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14. Kapitel.
Im Zwischendeck.

Auf dem Tisch, von Gougers, des Leichtmatrosen, Hand gedeckt, standen Salzfleisch, konserviertes Hammelfleisch, Hartbrot, Käse und Schinken – ein erhebender Anblick für einen hungrigen Mann.

Oben rief Brigstock nach Joe Harding, und fügte dann hinzu:

»Bill! Paß acht auf das Schiff, Maat, derweil wir frühstücken thun!«

Eine Minute später stampfte er mit Joe Harding die Kampanjetreppe herab, während zugleich Gouger Kaffee und Kakao zur vorderen Thür hereinbrachte.

Brigstock kam auf mich zu, ernst, feierlich und erwartungsvoll.

»Nun?« sagte er langsam. »Was soll es sein?«

»Ich acceptiere das mir angetragene Kommando,« versetzte ich.

Die Männer sahen einander an, erfreut, als trauten sie ihren Ohren nicht. Beide lächelten glückselig und Brigstock sagte:

»Herr Morgan, Ihre Hand!«

Ich schlug ein; darauf streckte mir Joe Harding seine große, kalte Faust entgegen, die ich gleichfalls schüttelte. Dabei bemerkte ich, wie Gouger, der in der vorderen Thür stand, mit erhobenem Arm nach außen ein Signal gab, worauf aus der Gegend der Kombüse ein Hurrarufen und fröhliches Lachen ertönte.

»Ich freue mir, wahrhaftig, ich freue mir von Herzen!« rief Brigstock. »Was Joe? Du lieber Himmel, was für eine Masse von Unruhe und Angst und Not das kleine Wort ›Ja‹ doch oft abwenden thut! Keppen Morgan, heute frühstücken wir noch mit Sie hier achtern, weil noch manches zu besprechen ist; hernach haben Sie zu befehlen, wie Sie alles gehandhabt wissen wollen.«

Wir nahmen Platz; ich an der Stelle, wo Kapitän Halcrow vom Blitz getroffen worden, Brigstock dort, wo Doktor Rolt den Tod gefunden, und Harding an seiner Seite. Sodann langten wir tapfer zu.

»Also ich soll das Schiff zunächst nach einem der Eilande in der Südsee führen?« begann ich den Diskurs.

»So ist es,« rief Brigstock vergnügt.

»Haben Sie ein bestimmtes Eiland im Sinne?«

»Nein; wir müssen eben so lange suchen, bis wir was Passendes finden thun.«

Harding grunzte zustimmend.

»Haben Sie sich schon einmal eine Karte des nördlichen und südlichen Großen Ozeans betrachtet, etwa zwischen dem hundertsten Grad Westlänge bis zum hundertdreißigsten Grad Ostlänge? Da wimmelt's von Eilanden, Herr Brigstock, vom dreißigsten Grad Südbreite bis zum dreißigsten Grad Nordbreite, und das Aussuchen wird ein Stück Arbeit sein.«

»Das ist schon richtig,« antwortete er, den Mund voll Hammelfleisch. »Jetzt aber, wo wir Ihnen als Skipper haben, und wo Sie doch die Gegenden so gut kennen thun« – ich schüttelte den Kopf, er aber achtete nicht darauf – »und mit alle die schönen Seekarten an Bord, da kann es nicht schwer werden, die rechte Insel zu finden. Soviel zu suchen brauchen wir gar nicht. Ich sage: Klima! Klima ist die Hauptsache; da giebt's auch guten Boden, und all das andere, was uns nötig ist.«

»Von den Frauen, die Sie mitzunehmen gedenken, hat vielleicht noch keine jemals eine Nacht im Freien zugebracht,« redete ich weiter. »Wie wollen Sie die unterbringen, bis sie ein Obdach errichtet haben?«

»Darum sagen wir ja: Klima!« nahm Harding das Wort, nachdem er sich mit der theerbefleckten Hand verkehrt über den Mund gefahren war. »Klima ist Obdach genug, bis die Kolonie aufgebaut ist. Wat? Schlafen doch die Wilden splitternackigt unter freiem Himmel und bleiben dabei gesund und munter, und da sollen nicht mal solche Frauenzimmer, stark und gesund wie die Kühe, und über und über warm angezogen, ein paar Nächte im Freien aushalten können?«

»Deswegen keine Sorge,« bemerkte Brigstock ruhig. »Zelte aus alten Marssegeln sind auch nicht zu verachten.«

»Nun zu meinem Kommando,« sagte ich. »Mannschaft und Passagiere sind in guter Disziplin, wie ich gesehen habe, und so soll es bleiben. Wenn Sie an Land gegangen sein werden, dann bleibt mir das alleinige Verfügungsrecht über das Schiff – war's nicht so?«

»Genau so,« versetzte Brigstock mit großem Nachdruck.

