Peter Rosegger
Nixnutzig Volk
Peter Rosegger

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Susanna, nit wana!

Zu jener Zeit mußte noch geschlagen werden, um Funken zu erzielen. So steht Susanna am Herd und schlug Feuer, bis der Schwamm gloste. Mittagessen kochen für den Vater.

Das Mädel hält noch den anglosenden Buchenschwamm zwischen den Fingern, als zur Tür der Bursche eintritt. Der kernige Sandbichlersohn.

»Muß schaun, wer daheim ist in dem Haus da.« So grüßt er.

»Ja schau nur.« So dankt sie.

»Feuerbetteln möcht ich bei dir.«

»Hast selber keins?«

»Die Pfeif'n ist mir ausgangen.«

Sie hat den Schwamm unter ein Häuflein dürrer Zündspäne gelegt und bläst nun drein, bis es lichterloh brennt. »Na greif halt zu!«

Rasch legt er seinen Arm um ihre Mitte.

»Oha, Helm!« sagt sie in der Redeart und schleudert den Arm von sich. Denn sie ist eine von besonderer Art.

»Hast ja gsagt,« lacht er, »daß ich zugreifen soll.« Und setzt dann bei: »Kanns eh so auch machen,« nimmt einen Span und zündet die Pfeife an. Und als sie brennt und als er saugt und zwischen den Lippen einen bläulichen Rauchstrahl hervorsprüht, setzt er sich an den Rand des Herdes und sagt halblaut: »Hast schon nachdenkt drüber? Weißt eh.«

»Da brauchts kein Nachdenken. Was ich g'sagt hab vorig Sonntag, dabei bleibts.« Emsig legt sie Scheiter über das Feuer.

»G'scheit wärst nit,« sagt er. »Einem Dirndl wie dir, hätt' ich gemeint, müßt's taugen – Großbäurin werden.«

»Aussuchen kann ich mir's, die Bauernhöf', wenn mir drum ist. Alle Tag feilt mir ein anderer einen an. Ich mag nit und ich mag einmal nit.«

Der Bursche stellt sich auf die Füße. »Wie du halt glaubst. – Laß deinen Vater schön grüßen. Und mit dem Kornmahlen wird's derweil nix sein auf meiner Mühl. 's ist zu kalt, 's ist frei zu kalt. 's hat das Wasser vereist.« – Aber sogleich tritt er sie zärtlich an: »Saggrisch leid tut's mir wohl um dich. Weil ich mir keine Liebere weiß, ich weiß mir keine. Wenn du's nur tätest sagen, was für einen großen Fehler ich hab' – daß d' mich so kannst fortschicken!«

»Was für einen Fehler? Zu schön bist mir. Zu brav bist mir. Zu reich bist mir auch.« Hell lacht sie zum Spott. Und der Sandbichlersohn ist fortgegangen.

Als das Mittagessen gekocht ist, schiebt sie ein Glasfensterlein seitlings und tut durch die Lücke hinaus einen hellen Pfiff. Vom Strohdach, die Leiter herab, steigt ein betagter Mann. Der Dachdecker Karl, der heute einmal den Schopf seiner eigenen Hütte ausgebessert hat. Der kleine Tisch ist weiß gedeckt, eine Schüssel dampfender Milchsuppe, ein Topf mit Erdäpfeln, ein Salzgefäß und ein Laib Brot. Das Brotmesser zieht der Karl aus seinem Sack.

»Sanna,« sagt er während des Essens, »heut früh, wie ich Weiden schneiden geh, ist mir der Tonhofer begegnet. Und – er hat mich wieder gefragt. Und will morgen noch einmal anfragen. – Sanna, was darf ich ihm denn sagen?«

Schon wieder einer! denkt sich das Dirndl.

»Was meinst denn von wegen seiner?«

»Ich hab's schon gesagt.«

Der Alte schält einen Erdapfel, tunkt ihn in Salz. »Daß d' gar so trutzig magst sein,« sagt er heiser und schiebt den Erdapfel in den Mund.

