Peter Rosegger
Nixnutzig Volk
Peter Rosegger

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Diethelm, der Unnutz.

Ich sehe es aus grauer Zeit. In Glockhausen ist Jahrmarkt.

Und wenn in Glockhausen Jahrmarkt ist, da wird die große Dorfkirche zur Arche Noahs, da sind alle beisammen – von jeder Gattung wenigstens ein Paar. Als sie nach der Messe nun herausströmten zum gothischen Tor, über den wogenden Köpfen ein Qualm von Menschendunst und Weihrauchduft, schob das auf dem Stein hockende Weib die zwei Kinder vor sich der Menge zu: »Jetzt schaut zum Beten, Bübelein! Um ein Almosen für den gefangenen Vater. Räuber haben ihn entführt. Wir haben alles verkauft. Haus und Feld verkauft. Es reicht nicht. Sie wollen ihn umbringen. Christenbrüder und Schwestern, wir bitten um einen Beitrag zum Lösegeld!«

So sagt es das junge Weib laut vor sich hin, und die Knäblein, die mageren Hände gefaltet, lallen es nach: »Für defangenen Ater!«

Baldegunds Weib, das arme! Mancher wollte vor der traurigen Gruppe stehen bleiben und hören, ob schon näheres zu erfahren wäre von der grauenhaften Geschichte, aber hinten drängte es nach, kaum, daß sie ihre Schinderlinge ins Körblein werfen konnten, das die kummervolle Bettlerin auf dem Schoß hatte.

Einer reckte über der Menge auf dünnem Halse seinen grauen, bartstoppeligen Kopf empor: »Was hat's denn, daß nit weiter geht? Haben's Äpfel feil?«

»Baldegunds Weib, wenn du's wissen willst, Hartlieb. Um Lösegeld tut sie bitten, wer was hergeben will.«

»Geld hergeben, pfui!« sagte der graue Hartlieb und wandte sich mehr nach der andern Seite.

Als der Hauptschwall sich auf den Marktplatz hin ergossen hatte, wo die Krämer bereits ihre unerhört ausgezeichneten und billigen Schätze auslärmten, stand ein rundliches Männlein still vor Baldegunds Familie, steckte seine Finger in die Westentaschen, ohne aber etwas hervorzuholen. Seine kurzen Beine weit auseinander, sein Haupt vorgebeugt, das schmalkrämpige Hütlein am Nacken. Und hub nun an: »Weibsen! Weibsen! Ist's denn richtig? Aber das ist ja eine teuflische Sach'? Wahr ist's nicht, hab' ich gesagt. Und anitzo hör' ich's von dir selber! So soll ihn doch der neunschwänzig Satan holen, diesen Hinkmar!«

»Der Hinkmar war's ja nicht!« rief das Weib grell aus, »der Botwin! Der Räuber Botwin hat ihn weggeführt. Vom Söller aus hab' ich's gesehen. Der gelbborstige Botwin ist's gewesen.«

»Baldegundin, liebste!« sagte der kleine Mann. »In dieser einen Tasche habe ich zehn Schinderlinge, die kriegst als Almosen wegen dem Christentum. Und in dieser anderen Tasche hab' ich sieben Groschen, die kriegst wegen der Neugier. Aber du mußt mir alles erzählen.«

»Mein Gott!« rief das Weib, »was ist denn viel zu erzählen! Er hat mit dem Roß geackert auf dem Feld. Zur Mittagszeit – aber Kinder, kehrt euch doch nicht allemal nach meinen Reden, tut beten und Gaben sammeln; seht doch, daß wieder Leut' kommen! – Zur Mittagszeit, wie ich auf den Söller geh' und ihn zum Essen will rufen vom Feld, seh' ich sie ringen miteinand, ihn, den Baldegund, mit einem Fremden. Ein Mensch, ein schreckbar großer. Er hat ihn schon in der Furch'. Und zwei andere dabei. Ich zum Nachbar hinüber: Leut! Der Raubritter! Meinen Mann hat er angefallen! Hilfe! – Wie wir hinauskommen, sitzt er schon auf dem Roß, und gebunden vor sich, so hat der Raubmensch meinen Mann und sprengt davon – gegen die Mutolfschluchten hinein. Ich bitt' euch!«

