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27. Kapitel.
Ein Zeitungsausschnitt und der Geschichte Ende.

»Gestern in der Frühe langte das Auswandererschiff ›Earl of Leicester‹ in hiesigem Hafen an. Es hatte Ende März die Themse mit neunzig unverheirateten Emigrantinnen an Bord verlassen. Einige Grade südlich vom Aequator schlug der Blitz in das Schiff, tötete den Arzt (Rolt), beraubte den Kapitän (Halcrow) des Augenlichts und beschädigte auch den Obersteuermann dergestalt, daß derselbe sich bald darauf in einem Irsinnsanfall über Bord stürzte und so seinen Tod fand.

»Kapitän Halcrow wurde auf sein Verlangen an Bord eines heimfahrenden Schiffes gebracht. Mit ihm im Boot befanden sich Jeremias Latto, der zweite Steuermann, und James Cox, der Bootsmann. Eine schwere Bö trennte die Schiffe, es folgte stürmisches Wetter, das Boot kam nicht zurück. So büßte das Auswandererschiff nicht nur einen Teil seiner Mannschaft ein, sondern blieb auch ohne Navigator.

»Zehn Tage lang trieb der ›Earl of Leicester‹ in diesem hilflosen Zustande umher, und während dieser Zeit faßte die Mannschaft, der Anregung des Zimmermanns Brigstock folgend, den Entschluß, sich auf einer Insel der Südsee niederzulassen. Eine entsprechende Anzahl der Emigrantinnen war gern bereit, sich ihnen zuzugesellen. Bei der Auswahl fehlte es nicht an Eifersuchtsszenen, das aber liegt in der Natur der weiblichen Domestiken.

»Das merkwürdigste kommt aber noch. Da die Mannschaft den Großen Ozean nicht ohne einen Navigator zu erreichen vermochte, so beschloß sie, sich einen solchen zu stehlen. Eine Bark mit Namen ›Karoline‹ kam in Sicht. Man schickte die Emigrantinnen unter Deck, schloß die Luken und hißte das Notsignal. Die Bark sendete ihren Steuermann, Charles Morgan, an Bord, um zu hören, wo es fehle. Man nahm ihn gefangen und segelte mit ihm davon. Herr Morgan aber hatte bereits Schlimmeres, als dieses, erfahren, und als er erkannte, daß man nichts Unrechtes von ihm verlangte, fügte er sich den Wünschen jener Leute.

»Bald nach der Uebernahme des Kommandos begann er eine Anzahl der Emigrantinnen im Schiffsdienst auszubilden, da er nach dem Abgang der Mannschaft einen Ersatz für dieselbe nötig hatte, er aber nicht willens war, jene anrüchigen und gefährlichen Elemente an Bord zu nehmen, die sich als Südsee-Vagabunden auf den Inseln des Großen Ozeans herumzutreiben pflegen. Im Juni passierte der ›Earl of Leicester‹ das Kap Horn und im Juli war man bei der erwählten Insel angelangt. Brigstock und seine Gesellschaft gingen an Land, fünfzig Tonnen von der Ladung des Schiffes mit sich nehmend.

»Wo diese Insel liegt, ist von Herrn Morgan nicht zu erfahren; er erachtet sich durch einen ihm abgezwungenen Eid gebunden, wie dies einem Ehrenmann auch gebührt. Die Emigrantinnen sind befragt worden, die aber wissen nichts anderes auszusagen, als daß die Insel bewaldet und bergig ist, was auf die meisten jener Eilande passen dürfte. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Se. Exzellenz, der Herr Gouverneur, ein Kriegsschiff zur Aufsuchung der Kolonisten absenden.

»Die Agenten des ›Earl of Leicester‹ sind die Herren Norton und Jackson, die Ladung ist für die Auswanderungs-Agentur der Regierung bestimmt. Wie Herr Morgan mitteilt, war die Mannschaft der Ansicht, daß sie nicht nur rückständige Heuern, sondern auch Bergegelder für Schiff, Ladung und Passagiere zu fordern habe und daß sie somit berechtigt gewesen sei, sich aus den Ladungsbeständen bezahlt zu machen; ob die Ansicht hier geteilt wird, bleibt abzuwarten.

