Joseph Roth
Reportagen
Joseph Roth

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Ludendorff und das Schlachtvieh

Vorwärts, 7. 3. 1924

Die deutsche Gegenwart ist reich an witzigen Ereignissen. Wir sehen dabei von den absichtlich herbeigeführten, ernst gemeinten und wider Willen ihrer Urheber humoristisch wirkenden ab und beschränken uns auf jene, deren Autor der Zufall ist. Ein ahnungsloser Zufall? Ein boshafter? Es gewinnt den Anschein, daß es ein bewußt boshafter, mit uns im Bunde stehender ist. Hätte man in Deutschland mehr Sinn für seine großartige Bissigkeit, wir brauchten um die Revolution nicht so heftig zu kämpfen. Er macht die Generale, die Völkischen, die bayerische Justiz lächerlicher, als es der feindseligste Satiriker könnte. Leider übersieht man ihn und seine Wirkungen. In der pathetischen Atmosphäre, in der wir unsere politischen Angelegenheiten zu erledigen lieben, verliert sich das petitgedruckte witzige Ereignis. Versuchen wir, es zu retten.

In einer Zeitung fand ich die leider sehr klein gedruckte Nachricht mitten unter anderen, daß ein Dampfer, der Stinnes (wem sonst?) gehört und »Ludendorff« (wie denn anders?) heißt, in jüngster Zeit zu Rindertransportzwecken umgebaut wurde; und zwar handelt es sich um den Transport argentinischen Schlachtfleisches nach Europa.

Dies ist der Inhalt der kurzen Meldung. Kein Satiriker hat sie erfunden. Ein biederer Berichterstatter hat sie der Welt verkündet. Sie wurde nicht dementiert. In knappen drei Sätzen enthält sie die ganze unglückselige Komödie, deren Helden und handelnde Personen die Mächtigen sind: Stinnes und Ludendorff. Deren leidende Personen wir sind: das Schlachtfleisch. Wie wunderbar die Symbolik der Tatsache, daß Stinnes der Besitzer eines »Ludendorff« ist; wie noch wunderbarer der Umstand, daß sogar der unschuldige Körper eines toten Schiffes in irgendeine enge Verbindung mit Schlachtvieh gelangen muß, sobald jenes nur den Namen unseres Feldherrn trägt. Es geht von diesem Namen ein überirdischer Zwang zur Bestialität aus und erstreckt sich auch auf seelenlose Dinge. Es könnte gar nicht anders sein! Wie grotesk die Vorstellung, daß ein Dampfer, namens »Ludendorff« ein Ausflugsschiff etwa für friedliche Passagiere wäre! Unser Bundesgenosse, der boshafte Zufall, kann es nicht zulassen. Er baut das Schiff um. Ein Dampfer, der so heißt, kann nur einem einzigen Zweck dienen: dem Schlachtviehtransport. Es geschieht einfach diesem Manne zuliebe, dessen Klang assoziativ die Vorstellung von deutschen zum Schlachtvieh degradierten Soldaten wachruft.

Leider war der Zufall auch boshaft genug, diesen Ludendorff einmal zum Kapitän eines untergehenden Schiffes zu ernennen, das »Deutschland« hieß. Seine Tätigkeit war damals dieselbe: er transportierte Schlachtvieh. Wir waren es zufällig. Er aber kann – in welcher Gestalt er immer auch auftaucht – nicht anderes, als Schlachtvieh transportieren; ob er nun ein General, ein Rebell oder ein Dampfer ist. Nennt eine friedliche Sense: »Ludendorff« und sie wird sich in ein Schwert verwandeln. Nennt einen Besen: »Ludendorff« und der Besen wird schießen. In der harmlosesten Gestalt verleugnet er sein Wesen nicht. Geschah es doch, daß er einmal als friedliebender Morgenspaziergänger aus dem Hause trat und – ohne daß er gewußt hätte, wie – ein Revolutionär wurde! Blut klebt an den Buchstaben seines Namens, den er nur einmal für kurze Zeit geändert hatte. Was fängt man in einer Zeit ohne Stahlbäder mit dem Träger dieses Namens an? Der Ausweg liegt nahe, ihn seinem Charakter gemäß zu pazifizieren: er wäre vielleicht kein ungeschickter Schlächter jener argentinischen Rinder, die der Dampfer seines Namens nach Deutschland bringen soll. So bleibt ein General wenigstens in seinem Fach.

Josephus


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