Peter Rosegger
Nixnutzig Volk
Peter Rosegger

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Der Urbrandel.

In altgesessenen Bauernhöfen fällt es einkehrenden Fremden auf, daß die Leute zueinander ihre unterschiedlichen Ansprachen haben. Daß das Gesinde den Hausbesitzer »Bauer« oder »Vater«, sein Weib »Bäuerin« oder »Mutter« nennt, das kann man verstehen. Auffallend aber ist, daß die Leute zu den einen »Du« sagen und zu den andern »Ihr«, wobei nicht etwa Stellung und Alter allein entscheidend ist. Ältere Leute pflegen von jüngeren mit »Ihr« angesprochen zu werden, als Zeichen der Ehrerbietung, während man zu jüngeren Leuten stets das »Du« gebraucht. So daß der junge Hausvater zu seinem alten Knecht »Ihr« sagt, der alte Knecht aber den jungen Hofbesitzer und Dienstherrn mit »Du« anspricht. Das gleiche kommt zwischen der jungen Hausmutter und älteren Gesindepersonen vor. Das Alter wird höher geehrt, als Besitz und Rang!

Aber nicht bloß das Alter. Auch die sittliche Würde. Zu dieser wird im altgesessenen Landvolke auch der Ehestand gerechnet. Es kommt mitunter vor, daß in einem Hofe der Hausbesitzer Junggeselle ist, der Knecht oder die Magd aber verheiratet ist oder war. In diesem Falle sagt der Bauer zum Dienstboten »Ihr« und dieser zum Bauer »Du«, und das auch, wenn der Ledige weitaus älter ist, als der Verheiratete. Kurz, die Verehelichten, Mann oder Weib, werden mit dem ehrerbietigen »Ihr« angesprochen, die Unverheirateten mit dem gemeinen »Du«, aber nicht im Sinne der Vertraulichkeit, vielmehr im Sinne des Gleichgiltigen. Zwei Personen, wovon jede für sich verheiratet ist, sagen zu einander »Ihr« oder »Du«, sie stehen ja auf der gleichen Höhe.

Wenn man hört, daß die Tiroler ihren Pfarrer oder Kaplan mit »Du« anreden, »Du Hochwürden«, »Du Geistler«, oder wohl gar »Du schwarzer Bua«, so denkt man sich, es geschehe, weil der Priester nicht verheiratet ist. An Ehrerbietung läßt es der Tirolerbauer bei seinem Seelsorger gewiß nicht fehlen, aber die Ehre des Verehelichten muß er ihm versagen, in dieser Sache steht der arme Häusler und Dörfler, wenn er verheiratet ist, höher als der Pfarrer und der Bischof und der Papst. Allerdings sagt der Bauer, der seinen eigenen Vater mit »Ihr« anspricht, auch zu Gott »Du«; das ist aber ein anderes Du, ein bedeutungsvolles Du, über das viel zu sagen wäre.

Ein Volk, das die Ehe so hoch hält und dieselbe trotz seiner großen Kirchlichkeit – sogar über den Priesterstand erhebt, hält sie auch treu. Das, was anderwärts in der Ehe gang und gäbe geworden ist, leider weiß es sofort jeder, was ich meine, das kommt im Altbauerntum nicht vor.

In der Bauernschaft erlauben es sehr vielen die Verhältnisse nicht, sich zu beweiben; ja wenn ein Bauernknecht oder ein armer Häusler heiraten will, gleich ist die Gemeinde dagegen, aus Besorgnis, es könnten ihr Lasten erwachsen. Das ist der gemeine Eigennutz wie überall. Wenn es so einer aber doch durchsetzt und sich das Weib nimmt, dann gibt's zwar einmal Verdruß, bald aber kommt er zu den Ehren, die ihm als Ehemann gebühren. – Aber ich rede da vom alten Bauerntume; wer heute noch derlei Kernsitten finden will, der muß schon sehr weit ins Hinterland wandern.

Das, von der Ehrerbietung gegen verheiratete Leute, muß vorausgeschickt werden, um das Gegenteil zur Not zu verstehen, nämlich wie Leute mitunter angesehen werden, die heiraten könnten und doch ledig bleiben.