»Wenn ich nit mag. Wer kann mich zwingen?«

»Zwingen – kein Mensch. Aber leid wird's dir einmal tun, wenn du dein Glück bei der Tür hinausjagst. Wohl, wohl – bei der Tür hinausjagst, nit anders. Das klemmige Kummerörtel da. Und dort der prächtige Bauernhof, überall Sachen zum hernehmen. Und der Mensch ist ja auch nit z'wider.«

»Wem er gefallt!«

»Gern hat er dich, sagt er. Ihm stehen zehn für eine, wenn er will. Wohl auch angesehene Bräut. Dich hätt' er halt so viel gern, sagt er. Und – mir wollt's auch taugen, wenn ich mir's in alten Tagen ein eichtel leichter geschehen lassen kunnt.«

Da schaut sie auf. Traurig und müd ist sein Gesicht. Alt und zusammengeknickt sitzt er da, der sein Lebtag fleißig gewesen ist und noch im weißen Haar für ihn, für sie das Brot soll herschaffen.

»Wenn er noch einmal fragt, in Gottesnamen Vater – sag halt ja.«

Er hält im Essen ein, schaut sie von der Seite an. »Wenn's g'rad nur meinetweg wär', Sanna! Das dürft auch wieder nit sein. Das möcht' ich nit verantworten.«

»Deinetweg und seinetweg. Zwei gelten mehr als eins.«


Und noch an demselben Abend ist's, sie liegt schon im Bette, klopft der Holzknecht an ihr Fenster. Schade, daß es schon nachtet und man nicht mehr sieht, was das für ein schöner Mensch ist. Susanna zieht die Decke über ihr Haupt. So herrisch sie gegen alle andern ist, aber vor dem vermag sie sich nicht zu schützen. Sie fürchtet sich vor ihm und – vor sich selber.

»Warum tust denn heut so, Dirndl?« flüstert er durch das Fenster.

»O mein Siegi, mit uns zweien ist's aus.«

»Du Narrl,« lacht er, »mit uns zweien hebts erst an. Gestern bin ich Holzmeisterknecht geworden. Um einen ganzen Gulden mehr Wochenlohn. Wenn du willst, können wir jetzt ernst machen?«

»Mein Gott!« schluchzt sie, »ich hab mich einem anderen versprechen müssen.«

»Geh' mach' keinen dummen Spaß.«

»Behüt dich Gott, Siegmund! 's kann nit sein bei uns. Behüt' dich Gott!«

»Was b'hüt dich Gott? Wie b'hüt dich Gott? Geh, mach' auf, 's ist Schad um die Zeit.«

Da geht im Fenster der Holzschuber zu.

Er hat lange geklopft und gebettelt und geschmeichelt und geflucht. Veschlossen ist das Fenster geblieben und still hinter demselben, als wäre alles abgestorben. Bergwärts ist er gegangen gegen seinen Hochwindschlag und hat sich unterwegs mit der Faust an den Kopf geschlagen, weil er sich vor seiner selbst hat geschämt. Denn wie ein Kind weinen hat er müssen. Nur weiß er nicht, aus Zorn oder aus Liebe. Dumm ist beides – ganz dumm. »Jetzt – jetzt, wenn ich die nit krieg, ist mir alles eins. Eine Freud muß der Mensch doch haben. Ein nixnutziger Kerl will ich werden.« Damit will er sich trösten und schleicht jenem Dickicht zu, wo er unter Moos und Steinen seinen Kugelstutzen versteckt hat. Das Dirndl hätte ihn zurechtbringen können von seiner alten Leidenschaft. Wenn's nicht sein kann, muß der Mensch halt zugrunde gehen.