»Gut. Ich segle sodann nach Sydney. Dazu aber brauche ich eine Mannschaft an Bord.«

»Wir sammeln unterwegs Kanaken auf,« sagte Harding.

»Das ließe sich machen. Wie sind Sie eigentlich auf diesen Niederlassungsplan verfallen, Herr Brigstock?« fragte ich nach einer kleinen Pause.

»Das will ich Ihnen sagen,« entgegnete er bedächtig. »Seit Jahren schon habe ich mich immer ausgemalt, wie herrlich das doch wäre, wenn ich so ein neues Gemeinwesen, so eine neue Konstitution begründen könnte. Aber direkt so was zu unternehmen, daran dachte ich ja nicht, konnte auch gar nicht dran denken. Und nun will es plötzlich der liebe Gott, daß diese Dinge hier an Bord passieren thun; das war doch ein Fingerzeig für mir, nicht wahr? Na, ich ergreife ja nu auch die Gelegenheit, und rede mit meine Schiffsmaaten. Der Augenblick wäre gekommen, so sagte ich, uns von die schnöden Fesseln der Zivilisation zu befreien, sagte ich, von dem Sklavenleben der Seefahrt, das uns zwingt, täglich vierundzwanzig Stunden in Kälte und Nässe und Unreinigkeit zu arbeiten, für zwei Pfund zehn Schilling monatlich als Matrose, und für drei Pfund zehn Schilling monatlich als Zimmermann, sagte ich. Und sie thaten mir recht geben, einstimmig. Dann wurde alles verabredet. Vor allen Dingen keine Gewaltthat, kein Unrecht. Wir sprachen auch mit einige von die Frauensleute. Na, die Freude hätten Sie sehen sollen! So hoch sind sie gesprungen! Was, Joe? Hat deine Nelly Wilde nicht einen richtigen Luftsprung gemacht, als du ihr mit dem Heiratsantrag überraschen thatest? Na, die armen Dinger können auch wirklich froh sein, denn sie kriegen auf einmal einen Mann, eine Heimat, so und soviel Morgen Land, und dafür brauchen sie nichts zu thun, als die Kolonie entwickeln zu helfen. Und was hätte ihnen sonst bevorgestanden in Australien? Neue Sklaverei, neues Elend, schuften und quälen von früh bis spät, waschen, scheuern, fegen, Stiefel putzen, Kamin reinigen, keine Ruh bei Tag und Nacht, kaum satt zu essen und dabei schlechte Behandlung von einer Madam, die vielleicht als Deportierte ins Land gekommen ist.«

Er sprach so salbungsvoll, wie ein Sonntagsredner an der Straßenecke. Der Mann interessierte mich. Obgleich ich schon manch einen recht achtbaren, würdigen und auch frommen Seefahrer als Schiffsgenossen gehabt hatte, so einer wie Brigstock aber war mir doch noch nicht begegnet.

»Wissen die Matrosen und ihre Partner aber auch, was sie aufgeben, wenn sie ein abgelegenes Eiland in der Südsee zum Wohnort erwählen?« fragte ich.

»Was sie aufgeben?« wiederholte Brigstock, dessen dunkle Augen jetzt vor Erregung zu glühen begannen. »Jawohl, Herr! Sie wissen, daß sie aufgeben den Schnapsladen und den Tanzboden, den Krimp (Heuerbaas), der sie betrügt, den Reeder, der sie ersäuft, und den Kapitän und die Steuerleute, in deren Augen der arme Janmaat nur ein Hund ist, von dem allmächtigen Gott nur geschaffen, damit man ihn schlägt, stößt, verwünscht und hungern läßt, zu niedrig und schlecht, um für ihn zu beten, so daß er auch niemals ein Gebet oder Gottes Wort zu hören kriegt; und wenn die harte Arbeit und der Frost und die schlechte Behandlung und das miserable Futter ihn endlich untergekriegt haben, dann schmeißt man ihn über Bord, mit einem Stein in der Hängematte, und keine Kreatur in der weiten Welt weiß und fragt danach, wessen Kind er gewesen ist! O ja, wir alle wissen sehr gut, was wir aufgeben!«

Ich war erstaunt über des Mannes Beredsamkeit, die den Matrosen Joe so gepackt hatte, daß er einen leeren Blechtopf wütend gegen die Thür schleuderte.

