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18. Kapitel.
Die Verschwörung.

Zehn Tage verstrichen ruhig und gleichmäßig. Jeden Morgen und jeden Nachmittag trat meine Weiberkompagnie auf dem Achterdeck an; sie kannten jetzt alle Benennungen und nur selten noch verfehlten sie den richtigen Coffeynagel, wenn es etwas loszuwerfen gab.

Auch das Reißen und Holen hatte ich ihnen beigebracht – alle zugleich und im Takt und mit Wucht. Für die Wahrnehmung des Rudertörns aber zeigten sich nur sieben geeignet. Drei waren der ganzen Sache schon nach wenigen Tagen überdrüssig geworden, sogleich aber hatten sich andere an deren Stelle gemeldet.

Kate blies die Bootsmannspfeife mit Virtuosität. Sie trug dieselbe an einer Schnur um den Hals und rief durch ihre schrille Musik die Matrosenmädchen zum Appell.

Weder Brigstock, noch Harding, noch auch die Leute von vorn gingen mir im geringsten zur Hand. Brigstock hatte freilich den besten Willen gezeigt, die Mädchen weigerten sich jedoch, von ihm Belehrung anzunehmen. Alice Perry hatte sogar rund heraus erklärt, daß sie sofort aus der Kompagnie ausscheiden würde, sowie Brigstock nur Miene mache, sie zu unterrichten; das Mädchen glühte vor Zorn und Haß, wenn der Mann überhaupt in ihre Nähe kam.

Bei dieser Lage der Dinge bat ich ihn, sich nicht erst weiter zu bemühen. Um Harding kümmerte ich mich ferner nicht.

Es war ein schöner, stiller Morgen.

Die See rollte in sanften Schwellungen aus dem Süden, der Wind aber wehte leicht aus nördlicher Richtung und das Schiff rippelte mit beinahe Vierkant gebraßten Raaen durchs Wasser. Die Passatregion war passiert.

Ich hatte eine Weile mit Kate geplaudert und stieg nun die Achterdeckstreppe hinauf und lehnte mich über die Reeling, um nach dem Quarterboot zu sehen, das in seinen Davits hing. Dabei dachte ich, was für ein herrliches Schiff ich doch unter den Füßen habe, und welch ein Erfolg ohnegleichen es doch sein würde, wenn es mir vergönnt wäre, dieses Schiff mit Hilfe einer Mädchenbesatzung in den sicheren Hafen zu bringen und so seinen Reedern zu erhalten.

Während ich noch sinnend ins Wasser schaute, hörte ich meinen Namen rufen und gewahrte Alice Perry, die auf der Treppe stand und mich anblickte.

Brigstock, der auf der Leeseite des Achterdecks promenierte, hatte sie gleichfalls bemerkt.

»Hören Sie mal, Mamsell,« rief er ihr zu, »ich muß Ihnen doch bitten, so lange da unten zu bleiben, bis Ihnen einer raufrufen thut!«

Sie achtete gar nicht auf ihn und ich ging auf sie zu.

»Wünschen Sie etwas?« fragte ich.

»Keppen Morgan,« antwortete sie, »wir, nämlich ich und noch ein paar andere, hätten gern in der Kajüte etwas mit Ihnen besprochen.«

»Es ist doch nichts vorgefallen?« forschte ich weiter, als ich eine trotzige, fast zornige Entschlossenheit auf ihrem hübschen Antlitz wahrnahm, und zugleich fragte ich mich, wer von den Matrosen wohl diesem feurigen Geschöpf mit den strahlenden Augen und den weißen Zähnen zu nahe getreten sein könne.

»Nein,« versetzte sie. »Wir haben Ihnen aber etwas zu sagen, das Sie vielleicht für sehr wichtig halten werden.«

Ich blickte nach vorn.

Unweit der Großluk stand, uns beobachtend, eine Gruppe von Mädchen, die sämtlich zu meiner Kompagnie gehörten. Ich kannte sie alle bei Namen.

Es waren ihrer fünf – Emmy Read, Charlotte Brown, Flora Lewis, Fanny Pike und Mabel Marschall.

Neugierig, um was es sich wohl handle, bedeutete ich Alice Perry, mit den andern in die Kajüte zu gehen; ich selber stieg die Kampanjetreppe hinab.

Die sechs standen bereits am Tisch. Ich ersuchte sie, Platz zu nehmen, und sie wollten soeben der Aufforderung Folge leisten, als Alice zu dem offenen Oberlichtfenster emporsah.