»Nach der Landung der Kolonisten setzte Herr Morgan die Reise nach hier fort. Er war der einzige Mann auf dem Schiffe. Die Besatzung bestand jetzt aus dreißig Mädchen; dieselben hatten Männerkleider aus den an Bord befindlichen Vorräten angelegt, um durch Unterröcke und dergleichen bei der Arbeit nicht behindert zu sein. Und mit Hilfe dieser Mädchen brachte Herr Morgan sein Schiff eine Strecke von mehreren tausend Meilen (engl.) über See, eine Leistung, die ohnegleichen dasteht.

»Nach ihrer Ankunft wurden die Emigrantinnen dem Auswanderungs-Depot überwiesen, woselbst sie von ungezählten Scharen Neugieriger besucht werden. Viele haben schon Stellungen erhalten. Herr Morgan hatte keinen einzigen Krankheitsfall, wohl aber zwei Selbstmorde zu melden. Eins der Mädchen, Mary Lonney, schnitt sich in ihrer Koje den Hals ab, eine andere, Alice Perry, suchte den Tod im Wasser. Beiden unseligen Thaten war ein merkwürdiges, klagendes Getön vorausgegangen, das in der Nacht zuvor von allen an Bord Befindlichen hoch in der Luft vernommen wurde.

»Die Abschiedsszene zwischen Herrn Morgan und den Emigrantinnen, die ihm so außerordentlich viel zu verdanken hatten, war interessant und rührend. Sie umdrängten ihn stürmisch, sie küßten seine Hände, viele auch seine Wangen; sie riefen Gottes Segen auf ihn herab und kehrten wieder und wieder um, ihn von neuem zu segnen und ihm noch einmal, zum letzten und zum allerletzten Mal, die Hand zu drücken.

»Das Schiff beginnt heute zu löschen und wird dann eine Ladung Wolle für London einnehmen. Schon jetzt gilt es als feststehend, daß das Kommando Herrn Charles Morgan übertragen werden wird, der sich im Besitz eines Schifferpatentes befindet.«

Dies ist der Wortlaut des Berichtes, der am 29. August 1851, dem Tage nach unserem Einlaufen in Sydney Bai, in dem ›Sydney Morning Herald‹ über die Ankunft und Reise des ›Earl of Leicester‹ veröffentlicht worden war.

Die Ausschiffung der Emigrantinnen war am 28. nachmittags vor sich gegangen. Auch Kate hatte sich nach dem Auswanderungs-Depot begeben, nachdem ich sie vorher gefragt, was sie zu thun beabsichtige.

»Ich gedenke im Depot zu bleiben, bis jemand kommt, und mich als Erzieherin engagiert,« war ihre Antwort.

»Sehr gut,« versetzte ich. »Ich darf Sie aber wohl bitten, mir dann ihre neue Adresse mitzuteilen.«

»Wohin soll ich sie senden?«

»An die Firma Norton & Jackson.«

 

Die Geschichte von der merkwürdigen Reise des ›Earl of Leicester‹ erregte Sensation in Sydney. Die Einladungen regneten dutzendweis auf mich herab. Ueberall wollte man mich sehen, überall sollte ich zu Mittag speisen. Der Eigentümer von Pattys Hotel beschwor mich, in sein Haus zu kommen, wo ich gänzlich kostenlos wohnen sollte, so lange ich in Sydney bliebe. Ich lehnte jedoch alles ab und residierte an Bord meines Schiffes, zu dessen Kapitän ich schon wenige Tage nach seinem Binnenkommen ernannt worden war. Es sollte von hier mit Wolle, Talg, Hörnern und anderen australischen Produkten nach London segeln.

Nach einigen Tagen erhielt ich einen Brief von Kate; sie hatte bei einer in Darlinghurst wohnenden reichen Familie die Stellung einer Gouvernante angenommen, gegen einen Jahreslohn von fünfundzwanzig Pfund Sterling. Das war nicht mehr, als man in England für solche Stellungen zahlte. Sie beglückwünschte mich zu meiner Ernennung, wollte wissen, wann das Schiff segelte und hoffte, daß ich vor der Abreise kommen und persönlich von ihr Abschied nehmen würde.

