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Das Trauerspiel im Rosengässchen

Holland.

(Jüdische Liebe. – Purim. – Handel.)

Das Rosengässchen der kleinen holländischen Stadt Waarnam verdankte seinen Namen wohl einer Ironie des Schicksals. Man fand hier eher jeden anderen Geruch als den einer Rosenflur. Das Gässchen war so eng, dass man sich aus den gegenüberliegenden Häusern beinahe die Hände reichen konnte, und alle die alten Häuser waren so hoch, dass kein Sonnenstrahl in die Strassen drang. Zu beiden Seiten gab es nur kleine, düstere Gewölbe, in denen alles Erdenkliche verkauft wurde, und die Waaren breiteten sich bis in die Gasse hinein aus. Alle diese Ballen und Tonnen erfüllten die Luft mit einem abscheulichen Geruch von Feuchtigkeit und Moder, von Fett, Heringen, Fischen, Leder und Fellen.

Seit hundert Jahren waren hier zwei kleine Geschäfte eines dem anderen gegenüber. In jedem handelte man mit denselben Waaren, mit Stoffen aller Art, und so war es begreiflich, dass die beiden Familien sich niemals sonderlich liebten. Doch seit einiger Zeit war der Neid und die Eifersucht der beiden Kaufleute Joseph van Markus und Abraham Honigmann in Hass und Feindschaft ausgeartet.

Bei Beiden sah man so recht den Unterschied der Sabbathseele und der Wochenseele.

Einmal in der Woche, wenn sie im Kreise der Ihren den letzten Schöpfungstag feierten, waren sie beide Patriarchen, Könige, edel, weise, gütig, erleuchtet, aber in der Woche waren sie Handelsleute der schlimmsten Art, bornirte, ungebildete Kleinstädter, egoistisch, habgierig und abergläubisch.

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Wenn ein Käufer nahte, suchten sie sich ihn beide streitig zu machen, und nicht Markus und Honigmann allein, beide Familien stürzten sich vollzählig auf ihn, wie Raubvögel auf ein Aas. Von der einen Seite Frau Markus, ihre Töchter, Löwy, der Bruder der Frau Markus und dessen Frau und Kinder, von der anderen Seite Abraham, Frau Honigmann, Jonas, ihr Sohn und dessen Frau und Kinder.

Ein wahrhaft homerischer Kampf entstand.

Hewa Markus z. B. hielt den Mann, der einen rothen Sammt suchte, beim linken Arm und Ovadia Honigmann beim rechten, die kleine Lise Markus und die kleine Mirza Honigmann hingen sich an die Rockschösse, Frau Markus verbarrikadirte ihm den Weg mit ihrem grossen Busen und Frau Honigmann schnitt ihm mit ihren riesigen Hüften den Rückzug ab. Während Markus und Löwy von der einen Seite die Ballen auf die Strasse herausschleppten und den Sammt ausbreiteten, liessen Honigmann und Jonas von der anderen Seite den königlichen Purpur in dem bischen Licht spielen, das sich in das Rosengässchen stahl.

Und hatte der Käufer gewählt, begleiteten ihn Segenswünsche von der einen Seite und von der anderen Flüche wie: Steine sollen ihm wachsen im Bauch und Ribisel (Johannisbeeren) auf der Nase.

* * *

Wo es nur anging, neckten sich die beiden Familien und suchten einander Aerger zu bereiten. Heute goss z. B. Markus dem Honigmann, während sie Beide an einer Hochzeit theilnahmen, Wein in die Tasche seines Sabbathrockes, morgen schmierte Honigmann dem Markus die Thürklinke mit Honigleim ein, so dass er fast an derselben kleben blieb, als er aus der Taverne zurückkehrte.

Markus sendete dem Honigmann einen polnischen Schnorrer, den dieser für einen Amerikaner ansah, und der Schnorrer bestellte einen Mantel für den Admiral Tom Pouce, der sich gerade in Waardam produzierte.

