Joseph Roth
Reportagen
Joseph Roth

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Nationalismus im Abort

Vorwärts, 9. 12. 1922

Im Prozeß gegen die Scheidemann-Attentäter hörte man von den Mördern selbst, daß sie ihren Plan in der »Toilette« eines Weinrestaurants reifen ließen. Man kann Grund haben, alle Aussagen der Attentäter zu bezweifeln – nur diese eine nicht. Deutschnationale Schutz- und Trutzbündler, selbst wenn sie in einem Heiligtum ihre Pläne schmiedeten, könnten es zum locus degradieren. Sie fassen aber ihre Entschlüsse nicht in Heiligtümern, sondern in den Aborten der Weinhäuser.

Ironie des Zufalls fügte es einmal, daß ein deutschnationaler Student und Defraudant nicht anders hieß, als – »Biertimpfl«. Ein zweites Mal, daß einer der Rathenau-Mörder den Namen »Niedrig« trug. Und derselbe ironische Zufall läßt einen nationalen Mordplan im Klosett reif werden.

Nicht nur Siegesalleen – auch Bedürfnisanstalten können die Gesinnung eines Volkes charakterisieren. Ich kenne mehrere Länder Europas und ihre Bedürfnisanstalten. Aber nur in Ungarn und in Deutschland fand ich so viel nationalistische Exkremente an Klosettwänden. In allen anderen Ländern sah ich nur sexuelle Schweinereien. In Deutschland auch politische.

Ein echter Nationaler kann keine Rotunde verlassen, ehe er nicht seinem Drange, ein Hakenkreuz hinter sich zu lassen, Genüge getan. Er weiß es selbst, wohin seine Gesinnung gehört und dokumentiert sie an passendem Orte. Dafür müßte man ihm eigentlich dankbar sein. Von den Argumenten (»Belangen«, sagt ein Völkischer), die in den Klosetts geäußert werden, lassen sich nur verwandte Naturen überzeugen. Der Nationalist hat sich selbst sein einzig mögliches Propagandasystem geschaffen. Allein, weil er in der Bedürfnisanstalt Politik zu machen gewohnt ist, betrachtet er jeden Ort, in dem er Politik macht, als Bedürfnisanstalt. Und benimmt sich danach.

Der Plan, Rathenau zu ermorden, ward in der Mensa der Technischen Hochschule geschmiedet. Damals glaubte ich, daß kein Ort mehr geeignet wäre für reaktionäre Meuchelmörder, als eben eine reaktionäre Hochschule. Aber siehe da: die Scheidemann-Attentäter hatten noch ein besseres Stelldichein gefunden: die »Toilette«. Sie selbst (nicht ich) rücken somit diese Örtlichkeit in die bedrohliche Nähe unserer Hochschulen.

Vielleicht – wenn jener oben angeführte ironische Zufall es will – wird es sich in der nächsten Verhandlung ergeben, daß die Harden-Attentäter ihren Mordplan in der – Bedürfnisanstalt einer deutschen Hochschule ersonnen haben. Nach den politischen Grundsätzen, die unsere Biertimpfls in jenen Räumen von sich geben, könnte man wohl auf Meuchelmörder schließen.

Wer es gut meint mit den Hakenkreuzlern – die »Deutsche Tageszeitung« zum Beispiel –, täte gut daran, seine Gesinnungsgenossen vor so häufigen Zeichnungen und Inschriften zu warnen. Ein Fremder, der, ohne Maurenbrechers Aufsätze gelesen zu haben, nach Deutschland kommt, könnte leicht glauben, das Hakenkreuz bedeute hierzulande dasselbe, was in anderen Ländern durch die Bezeichnungen »Hier«, »Für Männer« usw. ausgedrückt wird.


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