Der Brief machte mich lächeln. Sprach aus jedem Wort doch noch derselbe Geist, der sie in das finstere, dumpfige Zwischendeck gebannt hatte, während die helle, freundliche Kajüte ihr zur Verfügung stand.

Eines Morgens kam Herr Norton, einer der Schiffsagenten, an Bord, und teilte mir mit, daß Se. Exzellenz, Sir Charles Augustus Fitzroy, Gouverneur von Neusüdwales, sich freuen werde, wenn ich ihn am Nachmittag besuchen wollte.

Das war natürlich ein Befehl für mich; in Begleitung von Herrn Norton begab ich mich in das Gouvernementspalais. Mein Empfang daselbst war schmeichelhaft. Sir Charles stellte mich seiner Gemahlin vor und ließ sich alles erzählen, was ich hier geschildert habe.

Besonders gern hätte er die Lage von Bulls Eiland erfahren, allein sein feines Taktgefühl hielt ihn ab, speziell danach zu fragen. Was ich ihm über Brigstock und dessen Ideen erzählte, belustigte ihn höchlichst, er meinte aber, daß die Hoffnungen dieses Patriarchen leicht zu Wasser werden könnten, wenn erst die Kunde von den großen Goldfunden in Australien, die gerade damals alle Welt in Aufregung versetzt hatte, zu den Ohren der Kolonisten gedrungen sein würde; dann blieben sie sicher nicht lange mehr auf dem Eilande.

Ich fragte, ob Maßregeln getroffen werden sollten, die Insel zu finden und die Kolonisten nach Sydney zu bringen. Er bejahte dies. Dann verabschiedete ich mich.

Mehrere Tage später befand ich mich im Hause des Herrn Jackson, der mich eingeladen hatte.

»Hören Sie, Kapitän Morgan,« sagte er zu mir, »es steht Ihnen eine Ehrung bevor, die Sie hoffentlich nicht ablehnen werden.«

Ich sah ihn erstaunt und fragend an.

»Die Einwohnerschaft von Sydney hat nämlich einen Geldbetrag als Ehrengabe für Sie aufgebracht, und Se. Exzellenz hat sich bereit erklärt, Ihnen dieselbe im Royal-Theater öffentlich zu überreichen.«

»Im Royal-Theater?«

Mir stockte der Atem.

»Jawohl. Der Direktor, ein gewisser Levy, wird zu diesem Zweck eine Spezialvorstellung veranstalten, gelegentlich welcher Sie und alle Ihre Mädchen-Matrosen auf der Bühne erscheinen sollen. Die Gesamteinnahme wird den letzteren überwiesen werden.«

Ich fühlte, daß ich bleich geworden war.

»Der Herr Gouverneur ist sehr gütig,« versetzte ich, »ebenso die Einwohner von Sydney, aber –«

»Kein aber, lieber Freund. Se. Exzellenz interessiert sich sehr für die Sache, und Sie wissen –«

»Nun ja, ich weiß. Wenn man es wünscht – und der Wunsch des Gouverneurs muß mir ja Befehl sein – so – na, hol's der Kuckuck, meinetwegen! Wie aber soll ich mich auf der Bühne benehmen?«

»Sehr einfach: Sie grinsen und stecken das Geld ein.«

»Keine Rede halten?«

»O, höchstens ein paar männliche Worte.«

Es war mir recht unbehaglich zu Mute.

»Lieber führte ich den ›Earl of Leicester‹ mit sechs Mädchen rings um die Welt,« brummte ich.

»Ah bah! Bedenken Sie doch, welche Reklame das für unser Schiff sein wird, hier wie drüben.«

Ich zuckte die Achsel. Herr Jackson repräsentierte die Reederei des Schiffes und ich hatte mich zu fügen.

