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Wie Slobe ihre Schwester verheirathet

Belgien.

(Werbung und Hochzeit.)

Auf dem grossen Platze, wo das alte gothische Rathhaus stand, befand sich auch das Haus der Familie Ohrenstein und deren Magazin für Damentoilette. Man fand in demselben alles, vom Hut bis zum Schuh herab, und ausserdem zwei bildhübsche Mädchen, die Töchter Ohrenstein's, welche den Käufer anzogen. Die Frauen kauften lieber, wenn sie die Sachen erst auf dem Kopfe oder an dem Körper der schlanken schwarzen Slobe oder der üppigen blonden Bele gesehen hatten, und die Männer traten ein, um die beiden Schönen zu bewundern.

Die jüngere, Slobe, liebte die Lektüre und kam manchmal selbst in die Buchhandlung und Leihbibliothek des Louis Jadassohn, um neue Bücher zu wählen. Jadassohn war ein junger, hübscher, eleganter Mann, gebildet, nicht ohne Geist und Slobe sprach immer drei Sprachen zugleich, eine verständige, nüchterne mit den rothen Lippen, eine schalkhafte, mit ihren dunklen Augen und eine gleichfalls stumme aber kokette Zeichensprache mit ihren reizenden, kleinen Händen, die unermüdlich in den abgegriffenen Bänden blätterten, welche ihr der junge Buchhändler vorlegte. Immer häufiger wurden die Besuche Slobe's im Buchladen und sie selbst immer wählerischer in Bezug auf ihre Lektüre, während Jadassohn sie immer zärtlicher anblickte.

Eines Abends flüsterte er ihr zu: »Die erlebten Romane sind doch schöner als die gedruckten.«

»Oh gewiss!« erwiderte die schlaue Slobe, »aber ich mag nur Jene, wo die Liebenden zuletzt heirathen.«

Am nächsten Tage kam Jadassohn im Frack und weisser Kravatte zu Ohrenstein und bat um Slobe's Hand. Ohrenstein rief seine Tochter. »Willst Du ihn?« fragte er lächelnd.

Slobe nickte.

»Gut, abgemacht«, sagte Ohrenstein und gab Jadassohn die Hand, »aber geheirathet wird nicht, ehe nicht Bele unter der Haube ist.«

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Die Besuche Slobe's in der Leihbibliothek wurden immer häufiger. (Von Vogel.)

Das war nun eine schwere Bedingung, aber alle Bitten der Liebenden waren nicht im Stande, Ohrenstein zu rühren, er blieb fest.

Slobe's ältere Schwester Bele, war früher viel umworben worden, aber ihr böser Engel hatte eines Tages einen jungen Maler in das kleine Städtchen an Fusse der Argonnen geführt, und dieser hatte sie als Esther, auf üppigen Kissen ausgestreckt, gemalt. Seither war das schöne Mädchen von masslosem Stolz erfüllt und zeigte sich so spröde und wählerisch, dass endlich kein Mann mehr den Muth hatte, um sie zu werben, und sie das fünfundzwanzigste Jahr erreicht hatte, ohne den goldenen Reif am Finger.

Slobe kam noch denselben Abend in die Buchhandlung und die Liebenden beriethen.

»Wir müssen Bele verheirathen«, entschied Slobe, »ich nehme meine Schwester auf mich, und Sie müssen den Bräutigam zur Stelle schaffen.«

»Das wird nicht so leicht sein«, sagte Jadassohn seufzend.

Nachdem Slobe ihn verlassen, dachte er nach, aber er fand unter allen seinen Bekannten niemand, den er Bele zu präsentiren gewagt hätte.

Da kehrte eines Tages der Sohn seiner Hausfrau aus Genf zurück, wo er in einer Uhrenfabrik gearbeitet hatte. Die Wittwe Schnick, seine Mutter, war wohlhabend und gab ihm das Geld, um sich zu etabliren, und Simon Schnick war ein junger Mann von zweiunddreissig Jahren, der die Welt gesehen hatte und der einem Mädchen wohl gefallen konnte.

Das Opfer war also gefunden, und sofort begannen Slobe und ihr Bräutigam zu operiren.