Honigmann fertigte mit vieler Sorgfalt einen kleinen, niedlichen Mantel für den Zwerg, den er im Theater gesehen hatte, denn der Schnorrer hatte ihm erklärt, dass der Admiral keine Zeit habe sich erst Maass nehmen zu lassen.

Als der Mantel fertig war, erschien der Schnorrer in Gesellschaft eines grossen, dicken Mannes, der mit Mühe durch die Thüre des kleinen Gewölbes eintreten konnte, und sprach: »Hier ist der Admiral!«

Honigmann sah ihn verblüfft an und breitete sein kleines Mäntelchen aus: »Der Herr ist ja ein Riese, und Sie haben bestellt einen Mantel für einen Zwerg.«

»Ja mein Lieber«, sagte der Admiral, »ich bin nur so klein, wenn ich auftrete, ausserhalb des Theaters mach' ich mir's bequem.«

Damit verliessen die Beiden den Laden und liessen den armen Honigmann sprachlos stehen.

Doch Honigmann blieb dem Markus nichts schuldig. Eines Tages begegnete er der kleinen Lise Markus, die um den Arzt lief. Er schickte sie nach Hause und versprach, selbst den Schüler Aeskulaps zu benachrichtigen. Wirklich erschien wenige Zeit hernach ein Freund Honigmann's unter der Maske eines Doktors.

»Was fehlt Ihnen?« fragte er barsch den Markus, den er allein in seinem Laden traf.

»Ach! Herr Doktor«, antwortete dieser kläglich, »ich glaube, ich habe mir gestern den Magen verdorben.«

»Gut«, sprach der falsche Arzt, »setzen Sie sich auf diesen Stuhl, mitten in den Laden, schliessen Sie die Augen und zeigen Sie mir die Zunge. Ich werde Ihnen schon sagen, wenn es genug ist.«

Markus that, wie ihm geheissen und wartete so lange auf das Zeichen des Arztes, bis ein lautes Gelächter ihn veranlasste, die Augen zu öffnen. Der Doktor war verschwunden, dagegen war das kleine Gewölbe vollständig von Neugierigen angefüllt, und die Gasse war gleichfalls durch eine gaffende Menge gesperrt.

»Nun gottlob!« rief der Fleischer Schmul, sein Nachbar, »wir haben schon alle geglaubt, dass Sie verrückt geworden sind, Herr Markus.«

* * *

Mitten in diesem kriegerischen Zustand der Dinge kehrte eines Tages Honigmann's jüngerer Sohn Baruch zurück, der sich dem Studium der Rechte gewidmet und an verschiedenen Universitäten des Auslandes studirt hatte. Er bereitete sich jetzt zu seinem Examen vor und brachte fast den ganzen Tag zu Hause zu.

Sein Stübchen lag hoch oben unter dem Dache. Jedesmal, wenn er von seinem Corpus juris aufblickte, sah er an dem Fenster gegenüber, hinter Blumentöpfen ein allerliebstes Mädchen, kaum den Kinderschuhen entwachsen, das emsig mit der Nadel arbeitete.

Es war Jessika, die jüngste Tochter des Markus. Sie hatten Beide die Fenster offen, denn es war im Monat August, wo die linde Sommerluft sogar in das Rosengässchen drang und so kam es, dass Jessika verstohlen hinüberblickte, wenn Baruch's feines, etwas bleiches Gesicht über den Lederband gebeugt war, und dass er durch die Blumentöpfe nach ihrem weissen Hals, ihren blonden Zöpfen, ihrem kleinen Naschen spähete, wenn sie sich über den Sammt oder die Seide neigte, die auf ihren Knieen schimmerte.