Der Theaterabend kam heran. Das große Haus war dicht gefüllt. Herr Levy, der Direktor, ein findiger Mann, der die eigentliche Triebfeder der ganzen Veranstaltung gewesen war, wie ich bald erfuhr, führte mich hinter die Kulissen auf meinen Platz. Das Stück des Abends war ein nautisches Drama und nannte sich ›Sturmgepeitscht‹. Der Inhalt war so albern und abgeschmackt, wie dies bei allen solchen nautischen Dramen der Fall zu sein pflegt. Um zehn Uhr fiel der Vorhang unter rauschendem Beifall, und nun kam die Spezial-Vorstellung.

Den Hintergrund der Scene bildete eine Darstellung des Hafens von Sydney mit dem vor Anker liegenden ›Earl of Leicester‹. Die ganze Bühne war von den Flaggen aller Nationen eingefaßt, und auf beiden Seiten malerisch gruppiert standen die Mädchen meiner Kompagnie. Levy hatte sie alle aufgefunden und herbeigeschafft. Ja, alle waren sie da – Emmy Read, Charlotte Brown, die brave Susanns Corbin, Fanny Pike, Mabel Marschall – alle, nur Alice Perry fehlte. Sie trugen die Kleider, in denen sie an Bord Schiffsdienst gethan hatten.

Einer der Schauspieler trat in Frack und weißer Binde vor und erzählte die Geschichte der Reise. Er sollte ein großer Tragöde sein und seine Stimme erinnerte mich lebhaft an die Brigstocks.

Als er schwieg, faßte Herr Levy mich bei der Hand. Ich folgte ihm mit den Empfindungen eines Menschen, der zum Galgen geschleppt wird. Er führte mich bis an die Lampen. Das Orchester empfing uns mit einem betäubenden Tusch und zugleich brach das ganze Haus in ein Geschrei und ein Hochrufen aus, so laut und anhaltend, daß es mir war, als brause ein Kap-Horner durch die Takelung.

Nunmehr geleitete mich Herr Levy zu der Loge des Gouverneurs, in der es von Uniformen blitzte. Se. Exzellenz erhob sich und im Hause wurde es plötzlich mäuschenstill. Seine Rede haben die Zeitungen gebracht, ich will sie hier nicht wiederholen. Er sprach eine volle Viertelstunde lang, dann überreichte er mir eine Börse mit siebenhundert Guineen »als ein Zeichen der Bewunderung, welche die Bewohner von Sydney erfüllte, als sie vernahmen, unter was für Umständen Sie, Kapitän Morgan, nahezu achtzig Emigrantinnen aus Gefahren erretteten, die sich zu Schlimmerem, als zu bloßem Schiffbruch, hätten gestalten können.«

Was ich darauf erwidert habe, weiß ich nicht mehr.

Beim Verlassen des Theaters traf ich Kate, die mit den Eltern ihrer Zöglinge, Herrn und Frau Carey, dieser Vorstellung gleichfalls beigewohnt hatte. Die Herrschaften boten mir Nachtquartier in ihrer Villa an, was ich gern annahm. Sie bestiegen ihre Equipage, Kate und ich folgten in einem Mietswagen.

Ich zog die Börse hervor und zeigte sie ihr.

»Wie denken Sie über das alles?« fragte ich lächelnd.

»Ich freue mich über Ihr Glück.«

»Nur Glück? Nicht auch ein wenig Verdienst?«

»Beides zu gleichen Teilen.«

»Wie lange wird's dauern, bis die guten Leute hier in Sydney mich und meine Abenteuer vergessen haben?«

»Nicht lange, fürchte ich,« antwortete sie. »Man hat jetzt hier nichts als die Goldgruben im Kopfe. Herr Carey erzählte gestern, daß er einem Manne begegnet sei, der in drei Tagen an einem Orte, den sie Ophir nennen, Gold im Werte von elfhundert Pfund Sterling gegraben habe. Wenn ich ein Mann wäre, dann ginge ich sofort nach den Gruben.«

»Ei, ei! Nun, ich bleibe an Bord meines Schiffes. Siebenhundert Pfund habe ich in der Tasche; als Kapitän erhalte ich zwölf Pfund monatlich und die Herren Norton und Jackson sind der Meinung, daß die Reederei mir für die Bergung des Schiffes und der Ladung auch noch eine anständige Summe zubilligen wird. Warum soll ich mir also an meinem gegenwärtigen Lose nicht genügen lassen? Eigentlich habe ich dem braven Brigstock viel zu verdanken, meinen Sie nicht auch, Kate?«

»Gewiß.«

»Er hat uns zusammengeführt.«

»Mitten im Ozean.«

»Ich sagte Ihnen einmal, der Tag würde kommen, an dem Sie mit mir in der Kajüte des ›Earl of Leicester‹ die Heimfahrt antreten. Erinnern Sie sich?«

Sie schwieg.

