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Die Geschichte von der römischen Matrone

Schweden.

(Hanuka.)

Während der Wind im Kamin sang und die Schneeflocken an die Scheiben pochten, sass in einem eleganten Boudoir eine junge, hübsche Frau, den Kopf mit den bleichen Wangen und den grossen dunklen Augen auf beide Hände gestützt und schien in die weite Ferne zu blicken.

Und es lag auch im Nebel hinter ihr, was sie sah, gleich einem Traum, gleich einem Märchen.

Karola hatte geliebt, als sie fast noch ein Kind war. Ein junger Arzt kam in das Haus ihres Vaters, des Bankiers Rubenborg. Siegfried Förenskjöld war in der reichen, jüdischen Gesellschaft von Stockholm gut aufgenommen, obwohl er kein Vermögen besass, weil Jeder in ihm den ehrlichen Mann, den begabten Gelehrten schätzte.

Rubenborg selbst pflegte zu sagen: »Siegfried wird seinen Weg machen«, als er aber eines Tages entdeckte, dass Karola dem jungen Arzt ihr Herz geschenkt hatte, beeilte er sich doch, sie mit dem Schiffsherrn Skandorff zu verheirathen.

Karola widerstand einige Zeit, aber ihr eitles Herz liess sich endlich von dem Glanze blenden, der ihr an der Seite Skandorff's winkte, und sie zeigte selbst in einem Briefe, der in seiner falschen Sentimentalität noch um vieles grausamer war, Förenskjöld ihre Verlobung an. Dieser gab ihr keine Antwort, sondern verliess einige Tage später die schwedische Hauptstadt, um sich einer Expedition anzuschliessen, die nach dem nördlichen Polarmeer segelte.

Seither war er verschollen.

Karola hatte indess das Leben der Residenz in vollen Zügen genossen, man hatte sie bewundert, gefeiert, angebetet, bis sie endlich nichts mehr zu erreichen hatte, bis ihre Eitelkeit übersättigt war und der Ekel kam.

Dann starb ihr Mann, und sie zog sich plötzlich aus den Kreisen, in denen sie als Königin, als Despotin geherrscht hatte, zurück. Den Jahren des Taumels war eine Zeit der Sammlung, der Entsagung, der Wehmuth gefolgt. Karola fühlte sich einsam, unbefriedigt, und mehr und mehr stieg Siegfried's Bild aus dem Nebel der Erinnerung empor, und der Verrathene, für immer Verschollene wurde von Neuem ihr Idol.

Was war dieses Leben ohne Gatten, ohne Kinder, ohne Freunde, ohne Liebe, fragte sie sich an jenem Abend wieder und immer wieder. Sie hatte das Glück frevelhaft von sich gestossen, um einem Phantom zu folgen.

Ja, wenn Förenskjöld noch lebte! aber sie empörte sich gegen den Gedanken, jetzt, wo sie keine Illusionen hatte, einem Anderen zu gehören.

Sie zog es vor, um ihn zu trauern, wie um einen Toden, allein mit ihrer Reue und ihrer Sehnsucht.

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Und nun sollte sie hinaus in die frostige Dezembernacht, in das glänzende Haus ihrer Eltern.

Es war der erste Abend der Hanuka, sie durfte nicht fehlen.

Seufzend erhob sie sich, um Toilette zu machen. »Ganz Israel wird heute die Hanukalichter anzünden«, murmelte sie, »aber in Deiner Seele ist das Licht erloschen für immer.«

* * *

»Heute will ich kein trauriges Gesicht sehen«, sprach Rubenborg, als Karola eintrat, »heute muss Alles heiter sein. Uebrigens bekommen wir einen interessanten Gast, der Dich zerstreuen wird.«

Karola zuckte verächtlich die Achseln.

Alle Räume des väterlichen Hauses waren glänzend geschmückt und erleuchtet. Feierte man doch den grossen Tag, wo Judas Makkabäus nach seinem Siege über die Syrer den Tempel gereinigt und beim Klang der Instrumente und Sang der Leviten die heiligen Lampen wieder angezündet hatte.