Der Tonhofer, wie er von dem Alten hört, er dürfe kommen, da steht er auch schon vor der Haustür. Ein dicklicher, gutmütig dreinschauender Bursche, nicht mehr gar jung, so daß er – wenn's nicht sein muß – den Hut ungern vom Kopf tut. Es muß auch nicht sein. Aber, als er zum Suppenessen eingeladen wird und der alte Decker Karl das Tischgebet ruft, da muß es doch sein. Es ist nicht anders, beinahe bis an den Scheitel geht sie hinauf, die Glatze. Der Susanna macht die gerade nicht viel. Sein süßliches, untertäniges Girren und Schleichen um sie herum ist ihr viel zuwiderer. Zwingen muß sie sich zur Freundlichkeit und was die Hütte in Vorrat hat, das kocht und brät sie und bringt es auf den Tisch. So lange er ißt, hat sie Ruh vor seinen läppischen Schmeicheleien. Und denkt weiter: Die so viel essen, die leben nicht lang, und am liebsten wäre ihr, seine Glatze ginge auch noch hinten hinab, so daß seitlings nur ein paar weiße Haarschüberln stünden und er keinen Zahn mehr im Mund habe und er bucklig und hustend und trensend auf dem Stecken herumwanke – da wollte sie ihn am liebsten nehmen, da wollte sie ihn sogar recht liebreich hegen und pflegen – lange könnt's ja nachher nicht dauern und sie säße mit ihrem guten Vater allein auf dem schönen Tonhof.

Nach dem Abendessen streichelt der Tonhofer die Sanna am Arm – weiter hin wagt er sich noch nicht, spricht aber vom Dableiben.

»Fragst halt den Vater!« rät sie ihm, das weiß sie wohl, der Alte winkt ab, denn er ist sehr streng in solchen Sachen. Der Karl hat für diese Strenge seinen besonderen Grund. Wenn so ein Großbauer einmal weiß: Dableiben kann ich so auch, dann verschiebt er das Heiraten. Solche Leut' muß man brav aushungern lassen, bis sie dazukommen, die Hochzeitstafel zu decken. Also heimgehen, Tonhofer!

»Und wenn du willst, daß wir zum Pfarrer gehen – wir sind allzeit bereit. Gelt, Sanna!«

»Na freilich!«

So ist er willig heimgegangen.

»Einen kamoden Mann kriegst!« sagt der Karl zu seiner Tochter. »Jetzt derweil hältst ihn fest, verstehst und daß er dir nit auskommt. Daß ich dir sag, ein bissel kunnt'st just schon zutunlicher sein mit ihm, weißt, es gibt auch noch andere Weiberleut, die nach ihm angeln. Nach der Hochzeit nachher ist's nit mehr so heikel – kannst dich schon besser gehen lassen wie du willst. Froh bin ich halt wohl, daß die Heirat zustande kommt. Jetzt sind wir auch einmal wer. Das taugt.«

Die Susanna ist still. Aber als sie in ihre Schlafkammer geht, muß sie doch ganz laut aufkreischen: »Jesses, diese Mannerleut. In alles tun sie sich drein und alleweil denken sie auf sich selber und von der Lieb wissen sie nix.« Wer in derselbigen Nacht gehorcht hätte an ihrem Fenster. Der Alte hat's ganz zufällig gehört und bei sich gesagt: »Daß sie wieder so viel Zahnweh hat, die arme Dirn! Und kunnt sonst jetzt so lustig»sein!« – Aber am nächsten Morgen hat sie sich die Augen mit kaltem Wasser gewaschen. Kein Mensch merkt es.


Eine Woche später, an einem kühlen Aprilmorgen, sind sie früh aufgestanden. 's ist über zwei Stunden weit ins Kirchdorf und auch der Tonhofer wird sich dort einfinden. Dann wollen sie in den Pfarrhof zum »Versprechen«.

Unterwegs auf dem kiesigen Waldweg fallen dem Karl rote Flecken auf und zerrupfte Vogelfedern. Er hebt eine auf und sagt: »Sanna, schau einmal her. Da ist heut schon ein Schildhahn geschossen worden.«

»Wegen meiner,« sagt sie und geht ihren Schritt weiter. 's ist ihr alles gleichgültig. Wird noch nicht ausgeschlafen haben, denkt sich der Alte. Oder sollt' sie doch so verschossen sein in den Zukünftigen, daß sie alles andere übersieht und überhört, wie der Hahn auf der Palz? Bei den Weiberleuten kennt sich eins frei nit aus.