Im steirischen Wechselgebiete lebte auf einem großen Bauernhof, zum Urbrandel genannt, ein alter Hagestolz. Er hatte weder Geschwister noch sonst Verwandte, und das dünkte ihm so gut zu sein, daß er's dabei auch für die Zukunft bewenden lassen wollte. Es war doch zu nett, wenn alles Wirtschaftsgut immer hübsch beisammenbleiben konnte und es nicht Leute gab, die man gleichsam bezahlen müsse dafür, daß sie so als Blutsverwandte in der Gegend herumleben. Das allein, was sein Rundhag einschloß, war sein Stolz, und dieser Hagestolz erfüllte sein Herz, so daß von Liebe oder dergleichen daneben nichts mehr aufkam. Aber immer einmal wurde er von vorwitzigen Nachbarn doch gefragt: »Ja, Urbrandl, warum heiratest denn du nicht?« Und da machte er ihnen eine Rechnung vor. Das Weib im Haus sei zwar eine Magd, der man keinen Jahrlohn zu geben braucht und die doch nicht den Dienst aufsagt, aber wenn man bedenke, was so ein Trumm Frauenzimmer für Gewand braucht, und Bettzeug, und nachher, was sonst nachkommt – Jeß und Josef, was nachkommt! Vier Dienstmägde kosten nicht so viel Geld, wie ein einziges Eheweib! – Die Nachbarn ließen das allemal gelten, aber gelegentlich fragten sie doch wieder: »Ja, Urbrandel, warum heiratest denn nicht? Wer soll denn einmal deinen Hof erben?«

»Geht's weiter!« rief er und schlug mit der flachen Hand in die Luft hinein. Von Vererben und Sterben wollte er nichts hören. »Wer alleweil ans Sterben denkt, der ist eh schon so viel als tot. Wenn man nichts davon hört, ist's gut.«

Zur Zeit war er schon über die Sechzig. Er hatte weißes Haar, das aber noch sehr üppig über die Stirn herabwucherte. Er hatte ein rotes breites Gesicht und kleine wässernde Augen drin; jeden Sonntag hatte er seinen Rausch, aber erst gegen Abend. Denn vormittags und bei der Vesper mußte er in der Kirche mittun. An den Heiligenbildern zündete er die Lichter an, wobei er sich über die Weiber, die in den Kirchenbänken saßen, hinlehnte, um mit seinem Kerzelstab an die Leuchter zu gelangen. Das wollte manchmal nicht brennen, aber wenn es endlich auch brannte, lehnte er sich immer noch hin, so daß einst eine junge Bäuerin ihn zurückschiebend fast laut ausrief: »Jetzt aber geh' einmal weg, alter Kracher, es brennt ja schon!«

Als jedoch ein neuer Pfarrer kam, war es mit seinem Kirchendienste aus. Der neue, das war keiner von denen, die sich in die Launen des Küsters fügen und von solchen Leuten sich und den ganzen Gottesdienst beherrschen lassen. Er verlangte vor allem, daß der Mann, der im Gotteshaus funktioniert, in der Gemeinde auch persönliche Achtung genieße.

Die Scharte wollte der Urbrandel nun auswetzen, und zwar mit der Zunge. Als die Gemeinderatswahl herannahte, ließ er im Wirtshaus verlauten, wenn es sein müsse, er wolle es auf ein paar Jahre probieren. Es täten neue Männer not, Männer, die was leisteten! Wenn es durchaus sein müsse –!

Es mußte aber nicht durchaus sein. Die Weiber sagten es ihren Männern: »Den Urbrandel wirst doch nicht wählen! Der leistet nichts, hat nichts geleistet und wird nichts leisten.« Es mag wohl sein, daß manche von ihnen sich einst auf den reichen Bauern Hoffnung gemacht hatte. Aber der war ja immer stolz an den Weibern vorübergegangen, besonders bei hellem Tag, daß beileibe niemand ein verpflichtend Wörtlein oder Gebärdlein an ihm erfahren konnte. Denn man war darauf hin lauernd. – Wie es dieser Mensch nur angeht, daß er so leicht drüber hinauskommt! Wo es jedem andern so höllisch zu schaffen macht, daß man ganz dumm und sogar für die Arbeit unbrauchbar wird, bis man die Rechte gefunden.

Aber der Urbrandel dachte: O, ihr armen Hascher, euch lach' ich alle aus. Ich steh' mich besser wie jeder. – Im Grunde war's so gewesen: Vor seinem fünfzigsten Jahre hatte er sich gesagt, derweil will ich tun, was ich will, zum Heiraten ist immer noch Zeit. Nach dem Fünfzigsten: Zum Heiraten ist's ohnehin zu spät; ich tu', was ich will. – Manchmal allerdings ward ihm ungleich zu Mut, wenn er sah, wie in der Nachbarschaft die Söhne und Töchter tüchtig arbeiteten und wirtschaften halfen, während er sich abärgern mußte mit kostspieligen, mißmutigen und unverläßlichen Dienstboten, die ihn hinten und vorn betrogen und bestahlen. Außerdem mußte er zu manchem jungen Laffen der Nachbarskinder »Ihr« sagen, während er von ihm nur das geringschätzige »Du« bekam, denn jene waren verheiratet und hatten wieder Kinder.

