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David und Abigail

Dänemark

Ein jüdischer Soldat. – Die Synagoge. – Der Rabbiner. Aufruf zur Thora. – Schames. – Das Benschen.

Der Krieg war zu Ende. Der Postillon hatte Nachmittags die Nachricht in das Städtchen gebracht und hatte dazu das Horn geblasen, so fröhlich und stolz, dass alle verstanden, er bringe eine grosse und glückliche Botschaft. Die trug ein jeder rasch dem andern zu. Die Leute riefen sich auf der Strasse und aus den Fenstern zu: Friede! und wohl nirgends klang dieser Ruf so freudig, so aus dem Herzen in die Herzen hinein, wie in der langen, engen, finstren Gasse, welche die Israeliten bewohnten.

In einem kleinen Hause mit Giebel und Erker sass hier noch spät Abends eine alte Frau, beschäftigt Hauswäsche zu flicken und betete. Wer kannte sie nicht im Orte, die gute Rose Lilienkron, die Vertraute aller Liebenden, die Beratherin aller verheiratheten Frauen, der Engel aller Unglücklichen, Armen und Kranken.

Plötzlich klopfte es. Die Thüre ging leise auf, und die alte Rose, welche ihre Brille auf die Stirn heraufgeschoben hatte, erblickte einen jungen, hübschen Mädchenkopf, der mit leuchtenden, dunklen Augen in die grosse Stube hereinblickte.

»Friede!« rief das Mädchen.

»Friede!« wiederholte die Alte.

Dann trat die niedliche Kleine herein, setzte sich auf den hölzernen Schemel zu Roses Füssen, sah sie an und fragte: »Haben Sie keinen Brief?«

»Nein.«

Die Kleine seufzte.

»Mach' Dir keine bösen Gedanken, Abigail«, fuhr Mutter Rose fort, »wenn mein David nicht geschrieben hat, so ist es weil Gott ihn beschützt hat. Wenn er krank oder verwundet wäre, hätten wir Nachricht.«

»Und –« Abigail endete nicht. Sie neigte den Kopf, und an ihren Wimpern hingen grosse Thränen.

»Wenn er gefallen wäre, hätte es einer seiner Kameraden geschrieben.«

Beide schwiegen einige Zeit, man hörte nur das Pochen des Windes an den Scheiben und das sanfte Miauen der Katze, die langsam durch die Stube schritt und jetzt mitten in derselben sitzen blieb und sich zu putzen begann.

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»Mieze macht Toilette«, rief Abigail oder wie ihre Eltern sie nannten Adele Silberstern.

»Wir werden einen Gast bekommen«, sagte Rose.

Wieder war es einige Zeit stille, dann schlug unten der alte Hund an, und jetzt begann er laut und freudig zu bellen. Schwere Schritte kamen die Treppe herauf.

»Wer kann das sein? so spät?« murmelte Mutter Rose. Sie wagte nicht auszusprechen was sie dachte und fühlte und hoffte, sie faltete die Hände und begann zu beten. Und wieder pochte es an die alte wurmstichige Thüre und zugleich kratzte der Hund an derselben und begann von neuem zu bellen. Jetzt konnte sich das Mutterherz nicht mehr halten.

»David!« rief die alte Frau und breitete ihre Arme aus.

Langsam ging die Thüre auf, und ein Soldat erschien auf der Schwelle, die Mütze auf dem Kopf, den Mantel um die Schultern.

»David!«

»Mutter!«

Der gute Sohn stürzte herein in die Stube und zu den Füssen der alten Mutter, die ihn mit zitternden Händen um den Hals nahm, ihn küsste und segnete und wieder ansah, als wollte sie sich überzeugen, dass er es wirklich sei, als könnte sie noch nicht an das Glück glauben, ihr Kind unversehrt wieder zu haben. Neben ihr stand das Mädchen glücklich und stolz, und als David ihr jetzt die Hand reichte, da rief sie aus: »Ach, Mutter Rose! das Leben ist doch schön.«

David stand jetzt auf und schloss Abigail an seine Brust.

»Oh! wie Du von der Sonne verbrannt bist«, rief diese aus, indem sie den Geliebten bewunderte, »und gross und stark, und ich bin so klein gegen Dich.«

»Ich habe immer gehört«, erwiderte David, »es sei am Besten, wenn die Frau nicht weiter reicht als bis zum Herzen des Mannes.«

»Willst Du etwas essen, mein Sohn«, begann die Mutter wieder, »oder einen warmen Thee?«

»Und nimm doch Deinen Mantel ab«, fügte die Kleine hinzu, und schon hatte sie ihm denselben abgenommen und an den grossen Nagel neben dem Ofen gehängt. Wie sie sie sich aber wieder zu David wendete, stiess sie einen leisen Schrei aus und wich fast erschreckt zurück. Zugleich hatte sich Mutter Rosa erhoben und den jungen Soldaten bei den Schultern genommen.

