anderen Gott, den Gott der Liebe und des Erbarmens, den Gott, der den Regenbogen ausgespannt hat nach der Sündfluth als Zeichen des Friedens, den Gott, der sein Volk Israel aus Egypten geführt hat, und der uns in der babylonischen Gefangenschaft beschützt hat, und der uns auch heute nicht verlassen hat, wo wir zur Strafe unserer Sünden über den Erdboden zerstreut sind.«

Zeruja blickte zu Boden und schwieg.

»Thue nicht mehr, als Dein Gott von Dir verlangt«, fuhr das Mädchen fort, »was massest Du Dir an, den Willen Deines Schöpfers besser zu kennen, als er selbst, der ihn ausgesprochen hat auf dem Berge Sinai und durch den Mund der Propheten.«

»Ich muss etwas thun, um Gott zu versöhnen«, murmelte Zeruja, »wenn Du Mitleid mit mir hast, so hilf mir Busse thun. Lege mir schwere Ketten an Hände und Füsse.« Er warf sich mit dem Antlitz zur Erde vor ihr nieder, wie vor seinem Richter und erwartete sein Urtheil.

»Nein«, sagte Sulamith, »Gott will nicht, dass der Mensch sich selbst Leiden auferlegt, er hat jedem sein Theil zugemessen in diesem Leben. Arbeit, Kummer, Schmerz, verlange nicht Prüfungen, die er Dir nicht zugedacht, erwarte alles von Gott und nimm geduldig hin, was er über Dich beschliesst. Suche nicht frömmer zu sein als die Anderen und nicht eifriger als Jene, denen Gott sich geoffenbart hat.«

Zeruja richtete sich auf und blickte das Mädchen an, auf den Knien vor ihr, die Hände gefaltet, wie ein Betender: »Ich glaube, Du hast recht«, murmelte er, »ich verstehe jetzt, wenn es im Traktat Nidah heisst: Gott hat dem Weibe einen schärferen Verstand gegeben, als dem Manne.«

»Gott sei gelobt, der Dich erleuchtet hat.«

»Er hat mich zugleich gestraft.«

»Wie?«

»Weil ich die Qual gesucht habe, hat er mich heimgesucht mit Höllenpein.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Er hat mich unter dieses Dach geführt, um mich für meinen Uebereifer zu strafen.«

»Welche Einbildungen!« sprach Sulamith. »Du bist bei guten Menschen, die Dich retten wollen.«

»Dich, Sulamith, hat der Herr ausersehen, mich zu züchtigen«, fuhr der Schnorrer fort, »Du bedarfst keiner Ketten um mich zu fesseln, und Du geisselst mich, ohne die Geissel zu schwingen. Quäle mich, reiss' mir das Herz aus dem Leibe, Gottes Wille geschehe!«

Sulamith lächelte. »Es ist eine Fügung«, sprach sie, »aber eine glückliche. Nicht zu Deiner Qual hat mich Gott erschaffen, sondern zu Deiner Freude.«

Zeruja warf sich nochmals vor ihr nieder und presste seine Lippen auf ihren Fuss.

»Du liebst mich«, fuhr Sulamith fort, indem sie, die schönen Augen voll Thränen, auf ihn herabblickte, »auch mein Herz gehört Dir, es hat Dir vom ersten Augenblick an gehört, als ich Dich erstarrt und halb verschmachtet in jener Nacht in der Scheune fand. Steh' auf!«

Zeruja regte sich nicht, da neigte sie sich leise zu ihm herab, hob ihn auf und schloss seinen Kopf mit den wirren blonden Locken sanft an ihre Brust.

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