»Nicht hier,« rief sie leise. »Hier könnte Brigstock uns belauschen.«

Damit zog sie sich, von den andern gefolgt, bis an den Schaft des Kreuzmastes zurück, wo sich alle setzten.

»Wer soll reden?« fragte Alice jetzt, ihre Genossinnen ansehend.

»Sie selber, so gut wie Sie kann's doch keine!« kam die Antwort.

Alice stand auf.

»Keppen Morgan,« begann sie, »treten Sie ein bischen näher heran, bitte. Wir haben unter uns alles besprochen und wollen Ihnen jetzt die Sache vorlegen. Es handelt sich um eine Verschwörung. Seitdem wir von Ihnen gelernt haben, wie die Segel, die Raaen und alle die Leinen und Enden gehandhabt werden, fühlen wir uns im stande, ganz ohne die Matrosen fertig zu werden.«

Sie blickte mich an. Ich lächelte.

»Ganz soweit ist's doch noch nicht,« versetzte ich. »Noch kann zum Beispiel keine von Ihnen bei schwerem Wetter am Ruder stehen. Und wenn es nun oben auf den Raaen und in der Takelung zu thun giebt – was dann?«

»Geben Sie mir Mannskleider!« rief sie. »Ich fürchte mich nicht vor dem Klettern!«

»Leiser, Fräulein Perry, leiser!« warnte Emmy Read.

»Welcher Art ist Ihre Verschwörung, meine Damen?« fragte ich.

»Hören Sie zu,« sagte Alice mit gedämpfter Stimme. »Sie sollen uns sagen, wie die Luke von dem Raum verschlossen wird, in dem die Matrosen schlafen, die Luke vom Logis, wie das ja wohl heißt, so daß wir die Leute einsperren können. Natürlich müssen sie dann alle drin sein. Sie befehlen ihnen einfach, unter Deck zu gehen; zuvor aber zeigen Sie uns, wie die Klappe über dem viereckigen Loch befestigt wird, wo sie hindurch zu kriechen haben. Wenn es sich nicht so macht, daß Sie Brigstock auch ins Logis schicken können und wenn Sie selber nicht Hand an ihn legen mögen, so will ich mit einigen andern es wohl übernehmen, ihn zu binden und dorthin zu sperren, wo Sie befehlen werden.«

Aller Augen hafteten an meinem Gesicht, um zu sehen, welchen Eindruck diese Rede auf mich hervorbrachte.

Ich war weniger erstaunt als belustigt und trat unter das Oberlichtfenster, um zu erkunden, ob Brigstock etwa lausche. Draußen an Deck bewegten sich viele Mädchen hin und her, aber Thür und Fenster blieben, anders als sonst, von ihnen unbesetzt.

»Ihr Plan,« antwortete ich dann, »ist eigenartig und kühn, aber nicht ausführbar. Außerdem bringen Sie mich durch Ihre Mitteilung in eine sehr gefährliche Lage.«

»Wieso? Es ist ja ein Geheimnis,« erwiderte Fanny Pike, ein starkes, rüstiges Ding von achtzehn Jahren.

»Sind außer Ihnen noch andere Mitwisserinnen dieser Verschwörung?«

»Unsere ganze Kompagnie weiß darum,« antwortete Alice Perry.

»Gesetzt also den Fall, die Leute wären eingesperrt; was dann?«

»Dann bringen Sie das Schiff in den nächsten Hafen; dort finden wir Hilfe und hernach führen Sie uns nach Australien,« sagte Alice.

»Nee,« rief eine andere. »Nach Hause wollen wir segeln, un denn holen wir die Pollezei und lassen Brigstock un den ollen Drachen, wat seine Partnerin is, inspunnen.«

»Ich wiederhole Ihnen, meine Damen, an die Ausführung Ihres Planes ist nicht zu denken,« versetzte ich. »Was sollte ich wohl mit einem Schiff voll von Mädchen beginnen, ohne eine einzige Seele an Bord, die nach oben gehen könnte? Und in diesen gefährlichen Gewässern obendrein? Später, im Großen Ozean, wäre die Sache vielleicht anders. Bis dahin können Sie noch wochenlang üben und exerzieren – vorausgesetzt, daß Sie mich jetzt noch als Lehrmeister haben wollen.«

Alice Perry starrte finster vor sich nieder.

