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16. Kapitel.
Eine neue Idee.

Als ich nach einer Weile nichts mehr hörte, öffnete ich die Kammerthür und sah hinaus. Die Kajüte war leer. Ich ging an Deck, wo sich sogleich Brigstock zu mir gesellte.

»Güte und Vernunftgründe sind bei die Frauenzimmer allemal weggeworfen,« sagte er. »Eher könnte man Hunde mit Grünfutter aufziehen, als solche Mädels dahin bringen, eine Sache mit richtige Augen anzusehen.«

»Sie wollen eben nach Australien,« warf ich hin.

»Wer hindert sie denn daran? Ich habe in meinem Leben noch keinen Dienstboten gehalten, Gott sei Dank, aber ich habe immer gehört, daß die Cholera noch 'ne milde Plage sein soll, gegen solch' Volk. Wenn die hier die richtige Art von Küchen- und Hausmädchen sind, denn so wundere ich mir doch sehr, warum man in England nicht schon längst chinesische Kulis als Dienstboten importiert.«

»Sind denn in Ihren Kolonisationsplan keine Dienstboten inbegriffen?«

»I bewahre! Da sind alle gleich, und wo es nötig ist, da hilft man sich gegenseitig.«

Er schaute mir einige Sekunden ernst ins Gesicht.

»Keppen Morgan,« sagte er dann, »Sie würden uns beruhigen, wenn Sie uns zu wissen thun wollten, daß Sie, nach die Unterredung mit die Mädels, sich nun nicht ausschließlich zu die zu halten gedenken.«

»Herr Brigstock,« erwiderte ich in strengem, abweisendem Ton, »man hat mich durch einen Betrug hier an Bord gelockt und dann zur Uebernahme des Kommandos gezwungen. Ich sage gezwungen, denn wenn man mich auch noch nicht bedrohte, wie wäre ich wohl behandelt worden, wenn ich mich geweigert hätte? Wohin meine Sympathien sich neigen, das geht niemand etwas an. Seien Sie höflich und gehorsam, sorgen Sie auch dafür, daß die Mannschaft nie außer Acht läßt, daß ich jetzt der Kapitän dieses Schiffes bin, und Sie sollen nie Grund haben, sich über mich zu beklagen.«

Damit ging ich nach dem vorderen Ende des Achterdecks und ließ ihn stehen.

Nach einigen Minuten war mein Unwille verflogen und ich befahl Brigstock, das Log zu werfen.

Der rief zwei Matrosen achteraus; der eine hielt die Logrolle, der andere das Sekundenglas.

Brigstock warf das Logbrettchen über die Heckreeling ins Wasser und ließ die Leine durch seine Hände gleiten.

»Stopp!« schrie Jupe Jackson, das Glas sinken lassend.

»Elf und ein halb!« meldete Brigstock, die Knotenmarken der Leine befingernd.

Elf und eine halbe Seemeile die Stunde, das war eine gute Fahrgeschwindigkeit für ein Schiff, das beinahe scharf angebraßt lag und weder die Royals, noch Kreuzbramsegel und Außenklüver, noch das Großsegel stehen hatte.

Später am Nachmittag fand ich Gelegenheit zu einer längeren Unterhaltung mit Kate Darnley auf dem Achterdeck. Wir redeten von der Heimat, von den glücklichen Stunden, die wir dort mit einander verlebt, und schwelgten so recht in Erinnerungen.

Unsere Unterhaltung kam zu einem vorzeitigen Ende durch die Glocke, die die Mädchen zum Abendessen ins Zwischendeck rief.

Die erste Hundswache – von vier bis sechs – war bald verstrichen. Brigstock hatte sich nach vorn verfügt und stand, die Pfeife im Munde, im Gespräch mit dem Koch und einigen Matrosen bei der Kombüse. Aus der Art, wie sie die Blicke häufig achteraus warfen, ersah ich, daß von mir die Rede war.

Harding, der stets sauer dreinschauende Matrose, hatte die Wache. Ich ging zum Kompaßhäuschen, um zu sehen, wie das Schiff anlag, und dann redete ich ihn an.

»Wie stark war die Mannschaft dieses Schiffes ursprünglich?« fragte ich.

»Achtzehn Mann.«

»Jetzt sind's dreizehn, kaum sechs in der Wache, wenn Brigstock nicht mit nach oben geht.«

»Ich bin an Bord von größeren Schiffen gewesen, die noch weniger Leute hatten,« sagte Harding.

»Sie werden die Seefahrt recht vermissen, wenn Sie erst auf Ihrem Eiland sitzen, was?«

»Ja,« brummte er, »ungefähr so, wie der Esel den Knüppel vermißt.«

»Brigstock soll Präsident werden, war's nicht so?«

»Ja woll, Tom wird der Baas.«

»Und auch der Mann, der euch verheiratet?«

»Ja woll.«

»Und hernach wieder scheidet, wenn's verlangt wird?«

»Ja woll,« sagte er grinsend.

»Welche der Mädchen ist Ihre Partnerin?«

»Sara Salmon.«

»Warum hat sich denn keiner die Alice Perry auserwählt? Die ist doch die Schönste von allen.«

»John Snortledge hat's ja riskiert und ihr den Antrag gestellt, da hätte er aber beinahe von ihr Prügel gekriegt. Nee, lieber wohnte ich mit einem Hai zusammen, als mit der.«

»Ich habe unter den Mädchen manche bemerkt, die es mit jedem Seemann aufnehmen könnten, was das Reißen und Holen und Hieven anlangt,« sagte ich, einige der jungen Geschöpfe beobachtend, die nach beendetem Abendessen wieder an Deck gekommen waren. »Ich bin überzeugt, daß sie gar bald lernen würden, ihren Rudertörn (zwei Stunden am Ruder) zu stehen; auch nach oben brächte man sie wohl leicht, wenn sie nur Hosen anhätten. Die Reise ist noch lang und wir haben in jeder Wache kaum sechs Mann. Ich hätte nicht übel Lust, eine Anzahl der Weibsen für den Schiffsdienst auszubilden.«

Der Matrose lachte.