»Aber Baldegundin, liebste, das weiß ich ja schon alles. Seit vierzehn Tagen ist ja keine andere Mär im Lande. Sei mal ein bißchen froh, Baldegundin, daß er dich nicht hat geholt, der Spitzbub. Den Mann gänzt er nicht so leicht an, den wirst wohl wieder kriegen.«

»Kriegen, kriegen – freilich. Wenn Geld da wär'!«

»Wieviel kostet er denn?«

Das Weib holte einen schweren Atemzug aus der Brust und berichtete:

»Der Botwin hat mir sagen lassen, fünfzehnhundert –«

»Groschen?«

»Taler!«

Das dicke Männlein hat einen Pfiff getan.

»Ist zwar ein recht braver Mann, der Baldegund,« sagte er, das Wort langweilig hervorschleifend, »aber fünfzehnhundert Taler – Frag' ob er's wert ist.«

»Ich hab' schon den Grund verkauft und das Haus und das Vieh,« erzählte das Weib, »ich hab' meiner Eltern Silber verkauft und den Ring und alles, es kleckt nicht. Ich hab' der Kinder Kresengeld genommen und meinen Altersgroschen von der Gemeinde und hab' ihn bitten lassen, er möcht' genug haben mit zwölfhundert. Morgens drauf liegt im Apfelbaum-Zwiesel das Brett und mit Kohlen angemerkt: Fünfzehnhundert Taler oder umlegen. Noch neun Tage Zeit. – Heut ist der vierte Tag. Um des lieben Heilands Marterwunden willen, Leut', tut mir helfen!«

Der Alte leerte seine beiden Westentaschen, das gab einen Taler und zehn Schinderlinge. Hätte er auch seine Rocktasche geleert, der Familie wäre Mann und Vater erkauft gewesen. Er aber füßelte eilig hinaus auf den Markt und kaufte zwei junge Pferdlein. Und dachte: Heut wird mir doch der Herrgott ein gutes Geschäft machen lassen, denn ich habe einen Taler und zehn Schinderlinge Lösegeld gegeben!

Auf der Kirchhofmauer saß ein lustiger Spielmann. An dem klapperte alles, wenn er sich bewegte. Der Rippenhans kann nicht heftiger klappern, als es dieser junge Spielmann tat, und er war doch voller Blut und Leben. Es war aber ein sehr anmutiges Klappern. An seinem Leibe hingen nämlich zahllose Holzstäbchen, längere und kürzere, alle ausgehöhlt und vielfach durchlöchert. So oft sich der Mensch auf seinem hohen Mauersitz bewegte oder gar darüber hinlief wie die Katze über den Dachfirst, schlugen die Stäbchen aneinander, daß es eine Art hölzernen Glockenspieles gab. Dann faßte er manchmal eine der Pfeifen kundig zwischen die schlanken Finger und blies darauf frohmutige Melodein über den surrenden Jahrmarkt hin. Mancher spitzte ihm seine Ohren mit Wohlgefallen zu, selbst der graue Hartlieb. Denn das war doch ein ganz ungefährlicher Spielmann oben auf der Kirchhofsmauer – einstweilen wenigstens. Bis er herabkommt und den Leuten das Innere seiner grauen Wollmütze unter die Augen hält, sind wir schon davon.

Ein wohlgesetzter Mann, in seinem dunkelbraunen Gesichte und mit dem Federkamm auf dem Hute einem Rothäuter ähnlich, trieb sich sachte durch das Menschengewirr gegen die Kirchhofsmauer hin, aber nicht des Spielmanns wegen, vielmehr des armen Weibes halber, das immer noch an der Pforte saß und leise betend vor sich hinstarrte.

