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13. Kapitel.
Die Emigrantinnen.

Es wehte eine Bramsegel-Brise. Zerrissene, schattenhafte Wolken jagten unter dem Monde dahin und durch die Zwischenräume der dunklen, phantastischen Gebilde schossen die Sterne wie Meteore.

Von dem Geländer des Achterdecks aus schaute ich in Gedanken verloren über das Deck. Die schwarze Gestalt eines Seemannes stapfte in der Nähe der Kajütskappe hin und her, eine zweite Gestalt stand am Ruder.

Die Großluk war zur Hälfte offen. Während ich nach diesem dunklen Viereck blickte, festigte sich in mir langsam ein Entschluß. Oft schon waren die Schiffe, in denen ich gesegelt, mir wie lebende Wesen erschienen, niemals aber in dem Grade, wie dieses Schiff mit seiner Ladung von Menschenleben in jener Nacht.

Eine halbe Stunde später kam Brigstock herauf und teilte mir mit, daß er etwas Wein und Spirituosen nach der Pantry habe schaffen lassen, und zwar zu meinem persönlichen Gebrauch. Die Mannschaft, so fügte er hinzu, erhalte ihre regelmäßige Ration Rum einmal des Tages und dabei sollte es auch bleiben.

Ich war zu einer Unterhaltung nicht mehr aufgelegt, ich hatte bereits genug gehört und geredet. Nachdem ich noch die Bestätigung erhalten, daß mir die Kammer des Kapitäns für diese Nacht zur Verfügung stand, dankte ich und sagte ihm gute Nacht.

»Morgen früh haben wir Ihre Antwort, nicht wahr?« fragte er.

»Pünktlich um acht Uhr,« antwortete ich.

Damit ging ich hinunter in die Kammer. Hier schraubte ich die Lampe höher, schüttelte die Matratze auf und sah mich um. Schon vorher hatte ich im Wandschrank einige Kistchen mit Zigarren bemerkt; ich zündete mir eine an; die Zigarre war gut und ihr Duft wirkte wohlthuend auf meine Nerven.

Meine Lage war eine seltsame und außerordentliche. Ich wollte das Kommando übernehmen, das hatte in mir schon festgestanden, ehe ich das Deck verließ. Die Mannschaft sollte jedoch bis morgen früh darüber in Ungewißheit bleiben, weil meine Persönlichkeit den Leuten dadurch nur noch wünschenswerter und wichtiger werden mußte. Einen nicht geringen Einfluß auf meine Entschließung hatte selbstverständlich die Anwesenheit Kate Darnleys ausgeübt. Andernfalls aber wäre der Gedanke an die armen Emigrantinnen im Zwischendeck auch allein schon ausschlaggebend gewesen.

Mit der Mannschaft würde ich auskommen, daran zweifelte ich nicht. Die eigentümlichen Verhältnisse an Bord hatten sich ganz naturgemäß entwickelt, ohne Gewaltthat, ohne Meuterei. Unglücksfälle hatten die Mannschaft ihrer Führer beraubt. Die Leute hatten über ihre Lage nachgedacht und den Plan gefaßt, eine der unbewohnten Inseln zu bevölkern, deren es so viele in den Gewässern gab, wohin ich das Schiff führen sollte. Die Mädchen, die sich den Abenteurern anschließen wollten, wußten, was sie thaten. Welches Los harrte ihrer in Australien? Auf einer Südsee-Insel konnten sie, wenn das Glück gut war, ein freies, glückliches und gedeihliches Gemeinwesen ins Leben rufen. Und was die Eheschließungen anlangte, so war Brigstock durchaus im Recht, wenn er sich die patriarchalischen Regierungsverhältnisse auf Pitkairn und Tristan als Richtschnur nahm. Und außerdem: wie lange würden sie wohl zu warten haben, bis ihnen dieser oder jener heldenmütige Missionar die Segnungen der Legitimität brachte?