»Es wäre nicht das erste Mal, daß Mädchen an Bord als Matrosen fungierten und es den tüchtigsten Janmaaten gleichgethan hätten.«

Ich fühlte mich plötzlich von dieser Idee erfaßt und sinnend schritt ich auf und ab.

Warum sollte es mir nicht gelingen, den kräftigsten und geschicktesten der Frauenzimmer soviel praktische Seemannschaft beizubringen, um mit ihnen ohne andere Hilfe das Schiff nach Sydney zu segeln, wenn Brigstocks Kolonisten uns verlassen hatten?

Brigstock hatte von Kanaken geredet, aber nur mit Schrecken dachte ich daran, solch eine Schar wilder Südsee-Insulaner an Bord zu nehmen, denen ich allein hilf- und machtlos gegenüber stand, wenn es ihnen einfiel, mir den Gehorsam zu verweigern. Und was würde dann das Los der Mädchen sein?

Zwar trieben sich auf jenen Inseln auch oft europäische Seeleute herum, Flüchtlinge von den Schiffen aller Nationen. In Gedanken musterte ich eine Mannschaft aus jenen Elementen an; dann dachte ich an mein Zwischendeck voll junger Frauensleute, an das schöne Schiff und seine wertvolle Ladung – welch eine Beute für das wüste Gesindel, für diesen Abschaum der Menschheit!

Lange wanderte ich allein hin und her, ganz erfüllt von den Gedanken, die durch jene hingeworfene Bemerkung in mir wach geworden waren. Da erschien Gouger und rief mich zum Abendessen.

Brigstock stand bereits unten in der Kajüte an der Thür und erwartete mich.

Nachdem ich mich gesetzt hatte, nahm auch er Platz.

»Wenn Sie nichts einzuwenden haben, Keppen Morgan,« nahm er das Wort, »denn so möchte ich wohl in der Kammer des zweiten Steuermanns schlafen – wenn Sie das recht und passend erscheint.«

»Ganz einverstanden,« sagte ich. »Sie sind Obersteuermann an Bord und müssen hier achtern wohnen.«

»Dann wäre es wohl auch in der Ordnung, daß Joe achteraus käme.«

»Warum nicht? Thut er nicht Dienst als zweiter Steuermann?«

»Das thut er. Wollen Sie die Wachordnung so belassen, wie sie jetzt ist?«

»Sind die Leute gleichmäßig verteilt?«

»Ich denke doch. Den Koch habe ich der Steuerbordwache zugeteilt. Ihm war das recht, obgleich er ja eigentlich die Wachen nicht mitzuhalten braucht. Freilich, oben ist er nicht viel nütze. Der Verlust des Bootsmanns und der andern beiden hat uns geschwächt. Aber alle Mann sind willig, sie wissen, um was es sich handelt.«

»Gut also. Mag alles seinen bisherigen Gang gehen. Doch da fällt mir etwas ein. Wir haben neunzig Emigrantinnen im Zwischendeck, fast lauter junges Volk; zwei Drittel davon sind munter und kräftig und an harte Arbeit gewöhnt. Wenn wir die brauchbarsten aussuchten und ein wenig für den Dienst an Deck ausbildeten, so wäre das eine nicht zu verachtende Hilfe für uns – da wir doch soeben noch von dem Mangel an Leuten sprachen.«

Er starrte vor sich hin und kaute dabei auf einem Bissen Hartbrod so langsam, wie ein wiederkäuendes Rind; endlich hatte er mich verstanden.

»Ich denke, wir brauchen die Frauensleute nicht,« sagte er.

Es fiel mir nicht ein, ihn über meine Idee aufzuklären.

»Nun, das Ding könnte nicht schaden,« versetzte ich, »und ich werde Gelegenheit nehmen, mit den Mädchen darüber zu reden. Eine intelligente Person lernt die Benennungen der Leinen und Enden, den Ort derselben und wo sie an der Nagelbank belegt sind, in ganz kurzer Zeit, und da ist sicher manch eine, die nach kurzer Unterweisung das Schiff bei ruhigem Wetter ebenso gut steuern kann, wie der beste Matrose.«

Ein Lächeln arbeitete in seinen Zügen.

»Sie werden uns bloß im Wege sein,« brummte er.

Ich brachte das Gespräch auf einen andern Gegenstand, indem ich von meinen Erlebnissen als Steuermann an Bord der ›Hebe‹ zu reden begann. Bisher hatte ich noch keine Zeit gefunden, ihm jene Geschichte zu erzählen. Er lauschte mit emporgeschraubten Augenbrauen und langem Gesicht, indem er mich unverwandt anstarrte. Als ich geendet hatte, rief er:

»Ist es da nicht an der Zeit, Keppen Morgan, daß die Zivilisation in England endlich mal verbessert wird? Der Tag wird kommen – ich erlebe ihn nicht mehr, aber er wird kommen – wo unsere Kolonie auf der Insel auch Schiffe gehen lassen wird, die mit allen Weltteilen Handel treiben thun, aber wehe dem Mann, der auch nur einen Schilling mehr versichert als sieben Achtel von dem Werte der Schiffsfracht! Der soll alles verlieren, und das Geld sollen die Witwen und Waisen von Seeleuten kriegen, die auf See ertrunken sind.«

Wir sprachen noch eine Weile von seiner Insel, dann hob ich die Tafel auf und ging an Deck.


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