»Schau, schau,« sagte er gemütlich. »Eine alte Bekannte. Heißt das, alt nicht. Es ist fabelhaft, wie gut du dich erhältst, Rada. Sind immerhin etlich zehn Jährlein her. Bin auch noch soweit beisam'. Kennen wirst mich ja. Pächter bin ich jetzt auf der Wildstatt. Der Hademar, weißt wohl.«

Das Weib hatte ihr Haupt erhoben, ihr Haar aus der Stirne gestrichen, schaute dem Manne ins Gesicht und sagte: »Ihr werdet euch verkennen. Ich bin nicht die Rada. Meine Mutter hat so geheißen.«

»Was du sagst!« entgegnete er. »Deine Mutter hat Rada geheißen? Ja, nachher wärst du ja die Tochter deiner Mutter! Schau! schau! Sie war auch schön! Oh, das war ein sauberes Mädel.«

»Ich bin Baldegunds Weib.«

»Den sie gestohlen haben? Schau! schau! Sind das deinige?« er deutete gegen die beiden Knaben, die sich auf dem Rasen herumbalgten. »Schau, da sieht man erst, daß einer alt wird. An andern sieht man's. Sich selber will man's nicht glauben. Und in Wahrheit ist's so, das Weib ist jung, so lang man's für jung hält, der Mann, so lang er sich jung vorkommt. – Mit deinem Mann sollst Malheur gehabt haben, hör' ich. Schau, schau! Gelt, Rada, es macht nichts, wenn ich mich zu dir in den Schatten setze. Wir kunnten nachher mit einander gehen, wenn du magst. Lösegeld brauchst, sagen sie. Vielleicht – wir wollen mal sehen, vielleicht finden wir was.«

Zuerst hatte er laut gesprochen, dann leiser, und nun flüsterte er nur mehr, so daß es kaum für das Weib zu hören war. Über ihren Häupten auf der Mauer der Musikant las es aber beiläufig vom Gesicht des Wildstattpächters ab, was er sprach. Jetzt zog sich der Mund breit gegen die Ohren hin, jetzt spitzte er sich rundlich zusammen; jetzt schossen die Schweinsäuglein lebhaft hin und her, jetzt duckten sie sich hinter die zwinkernden Lider; jetzt bekam die Nase eine scharfe Spitze, jetzt krümmte sie sich zu einem Buckel. Das Weib stieß ihn plötzlich mit der Hand zurück und rief unter hartem Lachen auf: »Dann braucht' ich ja meinen Mann nicht, du Spitzbub!«

»Du Spitzbub! Du Spitzbub!« sagte es der auf der Mauer nach, wie ein munterer Papagei. Der Pächter Hademar schoß einen schwer vergifteten Blick auf den Spielmann: »In mein Haus komm' mir noch einmal, Bettelpfeifer, verdammter!« Dann hat er sich verzogen.

Dieweilen Baldegunds Weib noch dasaß und in der flachen Hand den heutigen Erlös überzählte – zwei Taler und fünfzehn Schinderlinge im Ganzen – sprang der Bursche von der Mauer herab, nahte sich bescheidentlich und sprach sie an: »Baldegunds Weib kann sich heute, scheint mir, vor den Mannsbildern nicht erwehren. Einer bettelt um dies, einer um das.«

Sie streute die Münzen auf die Erde: »Wenn ein Wunder geschieht, so tragen sie bis in drei Tagen hundertfältige Frucht. Wenn keins geschieht, ist mein Mann dahin.«

»Das ist ja der lautere Stein, auf den du säest!« rief der Spielmann.

