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Der schöne Kaleb

Böhmen.

(Der Schadchen. – Meschugge. – Der Gaulim.)

In einer kleinen Strasse der finsteren Judenstadt, die sich um die berühmte Alt-Nai-Schul zusammendrängt, stand das Haus der Familie Schmelkes, welche unter den Israeliten der alten Königsstadt Prag grosse Achtung genoss und im ganzen Königreich Böhmen bekannt war.

Das Haupt der Familie, welche eine Wechselstube besass, war seit Jahren aus der Welt geschieden und dessen Wittwe, Frau Eugenie Schmelkes, regierte allein das Haus und erzog ihre Söhne so gut sie konnte.

Bei dem älteren, Nathan, der von Haus aus ernst und nüchtern war, genügte die sanfte Hand der Mutter. Er wurde ein tüchtiger Mensch, heirathete und übernahm die Leitung des Geschäftes. Dagegen wurde der jüngere, Kaleb, durch seine Mutter und ein halbes Dutzend Tanten verzärtelt und verzogen, sodass schliesslich, nach jüdischen Begriffen, ein ganz unnützer Mensch aus ihm wurde.

Kaleb hatte keine bösen Eigenschaften, er hatte nur einen Fehler: er war unglaublich eitel auf sein Aeusseres, und auch das war vielleicht nicht sein Fehler. Man hatte ihm unablässig gesagt, dass er schön sei, man hatte ihn erst wie ein Mädchen, dann wie einen Prinzen angezogen, man fand keine noch so schöne und prächtige Rose des Prager Ghettos würdig, seine Hand zu besitzen, und so war er endlich geworden, was er war: der schöne Kaleb, wie ihn spöttisch die gebildeten Juden nannten, ein »Purez«, ein Geck, nach den Begriffen der armen Hebräer im schäbigen Kaftan.

Der schöne Kaleb hatte weder etwas gelernt, noch betrieb er irgend ein Geschäft, er spazierte den ganzen Tag in den Strassen von Prag herum und erwartete die schöne und reiche Braut, die eines Tages vom Himmel, wo die Ehen nach Ansicht der Talmudisten geschlossen werden, vor seine Füsse fallen sollte, wie eine reife Frucht.

Aber die Jahre verstrichen und Kaleb hatte noch immer keine Stellung, kein eigenes Einkommen und keine Frau.

Da erschien eines Tages Treitel, der berühmte Schadchen, bei ihm und bot ihm seinen Beistand an, den Kaleb mit einem spöttischen Lächeln ablehnte. Dies war dem kleinen Treitel noch nie geschehen. Er richtete sich in seiner ganzen Grösse auf den Fussspitzen auf, erhob drohend den Finger und sprach: »Junger Mensch! ohne Schadchen bekommen Sie keine Frau, so wahr ich Treitel heisse, der liebe Gott kennt mich und weiss, was er von mir zu halten hat, sonst hätt' er mir nicht anvertraut das Geschäft hier auf Erden. Aber wenn Sie schon wollen suchen eine Frau ohne Treitel, so geb' ich Ihnen einen Rath: Verstecken Sie doch vor allem Ihre krummen Beine.«

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Treitel verschwand und Kaleb blieb versteinert mitten in der Stube stehen. Hatte er wirklich krumme Beine? Noch wollte er es nicht glauben. Zögernd trat er vor den grossen Spiegel und betrachtete sein Ebenbild, dann sank er vernichtet auf einen Stuhl.

Ja, er hatte krumme Beine, er, der Adonis der Prager Judenstadt, er, der sich für schön und unwiderstehlich hielt, dem das beste jüdische Mädchen zu gering war, der seine Hand nach den Komtessen und Prinzessinnen des böhmischen Adels ausstreckte, es war einfach schrecklich.

Wieder trat er an den Spiegel und prüfte sich und dachte nach, und endlich fand er, wie eine eitle Frau, die sich die ersten Runzeln mit Hilfe der Schminke wegzaubert, ein Mittel, den Fehler, der ihn so namenlos unglücklich machte, zu verbergen.