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»David«, rief sie, »Du hast etwas Grosses gethan, das hättest Du doch schreiben müssen. Dein König, der Herr segne ihn! war zufrieden mit Dir. Er hat Dir ein Zeichen seiner Gunst gegeben, ein Zeugniss der Tapferkeit, der Ehre!«

»Sprich, mein Held«, jubelte Abigail, »was hast Du gethan?«

»Nicht viel«, erwiderte David bescheiden, »meine Pflicht. Als die Feinde die Schanzen von Düppel erstiegen, da war die Fahne meines Regimentes in Gefahr. Wir haben sie gerettet, vier Kameraden und ich.«

»Oh! das war schön!« rief das Mädchen.

»Die ganze Khille (Gemeinde) wird stolz sein auf meinen David«, rief die Mutter, und dann berührte ihre zitternde Hand leise das Kreuz auf der Brust des Sohnes und fuhr rasch zurück, als hätte sie zu viel gewagt.

* * *

Am nächsten Tage gingen sie alle zusammen in die Synagoge, um Gott zu danken, Mutter Rose, David, Abigail und deren Eltern, der Weinhändler Silberstern und seine Frau.

Es war Sabbath, und die ganze kleine Gemeinde war in dem Tempel versammelt. Als David hereintrat, ging ein Murmeln durch die Reihen der Männer und oben drückte sich mehr als ein schönes Frauengesicht, mehr als ein liebliches Mädchenantlitz an das Gitter, um den prächtigen Soldaten besser sehen zu können.

Das Haus Gottes strahlte in seinem hellsten Glanze, und all' dieser Glanz schien in Abigails Augen heute nur dazu bestimmt, das Ehrenzeichen auf der Brust des Geliebten noch leuchtender erscheinen zu lassen. Der Rabbiner bestieg die Kanzel um seine Predigt zu halten. Er hatte seinen Text gewählt und sich alles sorglich zurechtgelegt, als aber der alte Mann den jüdischen Soldaten erblickte und das Kreuz, mit dem sein König ihn geschmückt, da riss ihn die Begeisterung fort und er predigte über eine Stelle aus den Sprüchen Salomos: Besser ist ein guter Name als grosser Reichthum, guter Ruf besser als Silber und Gold. Er predigte aus dem Stegreif, wie sein Herz es ihm eingab, und er hatte niemals besser gepredigt.

Dann sang der Kantor. Auch er that sein Bestes. Er trillerte wie eine Lerche, er tremolierte wie eine Nachtigall, er schüttelte das Haupt und gestikulirte, breitete die Hände aus, beugte den Oberkörper und schlug den Takt, Alles wie ein Künstler, der unter seinen Zuhörern irgend eine erlesene Person weiss.

Dann ging man an das Vorlesen des Wochenabschnittes aus der Thora. Der Erste, welcher aufgerufen wurde, war David. Schon stieg er die Stufen hinan, um die grosse Pergamentrolle in Empfang zu nehmen, worauf die fünf Bücher Moses geschrieben sind, als eine scharfe, näselnde Stimme rief: »Kann ein Jude mit dem Kreuz auf der Brust zur Thora aufgerufen werden?«

Diese hässliche Stimme gehörte Dankmar Bernstein, der sich gleichfalls um die hübsche Abigail und wahrscheinlich noch mehr um ihre Mitgift beworben hatte und die Gelegenheit benutzte, um sich an seinem Nebenbuhler zu rächen.

David war bleich geworden. »Jeder gute Jude«, sprach er, »hat ein Recht auf den Aufruf zur Thora. Dieses Rechtes verlustig erklärt werden ist eine Strafe, eine Entehrung. Wer hat hier den Muth einem Soldaten, der für Vaterland und König gefochten die Ehre abzusprechen?«

Alle schrieen durcheinander, aber Bernsteins Stimme übertönte Alle: »Der Talmud verbietet Juden, die unter Heiden wohnen, deren Kleidung anzunehmen.«

Oben, hinter dem Gitter hatte Mutter Rose die Hände vor das Gesicht gepresst und weinte, während Abigail sich erhoben hatte, als wollte sie den Geliebten vertheidigen.

