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22. Kapitel.
Der Eid.

Dem Stande der Sonne nach zu urteilen, mochte es jetzt elf Uhr sein. Brigstock und Harding waren gegangen. Ich setzte mich an den Schreibtisch und verfaßte den Text des Eides. Ich bildete mir nicht ein, daß die Kerle solch einen Schwur auf die Bibel unter allen Umständen als bindend erachten würden, aber es lag mir daran, sie vor einer möglichst großen Zuhörerschar recht gründlich zu demütigen.

Um halb zwölf Uhr knöpfte ich mir den Rock zu, setzte die Mütze auf und nahm den Sextanten aus dem Kasten. Als ich die Kampanjetreppe hinaufstieg, merkte ich, daß ich noch immer recht schwach in den Knieen war.

Langsam schritt ich nach vorn, bis an das Geländer des Achterdecks.

Auf dem Hauptdeck, besonders in der Gegend des Großmastes, gewahrte ich eine zahlreiche Versammlung der Emigrantinnen. Eben hatte ich mich an das Geländer gelehnt, da rief auch schon eine helle Stimme:

»Da ist der Kapitän!«

Kaum war dieser Ruf verklungen, da erhob sich ein allgemeines Begrüßungsgeschrei, vermischt mit Händeklatschen, so laut und anhaltend, daß es mich fast betäubte. Ich nahm die Mütze ab und winkte dankend und beschwichtigend, aber es währte lange, ehe die Mädchen ihr jubelndes Rufen und das Tücherschwenken einstellten.

Dann nahm ich die Sonne und ließ acht Glasen schlagen.

Während ich nach der Kampanjeluk zurückging, trat Brigstock an mich heran.

»Keppen Morgan,« sagte er, respektvoll an seine Mütze greifend, »wir thun diese Observation als ein Zeichen nehmen dafür, daß alles, was hinter uns liegt, vergeben und vergessen sein soll, wie uns das ja auch als Christenmenschen zukommen thut.«

»Nehmen Sie's, wie Sie wollen,« entgegnete ich kurz und ging unter Deck.

Mit einiger Neugierde machte ich mich an die Berechnung. Es stellte sich heraus, daß das Schiff siebzig Meilen mehr gemacht hatte, als meine Schätzung gewesen war. Der ›Earl of Leicester‹ war ein trefflicher Segler.

Noch saß ich bei meinen Zahlen, als ich von der Kajütsthür aus meinen Namen rufen hörte. Ich verließ die Kammer. In der nach dem Hauptdeck führenden Thür stand Alice Perry.

Kapitän Morgan,« rief sie mir entgegen, »ich muß ein Wort mit Ihnen reden!«

Ich ging auf sie zu, nahm sie bei der Hand und führte sie einige Schritte in die Kajüte herein.

»Kapitän,« fuhr sie in lebhaftester Erregung fort, »ich bin die Ihre, vom Kopf bis zu den Füßen, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, wenn Sie mich wieder in Ihre Matrosenkompagnie aufnehmen, dann sollen Sie mit mir zufrieden sein. Bleibt draußen, ihr da!« rief sie einigen neugierigen Mädchen zu, die die Thür umdrängten. »Da ist gesagt worden, Kapitän – die Cobbs und ihr Thomas haben's gesagt – ich wäre schuld daran, daß Sie in dem Boot ausgesetzt wurden. Das ist eine Lüge, Kapitän, eine Lüge ist das! – Aber so bleibt doch draußen«, wendete sie sich wieder gegen die Mädchen an der Thür, »laßt mich doch mit ihm reden.«

Ich führte sie noch einige Schritte weiter in die Kajüte, blieb dann jedoch so stehen, daß man uns von draußen bequem beobachten konnte.

Ich hatte eine Vorliebe für dieses Mädchen gefaßt, weil sie so fix, so tüchtig und brauchbar und vielleicht auch, weil sie so hübsch war.

»Was haben Sie also noch auf dem Herzen?« fragte ich sie.

