Peter Rosegger
Nixnutzig Volk
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Lüge der Jungfrau.

Die Geschichte habe ich von ihr selber. Aber sie ist verdammt hart fürzubringen, weil die Leute darüber wieder den Kopf schütteln werden. Auch solche, die gar nicht einmal einen haben. Nun – lassen wir's drauf ankommen.

Der Bürgermeister zu Knodlach war schon in der gewissen Zeitigkeit, wo man die Haare hinten länger wachsen läßt, um sie nach vorne kämmen zu können. Und fiel es ihm jetzt ein: Heiraten könnte der Mensch eigentlich auch. – Für den Bürgermeister die Säuberste, das ist ohne weitere Erklärung zu verstehen. Aber auch eine Ehrsame muß es sein, eine ganz frische, die noch keinen Wurmstich hat. Und da ist die Auswahl freilich wohl nicht groß. In Knodlach weiß man gar keine, bei der es ganz sicher wäre. Hat eine schon keinen Wurmstich, so gewiß einen Wespenstich boshafter Umrede.

Aber beim Kern auf dem Samelsberg steht eine – so frisch wie der junge Kirschbaum. Solange solch ein grün Bäumlein noch keine Kirschen trägt, ist es sicher vor Gimpeln und Spatzen, obschon so mancher hin- und herflattert, um zu gucken, ob sich im Laub nicht doch irgendwo schon ein rotes Knötlein zeige. Auf den Samelsberg, so steil er ist, denkt der Bürgermeister von Knodlach. Während er aber bloß hinauf denkt, gehen andere hinauf.

Der Kringstam-Franzl! Auf dem Kirchweg hatte er sie einmal flüchtig, nur so über die Achsel hin, ganz leise, aber schreckbar glühend, gefragt, ob er in der Samstagnacht kommen dürfe! – »Kommen«, das erlaubt jede. Erstens, weil sie's nicht verbieten kann, und zweitens, weil sie's nicht verbieten will, dieweilen es kein übler Aufputz ist für ein Dirndlkammerfenster, wenn am Gitter frische Büblein hängen. Gasseln! Fensterln! In unserem Heimatland ein uralter Brauch, ein schöner, lustiger, gar sündhafter Brauch, weshalb er auch nimmer abkommen wird, solange das Obst nicht umsonst zu haben ist. Grußstanderln! Besuchsstünderln! Probenächte! Wem zugetraut werden kann, daß er nachher ernst macht mit dem Heiraten, der wird so leicht nicht abgewiesen. Schmilzt die heiße Liebe schon nicht das Fenstergitter, so kommt ein Flüstern heraus, wie man um die Hausecke gehen und die Türklinke drücken muß, daß es aufgeht. Die Eltern oder der Vormund mögen es wahrnehmen, aber sie brauchen die Augen nicht erst zuzudrücken, weil sie bei der Nacht ohnehin selten offen stehen. Also hinein, junger Kerl, wenn du willst! Aber, Lump, wenn du sie nachher sitzen läßt! – Wenn es jedoch Probenächte sein sollen, auf die unsere klugen Altvordern schon so viel gehalten, dann muß man's auch d'rauf ankommen lassen. Allerdings, daß ich erinnern mag: In der Probenacht besteht manches rechtschaffen, was nachher in den langen Ehejahren nicht immer Stand hält. Deswegen, Dirndl, gewagt ist's, wenn du dem Buben verrätst, wie man die Türklinke drückt, daß sie aufgeht!

Der Amrei Lise beim Kern auf dem Samelsberg braucht man solcher Sach' wegen keine Mahnung zu geben. »Die Tür in mein Stübel,« sagt sie, »sperrt nur der Kirchenschlüssel.«

»Was hilft dir dein Klocken (Klopfen),
Deine picksüße Red'!
Das G'schloß is von Eisen,
Das Herz aber net!«

Wäre er nur erst in der Kammer, dann kunnt sie sich wohl selber nimmer stark genug sein. Aber an die Wand kommen mit dem Leiterl, das hat sie ihm gestattet, da will sie wohl 's Fenster aufmachen, daß sie selbander mögen plaudern.