Er begab sich zu seinem Schneider, machte verschiedene Bestellungen und kehrte dann beruhigt zurück. Seine Freunde staunten, als er sich wieder unter ihnen zeigte, denn er trug fortan nur noch ganz lange Röcke, die fast bis zu den Knöcheln reichten und einen langen, faltigen Paletot von schwarzem Tuch, der ihm im Verein mit einem breitkrämpigen Hut, das Ansehen eines Künstlers gab. Zu Hause fanden ihn Mutter, Tanten und Cousinen jetzt noch schöner und poetischer, denn hier hüllte er sich im Sommer in eine Art weissen arabischen Burnus und im Winter in einen langen Schlafpelz im Style des Doktor Faust.

* * *

Nun glaubte er wieder an seinen Stern, nun war er wieder überzeugt, dass alle Frauen ihm entgegen schmachteten, dass alle Mädchen von ihm träumten, und dass alle Eltern ihn mit Sehnsucht als Freier erwarteten. In jedem Zufall sah er einen Wink des Schicksals, in dem unbedeutendsten Vorfalle geheimnissvolle Zeichen, die er stets mit der Dame, für die er gerade schwärmte, in Beziehung brachte. Er hatte schon eine ganze Reihe von Romanen erlebt, aber alle nur in seiner Phantasie, er war glücklich ohne Grund, er kämpfte ohne Grund, und er litt und trauerte ohne Grund.

Jeden Sonntag stand er an der Thüre der katholischen Domkirche und liess nach der Messe die aristokratischen Damen Revue passiren. Einmal, ein einziges mal, sah ihn die Tochter des Generals Rothfeld an, vielleicht weil er wirklich einen schönen Kopf hatte. Sofort war er überzeugt, dass sie ihn liebe und verfolgte sie auf Schritt und Tritt. So oft er dem General begegnete, grüsste er ihn respektvoll.

Als eines Tages der General seine Cigarre anzünden wollte und ihn um Feuer bat, schloss er sich ihm an, und begann ein Gespräch über Theater, Litteratur, Politik, das kein Ende nahm.

Der General wurde endlich ungeduldig. Kaleb empfahl sich, erzählte aber den Vorfall seiner Mutter, mit der Bemerkung: »Jetzt ist alles verloren, der General ist beleidigt, weil ich mich nicht erklärt habe.«

Einige Tage später las er in der »Bohemia«, dass die schöne Tochter des Generals mit einem Obersten verlobt sei. »Ich wusste es«, murmelte er, »ich habe sie unglücklich gemacht. Oh! meine Unentschlossenheit.«

In einer Loge des deutschen Theaters sah er die reizende Comtesse Waldstein. Neben ihm sass ein junger Offizier, den die Comtesse durch das Opernglas ansah. Natürlich galt dies ihm, dem schönen Kaleb.

Er war nun überall zu sehen, wo die Comtesse erschien in jedem Concert, auf jedem öffentlichen Ball, auf dem Eisplatz und in der Kirche. Eines Tages sah er ihren Vater, den Grafen, der von der Jagd heimkehrte und einen grünen Tannenzweig auf dem Hute trug. »Er wollte mir damit andeuten«, sagte er zu einem seiner vertrauten Freunde, »dass ich hoffen dürfe.«

Doch die »Bohemia« schnitt wieder mit einer grausamen Notiz den Faden seiner Einbildungen ab. Die Comtesse Waldstein verlobte sich gleichfalls. In einem Kaffeehause erzählten die Freunde des schönen Kaleb, dass die Comtesse nur gezwungen ihre Einwilligung gegeben habe und dass sie ihr Herz einem armen Baron geschenkt habe, den ihre Eltern nicht zum Eidam haben wollten.

Da richtete sich der schöne Kaleb stolz auf und sprach mit leuchtenden Augen: »Der arme Baron bin ich.«

Jedes Inserat, das Liebende, das galante Frauen mit ihren Anbetern wechselten, wie es in Oesterreich Mode ist, bezog Kaleb auf sich. Er antwortete jedesmal, rief unglaubliche Verwirrungen hervor und gab diese Art von Sport erst auf, als eines Tages eine verschleierte Dame zu ihm kam und ihn mit der Reitpeitsche bedrohte und ein Husarenoffizier ihn im Kaffeehause bei den Ohren nehmen wollte.