»Lassen Sie sich nicht von Brigstock einreden, ich sei es gewesen, die ihn zu seiner Schandthat gegen Sie bewogen,« rief sie mit erhobenen Händen.

»Das ist vorbei, ich mag davon nichts mehr hören. Fräulein Darnley hat mir über alles berichtet, das genügt mir. Sie wollen also wieder eine von der Kompagnie sein?«

»Alles, alles will ich thun, was Sie verlangen; nur halten Sie mich nicht für eine schlechte Person!«

»Das liegt mir fern. Wenn ich mit der Mannschaft im reinen bin, dann sollen die Lektionen wieder beginnen. Noch ehe wir Kap Horn erreichen, muß ich mich auf meine Kompagnie völlig verlassen können.«

»Geben Sie mir Männerkleider, Kapitän. Ich kann klettern. Ich sage Ihnen, ich renne den dicken Jupe um und um, wenn es heißt, nach oben gehen. Den und auch noch andere!«

Als ich ihr belustigt in die prächtigen Augen schaute, lachte sie laut und hell auf.

Brigstock lugte durch das Oberlichtfenster herab, zu sehen, was es gäbe; als er aber meiner ansichtig wurde, zog er sich eiligst wieder zurück.

»Ihr Mittagessen wartet,« sagte ich. »Wir werden noch oft genug Gelegenheit zum Plaudern finden, vorausgesetzt, daß die Leute mich nicht wieder über Bord schicken.«

»Die sollen es wagen, Sie anzurühren!« rief sie, ihre weißen Zähne zusammenbeißend; in diesem Augenblick sah sie aus, wie eine Furie; es fehlte ihr nur noch der Dolch in der erhobenen Faust.

Gouger kam, den Tisch zu decken, und Alice entfernte sich.

Diesmal saß ich allein beim Mittagsmahl.

Gegen ein Uhr stand ich an der Thür. Brigstock gewahrte mich und kam herzu.

»Würden Sie die Güte haben, Keppen,« sagte er, »uns den Ort des Schiffes wissen zu lassen?«

»Wenn die Leute den Eid geleistet haben, nicht eher.«

»Sie sind bereit und warten.«

»So sollen sie achteraus kommen. Rufen Sie mir auch Fräulein Cobbs.«

Ich trat in die Kajüte zurück, um den Anreden der Mädchen aus dem Wege zu gehen.

Fräulein Cobbs tauchte aus der Großluk auf. Sie machte in ihrem großen Hut und mit dem engen, dunkelgrünen Kleide, in das selbst die frische Brise keine Falte zu schlagen vermochte, einen ungemein respektablen Eindruck.

Sie kam mit ihrem gewöhnlichen süßlichen, altjüngferlichen Lächeln auf mich zu und begrüßte mich mit einem tiefen Knix.

»Ich freue mich wirklich recht von Herzen, Sie wieder wohl und munter hier an Bord zu sehen,« sagte sie, kokett die Augen niederschlagend. »Es ist doch zu schrecklich, was gewisse lügenhafte Personen mit ihren Reden für Unheil anstiften können.«

»Wollen Sie so gut sein,« versetzte ich kalt, »Ihre Damen an Deck antreten zu lassen, die eine Hälfte an Backbord, die andere auf Steuerbord, in zwei langen Reihen; ich wünsche, daß dieselben einer Zeremonie beiwohnen, die hier veranstaltet werden soll.«

»Wann wünschen Sie, daß die Damen erscheinen?«

»Sogleich.«

Sie knixte und ging.

Brigstock hatte inzwischen die Mannschaft gerufen, die nun achteraus getrampelt kam; auch Thomas Bull war dabei. Der Matrose Luddy stand am Ruder.