Bei der nächsten Sabbathpromenade machte Jadassohn den Uhrmacher auf Bele aufmerksam. Schnick fand sie superb. Slobe wieder flüsterte der Schwester zu: »Wer mag denn der feine hübsche Mann sein, der mit Jadassohn geht?«

»Ein Fremder«, sagte Bele, »unsere Herren sind nicht so distinguirt.«

Den nächsten Tag, beim Mittagessen, begann Jadassohn den jungen Schnick zu necken. »Sie sind ja ein wahrer Fraueneroberer«, sagte er, »Sie haben Glück bei den Damen. Erinnern Sie sich des schönen Mädchens von gestern?«

»Bele Ohrenstein?«

»Ja, sie ist entzückt von Ihnen.«

Und Slobe flüsterte ihrer Schwester zu: »Bele, Du hast schon wieder einen Sklaven an Deinen Triumphwagen gespannt.«

»Wen denn?«

»Den schönen, eleganten jungen Mann, den Du für einen Fremden angesehen hast. Es ist Simon Schnick. Er schwärmt für Dich.«

»Wenn Sie sich etabliren wollen, müssen Sie unbedingt eine Frau nehmen«, sprach wieder der Buchhändler zum Uhrmacher. »Eine reiche Frau und eine schöne Frau, welche die Kunden anzieht. Sie können keine bessere Wahl treffen, als Bele.«

»Aber sie soll sehr stolz sein«, erwiderte Schnick, »sie wird mich nicht nehmen.«

»Ich sage Ihnen ja, dass sie sterblich in Sie verliebt ist.«

Den nächsten Tag führte Jadassohn den Uhrmacher bei Ohrenstein ein. Slobe hatte alles prächtig in Scene gesetzt. Frau Porges, die Gattin des reichen Wechslers kam einige Minuten vorher in das Geschäft Ohrenstein's. Sie spielte Slobe zu lieb in der Komödie mit und verlangte eine kostbare neue Toilette zu sehen, welche eben von Paris angekommen war. Auf Vorschlag Slobe's probirte Bele dieselbe, und die beiden Herren kamen eben an, als Bele, strahlend vor Schönheit, in die eleganteste Pariser Weltdame verwandelt, mitten im Laden stand.

Schnick war mit allen seinen Bedenken zu Ende, er ergab sich und machte Bele feurig den Hof. Diese zeigte sich wider Erwarten liebenswürdig und schenkte ihm sogar ein paar ermunternde Blicke.

Trotzdem zweifelte der Uhrmacher noch an seinem Sieg. Und nun entstand eine neue Schwierigkeit. Frau Schnick hatte bereits eine Braut für ihren Sohn erwählt, Clara ben Schoren, die Tochter eines reichen Kürschners in Gent.

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»Oh! Das ist lächerlich«, lief der Buchhändler, »einem Manne wie Sie ein solches Mädchen vorzuschlagen.«

»Wie das?«

»Erstens schielt sie auf einen Auge. Dann hat sie einen Klumpfuss, und endlich – die Motten, die sie aus ihrem Geschäfte mitbringen muss.«

»Sie haben recht, ich nehme sie nicht.«

Denselben Tag noch hielt Simon Schnick um Bele an und erhielt ihr Jawort und den Segen der Eltern. Es gab zwei glückliche Paare im Städtchen und alles rüstete sich zur Hochzeit.

Von Nah und Fern kamen die Verwandten, die Gäste herbei, nicht etwa nur aus Brüssel, Antwerpen und Amsterdam, sogar aus London, Paris, Genua, Frankfurt, Warschau und Prag. Man sah die merkwürdigsten Typen, vom Börsenmakler bis zum Dorfjuden, von der eleganten Weltdame bis zur simplen Gänsehändlerin herab, Herren im Frack mit Dekorationen und alte, langbärtige Männer im langen Kaftan den Hut auf dem Kopf, Frauen in kostbaren Brokatroben, mit Diamanten bedeckt und alte Tanten im verblichenen Seidenüberrock mit antidiluvianischen Roben, und alle, schön oder lächerlich, einflussreich oder unbedeutend, reich oder arm, wurden mit derselben Liebe und Achtung aufgenommen.

Da Grossvater Ohrenstein und Grossvater Jadassohn ziemlich orthodox waren, so beobachtete man bei dieser Hochzeit mehr von den alten Bräuchen, als es sonst noch im Lande Mode war.

Man feierte deshalb die Hochzeit am Abend. Nachdem die beiden Bräute von ihrer Mutter und ihren Cousinen angezogen worden waren, traten sie beide in den Salon hinaus, beide in schleppender weisser Atlasrobe, einen Orangenblüthenkranz auf dem Kopf, einen kleinen Strauss in der Hand. Sofort wurden sie von ihren Freundinnen und den Mädchen aus ihrer Verwandtschaft umringt und nahmen von ihnen Abschied unter Küssen und Thränen. Zuletzt nahm Bele ihren Brautkranz ab und gab ihn der jüngsten unter den Mädchen, Sorl van Ruben, und Slobe den ihren Katalin Meerboom.

Dann begaben sich die beiden Bräute in das Nebenzimmer, wo die älteren Verwandten versammelt waren. Sie knieten eine nach der anderen vor ihren Eltern nieder, baten sie um Vergebung und empfingen deren Segen.

Hierauf beteten sie einige Zeit aus der Thina.