Die Dame war die Baronin Divin, welche er durch seine Inserate fast mit ihrem Anbeter, dem Rittmeister Legedy, entzweit hatte.

Da er selbst nichts verdiente, nahm er bald seine Mutter, bald eine seiner Tanten, bald seinen Bruder Nathan in Anspruch. Wenn der Letztere ihm Vorstellungen machte, gab er verächtlich zur Antwort: »Ich werde alles zurückzahlen, sobald ich eine reiche Heirath mache.«

Diese reiche Heirath war seine fixe Idee, und es war natürlich, dass die Leute des Ghetto endlich die Köpfe schüttelten und sich zuflüsterten: »Er ist meschugge.«

* * *

Mehr und mehr wurde der schöne Kaleb von seinen Gläubigern bedrängt und gequält, denn er lebte wirklich wie ein Baron, und endlich konnte die Mutter nichts mehr geben und der Bruder wollte nichts mehr geben.

Da erschien wieder Treitel, der Schadchen auf dem Schauplatz.

Das kam so. In der Prager Judenstadt lebte damals ein alter Mann, Pesach Wolf, der eine Buchhandlung besass. Er war reich und in Folge seiner Orthodoxie geachtet und gefürchtet. Wolf hatte seine Frau und seine Kinder begraben und hatte nur noch eine Enkelin, Jenta, die sein Stolz und seine Freude war. Diese wollte er um jeden Preis verheirathen, aber es fand sich kein Mann, trotz der reichen Mitgift.

Endlich gab Wolf jede Hoffnung auf, und da er den Kopf voll Mystizismus und Aberglauben hatte, so umschlich er eines Abends die Alt-Nai-Scrule, in der Absicht, einen gelehrten polnischen Talmudisten zu finden, der ihm helfen sollte, denn nur zu einem Kabbalisten des Ostens hatte er Zutrauen.

Hier traf ihn Treitel und liess ihn nicht mehr los. Endlich begann Pesach Wolf: »Sagen Sie mir, Treitel, auf dem Boden der Alt-Nai-Schule soll der Gaulim des berühmten Rabbi Lob aufbewahrt sein.«

»Ja, so sagt man.«

»Könnte man diesen Gaulim nicht bekommen?«

»Zu welchem Zweck? Aber Sie wissen doch, dass sich Niemand auf den Boden wagt. Wahrscheinlich haben in früheren Zeiten die Rabbiner allerhand unheimliche Geschichten über die Alt-Nai-Schule verbreitet, um die Christen abzuschrecken und sind dort heute noch Schätze und Geheimnisse aller Art verborgen.«

»Kennen Sie Jemand, Treitel«, fuhr Pesach Wolf leise fort, »der ein Kabbalist ist, wie Rabbi Löb einer war, der einen Gaulim bilden kann und ihn zu beleben versteht durch Einhauchen heiliger Namen?«

»Das sind doch Märchen!« rief Treitel lachend. »Rabbi Löb mag einen Automaten gehabt haben, der Anlass zu der Sage gab. Aber wozu wollen Sie denn solch einen Gaulim haben?«

»Für meine arme Jenta«, sagte der Greis seufzend, »da sie schon keinen Mann haben soll, möchte ich ihr einen schönen Gaulim zum Spielzeug geben.«

Treitel legte den Finger an die Nase. »Einen schönen Gaulim? Sollen Sie haben.«

Und so klopfte der Schadchen wieder an die Thüre des schönen Kaleb.

Diesmal war die Aufnahme ungleich besser, und als Treitel von einer reichen Erbin sprach, wurde Kaleb sogar liebenswürdig.

»Aber die Sache ist nicht so leicht«, sagte der Schadehen, »trotz Ihrer Schönheit. Sie müssen klug sein und dem Treitel folgen, blind folgen.«

Kaleb versprach es und begann damit, dass er ein Zimmer bezog, das Treitel in dem Hause gegenüber von Pesach Wolf gemiethet hatte. »Zeigen Sie sich am Fenster«, sagte der Schadchen, »wenn Sie sehen das Mädchen gegenüber, meinetwegen als Türke, aber zeigen Sie nur nicht voreilig Ihre Beine.«

Der schöne Kaleb blickte also mit einem Opernglas den ganzen Tag hinüber, und wenn Jenta sich an das Fenster setzte, öffnete er das seine und lehnte sich hinaus.