Auch an mich selber dachte ich. Sollte die verräterische Gefangennahme von heute vormittag schließlich doch noch zu meinem Glück ausschlagen? Erhielt ich doch urplötzlich ein Kommando, zu dem ich sonst, auf gewöhnlichem Wege, vielleicht erst nach langen Jahren gekommen wäre. Und wenn ich dieses schöne und wertvolle Schiff sicher in einen Hafen bringe, was wird, was muß dann meine Belohnung sein? Sicherlich doch nichts geringeres, als die Kapitänsbestallung auch für seine nächste Reise, ganz abgesehen von dem mir zustehenden Bergegeld. Und dann – dann ist da Kate Darnley ...

Ich gähnte und lachte und blies die Lampe aus, streifte die Schuhe ab und schwang mich in die Koje. Und dann träumte mir von Kate Darnley.

Es war heller Morgen, als ich erwachte. In der Kajüte war der Leichtmatrose, der sich Gouger nannte, mit Reinmachen beschäftigt. Ich ließ mir von ihm einen Eimer Seewasser bringen, wusch mich, zog mein Peajakett an, setzte den Filzhut auf und ging durch die vordere Kajütsthür hinaus auf das Hauptdeck.

Die Mannschaft war eifrig bei der Arbeit. Es war eine besondere Beruhigung und Genugthuung für mich, als ich gewahrte, wie treu und gewissenhaft der Schiffsdienst beobachtet und innegehalten wurde, obgleich die Leute eigentlich doch ihre eigenen Herren waren. Ich gewann eine hohe Meinung von Brigstocks Einfluß, Willenskraft und moralischem Uebergewicht.

Es befanden sich etwa vierzig bis fünfzig von den Emigrantinnen an Deck. Ich stand unmittelbar vor der Thür, unterhalb des Vorsprungs des Achterdecks; man bemerkte also mein Erscheinen nicht sogleich. Die Uhr oberhalb der Thür wies auf sieben – die genaue Zeit konnte das natürlich nicht sein, da seit elf Tagen keine Observation genommen worden war. Die Mädchen spazierten umher oder standen in Gruppen hier und da; etwa ein Dutzend von ihnen hatte vorn die Back erstiegen. Ich bemerkte, wie die Matrosen sie aus dem Wege gehen hießen, recht in der plumpen, formlosen Manier Janmaats auf See. Keine Spur von Vertraulichkeit, kein Scherz, kein Lachen. Sie thaten ihre Arbeit – man war beim Deckwaschen – als folge das wachsame Auge des Obersteuermanns jeder ihrer Bewegungen, und auch die Mädchen hielten sich gehorsam außerhalb des Bereichs des Wassers und der Besen und Schrubber, ohne jene Ziererei und Koketterie, deren man sich bei Frauenzimmern ihrer Klasse unter ähnlichen Verhältnissen wohl versehen konnte.

Die meisten von ihnen hatten sich so modern als möglich herausgeputzt, mit Federn und Bändern und allerlei billigen Schmuckgegenständen, und obgleich sie nun schon wochenlang in engster Gemeinschaft bei einander wohnten und jede sicherlich die Habseligkeiten und Garderobenstücke der andern längst genau kannte, so folgten sie dennoch den Vorübergehenden mit kritisch musternden Blicken, um dann sich selber prüfend zu betrachten, ganz als befänden sie sich auf der Promenade, vielleicht mit den Kindern der Herrschaft, und als wäre der stattliche Grenadier in nächster Nähe.

Ich mochte einige Minuten so gestanden haben, als Fräulein Cobbs, die Aufseherin, die Treppe der Großluk heraufkam und, nach dem Achterdeck blickend, freundlich nickte und lächelte und Kußfinger dort hinaufwarf. Ich glaubte, sie begrüße eine besonders gute Freundin, und weil ich neugierig war, that ich einige Schritte vorwärts und sah mich dann um. Da stand aber niemand anders als Brigstock oben am Geländer. Du meine Güte! dachte ich; also die hat er sich zur Partnerin erwählt?