Bull war ein mächtiger Kerl, so groß und stark und dick, daß sein Name durchaus für ihn paßte. Sein Gesicht war bartlos, dafür aber hing ihm das Haar in langen Locken unter der schottischen Mütze hervor. Er trug eine Aermelweste, dazu Hosen aus schwerem Düffelstoff, lang und weit, und in jenem Teil, den Kapitän Marryat das ›Westend‹ nennt, außerordentlich geräumig. Eine grüne Krawatte und eine silberne Uhrkette verliehen ihm einen geckenhaften Anstrich. Es war dies jedenfalls noch die Kleidung, in der man ihn gestohlen hatte. Ich wunderte mich nicht, daß dieser Riese seinen Angreifern tüchtig zu schaffen gemacht hatte. Jetzt kam er mit einem vergnügten Schmunzeln daher und warf den Mädchen, die in zwei Reihen längs der Reeling aufmarschiert waren, aus seinen kleinen Aeuglein schmachtende Blicke zu.

Brigstock trug eine große Bibel unter dem Arm.

Ich stieg die Treppe hinab, ging zu dem achter dem Großmast befindlichen Gangspill und ließ mir die Bibel reichen. Das Buch war ein alter Lederband und trug die Spuren langen und fleißigen Gebrauches.

Darauf zog ich die Niederschrift des Eides aus der Tasche.

Die Leute standen auf der Steuerbordseite, zu Luward von dem Gangspill, unmittelbar vor der Reihe der Mädchen, die so neugierig und erwartungsvoll dreinschauten, als sollte hier jemand gehängt werden.

Ich musterte die Matrosen Mann für Mann mit strengen und möglichst durchbohrenden Blicken, dann räusperte ich mich energisch und begann inmitten lautlosesten Schweigens:

»Wie ich höre, hegt ihr den Wunsch, daß ich das Kommando wieder übernehmen soll. Ist das so?«

Die Matrosen murmelten alle durcheinander, was als Bejahung gelten sollte.

»Seid ihr überzeugt, daß ihr mir vertrauen könnt?«

»Darüber sind wir alle einverstanden,« antwortete Brigstock. »Was ich Ihnen in Ihrer Kammer gesagt habe, Keppen Morgan, das thue ich hier öffentlich wiederholen – es thut uns leid, daß das Mißverständnis vorgekommen ist, und wir bitten Ihnen aufrichtig um Verzeihung.«

Dabei machte er eine Bewegung mit den Händen, als wolle er die Aufmerksamkeit aller an Deck Anwesenden auf diese Worte lenken.

»So gehört sich das auch!« rief eine schrille Mädchenstimme.

»Ruhe da, meine Damen, wenn ich bitten darf!« rief Fräulein Cobbs.

»Ganz schön und gut,« wendete ich mich an Brigstock. »Sie wollen mir vertrauen, ich aber traue Ihnen und Ihren Leuten nicht.«

»So war's recht. Geben Sie's ihnen ordentlich!« rief wieder eins der Mädchen, andere klatschten in die Hände.

Nun begann ich auf die Matrosen loszuwettern, wie ich vorhin in der Kammer auf Brigstock und Harding losgewettert hatte. Ich entsinne mich nicht mehr der Reden, die ich in meinem Zorn den Leuten ins Gesicht schleuderte. Ich weiß nur, daß die Leute schließlich nicht mehr wußten, wohin sie mit den Augen sollten, und daß aus den Reihen der Mädchen wiederholt lauter Beifall ertönte.

Als ich geendet hatte, stand die Schar vor mir, wie eine Rotte Verurteilter, nur Thomas Bull blickte mich unverwandt und mit einem Ausdruck vergnügter Bewunderung an.

Mein Zorn war verraucht.

»Wenn ihr also wollt, daß ich euch vertrauen soll,« rief ich, »dann habt ihr mir zuvörderst diesen Eid zu leisten!«

Damit hob ich das Papier empor.

»Wat sollen wir denn da noch lange beeidigen?« rief der Matrose Prentice.