»Die Menschen sind härter als der Stein.«

»Baldegundin! Ich habe oft an deiner Tür gebettelt. Bei dir hab' ich's nicht erfahren, daß die Menschen von Stein sind. Ich bitte dich schön! Bettle doch auch du mich einmal an.«

»O Kind, du gutes!« rief sie und legte die Hände ineinander, »ich brauche viel Geld, so viel! Und du hast wenig nicht!«

»So will ich dir was sagen, Baldegundin. Du brauchst gar kein Geld. Du brauchst einen Kerl, der deinen Mann aus der Räubersburg befreit. Einen mutigen Gesellen, der dem Erzbösewicht und seiner Bande gemessen ist!«

Sagte sie ganz schläfrig: »Da getraue ich mich erst noch eher das Lösegeld zusammenzubringen. Geldleute gibt's, aber Ritter gibt's keinen!«

Jetzt schüttelte sich der Spielmann, daß die Pfeifen klapperten rings um seinen schlanken Leib. Dann stellte er sich gerade wie eine Königskerze vor sie hin und sagte gelassen: »Da steht einer.«

Sie mußte lachen. Und sagte dann mit Spott: »Am Ende willst du meinen Mann befreien?«

»Warum nicht?«

»Willst du das Burgschloß belagern?«

»Möglich.«

»Willst du die Räubersburg erobern?«

»Wahrscheinlich.«

»Mit Pulver und Schwert etwa?«

»Schwerlich,« sagte er, auf seine Pfeifen deutend, »diese Rohre gehen nicht los und diese Spieße stechen nicht.«

»Vor dem Unglücke sollte auch der Schalk Achtung haben,« sagte sie.

»Daß ich schalke, meinst du? – Weib, ich bin ein schlechter Spielmann. Ich spiele nicht, die Leute spielen mit mir. Sie fangen mich ein, lassen mich pfeifen, füttern mich satt, treiben mit mir Gespött und jagen mich lachend davon, weil ich ein Unnutz bin! Ein Unnutz sagen sie, bin ich. Die ganze Gegend weiß es seit Tagen, wo der Baldegund ist. Keiner rührt sich, höchstens, daß sie denken; fünfzehnhundert Taler tät er kosten. Viel Geld! Geld, anders können sie ja nichts denken. Aber geben tun sie auch das Geld nicht. Ich geb's ebenfalls nicht. – Weib, wenn du den Spielmann Diethelm jetzt werten solltest! Meinst du, daß er fünfzehnhundert schwer ist? Ich münze mich. Ich münze mich aus, Baldegundin! Ich hab' alles geschenkt bekommen, was ich bin und habe. Und jetzt schenke ich mich selber her, da hast mich. Geh, dumm, daß du zornig wirst, wie beim roten Pächter. Kannst mich ja weiterschenken. Am Ende hast du deinen Baldegund lieber als mich. Auch gut. Ich gehe ins Lungschloß.«

»Also austauschen, dich für meinen Mann?!«

»Fällt mir nicht ein. Herr Botwin gibt keinen Pfifferling für den Pfeifer. Geschweige den Fünfzehnhunderttaler-Mann. Ah ne, Baldegundin, das wollen wir schon besser machen.«

»Wie willst es aber nur machen?«

»Das weiß ich selber noch nicht. In fünf Tagen, wenn's gut geht. Bei Eurer ersten Hochzeit habe ich schön gepfiffen, mit der langen da, mit der da – weißt du noch? Bei eurer zweiten Hochzeit will ich noch schöner pfeifen. Geh, das Kleingeld laß liegen. Wir brauchen keins. – Das ist auch nix nutz!« Er strich ihr mit der Hand über die Wangen, an welchen große Tropfen niederrannen. »Du mußt dir muntere Guckelein herrichten, bis er kommt. Ein Vaterunser, wenn du Zeit hast, kannst beten, daß mir der Obere den Spaß nicht verdirbt. Wups!«

Er sprang wegshin, es klapperten die Pfeifen.

Einer der Knaben hub zu gröhlen an: »Feifenmann nit fortdehen! Feifenmann wieder gummen!«

Das Weib packte die lebendigen Kleinodien zusammen und ging dem Gehöfte zu, das seit ein paar Tagen nicht mehr ihnen gehörte. In weitem Bogen wich sie dem schrillenden Jahrmarkt aus – dort waren die Richtigen beisammen.