Im Kirchdorf beim Bräuer müssen sie warten. Er ist noch nicht da. – Es wär' schon Zeit, kunnt schon da sein. Hat auch nit weiter, wie wir, sinniert der alte Karl. Die Kirche läutet zur Messe. Man sollt' doch zu Meß' gehen an so einem Tag. Sonst wird sich der Pfarrer was Schönes denken von so Brautleuten, die den Herrgott beiseite schieben, just wenn man ihn am notwendigsten zu brauchen haben möcht'. – Der Alte wird unruhig. Der Tonhofer! Wenn er sich's überlegt hätt'! – Kriegen tät so ein Großbauer jede. Auch gar angesehene. Daß ihm seine Blutsfreund' abgeredet hätten: Ein Tonhofer wird eine Häuslerin nehmen! Das wär' schon gar schön. So unruhig wird der Karl, daß er gar nicht mehr sitzen bleiben kann bei seinem Bierglas. Er geht hinaus und schaut die Dorfstraße hin, ob er nicht endlich daher steigt. Die Susanna denkt: Was soll eins da auch noch hersitzen wie ein angemal'ner Kineser. Als ob man ihn schon nit möcht' derwarten. So einen! Ich geh' lieber in die Meß'.

Und auf dem Weg zur Kirche hinauf, im kleinen Birkenschachen, steht auf einmal der Holzknecht vor ihr. Er ist im lodenen Werktagsgewand und ein wenig verstört. »Sanna!« sagt er, zischt es fast nur, »komm' ein bissel mit mir!«

»Ich geh' in die Kirchen,« sagt sie, »wenn du mit willst, wird dir auch nit schaden.«

Er faßt sie am Arm und zerrt sie mit gelassener Gewalt zwischen den Birken und Erlensträuchern hin. Sie weiß nicht wie ihr geschieht. So hat sie noch kein Mensch in seine Kraft genommen.

Er steht still, läßt sie los und fällt vor ihr auf beide Knie: »Sanna!« Er ringt die Hände: »Sanna! Ich weiß, auf wen du wartest. Um deines und meines Lebens und Sterbens Willen, das darf nit sein.«

»Was das dich angeht, will ich wissen!«

Da nimmt er sie heftig an beiden Händen, zieht sie nieder an sich: »Du gehörst da her! Zu mir gehörst du! Zu mir gehörst du!«

Sie wehrt ab, will sich losreißen, da versetzt er ihr einen heftigen Schlag an den Kopf. – –

Nach dem Schlage stehen beide bewegungslos da. Er hat sie ja losgelassen, er hat sie geschlagen – und sie bleibt vor ihm stehen, ohne Trotz und Zorn. Ihre Augensterne werden so groß, daß sie das Weiße ausfüllen. Dann kommt eine Träne hervor. Er verdeckt mit den Händen sein Gesicht und sein Leib schlittert.

»Siegmund,« sagt sie in einem gar innigen Ton. »Wenn du mich so unsinnig gern hast, daß du mich schlagen mußt – –! Ich hab' ja auch keinen so gern, als wie dich. Keinen Menschen auf der ganzen Welt. – Führ' du mich, wohin du willst.«

Der Tonhofer war freilich zu spät gekommen. Im Bräuhause haben die beiden Männer gewartet, dann sind sie hinausgegangen und haben gesucht und gerufen. Derweil sind die Susanna und der Holzknecht Siegmund oben im Pfarrhof gewesen und haben sich versprochen.