»Warum sollen wir's nicht machen?« rief sie. »Ich habe keine Lust, noch wer weiß wie lange hier herum zu schwimmen, bloß der Cobbs und den andern zu Gefallen. Ich gäbe Ihnen Männer, wenn ich so könnte, wie ich wollte! Und wenn nicht gleich, warum nicht später? Und nach oben gehen? Ich bin jeden Augenblick dazu bereit, und ich weiß auch noch andere, die sich vor Webeleinen in den Wanten nicht mehr fürchten, als vor der Treppe da!«

»Unmöglich, Fräulein Perry,« antwortete ich begütigend, aber fest. »Und nun müssen wir uns auf einen plausiblen Grund für diese Unterredung besinnen, den ich bei der Hand habe, wenn Brigstock mich fragen sollte.«

Alice warf die Rabenlocken ins Genick, schlug ein Schnippchen, und segelte, ihren leidenschaftlichen Zorn durch das Summen einer Melodie unterdrückend, zur Thür hinaus. Zwei andere folgten ihr. Die drei übrigen standen auf, schenkten mir aber noch Gehör.

»Sie sind zu mir gekommen, um mich zu fragen, wo das Schiff sich gegenwärtig befindet,« sagte ich ruhig. »Es ist ganz selbstverständlich, daß Sie dies zu wissen verlangten, und ferner noch, wie weit Brigstocks Insel wohl von Sydney entfernt sein möge. Sagen Sie dies auch Fräulein Perry und den andern; wir dürfen uns darin nicht widersprechen. Und lassen Sie sich raten – wenn ich Ihren Plan ablehne, so thue ich das, weil ich ein Seemann bin und weil ich dafür sorgen muß, daß Sie, mit Gottes Beistand, alle gesund und am Leben bleiben und endlich sicher in Sydney an Land gesetzt werden können.«

Damit machte ich ihnen eine Verbeugung und ging in meine Kammer.

Was ich vorausgesehen, traf ein. Kaum zeigte ich mich nach einiger Zeit wieder an Deck, als Brigstock sich an mich heranmachte und fragte, was die Frauenzimmer mit mir zu reden gehabt hätten. Meine Antwort befriedigte ihn, und ich brachte ihn bald auf das Thema seiner Kolonisation.

»Verstehen Sie sich auf das Taxieren von Waren?« fragte er.

»Welcher Art Waren?«

»Wie wir hier an Bord haben, zum Beispiel.«

»Nein.«

»Wir wollen nämlich nicht mehr davon nehmen, als unsere Heuern betragen, höchstens vielleicht noch einen kleinen Zuschlag dafür, daß wir das Schiff geborgen haben; denn das haben wir doch unbestreitbar, indem wir uns einen Navigator verschaffen thaten.«

»Sie können sich die Bergung des Schiffes nicht eher zugute rechnen, bis Sie von seiner Ankunft in einem Hafen gehört haben.«

»Das ist richtig. Wenn der ›Earl of Leicester‹ aber zu Grunde gehen thut, nachdem wir ihn verlassen haben, dann ist das bischen Ladung, das wir mitgenommen haben, an Land jedenfalls besser aufgehoben, als unter Wasser,« entgegnete er grinsend.

Ich brach die Unterhaltung ab, um die Sonnenhöhe zu messen, und damit war dies Thema beendet.

Nach dem Mittagessen holte ich mir Kate Darnley auf das Achterdeck und teilte ihr das Ansinnen mit, das die sechs Mädchen heute vormittag an mich gestellt hatten.

»Nun?« rief sie mit fast leidenschaftlichem Eifer. »Soll's ausgeführt werden?«

»Nein,« antwortete ich, und wiederholte ihr meine Gründe für die Ablehnung.

Sie schaute empor zu den Masten.

»Könnten Sie denn die Mehrzahl der Segel nicht wegnehmen lassen, ehe die Matrosen eingesperrt werden?« fragte sie. »Dann würde es nicht mehr nötig sein, daß jemand nach oben klettert. Lassen Sie nur soviel Leinwand stehen, daß das Schiff eben vorwärts kommt und daß bei schwerem Wetter nichts gerefft und festgemacht zu werden braucht.«

»Sie werden im Leben kein Kommando auf See haben,« versetzte ich lächelnd.