»Aufgeben?« wiederholte Brigstock noch einmal. »Ich sage Ihnen, wir sind froh, daß wir das alles aufgeben können. Und auch unsere Partnerinnen sind froh. Soll ein Mensch nicht mal 'ne Veränderung haben? Wenn ich mich so 'ne Uhr ansehe, sage ich mich oft, warum laufen die Zeiger immer rechts rum? Muß man die Zeit bloß immer auf die eine Art ablesen? Gewohnheit, sagen die Leute. Ich aber sage, schon das Wort Gewohnheit macht einen vernünftigen Menschen krank. Nackt sind wir auf die Welt gekommen, das übrige ist Gewohnheit. Ich bin für ein Gemeinwesen, wo die Gewohnheit nichts als Natur ist, gerade wie bei kleine Kinder alles Natur ist. Gleichermaßen bin ich für eine Religion, die sich auf die heilige Schrift gründet. Wer nennt sich heutzutage Christ? Einer, der alles glaubt, bloß nicht das, was in der Bibel steht. Doch genug davon. Es ist also abgemacht, daß Sie das Kommando nehmen?«

»Abgemacht,« versetzte ich. »Zuvörderst möchte ich feststellen, wieviel Proviant und frisches Wasser noch an Bord ist.«

»Befehlen Sie, und es soll geschehen,« sagte Brigstock.

»Ich habe hier nu wohl nichts mehr zu suchen,« bemerkte Harding, sich vom Tische erhebend. Brigstock schüttelte den Kopf und der Matrose verließ die Kajüte.

»Herr Morgan,« sagte Brigstock, nachdem er mir eine Weile mit großem Ernst ins Auge gesehen hatte, »Sie wissen nun, daß unsere Absichten ehrenhaft und rechtlich sind.«

»Ich habe nichts daran auszusetzen,« antwortete ich. »Meiner Meinung nach sind Sie nicht mehr an das Schiff gebunden, wohl aber zweifle ich an Ihrem Recht, die Ladung anzugreifen.«

»Wir wollen nur nehmen, was wir am notwendigsten gebrauchen thun, und auch man so viel, als durch unsere rückständigen Heuern gut gedeckt wird. Uebrigens – haben wir nicht für die Reederei das Schiff gerettet, indem wir Ihnen das Kommando gaben und dann noch die Schiffsarbeit thaten bis fast nach Australien hin?«

Ich schwieg; er sah mich wieder eine Weile an, dann sagte er in seinem ruhigen, tiefen, gleichmäßigen Ton:

»Herr Morgan, wir haben Ihnen viel anvertraut; wir glauben, daß wir uns auf Sie verlassen können.«

»Sie erwarten von mir, daß ich Sie nach der Südsee führen soll, wo Sie eine Insel zu finden gedenken; nichts weiter, wie?«

»Nichts weiter.«

»Gut. Ich meinerseits erwarte von Ihnen, daß die Emigrantinnen nach wie vor so sicher behütet und beschützt werden, als ständen bewaffnete Schildwachen zwischen ihnen und der Mannschaft.«

»Die Leute kennen meine Ansichten hierüber,« antwortete er, »und sie werden ja nun auch die Ihrigen zu erfahren kriegen. Schon jetzt aber kann ich Sie sagen: in die Hinsicht ist nichts zu fürchten.«

Ich nickte befriedigt. Unsere Unterhaltung war zu Ende. Er ging an Deck und ich begab mich in meine Kammer.

Ja, ich war mit der Wendung der Dinge durchaus zufrieden.

Meine nächste Pflicht war nun, so schnell als irgend möglich das vorläufige Ziel der Fahrt, die Insel, festzustellen, denn mit diesem Schiff voll Frauensleuten aufs Geratewohl nach den Utopien der Janmaaten herum zu kreuzen, das war nimmermehr angängig.

Die Uhr war halb zehn. Ich stieg die Kampanjetreppe hinauf zum Achterdeck. Brigstock redete mit dem Mann am Ruder. An der ununterbrochenen Horizontlinie war nichts in Sicht. Der Wind war abgeflaut, woraus ich auf ein baldiges Einsetzen des Passats schließen zu können meinte.

Ich winkte Brigstock heran und gab ihm auf, vorn und mittschiffs die Luken öffnen zu lassen und dann Joe Harding achteraus zu schicken, damit der die Aufsicht führe, während wir unter Deck waren.

