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2. Kapitel.
Kate Darnley.

Während der ersten Woche nach meiner Heimkehr sah ich weder ein nautisches Buch an, noch beschwerte ich mir den Kopf mit Berufsgedanken. Bei der Abmusterung von der Bark ›Wanderer‹ in Bristol hatte ich hundertzwanzig Pfund Sterling ausgezahlt erhalten, mein Steuermannsgehalt für eine Seereise von ungefähr vierzig Monaten, einige geringe Vorschüsse davon abgerechnet.

Ich war ein Seemann durch und durch, allein keiner von der Sorte, wie die Landratten sich die Seeleute gewöhnlich vorzustellen pflegen, also weder ein Grogtrinker, noch ein Raufbold. Im Gegenteil, ich haßte und verachtete jene wüsten, mit ihrer Roheit prahlenden Gesellen, die die Verzweiflung der Seemannsmissionare sind, die, mit schief aufgesetzter Mütze und ein Hosenbein im Stiefel, nach Branntwein duftend und trunkenen Mutes Flüche und Zoten lallend, durch die übel berüchtigten Gassen der Hafenquartiere und der Dockgegenden schlendern.

Ich befand mich jetzt an Land, oder vielmehr auf dem Lande, und nun wollte ich das Landleben auch in vollen Zügen genießen.

Zwischen mir und der Brandung des Ozeans erstreckten sich meilenweit Wiesen, Felder und Gärten; bis hierher drangen weder das Knarren und Rasseln der Werftkrähne, noch all die vielfältigen Geräusche des Hafens und der ladenden und löschenden Schiffe. Stundenlang lag ich im blumigen Felde, die Hutkrempe auf der Nasenspitze, dachte an nichts, sah die Wolken über mir ziehen, sog den Duft der Blüten ein und lauschte den Tönen, die solchen ländlichen Gegenden eigen sind.

Dem Fräulein Darnley war ich anfangs aus dem Wege gegangen, da ich annehmen zu müssen glaubte, daß meines Vaters Vikar eine Neigung für sie hege; als ich jedoch von meiner Mutter vernahm, daß der Vikar oder wie sie ihn nannten, der Herr Kuratus, mit einem Mädchen in Manchester verlobt sei, da beschloß ich, der armen Kate die letzten Tage ihrer Freizeit zu recht genußreichen zu gestalten. Ich unternahm mit ihr lange Bootsfahrten auf dem Flusse und Landpartien mit Nachbar Thompsons Fuhrwerk, und als sie den Wunsch äußerte, auch einmal die See zu sehen, da fuhr ich mit ihr auf der Eisenbahn nach der vier Stunden von Blathford entfernten Küste.

Leider kamen wir zur Zeit der niedrigsten Ebbe an, so daß nur am fernen Horizont, jenseit der weiten Ebene von Schlick und Pfützen, ein blauer Schimmer sichtbar war.

»Auch das genügt mir,« sagte Kate, »ist es doch der Horizont, hinter dem alle die Wunder sind, von denen Sie mir erzählten.«

Dann begann sie mit seltsamem Eifer nach den Erdteilen zu fragen, die ich kennen gelernt hatte. Besonders nach Australien.

»Welche Städte sind Ihnen dort bekannt?« forschte sie.

»Sydney und Melbourne.«

»Was kann man dort anfangen, Herr Morgan?«

»Wenn Sie meinen, wie ein Mann sich dort forthelfen kann, so antworte ich Ihnen, daß er daselbst Gelegenheit zu jeglicher Arbeit findet. Landarbeiter, die hier in England einen Wochenlohn von fünfzehn Schillingen erhalten, verdienen dort einen Tagelohn von zehn Schillingen. Wäre ich kein Seemann, so weiß ich wirklich nicht, ob ich nicht eines Tages ein wenig gegen die Landesgesetze verstieße, bloß um kostenlos nach Australien deportiert zu werden, denn dort kann ein junger Mann, selbst wenn er als Sträfling hinkommt, mit Fleiß und Ausdauer noch etwas vor sich bringen.«

»Wäre es nicht besser und richtiger, auszuwandern, als sich deportieren zu lassen?« fragte sie lächelnd. »Ich habe von Leuten gehört, die hier so heimatlos waren, wie jene Wolken dort oben am Firmament; in Australien aber fanden sie ein Heim und Freunde. Gute Herkunft ist in den Kolonieen kein Hindernis, nicht wahr?«

»So lange man nicht darauf pocht, nein,« antwortete ich.