Ich nahm ihre Hand in die meine.

»Erinnern Sie sich?« wiederholte ich.

»Ja.«

»Wissen Sie, was ich jetzt zu sagen gedenke?«

»Nein.«

»Kate, süße Kate, willst du meine Frau werden?«

»O Charlie ...! Ist das dein Ernst?«

Ich legte den Arm um sie.

Sie wehrte sich nicht, sie sagte ganz ruhig:

»Charlie, ich liebe dich von Herzen, und wenn ich nicht fürchten müßte, dir eine Last zu sein, dann sagte ich freudig ja. Ueberlege dir die Sache; wenn du wieder nach Sydney kommst und dann noch derselben Ansicht bist, dann sollst du mich bereit finden.«

»Vielleicht auch verheiratet.«

»Nein.«

»Du bist das süßeste Geschöpf in den Kolonien und hier giebt es alte Squatter genug, die dir mit Vergnügen ihre Hunderttausende von Pfunden zu Füßen legen würden. Schatz gieb mir Hand und Herz, ehe jene Unholde dich mir wegschnappen.«

Sie lachte leise und nervös.

»Du bist noch zu jung zum Heiraten,« sagte sie.

»Glaube das nicht.«

»Du kennst dich selber noch nicht recht.«

»Ich kenne aber mein Herz.«

»O Charlie, wenn ich nur wüßte, was ich thun soll!« Ihre Hand zitterte heftig.

»Sage ja. Die Partnerinnen an Bord zierten sich nicht so lange. Hanna Cobbs hat ihren Thomas nicht so schmerzlich warten lassen.«

Und alle Geduld verlierend nahm ich sie in meine Arme und hielt sie fest und innig umschlungen, bis sie mir ihr Ja zuflüsterte. Es war auch Zeit, denn gleich darauf hielt der Wagen vor Herrn Careys Villa.

 

Am 24. Oktober 1851 verließ ich mit dem ›Earl of Leicester‹ den Hafen von Sydney; mit mir segelten meine junge Frau, sechs Passagiere in der Kajüte und vierzehn im Zwischendeck. Am 30. Januar 1852 gingen wir auf der Themse zu Anker. Das Logbuch wies keinerlei bemerkenswerte Eintragungen auf.

Trotz aller Abenteuer und sonstiger Erlebnisse hatte ich die ›Hebe‹ sowie Kapitän Cadman und Herrn Fletcher von Bristol nicht vergessen, und seit dem Moment meines Wiedererwachens auf der Salvage-Insel stand der Entschluß in mir fest, gegen die Schurken Anzeige zu erstatten, sobald ich in der Heimat sein würde. Jetzt lag mein Schiff kaum an seinem Platze im Westindia-Dock, als ich auch schon Nachricht von der ›Hebe‹ erhielt, und zwar durch Herrn Donald Grant, einen Teilhaber meiner Reedereifirma, der durch die Herren Norton & Jackson brieflich von meinen Abenteuern unterrichtet worden war.

»Wissen Sie schon, Keppen Morgan,« so redete er mich an, als er soeben den Fuß an Deck gesetzt hatte, »wissen Sie schon, daß Cadman und Fletcher die ›Hebe‹ in der Tafelbai wirklich weggesetzt haben? Natürlich so einfältig, daß Fletcher dabei ersoffen ist. Auch zwei Matrosen kamen ums Leben, die anderen aber hatten Unrat gemerkt und das Gericht in Kenntnis gesetzt. Wrack und Ladung wurden untersucht und Cadman in Eisen nach London geschickt. Hier sitzt er im Gefängnis und sieht seiner Aburteilung entgegen. Sie kommen gerade zur rechten Zeit, um Ihr Zeugnis abzugeben.«

Cadmans Entsetzen, als er mich, den Totgeglaubten, vor Gericht als Zeugen gegen ihn auftreten sah, ist nicht zu beschreiben. Von dem Moment an leugnete er nicht mehr und ließ sich widerspruchslos zu lebenslänglicher Deportation nach Vandiemensland verurteilen.

