Joseph Roth
Reportagen
Joseph Roth

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Der Feiertag

Vorwärts, 1. 5. 1923

An unserem Feiertag schweigen alle Glocken, und der offizielle Gott der bürgerlichen Priester, der Herr der auserwählten Klassen, der Menschen mit gesellschaftlichem Rang und Ansehen, der Gott des Gottesgnadentums und der Krupp-Kanonen trägt sein wochentägliches Angesicht und tut so, als wäre keine Sabbatruhe in unserer Welt. Seine Geschöpfe, die Bürger, die Offiziere mit den schleppenden Schürhaken an den Hüften, die schwergeprüften Fabrikanten in den lackierten Automobilen, die rückwärts gewendeten Regierungs- und Landräte, die der Strahlen majestätischer Gnadensonne bitter entbehren, empfinden diesen Feiertag als eine Lästerung göttlicher Gebote, die da besagen, daß wir arbeiten müssen, auf daß jene unbehindert den Ämtern, dem Geld und der Ehre näherkommen. Der erste Tag ihres völkischen Wonnemonds ist ihnen unangenehm gemacht. An einem einzigen Tag im Jahr merken sie, daß die Welt verkehrt sein kann und dennoch nicht untergeht: daß solche minderwertigen Geschöpfe, wie Kellner, aufhören dürfen zu »bedienen«; daß so nebensächliche Attribute der Industrie, wie Fabrikarbeiter, auch einmal aufhören können, ein Rad in Bewegung zu setzen. Und siehe da: diese Welt besteht weiter, als hätte sich nicht das Ungewöhnliche ereignet: dieses Ungewöhnliche, daß die unbekannten Menschen aus den Tiefen emporsteigen und plötzlich durch die hellen Straßen marschieren; daß ihnen das Sonnenlicht so gut scheint wie allen andern; daß sie Luft atmen mit genau so konstruierten Lungen wie die konzessionierten Pächter der freien Lüfte.

Denn, wenn sie's nicht mit eigenen Augen sehn, glauben sie, daß ihnen der ganze Frühling gehört, wie die Gärten und Wälder, in die er einzieht; glauben sie nur an jene Feiertage, an denen die von ihnen bezahlten Küster die Glocken in Bewegung setzen; an denen die Priester beten für das Seelenheil jener, die sich bereits des leiblichen Wohls erfreuen. Und sie sind immer wieder erstaunt, daß ein Feiertag sein kann ohne Not im Kalender, ohne bürgerliche Weihe und ohne die Erlaubnis der Herrschenden. Ein Feiertag außerhalb der bürgerlichen Gesellschaftsordnung.

 

Und also kein Feiertag in überlieferten Formen. Sondern ein Tag der Ruhelosigkeit und der Bewegung. Nur jene, denen ein gütiger Klassengott Feste in den glücklichen Schoß wirft, dürfen rasten. Dieser Feiertag ist keine Rast, sondern Arbeit am Aufstieg und Kampf um den Mai.

Denn in ihren Gärten blüht der blaue Flieder, duften die Rosen, ihrer sind die sonnbeglänzten Tage und die unrationierten Kuckucksrufe in den grünenden Wäldern; die Liebe, nicht beschränkt auf flüchtige Stunden vor einbrechender Dunkelheit; die Wanderung in würziger Morgenluft und der Jubel der Lerchen. Ihnen gehören die Expreßzüge, die gen Süden fahren, in die Länder der fremden exotischen Früchte, ihnen die Flora und Fauna der ganzen Erdkugel, ihnen die Meridiane und Parallelkreise, der Äquator und das blaue Meer, die Kabine erster Klasse und die Essenzen und Öle aus den mühsam gezüchteten Blumen. Indes wir durch die Straßen schreiten, sitzen sie auf dem Balkon und erholen sich von unserem Anblick durch das Studium eines Fahrplanes. Ihre Phantasie beflügelt der Besitz – und zwischen ihrem Wunsch und seiner Erfüllung liegt nur das Geld.

Wir aber haben nur das Heute. Morgen ist wieder der Lärm der Schwungräder, der Staub des Abfalls, der Trost der frommen Sinnsprüche: Bescheidenheit ist eine Zier der Armen; Morgenstunde schüttet Gold in den Mund der Schlafenden; Arbeit ist ein Segen für die Arbeitgeber; Lohnerhöhungen, die heute besorgt werden können, verschieben wir auf morgen; liebe deinen Nächsten, wenn er für dich arbeitet.

An diesem Feiertag läuten ganz andere Glocken: Kein Küster bewegt sie, kein Priester predigt, und ihr Klang ist nicht golden, sondern eisern, denn es sind die Klänge von Übermorgen und nicht jene von Gestern. Wer sie nicht hört, ist taub.


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