»Möcht's auch gar nicht, nicht für 'ne Million.«

»Was sollten die Matrosen denken, wenn ich bei schönstem Wetter alle Segel, bis vielleicht auf die Marssegel, wegnehmen ließe? Und meinen Sie, es gäbe keinen Sturm, bei dem nicht auch der geringste Fetzen Leinwand noch zu viel wäre?«

»Das verstehe ich nicht. Der Plan der Mädchen aber erscheint mir großartig wegen seiner Kühnheit und leichten Ausführbarkeit.«

»Dämpfen Sie Ihre Stimme, wenn wir in Hardings Nähe kommen. Sehen Sie nur, was der Kerl für Ohren hat – so groß wie halbe Kokosnüsse. Befinden wir uns nicht alle ganz wohl hier an Bord? Weshalb wollen Sie die Leute mit aller Gewalt einsperren und damit unser aller Leben in die größte Gefahr bringen? Betragen sich die Kerle nicht musterhaft? Kein Zank, keine Roheiten, keine Betrunkenheit, dabei strenge Pflichterfüllung – was wollen Sie mehr? Lassen Sie mich ihnen doch behilflich sein, ihren Kolonisationstraum zu verwirklichen. Ich habe kein Recht, sie gefangen zu setzen. Sie wollen weder das Schiff stehlen, noch sonst eine Schandthat begehen. Und außerdem fördert die Sache, wie sie jetzt liegt, gerade meine Zwecke und Zukunftspläne ganz vortrefflich. Dieses gute Schiff soll mir noch viel Geld und auch ein Kommando einbringen, und wenn alles so kommt, wie ich mir ausmale, dann machen Sie die Heimreise doch noch mit mir zusammen in dieser Kajüte.«

Sie fuhr leicht zusammen, starrte mich an und wurde dann rot.

»Die Heimreise?« wiederholte sie. »Wie soll ich das verstehen?«

»Nun, wenn ich in Sydney in aller Form meine Bestallung als Kapitän dieses Schiffes erhalte, und ich Sie dann bitte, mich in demselben nach England zu begleiten, würden Sie mir das abschlagen?«

»Ganz gewiß!« rief sie heftig. »Was sollte ich in England beginnen? Vielleicht in irgend einer Dachstube hungern und warten, bis das nächste Auswandererschiff nach Australien segelt?«

Ich schaute ihr lächelnd in das schöne Antlitz, dann ersuchte ich sie, meine Kompagnie zusammen zu pfeifen.

Verwirrt und mit noch immer glühenden Wangen stieg sie die Treppe hinunter.

Als ihr Pfeifentriller ertönte, mußte ein mittschiffs beschäftigter Matrose laut auflachen.

Das Wetter war prachtvoll, so recht geschaffen für eine Lektion am Steuerrade.

Die Kompagnie trat an, diesmal aber nur fünfzehn Köpfe stark. Ich wartete noch einige Minuten, dann fragte ich, wo denn die andern seien.

»Alice Perry sagt, sie macht nicht mehr mit,« meldete Susanne Corbin.

»Alice Perry ist nur eine,« erwiderte ich. »Warum kommen die übrigen nicht?«

»Weil Fräulein Perry herumgeht und ihnen abredet,« berichtete ein anderes Mädchen.

Ich sagte nichts, ärgerte mich aber gewaltig. Das sah ja ganz so aus, als sollte mein Traum von einer weiblichen Schiffsbesatzung schmählich zu Wasser werden.

Die Lektion fand dessenungeachtet statt. Von den fünfzehn erwiesen sich nur drei als geeignet zur Verwendung am Ruder.

Hernach exerzierten wir noch am laufenden Gut. Die ganze Uebung dauerte zwei Stunden. Während dieser Zeit beobachteten uns Alice Perry und die andern Renitenten unausgesetzt – Alice in trotzigster Positur, mit zurückgeworfenem Kopf, über der Brust verschränkten Armen und einem höhnischen Zuge um den üppigen Mund.

Nach beendeter Lektion näherte ich mich ihr und bat sie, mit mir in die Kajüte zu kommen.

»Allein?« fragte sie in mürrischem Ton.

»Ja.«

»Was wollen Sie von mir?«

»Ich möchte mit Ihnen ein paar Worte reden.«

Sie folgte mir anscheinend nur widerwillig. Am vorderen Ende des Tisches blieb ich stehen, damit alle an Deck uns im Auge behalten konnten.

