Joseph Roth
Reportagen
Joseph Roth

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Wulles deutscher Wald

Vorwärts, 18. 5. 1924

Ich war schon lange nicht mehr in einem deutschen Wald. Singen die Vögel noch dort? Rauschen die Bäume noch? Blüht die blaue Blume der Romantik noch? Säuselt die fromme Lyrik noch durch die Zweige?

Was macht die Lyrik im Tegeler Forst zum Beispiel? Blüht die blaue Blume aus dem Moder der völkischen Leichen, aus den zerfallenden Knochen der Abgekillten, – und rauscht die Romantik just an jener Ecke, um welche die Opfer Wulles gebracht wurden?

Dem Wulle gehören die deutschen Wälder und nicht mehr dem Eichendorff. Der Lyrik nicht mehr, sondern der Mordpropaganda. Ich habe mir sagen lassen, daß seit einigen Jahren das Getier der Tegeler und anderer Forstreviere von Jägern unbelästigt, das ihm von Gott vorgeschriebene Leben absolviert und, daß die alten Hirsche im Kreise ihrer Enkel ihre Existenz beschließen. Denn es ist bereits einige Jahre her, daß das edle Waidwerk an Menschen ausgeübt wird und daß Spitzel, »Verräter« und Verdächtige die Rolle der Hasen und der Rehe übernommen haben. Die Jagdscheine stellt nicht mehr die Forstverwaltung aus, sondern der Herr Wulle, ein völkischer Oberjäger. Bei dem Schützen Grütte-Lehder zum Beispiel, der seinen Kameraden Müller recte: Dammers so waidgerecht erledigt hat, fand man diesen Ausweis:

»Herr Robert Grütte-Lehder, Berlin-Waidmannslust, ist von Herrn Reichstagsabgeordneten Wulle bevollmächtigt, die für den »Deutschen Herold« erforderlichen Unterlagen im Falle Müller zu, beschaffen. gez. Wilhelm Kube, Reichsgeschäftsführer.«

Der moderne Ausdruck für zeitgemäße Menschenjagden lautet also: »Unterlagen beschaffen« und gegeben ist dieser Jagdschein ja auch an »Grütte in Berlin- Waidmannslust«: Ist diese »Waidmannslust« nur eine geographische Bezeichnung, oder ist sie das Gefühl, das den Bevollmächtigten und den Jagdschein-Geber erfüllte, als sie beide daran gingen, die »erforderlichen Unterlagen« zu beschaffen? Jedenfalls hatte die Waidmannslust Erfolg. Der Jäger wurde auch von der Polizei freigelassen. Weshalb auch nicht? War er etwa ein Mörder? Er war ein edler Waidmann. Jäger sperrt man nicht ein. Er war auch kein Wilderer. Er besaß einen Jagdschein von dem Herrn Reichstagsabgeordneten Wulle, gezeichnet von Wilhelm Kube, der sich »Reichsgeschäftsführer« nennt, obwohl wir bis jetzt nichts davon gehört haben, daß Herr Kube die Geschäfte des Reiches führe. Vielleicht aber führt er sie wirklich und wir wissen nichts davon? Es sieht ganz danach aus im Reiche, als führte der Herr Wilhelm Kube die Geschäfte.

Sie haben sich das so eingeteilt: Dem Kube die Geschäfte des Deutschen Reiches und dem Wulle die deutschen Wälder!

Der Herr Reichstagsabgeordnete Wulle erhält Diäten, um dafür Jagdscheine für den Tegeler Forst zu verteilen. Seitdem er die Forstverwaltung übernommen hat, verbreitet sich die Tragik statt der bisher üblich gewesenen Lyrik in den deutschen Wäldern. Blutrot färbt sich die bläuliche Blume der Romantik. Eichendorff wird seine Wälder nicht wiedererkennen.

Ist es möglich, daß die Vögel noch singen? Haben sie nicht den letzten Schrei der völkischen Opfer gehört? Duftet es noch nach Harz, Laub und weicher Erde? Stinkt nicht die Leiche im Tegeler Forst – nach Wulle und Verwesung? Breitet sich die Pest nicht aus von den »Unterlagen«, die der Mörder für den »Deutschen Herold« zu beschaffen hatte? Ich möchte mich gerne überzeugen, ob sich die deutschen Wälder verändert haben. Aber ich werde nicht hingehen. Denn hinter jedem Baum lauert ein Grütte mit einem Jagdschein von Wulle und besorgt im Auftrag des Kube die »Geschäfte des Reiches«.

Ich verzichte auf den Tegeler Forst und auf die übrigen deutschen Wälder. Den Wulle kann ich schließlich auch im Reichstag treffen, wo er nur die Diäten bezieht und keine Jagderlaubnis erteilt.

Obwohl ihn die »Waidmannslust« wahrscheinlich immer und überall erfüllt.

Josephus


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