Joseph Roth
Reportagen
Joseph Roth

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Sonntagsreiter

Vorwärts, 2. 8. 1922

Die Reiter reiten, trab, trab, den Kurfürstendamm entlang.

Sie kommen am Sonntagmorgen aus dem Tattersall, wo sie herdenweise gezüchtet werden, und reiten in der Mitte des Kurfürstendamms auf knirschendem Kies, erhobenen Hauptes, ragend bis an das Verdeck der Autobusse und die gestutzten Kronen ausgerichteter Bäume.

Die Hausärzte lehren, das Reiten sei gesund, und nach den wochentäglichen Turnübungen auf der Dollarkursschaukel eine wohltätige gymnastische Abwechslung. Körperliches Fett, das sich unheimlich verzinste, nimmt ab wie der Markwert. Der Mensch reitet sich sozusagen alle Zuckerprozente herunter.

Unübertrefflichen Glanzes, spiegeln die lackierten Stiefel staunende Angesichter der Fußgänger wider und die ganze, bis zur Kniehöhe reichende Umgebung. Kühl und hart schmiegt sich Lack an die Weichen des Rosses, – symbolisches Gleichnis liebevoller Unterdrückung.

Der Reiter, erhaben über die Umwelt, von vier fremden Füßen getragen, plaudert mit dem Herrn zur Rechten. Unmöglich, ein Wort zu verstehen. Die Leute spazieren geradeaus in die Luft höherer Regionen. Wovon mögen sie wohl reden? Von Rollmöpsen, freibleibenden, lagernd im Danziger Hafen? Von Zoll und Fracht und Dividenden und mattem Verlauf der New Yorker Börse? Von Gesetzen zum Schutz der Republik, der Hoffnungen berittener Untertanen zerstört? Von der großen Zeit der Lieferanten, die Heu lieferten und Pferde, Kanonen und Menschenzubehör? Vom Konkurs in Amsterdam, vom Kaiser in Doorn? Von ihren eigenen Erinnerungen an den Kronprinzen, oder von denen Rosners?

Es muß ganz wunderbar sein, aus der Höhe ritterlicher Sicherheit ungehört sprechen zu können und im Rhythmus sanfter Rossehufe Fett und Ärger vom Herzen zu schütten. Die Pferde bemühen sich leise aufzutreten, als hätten sie sich Gummiabsätze an die Hufe genagelt. Sie bleiben im Schritt und achten gegenseitig streng darauf. Wenn eines aus dem Schritt fällt, ist es unsterblich blamiert. Sie nicken alle mit den Köpfen, es ist, als wollten sie unaufhörlich »ja« sagen. Ich glaube, sie sind glücklich, von Herrschaften geritten zu werden und Scheuklappen zu tragen. Auf keinem Proleten der Welt läßt sich so trefflich reiten.

Die Herrschaften reiten, gemächlichen Trabes, in den Tiergarten. Frische Morgenkühle, die den Schläfer auf der Bank weckte, umfächelt ihre Häupter. Frech und ahnungslos läßt ein Spatz auf die muskelgepolsterte Herrenschulter wohlverdaute Regenwürmer fallen. Die Hand, im hohen Lederhandschuh steckend, strafft die Zügel. Gekrümmte Schenkel nähern die blanken Sporen bedenklich dem braunen Pferdeleib. Trab wandelt sich in Galopp.

Da, hart am Rande der Allee, steht ein Zeitungshändler. Die Herrschaften reiten im Schritt. Eine Hand aus gelbem Wildleder streckt sich dem Morgenblatt entgegen, entfaltet es, und der Blick sucht zwischen Spalten in Petit die Obligationen der Bagdadbahn. Aus wochentäglicher Niederung ist das Geschäft emporgehoben in ritterliche Höhe.

Zwischen dunklem Grün, von ferne her, grüßt der weiße Marmorsommerhut der Kaiserin Auguste Viktoria.


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