»Du – ja, du, Kerl – du vor allen andern sollst mir hier schwören!« schrie ich ihn an. »Denn du bist der Schlechteste der ganzen Bande!«

»Bravo! Bravo!« kam es aus den Reihen der Mädchen. »Geben Sie's ihnen tüchtig.«

»Lesen Sie uns vor, was wir schwören sollen,« sagte Isaak Coffin finster.

»Hört zu!« rief ich und dann las ich laut und langsam:

»Ich – hier folgt der Name jedes der Schwörenden – schwöre bei Gott dem Allmächtigen, daß ich Kapitän Morgans Befehlen unweigerlich Gehorsam leisten, niemals sein Thun und Lassen nach Einflüsterungen anderer beurteilen, niemals ihn bei der Ausbildung seiner Mädchenkompagnie hindern, sondern alles getreulich thun werde, was er zur Förderung des allgemeinen Wohls von mir verlangen wird. Ich schwöre ferner, dieses Schiff und alle Emigrantinnen, die an Bord zu bleiben wünschen, nach unserer Ankunft auf der Insel, die wir zu kolonisieren gedenken, willig und ohne jede Einwendung an Kapitän Morgan auszuliefern. So wahr mir Gott helfe!«

Im tiefsten Schweigen hatte man diesen Worten gelauscht.

Jetzt sah ich Brigstock an. Die Augen sämtlicher Matrosen hingen an ihm, die aller Emigrantinnen an mir. Er bewegte wie kauend den Unterkiefer und befühlte langsam sein Kinn. Dann sagte er:

»Ein sehr verständiger Eid, ja, und auch sehr verständig aufgeschrieben.«

Darauf fragte er die Leute, einen nach dem andern, ob sie den Schwur leisten wollten, und alle erklärten sich dazu bereit.

Nun trat er zuerst selber an das Gangspill, entblößte den Kopf, und nahm die Bibel in die Hände. Sein Benehmen war äußerst feierlich, ganz geeignet, den Matrosen die Wichtigkeit der Handlung zum Bewußtsein zu bringen.

Ich las ihm die Eidesformel Wort für Wort vor und er sprach mir Wort für Wort nach, langsam, mit lauter, tiefer Stimme und starker Betonung, und bei dem Schlußsatz ›So wahr mir Gott helfe!‹ neigte er sich und küßte das heilige Buch andächtig und inbrünstig.

Ihm folgten die Matrosen Mann für Mann. Brigstocks Beispiel hatte gewirkt. Alle benahmen sich ernst und angemessen. Es war eine lange Prozedur; endlich hatten elf Mann den Eid geleistet.

»Gehört Herr Bull auch zu Ihnen?« fragte ich Brigstock.

»Jawohl,« antwortete dieser.

Einige der Mädchen kicherten.

»Sie haben also sozusagen hier angemustert?« wendete ich mich an Bull.

»So ist es,« antwortete er mit starker, herzhafter Stimme und vergnügtem Lächeln.

»Irre ich mich, oder gehören Sie auch zu den künftigen Kolonisten?«

»Ja, sicher,« antwortete er.

»Er hat auch schon eine Partnerin,« bemerkte Brigstock.

»Susie Murch,« sagte Bull, zu den Mädchen auf der Backbordseite hinüberblickend.

Dort entstand eine Bewegung.

»Hier ist sie!« rief eine Stimme und drei oder vier der Weibsleute drängten eine große, stämmige, rothaarige Person vor die Front. Susie, glutübergossen vor Unwillen und Verlegenheit, warf sich jedoch mit aller Macht wieder zurück und verbarg sich im Hintergrunde.

Bull leistete den Eid unter fortwährendem Lächeln; ich glaube aber, daß dieses Grinsen ihm angeboren war. Darauf ließ ich Luddy vom Ruder ablösen und auch er leistete den Eid, wenn auch mürrisch und verdrossen.

Nunmehr gab ich Brigstock die Bibel zurück und hielt noch eine kurze Ansprache an die Mannschaft.

