Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Zwei Aerzte

Österreich.

(Der Talmud. – Zweierlei Medizin.)

Mitten im österreichischen Waldland, nahe der böhmischen Grenze, zwischen mächtigen Forsten, rauschenden Wassern und grünen Bergen, auf denen die Trümmer stolzer Burgen gegen Himmel ragen, liegt ein freundlicher Ort mit weissgetünchten Häusern und rothen Ziegeldächern.

Hier lebte seit undenklicher Zeit eine kleine, jüdische Gemeinde, die ferne der Strasse, welche der Welthandel nimmt und auf der die Heere ziehen, ihr Wesen und ihre Bräuche ziemlich unverfälscht erhalten hatte.

Das grosse Licht, der Ilau dieser Gemeinde, war Mebus Kohn, der Talmudist. Er war ihr Lehrer, ihr Rathgeber, ihr Orakel und ihr Arzt.

Mebus lebte mit seiner Tochter Perle sehr still und glücklich unter dem Dache des kleinen mit Weinlaub umrankten Hauses, das dem jüdischen Fleischer Berthold Zimmermann gehörte, bis zu dem Tage, wo sich ein junger, jüdischer Arzt, Leopold Pfeffermann, mit seiner Schwester in dem kleinen Waldort niederliess.

Nun war es um seine Ruhe geschehen. Bisher hatten die Juden in diesem stillen Winkel keine andere Arznei gekannt, als den Talmud. Mit Hülfe dieses heiligen Buches heilte Mebus jede Art von Leiden und Gebrechen oder er heilte sie nicht, je nachdem die guten oder bösen Geister die Oberhand gewannen.

Nun machte ihm plötzlich ein Fremder, ein junger Mensch, ein Purez (Geck), seinen wohlerworbenen Ruhm streitig.

Der alte Talmudist hasste diesen Doktor von Anbeginn, ehe er ihn noch gesehen hatte, und seine Abneigung wurde allmählig noch durch das Gebahren der Schwester Pfeffermann's gesteigert. Diese, eine junge, anmuthige, gebildete Dame, zeichnete sich durch eine elegante Toilette und einen freien Geist aus, der alles Gute und Vernünftige im Judenthume mit Feuer vertheidigte, sich aber von allen veralteten Vorurtheilen und Gebräuchen losgemacht hatte. Schon dass sie Bücher las, die nicht in Folio gedruckt und nicht hebräisch waren, genügte, um sie in den Augen des Talmudisten zu einer Ketzerin zu machen. Nun kam noch dazu, dass der Doktor einen Todtenkopf auf seinem Schreibtisch und ein menschliches Gerippe in einem Winkel seines Studirzimmers stehen hatte.

Dies war geradezu eine Verletzung des Gesetzes nach der Ansicht des Talmudisten.

.

Doch sein frommer Eifer half ihm wenig. Der Doktor machte einige glückliche Kuren, und seine Schwester scheute keine Mühe, keine Gefahr, wo es zu helfen, zu retten galt. Sie ging in die Hütten der Armen, um in einer verpesteten Luft die Kranken zu pflegen, den Dürftigen die nöthige Nahrung zu bringen und mehr und mehr blieben die Patienten bei Mebus aus und erholten sich Raths bei dem jungen, gelehrten Doktor, der vielleicht nicht koscher ass, aber ein echtes, jüdisches Herz besass.

Kam ein Kranker zu Mebus, so fragte er ihn aus, ob er vielleicht beim Abschneiden der Fingernägel einen Fehler begangen habe, ob er nicht Speisen gegessen habe, die verboten seien, ob er nicht eine Ruine betreten habe, in der die Massikim hausen, und dergleichen mehr. Dann schlug er den Talmud auf, sprach Gebete, legte dem Patienten die Hände auf und im besten Falle gab er ihm einen Abguss von Kräutern, die er selbst im Walde gesucht hatte.

Der Doktor dagegen sah dem Kranken, der über Halsweh klagte, in den Hals, klopfte und horchte demjenigen, der sich über Schmerzen in der Brust beklagte, die Brust ab, fühlte den Puls, verschrieb eine Arznei und ordnete eine entsprechende Diät an.

Das war schon ganz anders und nun gar die Elektrisirmaschine, die er manchmal anwendete, die verschiedenen Instrumente, deren er sich bediente. Alle diese Geheimnisse seiner Kunst wirkten auf die abergläubische Bevölkerung noch kräftiger als die Kabbalisten-Formeln des alten Mebus.