Jetzt sah ich diesem Mädchen an, daß etwas von einem Dämon in ihr steckte. Aber gerade dieses wilden Temperamentes wegen bedurfte ich ihrer vor allen anderen; sie war meine beste Kraft, die eines Tages in Mannskleidern an Deck einhergehen und den übrigen den Weg nach oben zeigen sollte.

Ich redete zu ihr so freundlich und liebenswürdig, als ich dies nur irgend vermochte. Es blieb mir nichts übrig, als ganz offen gegen sie zu sein, auf die Gefahr hin, daß mein Plan im Logis bekannt würde. Ich sagte ihr, daß ich das Schiff mit Hilfe der Mädchen nach Sydney zu bringen gedächte, nachdem die Mannschaft uns verlassen, und ich schilderte ihr, was sich alles zutragen könnte, wenn ich eine Besatzung von Kanaken oder gar von jenen Ozeanbummlern an Bord nähme, die sich hier und da auf den Inseln der Südsee herumtrieben. Ich versäumte dabei nicht, einer Reihe von Schandthaten und Verbrechen zu gedenken, die von diesem verkommenen Gelichter an Bord von allerlei Schiffen begangen worden waren, und hatte bald die Genugthuung, daß sie mir mit derselben Spannung zuhörte, als läse ich ihr ein Kapitel aus einem Schauerroman vor.

Brigstock kam herein und ging langsam in seine Kammer. Er musterte uns mit einer Art von düsterer Verwunderung. Ich begab mich mit dem Mädchen auf die andere Seite vom Tisch und redete leise weiter.

»Fräulein Alice,« sagte ich, »ohne Sie bin ich nichts. Sie sind die Hauptperson in der Kompagnie, die Rose in meinem Garten. Wenn die Matrosen von Bord sind, dann gebe ich Ihnen einen Männeranzug. Sie werden einen reizenden, einen ganz süßen Seemann darstellen. Alle Journale in Sydney werden Ihr Bildnis bringen. Das giebt eine Sensation, denn Sie sind schön, wie Sie sehr wohl wissen.«

Sie wies lachend ihre weißen Zähne.

»Gehen Sie doch!« schmollte sie, dabei aber funkelten ihre Augen vor innerlichem Entzücken.

Ich fuhr mit meinen Schmeicheleien noch eine Weile fort, da ich merkte, wie sehr ihr das gefiel. Als ich der Wirkung sicher zu sein glaubte, geleitete ich sie wieder an Deck und verließ sie mit einer Verbeugung.

Das Wetter blieb auch in der folgenden Nacht still und schön und der leichte Wind günstig.

Als ich um zwei Glasen – neun Uhr abends – an Deck kam, sah ich Brigstock an der Achterdeckstreppe in eifrigem, leisem Gespräch mit drei Matrosen. Ich hatte den Eindruck, als handle es sich um Heimlichkeiten. Bei meinem Erscheinen ging Brigstock langsam nach hinten und die Leute entfernten sich.

Bald darauf gewahrte ich, daß Brigstock mit dem Rudersmann redete. Das war in meiner, des Kapitäns, Gegenwart, gegen allen Schiffsgebrauch und einfach eine Unverschämtheit. Was aber sollte ich thun? Ich fühlte die innere Haltlosigkeit meiner Position und schwieg.

Der Mann am Ruder war Isaak Coffin; ich erkannte ihn an der Stimme.

Gelassen schleuderte ich auf und ab, eine von Kapitän Halcrows guten Zigarren im Munde und mich mit den angenehmsten Zukunftsbildern unterhaltend.

Rings um mich das Schweigen der Nacht, nur unterbrochen durch das Raunen der beiden Männer achter dem Kompaßhäuschen und dem lispelnden Rauschen des vorbeiströmenden Wassers, das sich beinahe anhörte, wie das Rascheln dürrer Herbstblätter auf einem Kieswege.

Horch! Was war das?

Ein Ton seltsamer, melancholischer, lauter Klage hoch oben in der Luft.

Erschrocken blieb ich stehen und sah hinauf zum finstern Firmament; ein bleicher Stern funkelte mir entgegen.

Ich erwartete, einen Zug schattenhafter Geister über die Toppen hinschweben zu sehen, gewahrte aber nichts.

Bis auf den heutigen Tag weiß ich nicht, was damals die Ursache jenes unheimlichen Stöhnens gewesen ist; eine einigermaßen stichhaltige Erklärung möchte die sein, daß ein Schwarm Seevögel hoch über uns hinwegzog, dessen Stimmengewirr einen so seltsamen Klang hatte.