Seit die Truppen des Landesherrn in Böhmen lagen, war Ritter Botwin der Schrecken weitum. Ein Hauptmann war er gewesen im Heere, unter der Anführung des Fürsten. Als er aber merkte, daß im unendlichen Kriege das Faustrecht Landesverfassung geworden war, schwenkte er mit seinem Fähnlein seitab, zog plündernd durch das Freundesland und nahm Besitz von der besatzungslosen Burg in den Mutolfschluchten, genannt das Lungschloß, das hoch in der Nische einer Felswand stand und nur unterirdische Zugänge hatte. Des Schlosses Eigentümer, Graf Thurnstein, lag im Böhmerlande schwer verwundet. Botwin fühlte sich gleich als rechtmäßigen Besitzer der Burg, denn er hatte sie ja »genommen«. Und sollte der Graf je noch einmal heimkehren, so müßte er eben das Lungschloß wieder erobern nach löblichem Landesbrauch oder darauf kameradschaftlich verzichten. Das Mißliche war nur, daß – als Botwin mit seiner Bande einzog – ihm Haufen halbverhungerter Mäuse entgegenkamen, nicht so sehr zur Begrüßungsfeierlichkeit, als vielmehr in der Hoffnung, die Anrückenden würden Korn und Speck mitbringen. Sie brachten aber nichts mit, als was bereits seit langem im Schlosse war – einen rasenden Hunger. Es wurden sofort Ausflüge in die Umgebung gemacht; das weniger, um die romantische Natur zu bewundern, als um den Landleuten, die sich weigerten, dem fremden Eindringling Abgaben zu steuern, die Sachen wegzunehmen. Diese rotteten sich zusammen und wehrten sich ihrer Haut. Das nahm Botwin für eine aufgelegte Kriegserklärung. Offene Schlachten lieferte er ihnen nicht, dafür war seine Bande zu klein. Nur im Felsenschloß konnte er sich behaupten. In schlauen Winkelzügen kaperte er seinen Raub, nahm, wo er fand, entführte Rinder, Schafe, Pferde und schließlich – wo es sein konnte – auch Menschen, die er nur gegen schweres Lösegeld wieder zurückgab.

So hatte sich »Ritter« Botwin auch den Bauer Baldegund vom Felde geholt und den wollte der Spielmann Diethelm nun zurücknehmen. Mit tänzelnden Schritten zog er munter durch die Mutolfschluchten hinein unter fortwährendem Klappern seiner Pfeifen. Der letzte Engpaß war besetzt mit Botwins Reisigen, die dem frohen Knaben die offenen Arme entgegenhielten. Sie erklärten ihn lachend als Gefangenen und führten ihn auf die Burg. Er antwortete, das enthebe ihn der Mühe, in der Burg um Einlaß zu bitten, denn er sei gekommen, dem edlen Ritter Botwin ein Preislied zu singen. Er sei es satt, zu hungern bei den dummen Bauern herum. Er wolle einmal ein höfischer Sänger sein.

Darob begann im Lungschloß ein dralles Vergnügen. Botwin hatte schon lange auf Mittel gesonnen, seiner tapferen Bande einmal ein Lustfest zu geben, zumal vor kurzem auch für das abgefangene Weib eines reichen Brotbäckers ein sehr erkleckliches Lösegeld eingelangt war. Demnach war der Schloßherr guter Laune, als der klappernde Spielmann ihm vorgeführt wurde.

Dieser Botwin! Ein Kerl wie der wilde Eber! Ein Kerl wie der Satan im illustrierten Märchenbuch! Der Räuber Kuno ist ein wohlgearteter Seminarzögling dagegen. Und der Spielmann dagegen ein Knabe, der just das erste Höslein bekommen hat, wie er jetzt schrecklich treuherzig aufblickte zum wilden Riesen, der nach schlechtgegerbten Tierfellen roch.

Das war Ritter Botwin, der neue Herr auf dem Lungschloß.

»Was kannst du denn, lieber Hund?« fragte er den Diethelm.