»Ein schöner Mann!« sagte Jenta, als sie ihn das erste Mal in seinem prächtigen Schlafpelz mit dem Fez auf dem Kopfe erblickte.

Treitel hatte im Hause Pesach Wolfs dieselben Vorsichtsmassregeln ergriffen. Er brachte eine Büchse mit Schminke und lehrte Jenta ihr kleines grüngelbes Gesichtchen mit Hilfe derselben in einen niedlichen Puppenkopf zu verwandeln, er lehrte sie mit einem aber dem Licht geschwärzten Kork die Augenbrauen zu malen, und bestimmte den alten Wolf, ihr einen Schlafrock von rothem Atlas zu kaufen, in dem sie aus der Entfernung einen ganz guten Effekt machte. Kaleb fand sie hübsch und erklärte sich bereit, um ihre Hand anzuhalten, während Jenta ihn bereits mit offenen Armen erwartete.

Nun begann Treitel den schönen Kaleb auf die wirkliche Jenta vorzubereiten.

»Gewiss ist sie hübsch«, sagte er, »sie schielt zwar ein bischen, aber das gibt ihr gerade einen besonderen Reiz. Auch ist sie sehr gross und sehr schlank, doch das macht sie um so majestätischer und endlich ...«

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Zeigen Sie sich im Fenster, sagte der Schadchen. Von Vogel.)

»Was denn noch?« fragte Kaleb ängstlich.

»Na, erschrecken Sie nur nicht gleich«, rief der Schadchen, »ein Mädchen, das einem 200,000 Gulden zubringt, darf man nicht so genau ansehen, endlich – ja – sie hat auch ein paar falsche Zähne, aber Zähne wie Perlen, sag' ich Ihnen.«

»Und wirklich 200,000 Gulden?«

»Ja, das ist sicher.«

So ging denn der schöne Kaleb mit Treitel hin und hielt feierlich bei dem alten Pesich Wolf um Jenta's Hand an. Nachdem alles abgemacht war, erschien die reiche Erbin. Kaleb erschrack ein wenig, als er entdeckte, dass sie um einen halben Kopf grösser war als er und mager, wie ein Windhund. Aber er konnte nicht mehr zurück. Er tröstete sich mit ihrer Bildung, ihrem Gelde und fand schliesslich, dass das Schielen sie pikant mache.

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So war denn Beiden geholfen. Der schöne Kaleb hatte endlich die reiche Frau gefunden, die er seit fünfzehn Jahren erwartet hatte und Jenta bekam ihr Spielzeug, ihren Gaulim.

Ihr war es Ernst, sie bewunderte ihren Mann, sie betete ihn an, sie putzte ihn, wie man ein Kind aufputzt und bediente ihn, wie eine Sklavin ihren Herrn bedient, und so fand sich der schöne Kaleb mehr und mehr in sein Loos und fühlte sich endlich vollkommen glücklich.

Nur eines beunruhigte ihn, dass seine Frau grösser war als er.

Aber auch dafür fand er eines Tages ein Remedium, wie einst für seine krummen Beine.

Jenta durfte nur ganz kleine Hüte und Schuhe ohne Absätze tragen, während er auf einer Art Kothurn einherschritt und stets hohe Hüte trug. Zu Hause aber sass er immer, wie ein kleiner Junge, auf einem Polster und trennte sich niemals von seinem Fez, der ihn allein schon um ein paar Zoll grösser machte.

Der Gaulim des Rabbi Löb ruht aber nach wie vor auf dem Boden der geheimnisvollen Alt-Nai-Schule und um das Grab des grossen Kabbalisten, der einen Tycho de Brahe und einen Kaiser Rudolf zu seinen Freunden zählen durfte, rauschen die düsteren Weiden eines alten Prager Judenkirchhofs und weben noch heute wunderbare Sagen, die immer wieder vom Grossvater auf den Enkel kommen, ein theures Vermächtniss aus längstvergangenen, finsteren, grausamen Zeiten.

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