* * *

So sah sich denn dieser eines Tages vollständig entthront und dachte bereits daran, die Gegend zu verlassen, als ihm, wie er glaubte, Gott Hülfe sendete und ihm plötzlich bei seinem Hausherrn, dem Fleischer, eine wahre Wunderkur gelang.

Der junge Doktor wollte der Sache auf den Grund kommen und begab sich ohne weiteres zu Mebus, der ihn mit einem grimmigen Blick empfing, während die reizende Perle, die Hand auf den alten Lehnstuhl ihres Vaters gestützt, die Augen zu Boden gesenkt, ein Bild der Unschuld und Anmuth, dastand.

»Erklären Sie mir, Herr Mebus Kohn«, begann Pfeffermann, »wie Sie diesen Zimmermann behandelt haben. Da Sie doch nicht Medizin studirt haben, so setzt mich Ihr Erfolg in Erstaunen, und da ich jede Erscheinung zu verstehen suche, bitte ich, mir Ihre Methode zu erläutern.«

»Glauben Sie denn«, erwiderte Mebus, »dass man Leichen zerschneiden muss, um den menschlichen Körper kennen zu lernen? Ich kenne ihn besser als Sie und habe niemals sezirt. Und dann – wer sagt Ihnen, dass man jede Krankheit heilen soll? Wenn Gott eine Krankheit sendet, darf man zu ihm beten, um den Tod abzuwenden, nicht aber gegen den Willen des Schöpfers Krieg führen.«

»Ich bitte, Herr Kohn, ich möchte Ihre Methode kennen lernen«, sagte der Doktor ruhig, »das hat mich zu Ihnen geführt.«

»Meine Methode?« murmelte Mebus und zog die Augenbrauen zusammen, »Sie werden sie doch niemals verstehen, Sie haben nicht den Geist dazu, Ihnen fehlt die wahre Gottesfurcht. Um einen Kranken zu heilen, darf man sein Leiden nicht von der körperlichen Seite betrachten, man muss seinen geistigen Zustand kennen. Der Traktat Makoth sagt uns, dass es im Menschen 248 Glieder und 365 Adern gibt. Dagegen findet man in der Thora 248 Gebote und 365 Verbote. Begeht der Mensch eine Sünde, sei es, indem er ein Gebot nicht befolgt oder ein Verbot überschreitet, so erkrankt das Glied oder die Ader, die mit diesem Gebot oder Verbot in Zusammenhang steht.«

Pfeffermann sah den Alten erstaunt an, er meinte, wie Faust in der Hexenküche, einen Chor von hunderttausend Narren sprechen zu hören.

»Je mehr der Mensch sündigt«, fuhr der Talmudist fort, »umsomehr wird sein Körper zerstört, und wenn er nicht endlich Busse thut, kann ihn kein Arzt retten. Eine genügende Busse ist allein im Stande, den Tod abzuwenden, denn Gott hat uns durch den Mund des Propheten Ezehiel gesagt: »Ich begehre nicht den Tod des Sünders, sondern dass er Busse thue.«

»Und Sie haben auch Zimmermann in der Weise geheilt?« fragte der Arzt immer verwunderter.

Mebus nickte. »Er hat mir seine Sünden gebeichtet«, sprach er, »und Busse gelobt. Ich betete zu Gott und verbürgte mich für die Busse des Zimmermann, und Sie sehen, er wurde gesund.«

* * *

Aber dem Tage des Triumphes folgte ein Tag der Niederlage für den armen Mebus Kohn.

Seine geliebte Perle erkrankte und diesmal half weder das Gelöbniss der Busse, noch das Gebet, noch der Talmud. Das liebliche Kind welkte dahin, und Mebus war der Verzweiflung nahe, als er sich endlich entschloss, den Arzt zu berufen.

Er kam vollständig gebrochen zu Pfeffermann, wie ein besiegter König des Orients, der seinem Gegner den Nacken darbietet, damit er den Fuss auf ihn setzen kann.

Doch Pfeffermann zeigte sich edel. Er verrieth mit keiner Miene die Genugthuung, die er empfand, er begab sich, ohne viele Worte zu verlieren, zu der Kranken, untersuchte sie gewissenhaft, verordnete was nöthig war und sendete dann seine Schwester, welche mit allem Eifer und aller Liebe die Pflege übernahm.