Im August 1853 war ich wieder in Sydney und hier vernahm ich, daß im Jahre zuvor ein Regierungsschiff vergeblich nach Bulls Eiland gesucht habe, daß später aber ein Walfischfänger dort gelandet sei, um Wasser einzunehmen, wie er in früheren Jahren schon einigemal gethan. Zu seinem Erstaunen habe er das Eiland von weißen Männern und Frauen bewohnt gefunden. Dieselben hatten sich bequeme Hütten erbaut und litten dem Anschein nach keinerlei Mangel. Dennoch aber waren einige von ihnen nichts weniger als zufrieden. Der Schiffer, der von dem Abenteuer des ›Earl of Leicester‹ gehört hatte, teilte den Kolonisten mit, daß ein Regierungsschiff mit ihrer Aufsuchung betraut worden sei, auch erzählte er ihnen von den neu entdeckten Goldfeldern in Australien, eine Kunde, die er selber auf den Sandwichinseln von einem Amerikaner vernommen hatte.

Ein kleiner Schoner, der mit diesem Walfischfänger auf hoher See Neuigkeiten ausgetauscht, brachte die Nachricht von den Ansiedlern auf Bulls Eiland nach Melbourne, von wo dieselbe an den Gouverneur nach Sydney gesandt wurde.

Diesmal entdeckte das Regierungsschiff die Insel ohne Schwierigkeit, da der Walfischfänger die Herkulesinsel als Ortsbestimmung angegeben hatte. Man fand das Hüttendörfchen, reizend in einem lauschigen Thalgrunde unweit der großen Lagune gelegen; jede Wohnstätte war von einem großen, eingezäunten Garten umgeben; aber weit und breit zeigte sich kein lebendes Wesen. Die Hütten erwiesen sich als mit Vorräten aller Art wohlgefüllt, die Kolonisten jedoch waren verschwunden.

Man hat von ihnen nie wieder etwas gehört noch gesehen. Da sich auch von den Booten nirgends eine Spur zeigte, so muß angenommen werden, daß die ganze Schar das Eiland verlassen und sich an Bord eines vorübersegelnden Schiffes begeben hat. Ob sie die Furcht vor dem Regierungsschiffe hierzu getrieben, oder ob das Verlangen, sich an der Goldernte in Australien zu beteiligen, in ihnen zu stark geworden war – wer weiß es?

Ich muß gestehen, daß ich dieses Fehlschlagen des Brigstockschen Planes recht bedauerte. Das Streben dieses merkwürdigen Mannes hätte einen besseren Erfolg verdient. –

Mein Schiff hatte seine Ladung eingenommen und sollte in drei Tagen die Heimreise antreten. Ich saß in der Kajüte am Tisch und war mit Briefschreiben beschäftigt, als mein Obersteuermann hereinkam und mir meldete, daß eine Dame auf dem Quai stände und um die Erlaubnis bitte, an Bord kommen und mich sprechen zu dürfen.

»Hat sie ihren Namen nicht genannt?«

»Nein, Keppen. Sie ist ein schönes Frauenzimmer, höllisch fein aufgetakelt, aber vornehm sieht sie gerade nicht aus.«

»Lassen Sie sie kommen.«

Ich fuhr fort zu schreiben. Da trat jemand in die Thür. Ich legte die Feder hin, erhob mich, sah mich um – sah noch einmal hin und stand genau so starr, wie Cadman bei meinem Anblick dagestanden hatte.

Es war Alice Perry.

Ich erkannte sie auf den ersten Blick, obgleich ich sie tot auf dem Grunde des salzigen Ozeans gewähnt. Sie war mit höchster Eleganz und nach der neuesten Mode gekleidet; mit geröteten Wangen, strahlenden Augen und dem alten Lächeln, das ihre schönen weißen Zähne erschimmern ließ, trat sie auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen.

