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Der falsche Thaler

Süddeutschland.

(Das Laubhüttenfest.)

Es war um Mitte September, als Martin Friedlieb nach langer Abwesenheit in seine Heimath, eine grössere Stadt Süddeutschlands, zurückkehrte.

Man sprach denselben Abend in allen israelitischen Familien von ihm und auch bei Sindel, dem reichsten Juden am Platze, der eine bedeutende Spielwaarenfabrik besass.

»Was hat er jetzt davon«, sagte Sindel, »hat sein ganzes Geld verstudirt und verreist, der Martin, und ist heute gekommen ohne einen Pfennig in der Tasche. Was wird er nun anfangen? Der Gemeinde zur Last fallen.«

»Das hat er wohl nicht nöthig«, erwiderte Frau Leonore Sindel, welche der weibliche Schöngeist der Stadt war, »er hat an den ersten Universitäten studirt, in München, Berlin, Heidelberg, Prag und Wien, er hat Italien, Frankreich und die Niederlande bereist, alle Gallerien gesehen, alle die herrlichen Kunstschätze des Alterthums und der Neuzeit.«

»Was kauft er sich jetzt dafür?« fragte Sindel spöttisch.

»Er ist Kunsthistoriker«, sagte Leonore, »er schreibt jetzt ein Buch und wird dann Professor werden.«

»Das kann doch nichts einbringen?«

»Oh! es gibt Professoren, die zehntausend Mark das Jahr bekommen und mehr.«

»Nun wir werden ja sehen.«

Deborah, die Tochter Sindel's, hatte kein Wort gesagt, sondern stille an der Puppe weiter gearbeitet, die sie anzog, aber alles, was sie gehört hatte, hatte sofort Theilnahme und Interesse für den jungen Gelehrten bei ihr erregt, und als Martin am folgenden Vormittag seinen Besuch machte, trat sie mit klopfendem Herzen in den Salon.

Martin liess von Zeit zu Zeit seinen Blick mit Wohlgefallen an der schlanken Gestalt, dem reinen, jungfräulichen Antlitz Deborah's haften, und sie fand ihn überaus männlich und geistvoll. Als Martin sich erhob, war das geheimnissvolle Band zwischen Beiden geschlungen. Die Mutter fühlte es sofort, und da sie von dem jungen Professor, wie sie Martin nannte, bezaubert war, lud sie ihn zum Essen ein und schlug ihm zugleich vor, da er weder Vater noch Mutter hatte, mit ihnen die Laubhütte zu bauen, denn das Fest war vor der Thüre. Martin nahm dankbar an, und Deborah erröthete, als sie ihm zum Abschied die Hand drückte.

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Am nächsten Tage, beim Essen, fand Martin Gelegenheit, Sindel eine gewisse Achtung abzunöthigen. Man sprach vom kommenden Fest, und Martin erklärte in seiner liebenswürdigen, bescheidenen Weise die Bedeutung desselben. Er setzte auseinander, wie es zugleich zum Andenken an den Aufenthalt in der Wüste gefeiert wurde und als eine Art Erntefest, da im gelobten Lande um diese Zeit alle Früchte eingebracht und die Weinlese beendet war. »Sieben Tage sollst Du unter Zelten wohnen, schreibt das Gesetz vor, zur Erinnerung an das Nomadenleben in der Wüste, aber die Früchte, die man in der Laubhütte aufhängt, sind vielmehr Symbole jenes palästinischen Erntefestes.«

Schon drei Tage vor dem Feste begann überall der Bau der Laubhütten, und alle nahmen daran Theil, Alt und Jung, jeder trug sein Scherflein bei. Hinter der Fabrik lag das stattliche Haus Sindel's im altdeutschen Stil und hinter diesem der Garten. Hier, auf einer kleinen Wiese, schlug Martin die vier Pflöcke ein, welche den ganzen Bau tragen sollten. Die Pfeiler wurden durch Latten verbunden, welche eine Art Wand bildeten. Sindel und sein Sohn Zelias verkleideten die Suka von aussen mit Tannenzweigen und Moos, während die Frauen das Innere mit weissem Stoff überzogen. Martin hatte die Herstellung der Decke übernommen. Nachdem er ein Dach aus Holzstäben gefertigt, deckte er es mit Tannenzweigen, aber so, dass kleine Lücken offen blieben, durch welche der Himmel und die Sterne hereinblicken konnten. Als dies geschehen war, trat er in das Innere der Suka ein, um den Aufputz anzubringen, den Eleonore und Deborah vorbereitet hatten. Das reizende Mädchen liess es sich nicht nehmen, ihm dabei zu helfen. Sie reichte ihm die Ketten aus farbigem Papier, die Vogelbeerzweige, deren rothe Früchte freundlich aus dem kräftigen Grün herausblickten, die Birnen, Aepfel, Trauben, die vergoldeten Nüsse, die er an der Decke aufhing, und die kleinen Vögel aus geleerten Eiern mit Schnäbeln und Flügeln aus Goldpapier. Wiederholt berührten sich ihre Hände und jedesmal wurde das hübsche Mädchen roth.