Fräulein Cobbs war ungefähr vierzig Jahre alt. Ihr Gesicht war hager, gelb und besonders bemerkenswert wegen der langen, stark gebogenen römischen Nase; sie hatte helle, grünblaue Augen, ganz dünne Lippen und eine hohe, an Kahlköpfigkeit gemahnende Stirn; vor den Ohren aber, an jeder Wange, hing eine schwarze, glänzende, feste Locke. Ihre Gestalt war flach wie eine Wand; sie trug einen großen Hut und ein graues Kleid, dessen Rock die Form eines engen Trichters hatte.

Sie stieg aus der Luke und ging der Kombüse zu.

Jetzt sah mich Brigstock und rief mir einen guten Morgen zu.

Ich antwortete durch eine Schwenkung der Hand und schlenderte nach vorn, um mir noch einmal das Schiff zu betrachten. Nun aber wurden die Mädchen auf mich aufmerksam, und eine von ihnen, ein kleines, verwachsenes Ding mit schielendem Blick und stramm nach hinten in einen Knoten gewundenem, fuchsrotem Haar, lief herzu und stellte sich mir in den Weg.

»Sind Sie der Kapitän?« rief sie mich mit einer Stimme an, die einen starken Schnupfen verriet.

»Noch nicht,« antwortete ich. Im Nu hatte sich eine ganze Schar um uns versammelt.

»Wir sind nach Orstralien eingeschrieben geworden,« krähte sie, »aber das is ja eine Schande, is ja das, daß uns keiner da nich hin bringt, weil hier keine Offiziere nich an Bord sind, und weil die Mattarosen Geschöpfe gefunden haben – ja, Geschöpfe, denn Mädchens kann ich die nich nennen – die mitgehen wollen nach die Inseln, wo wir gar nichts nich zu suchen haben! Ich aber sage, wenn wir nich nach Orstralien gebracht werden sollen, denn wollen wir man ruhig wieder nach Hause segeln!«

»Fräulein Cobbs!« gröhlte Brigstock vom Achterdeck her, »die Mamsell Harvey singt schon wieder die alte Leier! Machen Sie den Weg für den Kapitän frei, wollen Sie so gut sein, Fräulein Cobbs? Er hat jetzt keine Zeit, lange Fragen zu beantworten. Ich muß die Damens doch wirklich sehr bitten, einige Rücksicht auf dem Herrn zu nehmen!«

»Ich sage, wir wollen man ruhig wieder nach Hause segeln!« kreischte Mamsell Harvey, zu Brigstock gewendet. »Wenn uns keiner nich nach Orstralien bringt, dann wollen wir nach Hause. Das sag' ich man, nu ich weiß, was wir zu verlangen haben! Un jetzt verlange ich von dem neuen Kaptän, der hier steht, daß er mit uns entweder nach Orstralien segelt, oder aber nach England!«

»Was Fräulein Harvey sagt, das sage ich auch,« rief ein großes Frauenzimmer, deren Gesichtszüge, dicke schwarze Augenbrauen und Rabenhaar, die Jüdin verrieten. »Der da will ein Mann sein!« Damit wies sie auf Brigstock und brach in ein gellendes, hysterisches Gelächter aus. »Wir wollen nach Australien, oder wieder nach Hause, eins von beiden! Ist das vielleicht von ihm oder seinen schmierigen Matrosen zu viel verlangt?«

»Fräulein Harvey, und Sie, Fräulein Marks, wir wünschen hier keinen Skandal, verstehen Sie mich wohl?« warf hier Fräulein Cobbs sich ins Mittel, mit jener kurzen Entschlossenheit, wie sie Gefängniswärterinnen eigen zu sein pflegt; ihre Stimme war schrill und durchdringend. »Die Damen haben gar keine Veranlassung, sich zu beklagen oder unzufrieden zu sein, denn Herr Brigstock und die Matrosen sind unschuldig an dem Malheur, das uns betroffen hat. Sie sollten sich lieber freuen, daß wir endlich einen Gentleman gefunden haben, der uns helfen will.« Hier begrüßte sie mich mit einem altmodischen, koketten Knix. »Und wenn einige der Emigrantinnen vorziehen, auf einer Insel und nicht in Australien an Land zu gehen, so geht das die andern gar nichts an. Mein Herr,« hier wendete sie sich an mich, »vielleicht haben Sie die Güte, diesen jungen Damen zu bestätigen, daß man um das Kap Horn und durch die Südsee ebenso gut nach Australien segeln kann, wie um das Kap der Guten Hoffnung.«