Wie der Holzknecht nachher allein hinübergeht in seinen Hochwindwald, begegnet ihm der Sandbichlersohn. »Was ist's, Holzknecht?« ruft er diesem zu, »verkaufst mir deinen Schildhahnschwanz?« Das ist kein kleiner Schreck für den Siegmund. Aber ganz unbefangen stellt er sich und sagt: »Geh, Sandbichler, was du nit plauschest!«

Der Sandbichler macht einen Ruck mit der Achsel, gleichsam: Ich kann schweigen, kann dich aber auch verraten. Dann geht er seines Weges. Er hat die Absicht hinein ins Tal zur Dachdeckerhütte zu gehen und es nochmals zu versuchen mit der Susanna. Warum just dieses Fleisch und Blut von Stein sein sollt, das möcht' er wissen. Unterwegs, nicht weit vom Forsthause, begegnet er dem gräflichen Oberjäger. Der ist in einer wütenden Erregung. Seine Gnaden, der Herr Graf, kommt in einer Stunde von der Stadt daher auf den Hahn. Morgen sollt' Jagd sein und heute früh ist der Hahn abgeschossen worden!

»So, so,« sagt der Sandbichlersohn, »der Hahn ist dir abgeschossen worden. Nachher schau nur, Jager, daß du den Wilddieb nit derwischest, sonst kommst auf zehn Jahr ins Zuchthaus.«

»Ich?«

»Freilich du. Weil du ihn niederschießest.«

Dann gehen sie auseinander.

In der Dachdeckerhütte ist der Sandbichlersohn nicht eingelassen worden am selbigen Abend. Er hat auch kein Begehr danach gehabt. Denn drinnen ist ein wildes Schreien und Fluchen und Weinen gewesen. – Wenn der Vater fragt: Du Sanna, der Tonhofer hat lang auf dich gewartet beim Bräuer, daß er mit dir zum Pfarrer geht. Wo bist du denn gewesen? – Vater ich bin mit dem Holzknecht Siegmund beim Pfarrer gewesen – so ist ein solches Zwiegespräch vergleichbar mit einem Zunder, den man ins Pulverfaß legt.

Das Unwetter hat gedauert die halbe Nacht, dann sind sie müde gewesen vor Schreien und Klagen, haben sich in ihre Betten gelegt und hat jedes für sich gesagt: In Gottesnamen! – In Gottesnamen! sagt die Susanna, ich nehm den, der mir gefallt. – In Gottesnamen! sagt der alte Karl, bleib' ich halt mein Lebtag ein armer Teufel. Ist vielleicht eh' g'scheiter, so.


Erfahrene Leute wissen zu sagen, daß manch' ein großes Glück, welches viele Jahre lang mit allen Sehnsuchten herbeigefleht, mit allen Kräften angestrebt wurde, wenn es plötzlich da ist, nicht die große Freude verursacht, die man von ihm erwartet hat.

Sollte das auch dem Holzmeisterknecht Siegmund so ergehen? Seit dem Tage, da er sich mit seiner Herzallerliebsten versprochen hat, ist er nicht mehr lustig. Er tut ihr alles, was er kann, zulieb, aber er ist oft in sich versunken, schweigsam und nicht mehr lustig. Susanna weiß sich das nicht zu reimen, mag ihn aber auch nicht fragen nach der Ursache. Am Ende – denkt sie – ist es gar, daß ihm der Schlag weh tut, den er ihr damals in der Aufregung versetzt hat. Mein Gott, dieser Schlag ist es ja gerade gewesen, der sie zu ihm hingerissen hat. Nach einem heißen Menschen hat's ihr ja immer verlangt. Weichmütige Leute, die haben sie nur zum Trotz gereizt. Aber dem Mann, der sie geschlagen hat, weil sie nicht hat lieben wollen, dem hat sie ja sagen müssen.

Die Trauung wird angesetzt für einen Sonntag nach dem Nachmittagsgottesdienst. Aber just noch vor diesem Gottesdienst hat der Holzknecht die Braut in eine Ecke der Kirchhofmauer geführt und gesagt: »Oder was meinst, Sanna, ob wir's nit etwa auf ein paar Wochen verschieben sollten?« Ihre Antwort: »Siegmund, ich versteh dich nit!« Da ist er mit ihr in die Kirche gegangen.