Ehe ich mich jedoch in den Raum begab, um nach den Vorräten zu sehen, wollte ich das Zwischendeck besichtigen. Zu diesem Zweck ging ich, von Brigstock gefolgt, die breite Treppe hinab, die in der Großluk zum Wohnraum unserer Passagiere führte. In der Gegend unter der Luke war es ganz hell, weiter nach vorn aber wurde es so finster, daß es eine Weile dauerte, ehe das Auge hier etwas erkennen konnte.

Ich gewahrte zunächst auf beiden Seiten je eine Reihe kammerartiger Bretterverschläge, die bis zur halben Länge des Zwischendecks reichten; dann folgten links und rechts eine Menge offen liegender Kojen, immer zwei über einander. Durch die ganze Mitte des Raumes lief ein langer, schmaler Tisch, flankiert von Bretterbänken.

Hier saß eine Anzahl der Mädchen; einige waren mit Handarbeiten beschäftigt, andere schrieben. Während ich einen Augenblick stillstand und um mich schaute, kam Fräulein Cobbs aus einem der Verschläge heraus. Sie machte mir einen Knix und wendete sich dann an Brigstock.

»Thomas,« sagte sie, »ich hoffe doch, daß wir diesen Herrn jetzt Kapitän nennen dürfen.«

»Das darfst du, Hanna,« antwortete Brigstock, zärtlich den spitzen Ellbogen der Dame zwischen seine groben Finger nehmend, »Keppen Morgan vom ›Earl of Leicester‹. Die Schatten der Vergangenheit erreichen uns nicht mehr und die Zukunft thut nun heiter vor uns liegen.«

»Fräulein Cobbs,« sagte ich, »es ist mein Wunsch, daß die Disziplin und die Ordnung unter den Emigrantinnen genau so gehandhabt wird, wie zu Lebzeiten des Doktor Rolt, und ich rechne dabei auf Ihren Beistand. Vor allem Reinlichkeit hier im Zwischendeck, Fräulein Cobbs; sorgen Sie dafür, daß das Bettzeug häufig an Deck gebracht und gelüftet wird. Hier unten sind Sie Kapitän; Sie können sehr viel dazu beitragen, daß alles zu einem guten Ende führt.«

»Herr Kapitän, verlassen Sie sich ganz auf mich,« versetzte sie liebenswürdig und geziert, während ihr Blick meine ganze Gestalt überflog.

Ich stellte noch mancherlei Fragen an sie, die sie prompt und respektvoll beantwortete. Brigstock hörte ernsthaft und ab und an beifällig nickend zu. Die Mädchen am Tische ließen die Hände in den Schoß sinken und lauschten.

Zwei Matrosen kamen herab und öffneten die in den Raum führende Luke. Dieselbe lag unmittelbar unterhalb der Großluk. Ehe ich mich jedoch um die Vorräte bekümmerte, wollte ich noch mehr vom Zwischendeck sehen.

»Haben Sie die Güte, mir eine jener Kammern zu zeigen,« sagte ich zu Fräulein Cobbs.

Die Dame öffnete den ersten Verschlag auf der Steuerbordseite, ihre eigene Kammer. Dieselbe war speziell für sie, als Aufseherin oder Matrone, hergerichtet worden und enthielt eine einzelne Koje und was sonst in einem Schlafgemach unentbehrlich ist. Die anderen Kammern waren größer, da in ihnen immer sechs der Mädchen Unterkunft finden mußten; zwei breite Kojen dienten hier als Schlafstätten, jede durch zwei dünne Bretter in drei Bettplätze geteilt.

»Wo schläft Fräulein Darnley?« fragte ich.

»Da vorn,« sagte die Ausseherin.

»In einer jener offenen Kojen?«

»Jawohl, Herr Kapitän.«

»Wieso dieser Unterschied, wo doch alle gleich behandelt werden sollen?«

»Das weiß ich nicht. Wir haben diese Einrichtung so vorgefunden. Uebrigens sind die offenen Kojen beliebter als die Kammern; es ist dort weniger beklommen und warm, namentlich jetzt in dem heißen Klima. Wir haben gerade wegen dieser offenen Kojen viel Neid und Mißgunst gehabt.«

Langsam schritt ich vorwärts. Die Mädchen am Tische standen auf, als ich mich näherte. Eine von ihnen, ein großes, hübsches, bleiches Geschöpf mit hellblondem Haar, blauen Augen und roten Händen, die von Haus- und Küchenarbeit zeugten, schaute mich bittend an und begann mit bebender Stimme:

»Nehmen Sie's nicht übel, mein Herr; sind Sie der neue Kapitän und darf ich mir eine Frage erlauben?«

»Hören Sie mal, Fräulein Dobree,« fiel die Aufseherin mit ihrer messerscharfen Stimme ein, »Kapitän Morgan ist nicht hergekommen, um sich durch Fragen belästigen zu lassen; er will nur –«

Ich erhob die Hand und sie schwieg.