Jessika hatte eine kleine Freundin, ein reizendes, weisses Kätzchen, Mimi genannt, das auf dem Fensterbrett schlief, wenn sie arbeitete. Eines Abends, im Mondlicht, spazierte sie auf dem Dache herum und, da ihr die beiden Dachrinnen, welche in Gestalt von Drachenköpfen in die Strasse hinaussprangen und sich in die Augen zu blicken schienen, eine Art lustiger Brücke bauten, schlich sie leise herüber und blickte plötzlich in Baruch's Fenster. Dieser verschwendete alle seine Schmeichelworte an sie und nachdem er ihr erst einmal das weisse Fell gestreichelt hatte, war Jessika's Freundin auch die seine geworden. Baruch riss von dem Stock, der auf seinem Fenster stand, eine Rose ab, befestigte sie an Mimi's blauem Halsband, und diese entledigte sich ihrer delikaten Mission in bester Weise.

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Barach und Jessika sassen sich am Fenster gegenüber. (Von Ed. Loevy.)

Am folgenden Morgen sah Baruch seine Rose an Jessika's Brust.

Einige Tage später brachte ihm Mimi in derselben Weise ein Lesezeichen, das Jessika für ihn gestickt hatte.

Das gab ihm Muth, ein paar Zeilen auf ein Rosapapier zu werfen und sie der kleinen Botin anzuvertrauen. Den folgenden Tag brachte Mimi die liebliche Antwort. So entstand ein unschuldiger und zugleich vertraulicher Briefwechsel und die Kinder der beiden feindlichen Väter lernten sich kennen und lieben, ohne je ein Wort mit einander gewechselt zu haben.

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Doch die Blätter begannen zu fallen, es kam die Regenzeit und dem Regen folgte der Schnee, der Winter, die Fenster mussten geschlossen bleiben, und auch die kleine Botin kam nicht mehr.

Doch die Liebe macht erfinderisch. Jessika hauchte die Scheiben an, um durch die Frostblumen Baruch erblicken zu können, und er thaute das Eis mit Hülfe seiner brennenden Studentenpfeife an. An die Stelle des Briefwechsels trat die Zeichen- und die Blumensprache. Der Orient zog in das kleine, holländische Gässchen ein, und mitten im Eise blühten die Rosen von Sharon auf.

* * *

Da geschah eines Tages etwas Schreckliches. Honigmann rief dem Markus, neben dem gerade sein Schwager Löwy vier Ellen Sammt abmass, zu: »Wissen Sie, dass Venedig eine jüdische Stadt ist?«

»Sie wissen immer mehr als die anderen«, erwiderte Markus.

»Doch«, sagte Honigmann, »denn sie haben dort einen Markusplatz und zwei geflügelte Löwy's.«

Das war zu viel. Markus stürzte über die Strasse, auf Honigmann los, um ihm eine Ohrfeige zu geben, doch die Frauen warfen sich von beiden Seiten dazwischen und trennten die Todfeinde.

An diesem Abend rief Pinkele, der Spassmacher, aus: »Das ist ja schon das reine Trauerspiel, nächstens wird es Mord und Todschlag geben.«

Markus aber schwor, dass er sich nicht zufrieden geben werde, ehe nicht Honigmann sein Theuerstes verloren habe.

»Was gibst Du mir«, rief in diesem Augenblick Jessika, »wenn ich Dein Wort wahr mache, wenn ich dem Honigmann sein Theuerstes nehme, so dass er sich die Haare rauft?«

»Was Du willst, Jessika, Alles, das Kostbarste.«

»Gut, aber gib es mir schriftlich.«

Markus schrieb, was sie ihm diktirte, und sie steckte die Schrift lächelnd an ihre Brust.

Vierzehn Tage später war Purim, der jüdische Carneval.

Mit Anbruch der Dämmerung strahlte das Viertel der Juden in einem Meere von Glanz. Alle Thüren waren offen. Die jungen Leute durchzogen maskirt die Strassen und traten in die befreundeten Häuser ein, um allerhand Possen zu treiben. Hier und da wurde getanzt. Bei Markus führten sie die Geschichte der Esther auf. Natürlich stellte die reizende Jessika die schöne Königin dar. Die Familie hatte sich zum Nachtessen um den langen Tisch versammelt, als man draussen Lärm und Stimmen hörte.