Der junge Arzt kam täglich zweimal und manchmal brachte er sogar die Nacht bei der Kranken zu. Wenn er dann an dem bescheidenen Bett sass, in dem das Mädchen, die Wangen von der Fiebergluth geröthet, fast theilnahmslos lag, wenn er mit einer Unruhe, die ihm sonst fremd war, die Körperwärme mit dem Thermometer mass, wenn er bei jedem Symptom, das ihm ungünstig schien, fühlte, wie sich sein Herz zusammenzog, da sagte er sich wohl, dass er hier, auch um seinetwillen um ein Leben ringe, das ihm lieb, das ihm theuer war, und dann, als der schwere Sieg errungen war, als allmählig das Bewusstsein, die Kräfte, wiederkehrten, welche innige, namenlose Freude empfand er, wenn er eintrat, wenn die schwarzen Augen Perle's ihn schon von Weitem grüssten.

.

Schon konnte das liebliche Mädchen die Stube verlassen und im Gärtchen in der sonnigen Laube sitzen, und der Doktor kam noch immer.

»Ich kann mir nicht vorstellen«, sagte Perle eines Tages mit einem holden Lächeln, »dass Sie nicht mehr kommen sollten. Ich möchte –«, sie hielt inne und blickte zu Boden.

»Was möchten Sie, einzige Perle?«

»Ich möchte immer krank sein, damit Sie immer kommen.«

Der junge Arzt nahm sie bei den Händen und sah sie treuherzig an.

»Nein, Perle, krank dürfen Sie mir nicht mehr werden, ich habe zu viel Angst um Sie ausgestanden, aber wenn Sie mich ein wenig lieb haben, ich bete Sie an, ich kenne nur noch ein Glück auf Erden, Sie als Hausfrau in mein Heim einzuführen.«

»Wäre das möglich!« Perle presste die Hand an das Herz und begann am ganzen Leibe zu beben.

»Wollen Sie, Perle?«

»Und ob ich will!«

»Aber Ihr Vater?«

»Er wird sich schon bekehren lassen.«

* * *

Eines Tages hatte der Förster einen Hund erschossen, der herrenlos im Walde herumlief und das Wild aufstörte. Pfeffermann bemächtigte sich des Kadavers und liess ihn zu Mebus schaffen.

Als der Talmudist, ein Bündel Kräuter in der Hand, aus dem Walde heimkehrte, fand er den jungen Arzt mit Perle in der Laube. Pfeffermann sezirte den todten Hund und erklärte dem mit einer Art Andacht lauschenden Mädchen den Bau des thierischen Organismus.

.

Er fand den jungen Arzt mit Perle in der Laube. (Von Ed. Loevy.)

Mebus that erst, als bemerke er es nicht, dann sah er von Weitem hin, allmählig näherte er sich auf den Fussspitzen und schliesslich stand er sprachlos vor dem offenen Körper, und es war ihm, als habe der junge Arzt eine geheimnissvolle Pforte vor ihm aufgethan, durch die er in die Werkstatt Gottes blicken konnte.

»Welches Wunder!« rief er plötzlich, die Hände zum Himmel erhebend. »Das Wort des Propheten Joel ist wahr geworden: Einst werde ich meinen Geist über alles Fleisch ergiessen und Eure Söhne und Töchter werden weissagen. – Meine Hand, Herr Pfeffermann, ich werde mir auch nicht mehr anmassen, einen Menschen heilen zu wollen.«

»Doch, Herr Kohn«, sagte der Arzt, »aber wir wollen theilen, ich nehme die Leiber auf mich und Sie die Seelen. Sie sehen, ich gebe Ihnen den besseren Theil, denn es gibt auch kranke Seelen, und für diese sind Schrift und Talmud eine oft erprobte Medizin.«

»Sie haben recht. Wir wollen Freunde sein und bleiben, Herr Pfeffermann.«

»Das ist mir zu wenig, Herr Mebus Kohn«, rief der junge Arzt.

»Ja, was wollen Sie denn noch?«

»Ihre Tochter, Herr Kohn.«

»Perle?«

Das liebe Mädchen sah ihn verschämt an und nickte mit dem Kopfe.

»Ihr liebt Euch?«

»Ja, mein Vater.«

»Und der Herr Doktor ist nicht zu stolz, die Tochter des armen Kohn zum Weibe zu nehmen?«

»Herr Kohn, Sie beschämen mich.«-

»Nein, nein, ich bin stolz auf solch einen Schwiegersohn«, rief Mebus, »sagt doch schon Salomo: Wenn mein Sohn weise ist, so freut sich mein Herz.«

.

 


 << zurück weiter >>