»Was wünschen Sie zu wissen?« wendete ich mich an die Blonde.

»O, bitte –« hier füllten sich ihre Augen mit Thränen – »was soll mit uns werden?«

»Ich bringe Sie nach Australien,« antwortete ich. »Aengstigen Sie sich nicht. Heute nachmittag gedenke ich Ihnen allen eine Mitteilung zu machen, die Sie vollständig beruhigen soll. Also weinen Sie nicht, Sie haben nichts zu befürchten.«

»Was aber Unrecht ist, das bleibt Unrecht!« rief eine junge Person von der andern Seite des Tisches. Sie mochte etwa achtundzwanzig Jahre alt sein; ihre kraftvolle Gestalt war prächtig und ebenmäßig entwickelt; das mit den Fingern gekämmte schwarze Haar umwallte in reicher Fülle den keck erhobenen Kopf, ihr frisches Antlitz hatte trotz seiner groben Züge etwas unbestreitbar Reizvolles und Anziehendes, und ihre trotzigen, dunklen Augen, über denen sich starke, schwarze Brauen wölbten, mußten sogar als entschieden schön gelten. »Da steht Fräulein Cobbs,« fuhr sie fort. »Die kriegt bezahlt, uns zu beaufsichtigen, und uns mit gutem Beispiel voranzugehen, und sie war eine der ersten, die mit den Matrosen anbandelten! Schickt sich das für sie? Sie ist doch wohl schon in den Jahren, wo die Leute in der Regel vernünftig sind.« Dabei maß sie die alte Jungfer mit höhnischen Blicken.

»Halten Sie den Mund!« herrschte die Aufseherin sie an. »Wenn auch nicht mehr alles so ist, wie es war, als wir aussegelten, so habe ich hier doch noch zu befehlen! Hüten Sie sich, mich zu beleidigen, das könnte Ihnen schlecht bekommen!«

Die junge Person raunte ihren Genossinnen etwas zu und lachte dann laut auf. Fräulein Cobbs würdigte sie keines Blickes mehr, und wir begaben uns weiter nach vorn.

Hier erinnerte das Zwischendeck an ein Gefängnis. Ich hatte früher einmal in Hobarttown ein Verbrecher-Transportschiff besichtigt, und dessen Einrichtungen waren von dem, was ich hier wahrnahm, wenig verschieden.

In einer der Unterkojen auf Steuerbord lag ein schlafendes Mädchen. Ihr Haar hatte sich gelöst und lag ihr rabenschwarz auf Stirn und Hals, im Gegensatz hierzu erschimmerte das bleiche Gesicht wie Marmor. Fräulein Cobbs machte mich auf etwas an der andern Seite aufmerksam.

»Reden Sie leise,« flüsterte ich.

Nie zuvor war mir die Heiligkeit des Schlafes so zum Bewußtsein gekommen. Fräulein Cobbs teilte mir mit, daß dieses Mädchen unter häufigem Kopfweh zu leiden habe.

Im Zwischendeck war jetzt alles still; ab und zu nur knirrte und krachte es leise im Gebälk des Schiffes. Ich betrachtete die einsam Schlafende. Sie sah so verlassen aus. Wessen Tochter war sie? Was mochten ihre Hoffnungen, was ihre Aussichten sein?

Wenn je ein Fahrzeug dringend eines Befehlshabers bedurfte, so war es dieses.

Ich dachte an Kate Darnley, warf einen Blick über die Reihe der Kojen und seufzte.

Fürwahr, ein schlimmer Aufenthalt für die fein erzogene sensitive Dame, dieses gefängnisartige Schlafgemach, mit seiner Gesellschaft aus der Fabrik, der Küche und dem Stall und ihrer zwanglosen Unterhaltung über die Erlebnisse und Abenteuer an Ausgehtagen!

Schweigend machte ich mich auf den Rückweg, Fräulein Cobbs drei Schritte hinter mir. Unter der Großluk stand Brigstock.

»Zuerst wollen wir sehen, wie es mit dem Wasservorrat bestellt ist,« sagte ich.


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