Joseph Roth
Reportagen
Joseph Roth

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Der Prinz

Vorwärts, 8. 7. 1922

Der Prinz lebt in stiller Abgeschlossenheit, der Arme.

Uralte Kastanienbäume umrauschen seine Villa. Auf acht geräumige Zimmer ist seine Abgeschiedenheit beschränkt. Nur ein Reitpferd steht ihm zur Verfügung. Und ein einziges Auto. Das Auto ist grau lackiert und weich gepolstert. Auf schwellenden Pneumatiks federt es durch das Land, das den Prinzen entbehrt. Gänse fegen kreischend über den Weg. Hunde bellen, respektlos und ohne Sinn für Vergangenheit. Auf hohen Baugerüsten arbeiten Maurer und Poliere, beneidenswerte Menschen. Im Schweiße ihrer Angesichter hacken Männer Kieselsteine für Schotterungen, so sehr mit den elenden Steinen beschäftigt, daß sie nicht einmal grüßen. Armer Prinz!

Im Sommer steht der Prinz um acht Uhr auf, im Winter schon um neun. Im Sommer frühstückt er in der Veranda und des Winters im Bett. Goldgelbe Butter streicht er mit behutsamen höchsteigenen Händen auf blühweiße Brötchen. Der schweigsame Lakai, ein personifiziertes Stück Stille, sozusagen eine befrackte Abgeschiedenheit, gießt Kaffee aus silbernen Kännchen in Rosenthaler Tassen. Der genügsame Prinz greift die Tassen nur mit vier Fingern und spreizt den fünften, kleinen ganz weit und vornehm weg.

Vielgezackte Geweihe starren von den Wänden des Jagdzimmers. Von allen für den Prinzen gefallenen Lebewesen befinden sich in seiner Wohnung nur die Häupter der Hirsche und Rehe. In ihre künstlichen Glasaugen legte der verständige Optiker einen frommen Ausdruck von Untertanendemut. Die Tiere erinnern in ihrem seelenvollen Blick an ausgemusterte und von einer Hoheit angesprochene Kadetten.

Nach dem Frühstück reitet der Prinz. Er reitet immer denselben Weg und immer zum Zwecke der Verdauung und der Appetitanregung. Zwanzig Meter in der Runde setzt bei des Prinzen bekanntem Trabgeräusch den Förstern und Oberförstern der Herzschlag aus. Ein gütiges Geschick treibt manchmal einen von ihnen vor die Pferdehufe. Dann schlagen sie die redlichen Jägeraugen auf und grüßen. Es geht nichts über Waidmannstreue.

Zu Mittag ißt der Prinz im Speisesaal ein bescheidenes Menü, nur aus vier Gängen. Was ihm nicht schmeckt, muß er stehen lassen, der Arme. Dem Prinzen schmeckt manchmal etwas nicht.

Am Nachmittag schläft er auf einem ganz gewöhnlichen Plüschsofa.

Dann kommt, zweimal in der Woche, ein General aus Berlin mit Vasallensporen hereingeklirrt. Auf dem Schädel des Generals stehen alle kurzgeschorenen Haare aufrecht vor dem Prinzen. Jedes einzelne Haar nimmt Stellung.

Der Prinz und der General plaudern von Vergangenheit und Zukunft. Der Prinz leutselig, der General respektvoll. Er kommandiert Sätze zur Parade, er präsentiert Meinungen.

Der Prinz hat loyale Briefe zu beantworten und Bittschreiben. Diese Sendungen kommen immer aus »Gauen«. Noch nie hat jemand aus einer gewöhnlichen Stadt dem Prinzen geschrieben.

Manchmal liest der Prinz die neueste Scherl-Woche und einen Roman von Rudolf Stratz, auf daß er nicht hinter der Gegenwart zurückbleibe. An den fortschreitenden Daten des täglichen Lokalanzeigers merkt der Prinz, wie die Zeit vorwärts geht.

Die Frauen im Lande lieben den Prinzen, keusch und ferne. Ihr Blick verweilt auf seinem Porträt in der Illustrierten Zeitung länger als auf den Schnitten der Modebeilage. Sie finden ihn sogar interessanter als die Plauderei über die letzte Pariser Schuhform (obwohl diese spitz zulaufend und ohne jeden Besatz ist).

An Tagen, wie es zum Beispiel der Johannitertag ist, teilt der Prinz Ritterschläge aus, ganz umsonst, ohne andere entgegenzunehmen.

Er hat ein großes und gutes Herz, der arme Prinz.


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