Hewa, die ältere Schwester Jessika's, deren Vertraute und Bundesgenossin, stürzte herein und meldete, dass Baruch Honigmann an der Thüre sei und durchaus hereindringen wolle.

»Baruch?« rief Esther, »das trifft sich gut. Ich werde ihn bedienen, wie es ihm gebührt.«

Sie eilte hinaus und die Treppe hinab. Bald liess sich ein wildes Brummen vernehmen, und Esther kehrte triumphirend zurück, einen grossen Bären an der Kette führend und einen Karbatsch in der Hand.

»Hier«, rief sie, »Baruch! Ich habe ihn in einen Bären verwandelt.«

Markus zweifelte keinen Augenblick, dass sein Kind die Wahrheit sprach, hatte ihm doch vor Kurzem erst ein polnischer Jude erzählt, dass eine Gans in seinem Orte, als man sie schlachtete, Schma Israel! (Wehe Israel!) gerufen und dass man hierauf grossen Missbrauch in der Gemeinde entdeckt habe. Auch der Talmud erzählte ja ähnliche Fälle.

»Wie hast Du ihn aber verwandelt?« fragte die Mutter starr vor Schrecken.

»Ich habe ihm Wasser in das Gesicht gespritzt«, gab Jessika zur Antwort, »und habe dreimal gerufen: »Werde ein Thier! werde ein Bär! durch Jehuel, den Vorsteher der Thiere und dessen Gehilfen Passiel, Gasiel und Chosiel.«

Indess war Hewa mit der Schreckensbotschaft zu Honigmann hinübergelaufen, und dieser stürzte jetzt von seiner ganzen Familie gefolgt in den Speisesaal des Markus. Sie fanden Jessika stolz auf einem Lehnstuhl thronend, ihre Füsse ruhten auf dem Bären, der auf dem Teppich vor ihr ausgestreckt lag und sich in dieser Lage ganz wohl zu fühlen schien.

»O mein Sohn!« schrie Honigmann, »mein unglücklicher Sohn!«

Jessika aber erhob sich, schwang den Karbatsch und liess den Bären tanzen.

»Sehen Sie, Honigmann«, sprach Markus, »das ist das Gericht Gottes.«

»Wenn Sie ihn verzaubert haben, Jessika«, rief Honigmann, »so können Sie ihm auch wieder die Menschengestalt zurückgeben.«

»Gewiss«, sagte sie lächelnd, »aber unter einer Bedingung. Baruch gehört mir, ich gebe ihn nicht mehr her. Mein Vater hat geschworen, dass er sich nicht zufrieden gibt, ehe Sie nicht das Theuerste verloren haben. Dies ist geschehen. Sie haben Baruch verloren. Ich kann jetzt von meinem Vater verlangen, was ich will, ich habe es schriftlich. Ich bin also des Segens meines Vaters sicher und werde Baruch nur dann seine Menschengestalt zurückgeben, wenn auch Sie, Herr Honigmann, uns Ihren Segen geben.«

»Meinetwegen«, sagte dieser.

»Und die Hochzeit wird auf der Stelle gefeiert?«

»Auf der Stelle«, sagten beide Väter.

Jessika berührte Baruch mit der Hand und murmelte eine kabbalistische Formel. Baruch nahm hierauf den Kopf des Bären wie einen Hut ab und grüsste die Anwesenden spöttisch.

»Oh!« schrien Markus und Honigmann zugleich, »man hat uns zum Besten gehabt.«

»Vergessen Sie nicht, dass heute Purim ist«, rief Jessika, »heute ist jeder Scherz erlaubt«

»Also dies alles war nur ein Scherz?« fragte Honigmann.

»Alles«, antwortete Baruch, »nur unsere Liebe nicht.« Und er zog die reizende Jessika an sein Herz.

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