Schwer zu glauben ist es nicht, daß der Franzi nun Samstagnacht um Samstagnacht auf dem Leitersprießel sitzt, vor ihrem Fenster. Liebliche Ansprach' kann hinein, die Hand kann hinein, daß sie langt an die Ringlein ihres Haares, der Kopf kann so weit durch das Kreuzgitter hinein, daß »seine Lippen an ihr Göscherl tippen«. So viel Vorschuß gibt sie, aber nicht mehr. Und selbst das nur auf Rechnung des heiligen Ehestandes. Dem Franzi geht es also verteufelt schlecht. Hätte er sich auch für die ersten Abende begnügt, für sein beständiges Wiederkommen jeden und jeden Samstag, auch bei Wind und Wetter, schien ihm doch die Gunst zu gering. Auf dem Heimweg war er oft recht unmutig, aber am nächsten Morgen, wenn er munter ward, da lachte ihm das Herz darüber, daß er ein so starkes züchtiges Dirndl hatte. Und wenn wieder die Samstagnacht kam, stieg er wieder an ihr Fenster, in der Hoffnung, diesmal würde sie weniger stark sein, und beim Heimweg war er wieder ungut und am nächsten Morgen war er wieder froh. Es mag bei den eingezogenen Dirndeln wohl auch die Klugheit mitsprechen; sie wissen es recht gut, daß man die Hochzeit mit nichts sicherer beschleunigen kann, als mit dem Versagen vorzeitiger Gaben. Der Kringelstam-Franzl ging zum Pfarrer, des Aufgebotes wegen, und zum Wirt, daß er einen Ochsen schlachte und ein paar fette Schweine. Der Kringelstam besitzt zwar kein Anwesen, aber er will die große Klausenmühle pachten und lumpig soll's nicht hergehen, wenn er die Kerntochter heimführt. Mittlerweile war auch der Bürgermeister einig geworden mit dem Kern auf dem Samelsberg. Es wackelte nämlich der Kernhof. Es lasteten Schulden auf ihm, von denen »niemand nichts« wußte, als der Kern und leider auch die Gläubiger. Diesen Gläubigern begann aber die Gläubigkeit abhanden zu kommen, ob das Kerngut im Kern wohl auch gut sei und ob sie wohl auch sicher zu ihrer Sache kommen würden. Da mit stillen Mahnungen nichts erreicht wurde, so ließ einer ihrer Advokaten was fallen vom Pfänden und Verganten. Jetzt verlor der Kern den Kopf und – der Bürgermeister fand ihn. Nachdem er schon in den Gemeinderatssitzungen immer besonders beifällig genickt hatte, so oft der Rat Kern einen weisen Ratschlag getan, fuhr der Bürgermeister eines schönen Regentages im Kernhofe vor. »Schön hast es wohl da heroben,« so begrüßte er den Bauer. »Möcht' gleich selber heroben sein, wenn ich nit unten wär'. Aber frei zum bideln (brautwerben) gehen, so regnen tut's heut'.« An einem Regentage brautwerben oder Hochzeit halten, bedeutet künftige Reichtümer.

»Na, na,« lachte der Kern, »der Knodlacher Bürgermeister wird bei so was wohl nit auf einen Regentag anstehen.«

»Eh nit, eh nit. Schon ehenter aufs Bideln, möglicherweis'.«

»So? Ei! Schau! Viel zu jung wärst just nit mehr dazu,« sagte spaßeshalber der Kern.

»Und zu alt auch nit. Und 's Regnen kann der Mensch alleweil brauchen.«

Auf diese Bemerkung hat der Kern einen hörbaren Seufzer getan. »Wenn's einmal eine halbe Stund' Dukaten regnen tät, meine Kohlpflanzen wollt' ich gern derschlagen lassen.«

»Wirst eh auch dein Anliegen haben,« sagte hierauf der Bürgermeister. »Solltest einmal einen guten Freund brauchen – den Kernleuten bin ich alleweil geneigt gewest, alleweil. – Ist die Amrei Lise nit daheim?«

»Meine Tochter? Die tut mit der Mutter Krautpflanzen setzen. Wenn's regnet, muß man Kraut setzen.«

»Du Nachbar – eh, was ich sagen will,« der Bürgermeister tat gar zerstreut, »die – die – weißt, die Amrei Lise, die wirst mir halt müssen geben.«

Lachend schlug ihm der Kern die Hand auf den Arm: »Wär' schon recht, Bürgermeister, wär' schon recht!«

»Spaß und Ernst auch. Heut' lieber wie morgen, daß ich sie wollt' mitnehmen. Platz hätten wir auf dem Wagen alle zwei. Und austrommeln (aufbieten zum Verganten) wollt' ich ihn nit lassen, meinen Schwiegervater, austrommeln nit!«

»Aber je, aber je,« rief der Kern freudig aus. »Nachher wärst mir ja ein reiner Vierzehn-Nothelfer!«

Eine halbe Stunde später und sie gingen hinaus zum Krautacker. Die beiden Weibsleute waren in gebückter Stellung und eifrig bei der Arbeit, Kohlpflanzen in die feuchte Erde zu setzen. Der Bürgermeister schlich die Amrei Lise hinterwärts an, hielt plötzlich den Regenschirm über sie und rief lustig: »Die Frau Bürgermeisterin darf man nit anregnen lassen!«

Alle lachten und die Amrei Lise entgegnete, da hätt's keine Not, die Frau Bürgermeisterin tät's eh nit anregnen.