Auf dem Kamin stand die alte siebenarmige Lampe aus getriebenem Silber mit herrlichen Figuren, biblische Scenen darstellend. Acht Lichter waren auf diesem Familienkleinod aufgesteckt, denn das Fest währt acht Tage, und jeden Tag wird eine Kerze mehr angezündet.

Rubenborg, von seiner ganzen Familie umgeben, näherte sich jetzt der Lampe, sprach laut das Gebet und zündete die erste Kerze an.

In diesem Augenblick ging die Thüre auf, und Karola meinte eine Erscheinung zu sehen.

Es war Siegfried Förenskjöld, der Geliebte ihrer Jugend, der eintrat. Es war noch sein verständiges, gutes Gesicht mit den treuen, blauen Augen, aber männlicher, ernster und von Sonne und Wetter mit einer Art Bronce bedeckt.

Die junge Wittwe blieb wie versteinert in der Nähe des Kamins stehen. Nachdem Förenskjöld ihre Eltern begrüsst hatte, verneigte er sich stumm vor ihr.

Sie klammerte sich an den Kaminsims und sah ihn flehend an, da er aber keinen Schritt vorwärts that, streckte sie ihm die Hand entgegen, und als er diese schöne vielbegehrte Hand nicht nahm, sprach sie mit einer Stimme, die leise bebte: »Siegfried, geben Sie mir die Hand.«

Förenskjöld trat auf sie zu, und sie ergriff rasch seine beiden Hände.

»Haben Sie mir vergeben?«

»Man vergibt nur, wenn man vergisst.«

»Sie haben mich also nicht vergessen,« murmelte sie, und ein schmerzliches Lächeln überflog ihr bleiches Gesicht.

Während man bei Tische sass, erzählte Förenskjöld seine Schicksale. Das Schiff, auf dem er gegen Norden segelte, war gescheitert. Er hatte einige Monate in der Eiswüste der Polargegend zugebracht und war dann durch einen amerikanischen Schoner gerettet worden. In New-York gut aufgenommen, hatte er dort rasch eine gute Praxis als Arzt gefunden und war vor wenigen Tagen zurückgekehrt, um seine Verwandten zu sehen.

Als die Tafel aufgehoben war, tanzten die Kinder um die Lichter und kamen dann zu den Eltern, um das Hanukageld in Empfang zu nehmen.

Nun kamen noch verschiedene alte Freunde des Hauses an, und bald war alle Welt, Alt und Jung, mit dem Spiel beschäftigt, wie es an diesem Abend Sitte ist. Die Kinder würfelten einige Zeit, dann kam Gustav, der Jüngste, zu Förenskjöld gesprungen und bat ihn, eine Geschichte zu erzählen, eine recht schreckliche von dem endlosen Eismeer, von schwimmenden Gletschern, Eisbären und Nordlicht.

»Wohl ist es Sitte«, sprach Förenskjöld, »an diesem Abend Geschichten zu erzählen, aber nur jüdische Geschichten.«

Gustav bat also um eine solche. Förenskjöld setzte sich zum Kamin, die Kinder umgaben ihn, und Karola trat leise hinter seinen Stuhl und stützte sich auf die Lehne desselben.

* * *

Einst fragte eine römische Matrone den Rabbi José be Chalafta, in wie viel Tagen Gott die Welt erschaffen habe?

»In sechs Tagen«, war die Antwort.

Auf eine zweite Frage, was Gott seitdem thue, erwiderte Rabbi José, seine Hauptbeschäftigung bestehe darin, die Menschen durch das Band der Ehe zu vereinen und glücklich zu machen.

Die römische Matrone fand diese Antwort spasshaft und sprach: »Dies soll eine Beschäftigung für einen Gott sein? Ehen zu schliessen ist leicht, ich wette, dass ich das eben so gut kann, wie Dein Gott. Ich habe eine grosse Zahl Sklaven und Sklavinnen und will sie alle in einer Stunde verheirathen, dazu bedarf man keiner göttlichen Macht.«

»Mag sein«, erwiderte der Rabbi, »aber unserem Gott ist es gerade so schwer, wie jedes andere Wunder.«

Die römische Matrone nahm hierauf tausend ihrer Sklaven und ebenso viel Sklavinnen und vermählte sie alle an einem Abend.