»Welche Aussicht eröffnet sich in Australien einem jungen Mädchen?«

»Baldige Verheiratung.«

»Das meine ich nicht.«

»Hegen Sie Auswanderungsgedanken?«

»Ich wäre lieber eine Küchenmagd hinter jener blauen Linie dort,« sagte sie, nach dem schmalen, fernen Meeresstreifen blickend, »als hier in diesem Lande eine Gouvernante.«

Ich bemitleidete das schöne Mädchen von Herzen, aber ich schwieg.

»Ich möchte wohl wissen, auf welche Weise man etwas Zuverlässiges über die australischen Verhältnisse erfahren kann,« fuhr sie fort.

»Es ist manches darüber gedruckt und veröffentlicht worden,« antwortete ich. »Was ich davon auftreiben kann, werde ich Ihnen zuschicken.«

Sie dankte mir.

»Haben Sie Verwandte in Australien?« fragte ich.

»Nein.«

»Auch keine hier in England?«

»Nein. Seit mein Vater tot ist, stehe ich ganz allein auf der Welt.«

Ich schwieg eine Weile; die Verlassenheit des armen Mädchens ging mir recht nahe. Sie aber gewann bald ihre ruhige Heiterkeit wieder, wußte viel zu plaudern und zu fragen, über Auswandererschiffe, über das Leben auf See und dergleichen, und der Gegenstand der Unterhaltung wechselte erst, als wir uns wieder im Eisenbahnzuge und auf der Heimfahrt befanden.

Die von mir bestellten Drucksachen über die australischen Kolonieen trafen noch an dem letzten Tage ihres Aufenthaltes bei uns ein. Sie packte dieselben in ihren Koffer und dankte mir herzlich für meine Bemühungen. Dann durfte ich sie in Nachbar Thompsons Fuhrwerk nach der Bahnstation fahren.

Der Abschied wurde mir nicht leicht. Wir hatten so schöne Stunden mit einander verlebt, der Umgang mit ihr war mir etwas ganz Neues, Erfrischendes gewesen, ein Genuß, den ich zuvor noch nicht gekannt hatte. Dazu kam der wehmütige Gedanke, daß sie nun aus dem stillen Hause, das ihr für kurze Zeit ein Heim gewesen, aus dem Kreise derer, die es so freundlich und gut mit ihr gemeint, wieder hinaus mußte in das kalte, herzlose Leben, in die schnöde, selbstsüchtige Welt.

Wenn ich sie anfänglich auch vermißte, so muß ich doch gestehen, daß ich nach Verlauf von acht Tagen kaum noch an sie dachte. Ich hatte andere Dinge in den Kopf zu nehmen und an meine Zukunft zu denken. Ich war wohlbestallter Steuermann, aber wenn die nautischen Kenntnisse eines solchen auch völlig dazu ausreichten, ein Schiff über See zu führen, so mußte man sich doch noch allerlei Beiwerk aneignen, ehe man eines Kapitänspatentes für würdig befunden wurde.

Dieses notwendigen Beiwerks wegen begab ich mich von nun an dreimal in der Woche nach Bristol, um daselbst mit einem alten Schiffskapitän nautische Studien zu treiben, und zwei Monate nach meiner Rückkehr von der großen Seereise bestand ich vor der Schiffahrtsbehörde meine Kapitänsprüfung.

Das war nun soweit ganz gut, allein einen Kapitänsposten erhielt ich dadurch noch lange nicht, obgleich ich mich unermüdlich nach einem solchen umschaute, in Bristol sowohl, als auch in London.


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