Das war die erste, noch die höfliche Ablehnung. Ein paar Tage später, als er förmlich um sie anhielt, war ihre Meinung, mit so ernsten Sachen soll man keine Späße machen. Und eine Woche später, bei der dritten Werbung, die in Gegenwart der Eltern und Verwandten geschah, bekam das Dirndl blitzende Augen. Der Bürgermeister versicherte, daß es wohl auch ihre Jugend und Schönheit sei, als noch mehr ihre Bravheit und Gutheit, die man in Gold fassen müsse und zum Vorbild hinstellen vor die Gemeinde. Gar feierlich sprach er. Aber sie wollte zur Tür hinaus. Der Vater hielt sie am Arm fest und sie würde doch nicht ihr Glück ablaufen lassen!

»Glück! Mit dem!« kreischte sie auf, »laßt mich, ich will Fried' haben!«

»'s ist nur die Schamigkeit,« beruhigte der Kern, »die Schamigkeit ist's. Bist halt alleweil ein züchtig Dirndl. Daß du dir's von deiner Mutter halt wohl einmal sagen lassen mußt, wie nach Gottes Willen zur Eva auch der Adam gehört. Und auf so ehrenhaften Schick, wie diesmal! Schau an deine Kameradinnen weitum, ob eine so ein Glück macht! Und ich bin aus der Sorg, das mußt auch bedenken, ich bin aus der Sorg, wenn du jetzt ›ja‹ sagst. Einmal den Mund auftun, schau', das ist eh nit viel für all' Kreuz und Kummer, so die Eltern mit einem Kind haben gehabt. – Ei, sie ist nur erschrocken, sie sagt schon ja.«

»Ah na, freilich sagt sie ja!« sprach der Bürgermeister, nach ihrer Hand tastend. »Daß sie sich tut sträuben, ich wünsch' mir kein besseres Zeichen von der Jungfrau!«

»Ich bin keine mehr!« schreit die Amrei Lise gellend auf, reißt sich los und eilt hinaus.

Sie ging in ihr Stübel, schloß sich ein, und jetzt erst konnte sie weinen. Weinen aus Zorn, daß man sie so hatte verkuppeln wollen. Weinen aus Leid, daß sie in trotziger Erregung durch eine Lüge ihre Ehre hat verletzt, bloß um ihn abzuscheuchen.

Das Wort flog rasch hinaus und kitzelte alle Ohren von Knodlach und Umgebung. Im Hause ist Ruhe geworden an demselben Tage. Keins sprach zu ihr ein Wort; die Mutter tat am Abend beim Herde, als sie das Scheit ins Feuer warf, murmeln von der »spottschlechten Flitschen, die just einmal so ins höllisch' Feuer geschmissen wird«!

Der Bürgermeister hatte sich zurückgezogen von »so Einer«. Eine schreckliche Verbannung war auf sie geworfen und mit solchem Verlangen hatte sie die Samstagnacht noch nie erwartet als diesmal. Sie kam, aber der Franz kam nicht. Hingegen brachte ihr der nächste Tag ein Brieflein:

»Liebe Amrei Lise!

Indem ich das hab' hören müssen, wird's nichts mit dem Mühlpacht. Ich mag nimmer bleiben in Knodlach und probier mein Glück in der weiten Welt. Daß du dich vergessen hast, hätt' ich dir vielleicht verzeihen können, aber die Falschheit nicht, da kunnt ich wohl kein Vertrau zu dir mehr haben. Ich wünsche nur, daß er dich wenigstens heiratet, der Gewisse, dem du's so gut gemeint hast, dieweil du vor meiner so geizig bist gewest. Bin jetzt um ein Stückel gescheiter worden und will halt schauen, daß ich dich vergiß. Dir wird's nicht schwer ankommen.

Franz Kringelstam.«

Von dieser Stunde an ist ihr Herzleid angegangen.

Wie manchen Brief hat sie hinausgeschickt, wenn sie auf Umwegen erfahren, da oder dort sei er gesehen worden. Bei Gott und allen Heiligen hat sie ihm geschworen, daß sie jenes unglückselige Wort nur in Unüberlegtheit und Trutz herausgesagt habe, weil sie sich nimmer anders zu helfen gewußt. Es wäre ihr nichts mehr gelegen gewesen an ihrem Ruf, nur ihm – dem Franz – wollte sie sich in Treuen bewahren. Außer ihm habe sie keinen Liebsten gehabt und werde auch keinen haben, und das könne sie noch in ihrer Sterbstunde sagen.

So hat sie gleichsam hinausgeschrien in die weite Welt. Aber keine Antwort ist zurückgekommen. Nichts und nichts hat sie mehr gehört von ihrem Franz. Nach ihrer Eltern Tod, der bald nach Vergantung des Kernhofes eingetreten, ist sie als Magd in Diensten gegangen. Bis ins Alter hat sie ihre Selbstverleumdung gebüßt und – ist Jungfrau geblieben.

 


 << zurück weiter >>