Die Laute waren so klagend, so wehevoll, daß sich mir das Herz zusammenkrampfte. Nie hatte ich etwas Aehnliches vernommen. Sie erinnerten an leidenschaftlich weinende Frauenstimmen, sie wurden schwächer, immer schwächer und verhallten endlich in der Ferne.

»Mein Gott!« rief Brigstock. »Isaak, was war das?«

Ich ging auf die beiden zu.

»Haben Sie schon mal so etwas auf See gehört?« fragte ich.

»Ich nicht,« antwortete Coffin. »Das ist 'ne Prophezeiung – das hat was zu bedeuten.«

»Was soll es zu bedeuten haben?«

»Unheil,« brummte Brigstock. »Schlimme Sachen.«

Und damit, als wolle er vermeiden, noch mehr mit mir zu reden, drehte er sich um und ging nach vorn, hinab auf das Hauptdeck.

Dieses Benehmen war auffällig, ich schrieb es aber einer momentanen Uebellaunigkeit zu und achtete weiter nicht darauf.

Von mittschiffs her kam ein Gemurmel von Stimmen. Ich konnte weder das Gesprochene verstehen, noch die Gestalten der Leute unterscheiden, aber ich gewann die Ueberzeugung, daß dort nicht nur die Mannschaften der einen Wache versammelt waren. Ab und zu glaubte ich Brigstocks Stimme heraus zu hören.

Ich spazierte weiter, um durch Stillstehen nicht in den Verdacht des Lauschens zu geraten; aber mein Herz begann zu klopfen und eine Empfindung der Angst überkam mich.

Was dort im geheimen, im Dunkel der Nacht, verhandelt wurde, davon hatte ich keine Ahnung. So oft ich auf meinem Gange dem vorderen Geländer nahe kam, hielt ich den Atem an, um ein Wort aufzufangen, allein ich verstand nichts.

Da erschien plötzlich in der schwarzen Oeffnung der Großluk ein Licht; die Gestalt einer Frau, die eine Laterne in der Hand trug, kam herauf. Sie huschte der Achterdeckstreppe zu; bei dem Laternenschein erkannte ich sie jetzt; es war Fräulein Cobbs.

Ich rief sie an und fragte, was sie zu dieser nächtlichen Stunde an Deck geführt habe.

»Eins der Mädchen, Mary Lonney, hat sich den Hals abgeschnitten,« antwortete sie mit erschütterter, entsetzensvoller Stimme.

Ich warf meine Zigarre fort und sprang die Stufen hinab.

»Ist sie tot?« rief ich.

Noch ehe ich eine Antwort erhielt, kam die Schar der Matrosen in dumpfem, hastigem Massentritt achteraus gerannt.

»Was giebt's?« schrie Brigstock, und im nächsten Moment war Fräulein Cobbs von einem Kreis von Männern umringt, deren Gestalten in dem Lichtschein scharf hervortraten.

»O Thomas!« rief die Aufseherin, »eine der Emigrantinnen hat sich das Leben genommen!«

»Jetzt wissen wir, wat dat Geheul un Geklage zu bedeuten gehabt hat, dat wir vorhin da oben gehört haben,« sagte einer der Männer.

Am Fuße der Lukentreppe erschien eine Gruppe von Mädchen in ihren Nachtgewändern, in der Finsternis kaum erkennbar.

»Führen Sie mich zu der Unglücklichen, Fräulein Cobbs,« gebot ich.

Da schob sich Brigstock dicht und drohend an mich heran.

»Herr Morgan,« sagte er langsam, aber mit einer Stimme, die in verhaltenem Grimm keuchte, »Sie haben das Vertrauen, das wir in Ihnen gesetzt hatten, schändlich getäuscht! Sie sind ein Schurke, und wir wollen nichts mehr mit Sie zu thun haben!«

Ich sprang zurück, wie von einer Schlange gebissen. Jäh flammte der Zorn in mir auf und ich erhob die geballten Fäuste.

»Mir das?« rief ich. »Du Hund!«

Ehe ich jedoch zuschlagen konnte, hatten mich vier der Matrosen gepackt und wehrlos gemacht und zugleich umtobte mich ein Sturm von Flüchen, Verwünschungen, Drohungen und Schimpfworten. Man fuhr mit mir in die Kajüte hinein und schleuderte mich kopfüber in meine Kammer.


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