Nachdem auch der Palmenzweig Lulaf und der Zedruch, der Paradiesapfel im grünen Reisig untergebracht waren, wurde in der Mitte der Decke der Mogan Doved, der Schild David's, mit kleinen Nägeln befestigt.

Aus vergoldeten Stäbchen bildete Martin eine Triangel und schlug dann in der Mitte desselben einen Haken ein, an dem die siebenarmige Lampe aufgehängt wurde.

»Nun das Letzte«, sprach Deborah und lachte ihn mit ihren Kinderaugen an.

»Was meinen Sie?« fragte Martin.

Deborah, welche bisher die Hände auf dem Rücken verborgen hatte, hielt ihm plötzlich eine grosse rothe Zwiebel unter die Nase, die mit Hahnenfedern bespickt war.

»Richtig!« rief Martin, »den Zauber gegen alle bösen Geister dürfen wir ja nicht vergessen.«

Sie hingen die Zwiebel an die Thüre auf und nun waren alle Schaïdim und Massekim von der Schwelle der Laubhütte gebannt.

»Sie müssen uns für recht beschränkt halten«, sagte Deborah, »Sie, der Sie die halbe Welt gesehen haben.«

»Glauben Sie nicht, dass man dort, wo die grossen Wogen des Volkslebens branden, aufgeklärter und glücklicher ist. Der Aberglaube ist unsterblich. Er nimmt immer neue Gestalten an, aber er schwindet niemals. Heute ist er ein religiöser Wahn, morgen ein politischer, übermorgen ein wissenschaftlicher, aber ohne Thorheit kann die Menschheit nicht bestehen.«

»Also thöricht sind wir doch!« rief Deborah und machte eine muthwillige Bewegung, so dass ihr dicker, schwarzer Zopf, mit dem sie spielte, Martin auf die Wange traf. Er zuckte zusammen.

»Habe ich Ihnen wehe gethan?« fragte sie.

»Nein, Sie haben nur eine Art Zauberstab geschwungen«, sagte er lächelnd, »und wenn ich jetzt eine grosse, rothe Zwiebel vor mein Herz hängen wollte, dürfte es zu spät sein.«

»Sie Schalk!« rief das Mädchen lachend und traf ihn noch einmal mit dem Zopf, diesmal auf die Nase.

* * *

Am ersten Halbfeiertage war Sindel zu einer Whistpartie geladen, und Frau Leonore vertiefte sich in einen Roman von Spielhagen, denn es war ein langweiliger Regentag mit einem bleiernen Himmel, grauen Nebelschleiern und rieselnden Bächen in den Strassen.

Doch Deborah wollte ungestört träumen und hatte sich trotz dem schlechten Wetter in der kleinen Laubhütte ganz behaglich eingerichtet. Sie hatte Bretter über das Dach gelegt und einen Teppich vor die Thüre gehängt, die Lampe angezündet, sich einen Sitz aus Kissen gebildet und sass nun da, die kleinen Füsse auf einem Schemel, in einen Shawl gewickelt und hörte die Tropfen klatschen, sah die kleinen Vögel und Nüsse in der bewegten Luft schaukeln und athmete den feuchten Harzgeruch der Tannenzweige.

Sie erschrak ein wenig, als der Teppich zurückgeschlagen wurde und Martin hereinblickte, aber es war ein freudiger Schreck, der ihre jungen Glieder erbeben machte und sie streckte ihm so herzlich die Hände entgegen, dass auch ein minder Gelehrter verstanden hätte, dass er willkommen war und mehr als das.

»Vergeben Sie meine Kühnheit, Deborah«, begann Martin, indem er eintrat, »aber ich wollte aus Regen, Whist und Spielhagen Vortheil ziehen und ein paar Worte allein mit Ihnen sprechen.«

»Sprechen Sie also.«

»Deborah, ich kann nicht schöne Phrasen machen«, fuhr Martin fort, »wozu auch? Wenn Sie mir gut sind, brauche ich sie nicht, und wenn Sie mich nicht wollen, nutzen sie mir nichts ... Ich habe Sie lieb, von Herzen lieb.«

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Ihre Hände fanden sich und ihre Lippen. (Von Vogel.)