»Ich kann alles, großer Löwe! Alles, was dir zum Ruhm ist!«

»Zum Ruhm?«

Der Schloßherr winkte mit der Hand: »Laß das. Auf diesen Speck gehe ich nicht. Daran magst du die tapferen Feldherren lecken lassen, Kleiner, die jetzt in Böhmen Frösche dressieren und auf einen blinden Harfenisten warten, der sie in die unsterbliche Weltgeschichte hineinzirpt. Ich will mich bloß unterhalten.«

»Wünsch' gute Unterhaltung, edler Herr!«

»Kannst du Komödiespielen, Schafsnase?«

»Können?! Ihr beleidigt mich, gestrenger Ritter! Ich leite die größten Schauspielertruppen, Helden, Sänger und Schalksnarren. Sogar mich selber spiele ich nicht schlecht.«

»So sage doch, Krötensohn, wo hast du denn deine Truppe?«

»Liegt bei euch in bester Verwahrung, hoher Fürst.«

»Was heißt das?« schnob Botwin.

»Herr, wenn Ihr so streng seid! Die freien Künste bedürfen gnädigen Sonnenscheins, mächtiger König. Ich wollt Euch ja doch unterhalten? Ihr wollt gewiß recht lachen?«

Der Herr streichelte den Spielmann an der Wange: »Freilich will ich lachen, du lieber Kerl. Deine schönen Pfeifelein da! Darf man eine angreifen?«

Diese Güte war doch Sonnenschein genug, Spielmann. Wie?

»Dann bin ich schon recht mit dem Baldegund,« sagte der Diethelm.

»Baldegund? Der Bauer? Was hast du mit dem?«

»Herr, der Baldegund hat meine Komödiantentruppe im Bauch. Herr, der ist es ja, mit dem ich Euch Milz und Leber aus dem Leib lachen mache.«

»Hund, räudiger, was geht dich der Baldegund an?«

»Milz, Leber und die Galle – ha ha ha, so heraus, ha ha ha, immer so heraus, Herr. Man muß aber ein Tuch um den Hals machen! ziemlich eng, daß sich die Seele nicht herauslacht. Der Herulf zu Glockhausen, dem ist sie beim Lachen so weit zum Mund herausgeflattert, daß sie der Dorfschmied mit dem Blasebalg hat müssen zurück hineinjagen. So hat er gelacht wegen des Bauchredners Baldegund.«

»Bauchreden, sagst du?«

»Bauchreden, sage ich, allergnädigster Herr.«

Der Botwin wurde wieder ganz schmiegsam, nahm wie in Zerstreuung spielend den Spielmann am Ohr und hob ihn so in die Höhe. Da klapperten nur wieder die Pfeifen, der Bursche selber gab keinen Laut.

»Das Bauchreden, liebes Kindlein, muß wohl ein großer Spaß sein, besonders nach vorne, gelt? Aber den Baldegund hol' ich dir nicht hervor. Der bleibt in meiner Eisenkasse. Ist so viel als Bargeld. Mit dem laß' ich nicht spielen. – Knabe, du bist schön wie ein junges Kalb. Kannst du klettern? So klettere einmal an mir heran. Am ersten Tage bis zum Knie, am zweiten bis zum Hosensack, dort Ruhetag, was?«

So das Großmaul, hatte aber für den Diethelm nunmehr keinen Reiz. Sein Plan war mißlungen. Botwin ließ den Baldegund nicht aus der Höhle.

Hingegen wurde schon am nächsten Tage auf der Waldwiese ein Lustfest veranstaltet, bei dem der Spielmann klappern sollte, pfeifen, singen und all seine Künste zeigen. Die ganze Schloßbewohnerschaft war dabei. Sogar das Gemachel des Botwin, ein so blasses, schattenhaftes Weib, daß der Spielmann anfangs fast vor ihr erschrak, in der Meinung, es sei das altherkömmliche Burgmöbel, die weiße Frau.