Nach beendetem Gebet erschienen wieder die jungen Mädchen und führten die beiden Bräute zu dem Bedeckstuhl. Nachdem die Schwestern auf dem erhöhten Sitz, wie auf einem Throne Platz genommen hatten, trat der Rabbiner ein. Er warf zuerst Bele ein mit Gold verbrämtes Seidentuch, das sogenannte Decktuch über den Kopf und sprach: »Gelobt seist Du, Gott, unser Herr, Herr der Welt, der Du gebildet den Menschen nach Deinem Ebenbild, Du hast aus ihm geschaffen einen Bau für die Ewigkeit. Und so sei denn die Pessula (Jungfrau) Bele geweiht dem Ehestande. Werde wie eine Rebe, blühend in Deinem Hause, und Deine Kinder mögen Dich umgeben wie Oelzweige. So behüte Dich Gott und segne Dich. Gott gebe Dir den Frieden. Amen!«

Dieselbe Zeremonie wiederholte sich bei Slobe, dann banden die Brautjungfern beiden das Tuch in Form eines Turbans und während alle Verwandten und Gäste sie umgaben, trat der Narr vor und begann sein Lied.

Er sang eine Art Chronik aller drei betheiligten Familien und zugleich einen Lobgesang auf die Eltern, dann schilderte er das Leben der beiden Bräute und pries ihre Schönheit und Geistesgaben. Er verglich die schöne Bele mit der goldhaarigen Sulamith des hohen Liedes, die sich wie Morgenroth aus den Wolken erhebt und Slobe mit der Königin Esther, zu deren Füssen der mächtigste Herrscher lag. Er sprach von der Ehe, ihren Freuden und Pflichten und pries zuletzt die Frauen, indem er Sprüche des Talmud in seine Reime verwob.

Drei Dinge erheitern das Herz im Leib,
Eines davon ist das schöne Weib.

Wer ohne Weib lebt auf Erden,
Verdient nicht Mensch genannt zu werden.

Bereite Deinem Weib Vergnügen,
Sie hilft Dir ernten und pflügen.

Des Weibes Tugend, so gross und hoch,
Macht uns leichter Egyptens Joch.

Fiel ein gutes Weib zum Lohne Dir,
Was brauchst Du noch auf Erden hier.

Als der Narr geendet hatte, meldete der Schames, dass im Tempel alles bereit sei, die Wagen fuhren vor, und die ganze zahlreiche Gesellschaft setzte sich in Bewegung.

In der glänzend erleuchteten Synagoge erwartete der Rabbiner die beiden Paare. Nachdem die Ketuba, die Heirathsurkunde, verlesen war, wurde zuerst Bele ihrem Chassan (Bräutigam) unter dem seidenen Chupo (Trauhimmel) verschleiert zugeführt. Der Rabbiner gab Simon den Ring, den dieser Bele mit den Worten an den Finger steckte: »Ich gelobe mich Dir für die Ewigkeit, ich gelobe Dich mir in Tugend und Gerechtigkeit, in Treue und Wahrheit, auf dass Du Gott erkennst.«

Hierauf empfing Simon aus den Händen des Rabbiners einen Becher mit Wein, den er zur Erde warf. Wie der Becher nicht wieder ganz werden kann, so soll die Ehe niemals getrennt werden.

Nachdem der Rabbiner das Paar gesegnet hatte, sprach er: »Erfreue Gott diese, die im treuen Bunde der Liebe zusammenhalten, wie Du die ersten Menschen erfreut hast im Paradiese. Gelobt seist Du, Gott, der erschaffen Braut und Bräutigam zur Freude, zur Einigkeit und Liebe. Halte ferne von ihnen Schmerz und Gram und geleite sie zum Heil, Amen?«

Damit war die Ehe geschlossen.

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In gleicher Weise wurde die schwarzäugige Slobe mit Jadassohn vereint.

Dann drängten sich alle an die beiden neuvermählten Paare heran, um Glück zu wünschen und jeder von den Gästen bekam einen Splitter von dem zerbrochenen Becher als Andenken.

Eine Rede des Rabbiners voll von orientalischer Weisheit und Bilderpracht schloss die Feier.

Alle kehrten in das Haus Ohrenstein's zurück, und hier begann jetzt das Hochzeitsmahl. Während desselben unterhielt der Narr die Gesellschaft, und als man sich erhob, erschienen die Sänger des Tempels und sangen die schönen alten Hochzeitsweisen.

Den Schluss bildete ein Ball. Grossvater Ohrenstein und Grossvater Jadassehn wurden schliesslich heiter, und da zu ihrer Zeit bei den Juden nur Männer mit Männern und Frauen mit Frauen tanzen durften, tanzten die beiden alten Herren unter allgemeinem Jubel zusammen.

»Wie sich alles ändert«, sagte zuletzt Grossvater Jadassohn, »da haben wir zwei Hochzeiten auf einmal, ohne Schadchen.«

»Oh! doch nicht!« rief Bele lachend, »der Schadchen war Slobe.«

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