»Und ich ... ich will keinen anderen Mann als Sie«, erwiderte Deborah rasch. »Mein Vater wird Schwierigkeiten machen, aber ich habe auch meinen Kopf und ich gebe nicht nach, ehe ich nicht ...«

»Ehe Sie nicht Frau Professor sind.«

»Ja«, rief sie, »hier meine Hand, sie gehört Ihnen.«

Sie sprachen noch manches zusammen, während der Regen auf das Dach schlug und die Musik des Herbstwindes durch die Tannenzweige zog, und wie sich ihre Herzen gefunden, so fanden sich auch ihre Hände, ihre Lippen.

* * *

Deborah hatte sich der Mutter anvertraut, und diese hatte ihre Wahl vollständig gebilligt. Als Martin am folgenden Vormittag erschien, um feierlich zu werben, nahm Leonore lebhaft seine Partei, aber Sindel zog die Augenbrauen zusammen und sagte kurz und trocken:

»Ich habe nichts gegen Sie, Herr Friedlieb, aber womit wollen Sie Ihre Frau ernähren?«

»Ich trage meinen Schatz mit mir«, erwiderte der junge Gelehrte.

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»Mag sein, aber so lange kann das Mädchen nicht warten, bis Sie Professor sind«, entgegnete der Fabrikant. »Auch muss ich einen Schwiegersohn haben, der in das Geschäft treten kann, und endlich sind Sie ein Verschwender, das ist das Schlimmste an der Sache, ich kann mein Kind nicht dem sicheren Elend preisgeben.«

Vergebens entwickelte Leonore ihre ganze Beredsamkeit, vergebens vergoss Deborah Thränen, Sindel blieb fest.

Am folgenden Tage kam Aaron Bierkopf, das Faktotum Sindel's, zu Martin.

»Ich bringe einen Vorschlag zur Güte«, sprach er, mit seinem ganzen dicken rothen Gesichte lachend, »da Sie nun einmal dem Mädchen den Kopf verdreht haben, so müssen Sie ihn wieder zurechtsetzen. Deshalb will Herr Sindel Ihnen zehntausend Mark geben unter der Bedingung, dass Sie auf seine Tochter verzichten.«

»Niemals!«

»Warum niemals? Das Mädchen bekommen Sie doch nicht und zehntausend Mark ist ein schönes Stück Geld.«

»Mag sein. Ich liebe Deborah und verkaufe mein Lebensglück nicht für zehntausend Millionen.«

Bierkopf zog kopfschüttelnd ab.

Martin nahm seinen Hut und ging zu Sindel, er wollte Deborah noch einmal sprechen und dann die Stadt verlassen. Als er die Treppe emporstieg, flog sie ihm entgegen.

»Nehmen Sie doch das Geld an«, sagte sie rasch, »mit dieser Summe werden Sie sich eine Stellung machen und wenn Sie erst Professor sind, wird mein Vater schon einwilligen. Ich heirathe doch keinen Anderen.«

Martin überlegte, dann nickte er mit dem Kopf, führte Deborah's Hand an seine Lippen und kehrte nach Hause zurück, wo er einen kurzen Brief an Sindel schrieb.

Eine Stunde später erschien Bierkopf pustend und brachte ihm, begleitet von mehreren Arbeitern aus der Fabrik, zehn Säcke, von denen jeder tausend Mark enthielt.

* * *

Und wieder eine Stunde später klopfte Martin Friedlieb an Sindel's Thüre.

»Was wollen Sie denn noch?« fragte Sindel, »haben Sie Ihre zehntausend Mark nicht bekommen?«

»Nein«, erwiderte Martin und warf einen Thaler auf Sindel's Tisch, der einen dumpfen Klang gab.

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»Dieser Thaler ist falsch.«

Sindel nahm den Thaler, musterte ihn mit Hülfe seines Glases, liess ihn auf dem Tische klingen und sagte endlich: »Ja, der Thaler ist falsch.« Dann sah er Martin lange an, ohne ein Wort zu sprechen.

»Herr Sindel, meine Zeit ist kostbar.«

»Meine auch«, sagte der Fabrikant, »damit imponiren Sie mir gar nicht, aber was mich vollständig umgeworfen hat, das ist dieser Thaler. Hören Sie, ein so arger Verschwender sind Sie doch nicht, sonst hätten Sie das Geld ungezählt genommen, und da ich nun einmal keine rothgeweinten Augen sehen mag, so sollen Sie den Thaler haben und das Mädchen dazu.«

»Herr Sindel, Sie sind ein Prachtmensch!« rief Martin.

»Umarmen Sie mich, Herr Schwiegersohn«, sagte Sindel feierlich, »ich gestatte es Ihnen.«

Martin schloss ihn herzlich in seine Arme.

»Sie können mich auch küssen, wenn Sie wollen«, fuhr Sindel fort, »wenn ich auch nicht so hübsch bin, wie die Deborah.«

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