Die Anwohner des Gottesdienstes sind nach demselben alle sitzen geblieben. Bei dieser Trauung wollten sie doch dabei sein. Wenn eine arme Häuslersdirn reiche Bewerber ablaufen läßt, einen um den andern und einen notigen Holzknecht auserwählt – ein solches Brautpaar muß man sich doch anschauen. In ihrem einfachen Sonntagsgewand kommen sie daher. Er hat im Knopfloch eine blasse Nelke, sie hat in das gescheitelte Haupthaar ein schütteres Rosmarinstämmlein gewunden – anders unterscheiden sie sich nicht von den übrigen. Der Altar trägt keine Zier, der Pfarrer hat den einfachen Chorrock an und eine abgeblaßte Stola. Im Gebettone liest er aus dem Buch eine kurze Traurede, dann schreitet er zur Trauung. Dann kommt, wie es im Lande herkömmlich, die dreifache Frage. Den Bräutigam frägt der Priester, ob es sein ernstlicher und ungezwungener Wille sei, diese anwesende Braut zum Weibe zu nehmen. Er säumt mit der Antwort und murmelt ein unentschlossenes ja. Sie macht es bei derselben Frage kräftiger. Der Priester fragt das zweite Mal, ob er ihr treu bleiben wolle und all Freud und Leid mit ihr teilen, bis sie der Tod trennt. Er zögert – dann antwortet er kaum vernehmlich ein zagendes ja. Dabei neigt er sein Haupt über die Brust hinab und ein Zucken geht durch seinen Körper. Susanna möchte versinken vor Angst und denkt: Er stirbt mir. Aber sie bleibt starr auf ihrem Stein stehen. So frägt ihn der Pfarrer, und zwar mit nachdrücklicher Stimme, das dritte Mal um seinen Willen, den ewigen Bund abzuschließen. Siegmund steht unbeweglich und schweigt. In derselben Sekunde ist kein Atemzug getan worden in der ganzen Kirche. Da richtet der Bräutigam sich plötzlich in die Höhe und ruft laut: »Nein! Jetzt nit! Ich kann nit!« und eilt durch die Sakristeitür davon.

Das Volk in der Kirche ist auf und fährt murrend und fast laut sprechend durcheinander. Der alte Dachdecker Karl, der hinter dem Paare gestanden, streckt beide Arme empor wie einer der im Ertrinken ist und schnappt nach Luft. Aber nur ein paar Augenblick so, dann duckt er sich unter die Menge. Der Pfarrer ist rasch dem Flüchtigen in die Sakristei gefolgt. Die Braut steht vor dem Altare unbeweglich wie eine Säule. Da steht sie nun. Die reichsten und angesehensten Werber hat sie heimgeschickt. Und der arme mißachtete Holzknecht hat sie verschmäht. – – Endlich wendet sie sich – und geht auch hinaus.

Aber den Flüchtling hat niemand eingeholt. Die Dorfgasse lief er hinab, dann hat ihn keiner mehr gesehen.


Die Susanna steht wieder am Herd ihrer Hütte und schlägt mit Stahl und Stein Feuer, um ihrem Vater die Suppe zu kochen. Arme Leute sind abgehärtet. In Gottesnamen, denkt sie, auf der Welt geht alles vorbei, wird auch das nit stehen bleiben. Etliche hätten gerne gewußt, ob sie ihn liebt oder haßt. Andere haben gemeint, jetzt wäre sie vielleicht billiger zu haben. Der Sandbichlersohn machte einen Versuch, der abscheulich mißlang und der Tonhofer war froh, daß er unbeweibt geblieben. Eines Abends gehen drei Burschen an der Hütte vorüber und singen spottweise: »Susanna, nit wana!« – Und sie weint ja auch gar nicht. Sie verliert über den durchgegangenen Bräutigam kein Wort, kein gutes und kein schlechtes. Weil aber der Vater doch immer anfangen will, seiner zu fluchen, so ist ihr die Zeit am liebsten, da er in der Arbeit aus ist und sie ihr wehes Gedenken still für sich hat. Wenn er aber Samstags heimkommt, so ist's halt doch immer wieder die Frage: »Und kannst dir's denn gar nit denken, Sanna, warum er's hat getan?« Blickt sie nicht von ihrer Arbeit auf, zuckt die Achseln und sagt trocken: »Wird ihm halt g'rad so gepaßt haben.«

Da ist eines Tages der Brief gekommen. Verknittert, schlecht zugeklebt, mit gelblich blasser Tinte, von einer Hand, die besser das Holzbeil führt als die Feder:

»Liebe Susanna!