Anders zu Mute ward ihm bei dem Töchterlein. Jetzt hatte er wohl ohne Pardon den Raubritter mögen henken lassen, weil er unverantwortlicher Weise der Vater eines solchen Wesens war. Und es noch liebkosen. Das war das größte Verbrechen. Das Mädel hieß Jugunda und war wahnsinnig schön. So schön, daß Diethelm laut aufschrie, als er es das erste Mal im weichen Felle über den Rasen hüpfen sah. Dann log er, eine Hummel habe ihn gestochen. Ein anderer würde vielleicht gefunden haben, daß das junge Ding die Augen zu weit auseinander hätte, und eine zu kurze Nase, und einen gar zu kleinen Mund, der ganz rund war und nach unten und oben ausgeböscht, so daß man das feuchte, kirschrote Unterfutter gar schön sah. Aber den Diethelm stach die Hummel zum zweitenmal und all seine Blutstropfen wollten die Adern sprengen und auf das Mädel hinspringen. Einstweilen klapperte er ganz schrecklich mit seinen Pfeifen, die wie ein Pferdefliegennetz rings um sein Gewand niederbaumelten. Der kleinen Jugunda gefiel das ganz ungeheuer, sie klatschte in die Hände und tanzte um ihn herum, und wenn er weiter ging, tanzte sie immer noch um ihn herum, wie der Mond, der den wandernden Erdball begleitet.

Weinfässer waren auf den Waldanger gewälzt worden. Etliche der Gesellen hatten nämlich einem Weinführer das beschwerliche Fuhrwerk erleichtert. Der Platz war voller Spießgesellen und kecker Dirnen. Der Botwin liebte das. Für heute hatte er sich ganz besondere Ergötzlichkeiten ausgedacht. Er war kein geborener maître de plaisir, so wußte er auch nicht, womit Lustfeste eigentlich ausgestattet werden. Die Soldaten wußten einiges, das Beste mußte er sich doch selber erfinden. Den größten Spaß bereitete ihm der Reifritt. Da hatte er einen großen Holzreifen aufstellen lassen wie ein Haustor, und denselben ringsum mit lebendigem Gevögel behangen – mit Krähen, Raben, Geiern, Hähern. Dann hatte er sich auf einen großen Ziegenbock gesetzt, mit dem er durch den flatternden, kreischenden, pfeifenden Reifen zu reiten gedachte. Aber der Ziegenbock wollte nicht. Zwei Knappen mußten das Biest dressieren helfen und als es so weit war, daß es schrittweise vorwärts bockte – durch den Reifen wollte es immer noch nicht. Botwin winselte vor Ärger und Gier, durchzusausen; es vergingen Stunden bis der Ritt zur Not gelang und der Bock jenseits des Reifens keuchend und schäumend zusammenstürzte. Nun wollte man aber auch einmal den Spielmann haben. Und der war nicht da. Den Schloßherrn verlangte es nach seinem Töchterlein Jugunda. Es war das einzige milde Lichtlein seines finsteren, rauhen Lebens. Jetzt wollte er ihm den Reifritt zeigen und für das Töchterlein noch ein zweites Böcklein bringen lassen. Aber das Töchterlein war auch nicht da.

Am Waldrande dort, schon unter dem Eichenschatten, hatte der Spielmann sein feinstes Pfeiflein von der Lende gelöst und hub damit ein Liedel an zu blasen. – Ein Liedel, so wundersam, daß Jugunda in noch engerem Kreise ihn umtanzte. Sie stand auf dem einen Barfüßchen und drehte sich wie ein Kreisel, sie stand auf dem anderen und hüpfte wie ein Bachstelzlein voran. Der Spielmann blies gar lieblich auf der Flöte und zog sich dabei sachte zwischen das Gestämme hinein in den dunklen Wald. Das Mägdlein neben und hinter drein trällerte, surrte und sang, und wenn die Lust zu groß ward, sprang ein helles Jauchzen aus ihrem runden Mündchen. Und der Spielmann blies und schlich mählich dahin, immer weiter und weiter durch den Wald, und das Mädel folgte ihm tänzelnd nach . . .