»Gewiß,« sagte ich. »Es giebt mehr als einen Weg nach Neusüdwales.«

Die Mädchen bildeten jetzt einen dichten Kreis um uns. Wohin ich schaute, begegnete ich den Blicken dunkler, blauer oder brauner Augen; einige von sanftem, bittendem, furchtsamem Ausdruck; andere brennend vor Neugier, Verwunderung und Staunen; noch andere mißtrauisch und übellaunig.

»Ich sage man,« fing Mamsell Harvey wieder an zu krähen, »erst sollen sie uns nach Orstralien bringen, hernach können sie ja machen un thun, was sie wollen!«

»Jetzt aber Platz für den Herrn!« befahl Fräulein Cobbs höchst energisch.

Ich setzte mich in Bewegung, und die Mädchen traten zur Seite, schwatzend und plaudernd, wie eine Schar Gänse. Brigstock, der den Vorgang vom Achterdeck aus beobachtet hatte, rief die Aufseherin, die sich auch sofort zu ihm begab.

Die arbeitenden Matrosen lugten hie und da von ihrer Beschäftigung auf, als ich vorbeiging; in der Thür der Kombüse stand der Koch, im Gespräch mit einer Frauensperson. Sie lauschte ihm mit gekreuzten Armen und zärtlichen Blicken. Als ich mich nahte, tippte sie ihm auf den nackten Arm und wies mit ihren schwarzen Augen auf mich.

Wieder achteraus schreitend, sah ich Kate Darnley. Sie stand am Fuße der Achterdeckstreppe, in Gesellschaft einiger der feiner aussehenden Emigrantinnen. Die letzteren zogen sich diskret zurück, als ich, den Hut höflich lüftend, herzutrat.

Ueber Kates Wangen ergoß sich eine glühende Röte.

»Ich habe mich bisher vergebens nach Ihnen umgeschaut,« sagte ich, ihre Hand demonstrativ festhaltend, damit alle, die uns beobachteten, meine Freundschaft für sie erkennen sollten. »Kommen Sie mit mir die Treppe hinauf. Es kränkt mich, Sie fortwährend unter diesen Dienstboten und Kellnerinnen und Ladenmamsells zu sehen. Sie müssen eine Kammer in der Kajüte beziehen.«

»Das geht nicht,« antwortete sie schnell. »Solche Begünstigung würde böses Blut machen. Doch davon später. Haben Sie das Kommando?«

»Noch nicht.«

»Warum nicht? Was sollen wir ohne Sie beginnen?«

Ich blickte auf die Uhr über der Kajütsthür.

»In zehn Minuten habe ich mich zu entscheiden,« antwortete ich. »Ich versprach Brigstock, ihm um acht Uhr meinen Entschluß zu eröffnen. Was soll ich ihm sagen?«

»Das fragen Sie noch? Denken Sie doch an die Menschenmenge in diesem Schiff!«

»Beruhigen Sie sich,« sagte ich lächelnd. »Ich werde das Kommando übernehmen, und wär's auch nur, weil Sie an Bord sind.«

In diesem Augenblick lehnte sich Brigstock oben über das Geländer.

»Herr Morgan,« rief er mir zu. »Ist's noch nicht acht Uhr?«

»Auf den Punkt,« erwiderte ich. »Ich stehe zu Ihrer Verfügung.«

Dann drückte ich Kates Hand.

»Auf baldiges Wiedersehen!«

Sie ging zur Großluk, um im Zwischendeck das Frühstück einzunehmen, und ich trat in die Kajüte.


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