Bitt' um verzeichen, indem ich dich so in Unehr. Ist schlecht aber hat nicht andersch Sein können und dich vor den leuten in unehr hab gebracht. Jetz mus ich wol hart Büssen und in 5 Wochen dir vor Augen treten kann.«

Das ist alles. Kein Ort, kein Datum, kein Name. Aber sie weiß es ja doch. Und sie schweigt. Als ob nichts wäre, so arbeitet sie in der kleinen Wirtschaft ihre Tage dahin.

Der Brief muß lange gegangen sein, denn noch vor der angegebenen Zeit steht er bei der Hütte am Brunnen. Er hat sein Gewand an wie damals. Sein Gesicht ist ein wenig schmäler und blasser geworden, aber gut rasiert. Seine Augen schauen größer aus, so wie nach einer Krankheit. Er nimmt einen Schluck Wasser. – Sie sieht ihn, geht langsam hinaus und reicht ihm die Hand. Er hält sie fest, schaut sie an und sagt nichts. Sie führt ihn in die Hütte, setzt ihm eine Schüssel mit Milch vor, legt ein Stück Brot daneben hin und einen Löffel.

»Ich tu' lieber trinken,« sagt er und führt den Rand der Schüssel zum Mund. Jetzt, da sie sieht, wie gierig er die Milch austrinkt, kann sie ihr Herz nimmer verhalten. »Aber, Siegmund!« schreit sie weinend heraus, »warum hat denn das so sein müssen?!«

Er fährt sich mit seinem zerknüllten blauen Sacktuch über das Gesicht und tut ein kurzes heiseres Auflachen.

»Wenn's dich gereut hat mit mir, wesweg bist denn jetzt wieder da?« fragt sie.

»Du weißt es halt nit, Sanna,« sagt er. »Du hast es halt nit wahrgenommen. Wie wir in die Kirche sind gegangen und am Tor das Gedräng' ist, streicht mich der Sandbichlersohn an und raunt mir ins Ohr: Mußt dich schleunen mit der Koplation, in einer Stund' sind die Schandarm da! – Da weiß ich, er hat mich verraten. Weil ich den Schildhahn hab' geschossen und der Sandbichler hat mich dabei gesehen.«

»Und was denn weiter?« fragt sie.

»Jetzt kannst dir's ja wohl denken. – Hätt' ich dir's leicht antun sollen, daß mich die Schandarm vom Altar wegtreiben? Da geht einer schon lieber so. Schnurgerade zum Land'sgericht bin ich, hab' mich gestellt und mein' Sach' abgebüßt.«

Susanna steht da, hält die Hände über der Brust gefaltet und schweigt. Nach langem Schweigen endlich: »Eines Schildhahns wegen!«

»Ungeschickt genug, daß ich so bin davongelaufen. Und dir eine andere Schand gemacht, derweil ich dir die eine hab' ersparen wollen.«

»Und auf mein Leid hast nit gedacht?!«

Sie schreit vor Schmerz.

Er reißt sie an sich und herzt sie und küßt sie.

»Und wenn's gutzumachen wär', Susanna. Freilich hab' ich des Hahn's wegen auch meine Holzmeisterstell' verloren. Bin halt gar nix jetzt . . .«

»Ich frag' nit nach Schand und Ehr und Holzmeisterstell'. Vier gesunde Händ' haben wir und wenn du ordentlich ja sagen kannst, so woll'n wir's halt noch einmal miteinander probieren.«

Ist aus den zwei armen Leuten ein zufriedenes Ehepaar geworden. Und ist's ihnen am liebsten, wenn sich fremde Leute nicht weiter um sie kümmern.

 


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