»Einmal schon habt ihr treulos an mir gehandelt,« so schloß ich dieselbe, »aber ich will's trotzdem aufs neue mit euch versuchen. So lange ich euch vertrauen kann, sollt ihr auch mir vertrauen dürfen. Und nun geht, gedenkt eures Eides und thut eure Schuldigkeit.«

Dann dankte ich den Mädchen für ihr Erscheinen, nahm die Mütze ab, verbeugte mich nach steuerbord und nach backbord und ging schnell in die Kajüte.

Ich fühlte mich erschöpft und hätte gern ein wenig geruht, allein schon nach Verlauf von zehn Minuten erschienen Brigstock und Hardy, um mich zu fragen, wo sich das Schiff zur Mittagszeit befunden habe. Ein Wort gab das andere und so kam das Gespräch auch auf Bull.

»Der Mann wird uns von Nutzen sein,« meinte Brigstock. »Denn sehen Sie, was wir auf dem Eiland brauchen thun, das sind Handwerker. Bull kann mit der Nadel umgehen und er kann auch ein Haus bauen. Sein Vater war Maurer. Viel Bildung hat er ja nicht, aber er kann lesen und weiß auch sonst allerlei nützlichen Kram. Was aber die Hauptsache ist, Keppen, er kennt die Südsee wie seine Tasche und hat uns von einer Insel erzählt, die wie für uns geschaffen sein muß.«

»Das wäre ja prächtig,« sagte ich.

»Nicht wahr? Es muß da auch wirklich zu schön sein! Er ist an Land gewesen, und wie er das alles so beschreibt, so denke ich mich das Eiland wie den Garten Eden, wo man sich unwillkürlich umsehen thut, ob Eva nicht da ist und Aepfel pflückt, und ob Adam nicht irgendwo im Schatten liegt und seine Pfeife raucht, und von Schlangen keine Spur, höchstens vielleicht die Seeschlange.«

»Weiß er das Eiland zu finden?«

»Er kennt wenigstens die Namen von die Inseln, die dicht dabei liegen.«

»Nun,« lachte ich, »dann haben Sie den Mann wenigstens nicht ganz vergebens gestohlen, und auch er dankt Ihnen vielleicht noch mal für seine Entführung.«

»Ich glaube, er ist ein guter Mann,« antwortete Brigstock, »und ich denke, daß er sich auch als einer von die Väter der neuen Konstitution recht gut machen wird. Mit die Partnerin, die er sich auserwählt hat, bin ich freilich nicht recht zufrieden, aber er besinnt sich wohl noch und nimmt sich eine andere, ehe es zu spät ist. Susie Murch ist nicht die Mutter, wie ich sie für meine Kolonie brauche.«

Die beiden gingen und ich überließ mich dem Schlafe. Ich schlief den ganzen Nachmittag hindurch. Als ich erwachte, war die Sonne dem Untergange nahe und Kate saß bei mir.

»Bin ich denn krank gewesen?« fragte ich, erstaunt über ihre Anwesenheit.

»Brigstock sah Sie hier liegen, er fürchtete, daß Sie unwohl sein könnten und forderte mich auf, mich zu Ihnen zu setzen.«

»Mir ist ganz wohl,« versetzte ich, aufspringend. »Warum muß ich aber immer erst krank sein, um Sie hier in der Kajüte zu sehen? Können Sie nicht hier wohnen?«

»Nein,« antwortete sie errötend und mit Entschiedenheit.

»Sie wollten mich Charlie nennen.«

»Vielleicht lerne ich das noch, ehe wir uns trennen.«

»Und wo wird das sein, Kate?«

»In Sydney.«

»Was würden Sie dazu sagen, wenn ich mich als Bedienter bei der Herrschaft verdingen würde, die Sie als Erzieherin engagiert?«

»Dazu ist Ihr Gang, zu seemäßig schlengernd. Sie würden die Suppe verschütten und alles Geschirr zerbrechen,« lachte sie, mir die Haarbürste reichend.