Was war das Lied lang in der Pfeife! Und was war es lustig! Es war so süß! So heiß! – Atemlos, bewußtlos sank Jugunda endlich aufs feuchte Moos.

Der Spielmann hing die Pfeife an ihren Platz, faßte die Maid in die Arme, und wie man ein Kind trägt, so trug er es dahin durch den Wald, durch die Schluchten, dahin über die Matten, über die Felder bis zum großen Dorf Glockhausen.

Als die Leute solcherlei erschaut, da sind sie sehr tapfer und sehr hochherzig geworden. Man brauchte ja nichts mehr zu tun und zu geben für den geraubten Baldegund. Der Schultheiß nur, der gab für des Spielmanns schöne Beute eine Stube und was dazu gehört. Und Diethelm begann die Verhandlungen.

»Ritter Botwin, allergnädigster Spitzbub! Gibst du den Baldegund, so bekommst du dein Mädel! Sonst wird's geschlachtet!« – Der Spielmann biß derb in die Finger, die das letzte Wort geschrieben hatten.

Schon am zweiten Tage, des Morgens, als die Leute zur Messe gingen, lag auf dem Stein vor der Kirche die Schrift aus dem Lungschlosse. – Desselben Nachmittags, Stunde drei, am Eingang der Mutolfschluchten sollte der Umtausch sein.

Jetzt kam aber das unvorhergesehene Ereignis: die schöne Jugunda wollte nicht. Sie bliebe lieber beim Spielmann.

Baldegunds Weib kniete nieder vor dem Mädel wie vor einem Heiligenbild und betete, wie sie noch nie eine Gottheit so heftig, so glühend angebetet hatte: »Geh' zu deinem Vater! Erlöse mir meinen Mann!«

Das Mädel lachte, schüttelte den Kopf und schmiegte sich an die Pfeifen ihres Diethelm.

Aber das Weib umklammerte ihre Füße: »Engel, gib mir meinen Mann!«

Sagte die Kleine sehr fröhlich: »Du hast den deinigen schon lange gehabt, jetzt will ich den Meinigen haben!« Und rankte sich noch enger an den Spielmann.

Hierauf neue Note an den Raubritter: »Lieber Herr Vater! Ich hab mir's überlegt. Zurückgeben tu' ich das Maidel überhaupt nicht. An dem Baldegund liegt uns nicht viel. Wenn du ihn für dich behältst, so wird eben dein Töchterlein – du weißt schon was. Wenn du ihn bis morgen Mittags nach Glockhausen sendest, so wird dein Töchterlein geheiratet. Von deinem lieben Schwiegersohn Diethelm

Als Antwort auf solches Ultimatium hat der Burgherr auf dem Lungschloß den Baldegund hingegen schier bis zum Eingang der Mutolfschluchten führen und dort an einen Kiefernbaum binden lassen. Im Hinterhalt lauerten die Spießgesellen mit den Flinten. Er hatte sagen lassen: Wenn die Jugunda frisch und gesund herbeigebracht werde, so könne man den Baldegund haben. Sie möge, wenn's schon gar nicht anders ginge, halt auch den Spielmann mitbringen.

Einen Tag schmachtete der Bauer Baldegund an dem Baum gebunden. Er schrie jämmerlich nach Weib und Kind. Gegen Abend wurde er heiser und als die Nacht kam, die dunkle, erhob sich oben hinter dem Felsen ein liebliches Pfeifenblasen. Die Spießgesellen horchten und kletterten dann hinauf, um den prächtigen Singvogel einzufangen. Dieweilen lief Diethelm hinter dem Felsen in die Schlucht zum Kiefernbaum hinab und stahl den Baldegund. Er schnitt die Stricke ab und schleppte den Mann eilends davon gen Glockhausen. Und das Mädel gab er auch nicht zurück. – Wenn ein junger Spielmann um so viel gescheiter ist wie ein alter Räuber, und so lustig und so lieb! Jugunda! man kann dir nicht unrecht geben, wenn du so gern beim Diethelm bleibst. . . .

 


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