Was aber war die Folge dieser so rasch, ohne Ueberlegung, ohne Liebe geschlossenen Bündnisse?

Schon am anderen Morgen kamen sie alle im kläglichsten Zustande und warfen sich ihrer Herrin zu Füssen. Die Einen hatten zerschlagene Köpfe, die Anderen wunde Augen, andere Striemen auf dem Rücken und alle, alle flehten um Scheidung ihrer Ehe.

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Am Hanukaabend ist es Sitte, Geschichten zu erzählen. (Von Heinr. Levy.)

Die römische Matrone gewährte ihre Bitte, und als sie wieder dem Rabbi begegnete, sprach sie: »Du hast recht. Meine Gottheit kann sich mit der Deinen nicht messen, unsere Gesetze stehen den Euren nach. Eure Lehre ist auf Wahrheit gegründet.«

Doch Rabbi José lächelte und erwiderte: »Habe ich Dir nicht gleich gesagt, dass eine Ehe zu stiften zu den schwierigsten Dingen gehört?«

* * *

»Und die Moral?« rief Rubenborg von seinem Whisttisch herüber.

»Vordem wurden die Ehen im Himmel geschlossen«, antwortete Förenskjöld, »heute ist das anders, und die römische Matrone würde diesmal recht behalten. Heute gelten nur noch die schönen Worte des Horaz:

Geld ist Königin
Der Welt, schafft alles Dir, ein reiches Weib,
Kredit und Freunde, Schönheit, Adel, Alles!

»Nein, alles nicht«, sprach Karola leise, »die Liebe nicht und nicht das Glück.«

Förenskjöld stand auf, und während er sich an den Kamin lehnte, trat die arme, bleiche Frau vor ihn hin und ergriff von neuem seine Hände.

»Siegfried, vergeben Sie mir«, murmelte sie, »auch ich könnte Ihnen eine Geschichte erzählen von einer Frau, die der Reichthum, die der Luxus geblendet hat und die inmitten rauschender Feste wie eine Tode wandelte mit ihrem Herzen. Sie hat unrecht gethan, diese Frau, auch sich, sich am meisten, aber sie hat auch gebüsst, an der Seite eines ungeliebten Gatten, umgeben von den Nichtigkeiten der Gesellschaft und dann in der freudenlosen Einsamkeit ihrer Wittwenjahre.

Das Licht ihrer Nächte war die Erinnerung, die Hoffnung.

Wenn Sie finden, Siegfried, dass sie nicht genug bereut, nicht genug gebüsst hat, sprechen Sie es aus, sie wird fortfahren zu entsagen und zu lieben, aber nehmen Sie ihr die Hoffnung nicht.«

»Was verlangen Sie von mir, Karola?«

»Vergebung.«

»Ich soll Sie also vergessen?«

»Nein, nein«, rief die junge Frau; sie machte eine Bewegung, als wollte sie ihm zu Füssen fallen, »ich gehöre Ihnen, ich habe immer Ihnen gehört, nur Ihnen, stossen Sie mich nicht zurück, rauben Sie mir nicht die Hoffnung.«

»Und was hoffen Sie noch, Karola?«

»O! mein Freund!« fuhr sie fort, »heute ist Hanuka! Es ist der Tag, wo Judas Makkabäus die falschen Götter gestürzt und den Altar des wahren Gottes aufgerichtet hat. Lassen Sie auch uns diese Götter zertrümmern, denen wir geopfert haben, die Eitelkeit, der Hang zum Reichthum, zum Genuss, die Hoffart und auch den Hass und die Rache.«

»Ich habe Sie niemals gehasst«, erwiderte Förenskjöld.

»Lassen Sie uns also zu unserem Gott zurückkehren, zu dem einzig wahren.«

»Und dieser Gott wäre?«

»Sie fragen noch?« rief sie und warf sich an seine Brust, »die Liebe, Siegfried.«

Förenskjöld hielt sie in seinen Armen, während sie mit ihren schönen, lächelnden und weinenden Augen zu ihm emporblickte.

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