Ich verstand den Wink, trat zum Spiegel und ordnete mein Haar.

»Glauben Sie, Kate, daß wir jemals Sydney erreichen werden?«

»Warum nicht, Charlie?«

Dabei nickte sie lächelnd meinem Spiegelbild zu.

»Nun, ich glaub's auch. Dies Schiff ist für mich gebaut. Das wußte Brigstock, als er mich stahl; das wußte auch Fletcher, als er mich zu ermorden versuchte. Auch die Gig wußte es, als sie dem Schiff wie ein Küchlein ihrer Henne wieder zulief und mich hierher zurückbrachte, damit Sie mich pflegten. Ob sie in Blathford wohl eine Ahnung von unserm Beisammensein haben?«

»Kaum. Die wissen nicht einmal, daß ich England verlassen habe.«

Sie setzte ihren Hut auf und ich geleitete sie bis an die vordere Thür, dann stieg ich die Kampanjetreppe hinauf.

Am Ruder stand eine Hünengestalt. Es war Bull. Ich trat an ihn heran.

»Gefällt's Ihnen hier an Bord?« fragte ich ihn.

»Unsereinem ist's gleich, wo er ist,« antwortete er, das Rad mit jener graziösen Ruhe, Sicherheit und Präzision spielen lassend, die das Auge jedes Schiffers erfreut, die aber unter hundert Matrosen kaum einem eigen ist. »Ich wollte nur, daß Herr Brigstock auch meine Kleider und Kramstücken gestohlen hätte, als er mich stahl.«

»Da ist Zeug genug an Bord,« versetzte ich. »Uebrigens wo liegt das Eiland, von dem Sie Brigstock erzählten?«

»Kennen Sie die Herkules-Insel?«

»Nein; wenn sie aber auf der Karte ist, dann finde ich sie wohl.«

»Das sollt' ich meinen. Nun, jenes Eiland liegt achtzig Seemeilen östlich von der Herkules-Insel.«

»Nördlich oder südlich von der Linie?«

»Südlich.«

»Schönes Eiland?«

»Fein! Hoher Berg in der Mitte, schattige Wälder, eine Masse Fruchtbäume, und Fische so groß wie Lachse und so wohlschmeckend wie Forellen.«

Er schmatzte mit den dicken Lippen.

»Und den Berg herunter sprudelt ein Fluß, der einen See bildet, und zwischen Riff und Insel liegt eine Lagune, so groß, wie alle Themse-Docks zusammen.«

»Da könnte es einem schon gefallen.«

»Gewiß Herr. An solchem Ort erfährt man erst, was das Leben eigentlich ist. Da giebt's kein Menschenschinden, da braucht man keine Kleider und auch kein anderes Dach, als den Himmel. Da giebt's nichts zu thun, als Cava zu trinken und gelben Poe und Kakao zu essen; und will man anständig sein, dann wickelt man sich Tapa um den Leib und die Kinder springen in einem Kittel von Ti-Blättern umher.«

»Sie scheinen das Ding ja genau zu kennen,« lachte ich. »Wie lange ist's her, seit Sie dort waren?«

»Fünf Jahre.«

»Dann ist das Eiland heute vielleicht schon von jemand in Besitz genommen.«

»Möglich, aber ich glaub's nicht. Es giebt da zuviel von derselben Sorte.«

Ich ging wieder hinunter und nahm mir eine Karte der Südsee vor. Die Herkules-Insel war bald gefunden, östlich davon aber sah ich kein Land verzeichnet. Das wunderte mich nicht. Inseln, die keinen Namen tragen, sind in solche Karten nicht eingetragen. Immerhin war mir die Aussicht sehr willkommen, ein Eiland, das Bulls Beschreibung entsprach, unter 125 Grad westlicher Länge und 23 Grad südlicher Breite zu entdecken. Nun hatte ich wenigstens ein Ziel, auf das ich lossteuern konnte und die Fahrt war nicht länger eine Reise ins Blaue hinein. – – –


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