* * *

Endlich hatte der Schames, der kleine, wohlbeleibte Synagogendiener die Ordnung und Ruhe so weit hergestellt, dass der Rabbiner, der schon wiederholt gewinkt hatte, das Wort ergreifen konnte.

Voll Würde und Milde, neben dem Beleidigten stehend, die Arme erhoben, begann der alte Mann: »Was musste ich hören? Kann Irrthum so verblenden, dass der Irrgeführte im blinden Eifer Gott zu dienen, dessen Tempel entheiligt?«

Ein beifälliges Gemurmel folgte diesen Worten.

»Was bedeutet das Kreuz auf der Brust dieses Mannes?« fuhr er fort. »Es sagt uns: er ist ein Jude! und dieses Zeichen, das einst seine Vorfahren zu Schmach und Verfolgung ausschied, zeichnet ihn heute mit Ehren aus. Hallelujah! Preiset den Herrn.« Ich berufe mich hier auf ein Gutachten und eine Rede meines verewigten Freundes, des weisen Rabbiners Stein.

»Hallelujah!« sang der Kantor.

»Hallelujah!« stimmte die ganze Gemeinde ein.

»Ja, gelobt sei der allmächtige Gott, der heilige Richter über Krieg und Frieden, dass er uns in seiner gnädigen Führung zu einer Stufe emporgeleitet hat, wo das Zeugniss der Treue, der erfüllten Pflicht auch die Brust des Juden schmückt. Welch' eine Wandlung unserer Geschicke! Vormals der gelbe Schandfleck auf unserem Rücken und jetzt das Kreuz auf unserer Brust. Gottes Name sei gepriesen!«

Alle nickten zustimmend, viele erhoben die Hände, Einzelne begannen laut zu weinen.

»Allerdings ist den Juden verboten, die Kleidung der Heiden zu tragen, aber der Talmud gestattet ihnen, sobald sie mit hohen Personen anderen Glaubens verkehren, deren Tracht anzunehmen. In diesem Sinne muss auch dieses Ehrenzeichen als ein erlaubter Schmuck angesehen werden, und dann ist das christliche Symbol kein heidnisches. Im Traktat Bechorath Blatt 1 Seite 2, Abschnitt Schemmä heisst es: In unserer Zeit darf dem Nichtjuden ein Schwur auferlegt werden, denn hier handelt es sich nicht um die Anerkennung eines anderen Gottes, weil der Sinn der Schwörenden, auch wenn sie dabei noch einer anderen Person erwähnen, dennoch auf den Namen des Schöpfers des Himmels und der Erde gerichtet ist.

Das christliche Symbol ist kein heidnisches, und der Jude kann mit demselben auf der Brust zur Thora aufgerufen werden. Ja, mir erscheint dieses Symbol auf der Brust des jüdischen Mannes als eine Fügung des Herrn, als eine erhebende Auszeichnung, als eine Verherrlichung des göttlichen Namens Kiddusch-Haschem!«

Mit diesen Worten übergab der Kreis die Thora dem Soldaten und dieser begann laut aus derselben vorzulesen.

* * *

Als der Gottesdienst zu Ende war, wendete sich der greise Rabbiner noch einmal an David Lilienkron.

»Mein Sohn«, sprach er, »Du hast der Gemeinde, Du hast dem ganzen jüdischen Volke, das über den Erdboden zerstreut ist, Ehre gemacht, ich will Dich dafür »benschen.«

Er erhob die Hände und sprach: »Gott segne Dich und behüte Dich! Gott lasse leuchten über Dich sein Angesicht und sei Dir gnädig! Gott wende sich Dir zu und gebe Dir den Frieden! –«

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Als die Predigt zu Ende war, erhob der Vorsänger seine Stimme. (Von Alph. Levy.)

Als David mit den Seinen aus dem Tempel in den Hof trat, drängten sich alle, Alt und Jung, an ihn heran, um ihm Glück zu wünschen, ihm die Hände zu drücken und das Ehrenzeichen auf seiner Brust zu bewundern. Zindel, der Schuster, von seiner lebhaften Phantasie hingerissen, verstieg sich soweit, auszurufen: »Das hat ihm der König an die Brust geheftet, mit eigener Hand, ja, mit eigener Hand!«

Am äusseren Thore aber stand der kleine Chames, umgeben von allen Knaben, welche die Cheder besuchten, und als David, Mutter Rose am Arm, herankam, stimmten hundert helle Stimmen das Lied an, das er und seine Kameraden im Pulverrauch von Oversee und Düppel gesungen hatten: Der tappere Landsoldat.

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