»Keppen Morgan,« rief sie, »brauchen Sie kein Hausmädchen?«

Und dann lachte sie wie ehemals, als sie noch der hübsche Seemann war, so laut und gellend, daß mein Steuermann, der in der Thür stand und uns betrachtete, nicht wußte, was für ein Gesicht er aufsetzen sollte.

Zögernd erfaßte ich die dargebotene Hand.

»Ich dachte, Sie wären ertrunken?« sagte ich.

»Eigentlich müßte ich's auch sein,« antwortete sie, »und zwar Ihretwegen, Keppen – doch das ist vorbei.«

Dabei aber sah sie mich an, als ob ›das‹ doch noch nicht so ganz vorbei wäre.

Ich nötigte sie, Platz zu nehmen, und setzte mich neben sie. Nun begann sie einen Schwall von Fragen an mich zu richten – ob es wahr sei, daß ich Kate Darnley geheiratet habe; ob ich wisse, was aus den Mitgliedern meiner Mädchenkompagnie geworden sei; ob Brigstock seine Kolonie wirklich wieder aufgegeben habe, und so weiter.

Dann berichtete sie, wie es ihr selber ergangen war. Sie gestand mir ganz offen, daß sie in mich verliebt gewesen sei, und daß sie sich vor Eifersucht nicht zu lassen gewußt habe; oft, wenn sie Kate im Gespräch mit mir gesehen, habe sie dem leidenschaftlichen Drange, derselben ein Messer ins Herz zu stoßen, kaum widerstehen können. Ihr sei gewesen, als müsse sie wahnsinnig werden. Sie habe im stillen solche Qualen erlitten, daß sie endlich beschloß, das elende Leben von sich zu werfen.

Nachdem sie jene Abschiedszeilen geschrieben, sei sie über den Bug geklettert und habe sich leise ins Wasser sinken lassen. Eine Weile trieb sie auf der Flut, träumerisch die Sterne betrachtend und sich fragend, ob Gott ihr auch verzeihen werde. Dann schwanden ihr die Sinne, und als sie wieder zu sich kam, sah sie sich in einer Hütte der Wilden, umringt von braunen Männern und Weibern.

Das Canoe, das ich im Mondschein auf dem Meere gesehen, mußte sie aufgenommen haben. Die Eingeborenen behandelten sie freundlich; ein alter Häuptling erwies ihr sogar die Ehre, ihr seine Hand anzutragen. Als ihr Anzug abgenutzt war, fertigte man ihr Kleider aus Tappa an.

Eines Morgens, nachdem sie sieben Monate unter den Wilden zugebracht hatte, erschien eine Bark in der Nähe der Insel und auf ihre Bitte setzten ihre braunen Freunde sie ohne Weigern an Bord dieses Schiffes, das sie mit nach Hobarttown nahm. Hier verheiratete sie sich mit einem jungen Schlächter.

Als das Goldfieber ausbrach, machte sich auch ihr Gatte nach den Goldgruben auf. Er hatte Glück; schon nach wenigen Monaten war er im Besitz von dreißigtausend Pfund Sterling. Jetzt wohnte sie in einer Villa in der Nähe von Sydney. Sie schloß ihre Erzählung mit der Bitte an mich, sie und ihren Eheherrn vor meiner Abreise mit einem Besuche beehren zu wollen.

Leider verhinderten mich meine Geschäfte, dieser Einladung Folge zu leisten; es wäre mir eine besondere Freude gewesen, einen australischen Hammelbraten mit meinem kecken, allerliebsten Obersteuermann Alice essen zu dürfen. Ehe sie sich verabschiedete, klagte sie mir noch, daß die Wilden ihr ihre Pfeife gestohlen hätten, die silberne Bootsmannspfeife, auf die sie so stolz gewesen.

Die nächste Reise führte mich nach Ostindien.

Als ich dann später wieder einmal im Hafen von Sydney zu Anker ging, ward mir die Trauerbotschaft, daß Alice zwei Monate vor der Ankunft des Schiffes gestorben sei.


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