Die kleinen Kinder waren für diesen alten Junggesellen nicht da. Wo ihm deren unter den Beinen herumliefen, schob er sie unbeschaut beiseite, als wäre er in einer Schafherde. Nie hatte er ein freundliches Wort für sie, und auch nie ein grobes, sie waren »Ziefer«, wie er sagte. Die Kleinen wichen ihm auch überall aus.

So wurde der Urbrandel immer vereinsamter, je höher die Jahre stiegen. War dieser Hagestolz sonst stolz gewesen auf sein Behagen, daß in seinem Hause kein Weib zankte und kein Kind krächzte und kein Aufwand war für solches »Ziefer«, jetzt begann ihm ungut zu werden. Es kam die Gicht und es kam der Lungendampf; er hatte Tage der Hilflosigkeit, aber die Dienstleute wollten es nicht aushalten bei dem jammernden Alten, der um so wehleidiger war, als er das Kranksein früher nur nach dem Hörensagen gekannt hatte. Recht mürrisch und recht unsauber war er geworden und ein altes Weiblein, das noch aus Christenpflicht am längsten bei ihm blieb, mußte sich beschimpfen lassen vom Morgen bis zum Abend; und in der Nacht, wenn es ihr gar beifiel eine Stunde zu schlafen, während ihm die Gicht in den Knochen nagte, rief er den Teufel an, daß er sie hole, die Gicht und die Alte. Die Alte war am Morgen fort, die Gicht war dageblieben.

Zur Zeit taten sich einige Nachbarsburschen zusammen, um dem zuwideren, ganz unerträglich gewordenen Menschen etwas anzutun. Obschon einer unter ihnen meinte, kranke Leute sollt' man in Ruhe lassen, sagte ein anderer, das nütze nichts, der Mann müsse doch noch einmal erinnert werden, was die Ursache seines Elendes sei, für das er so gerne andere verantwortlich machen möchte. Einer, der früher bei dem Urbrandel Knecht gewesen, wußte auf dem Dachboden des Hofes eine alte Wiege, in der die Vorfahren des Urbrandels gelegen sein mochten und wohl auch er selber. Dieser Wiege bemächtigen sie sich. Und da war es eines Tages, daß der Alte auf dem Herde Feuer machte, um sich die Suppe zu kochen, denn alles war fort. Das Herdfeuer begann träge zu glimmen, aber siehe, es zog der Rauch nicht ab. Der Alte wollte immer wieder den Schuber an dem Schornstein öffnen, aber der war ohnehin offen, so weit er aufging. Der Rauch zog nicht hinauf und füllte bald die Küche und die Nebenstube, so daß die Fenster ganz gelb und dunkel wurden und er sich immer mehr ducken mußte, um nicht zu ersticken. Fluchend warf er die Feuerbrände auseinander, da ward es noch ärger, hüstelnd und scheltend über das davongelaufene Weibervolk, auf das kein Verlaß sei, von dem aller Jammer stamme, stolperte er zur Tür hinaus. Auf dem Anger stand ein Rudel Burschen, johlend und lachend. Einer trug hoch über Häupten ein verdorrtes Fichtenbäumchen, von dem die roten Nadeln losflogen, so oft man ihn rüttelte. Ganz oben am Wipfel war ein schmutzigbraunes Bündel befestigt, nach dem einige mit Fichtenzapfen warfen. Andere – es war ja ein ganzer Auflauf entstanden – zeigten mit langgestreckten Fingern nach dem Schornstein, der über dem Dachfirst aufragte. Und hier konnte es der Urbrandel erfahren, warum der Rauch nicht abziehen wollte, denn über die Schornsteinmündung war die alte Wiege gestülpt.

Der Alte hinkte rasch ins Haus zurück und bald darauf schoß er mit einer Flinte zum Fenster heraus, worauf sich der Rudel zerstreute.

Von dem ganzen Geschlechte derer von Urbrandel ist fast nichts übrig geblieben, als dieser unsterbliche Spott. – Es ist ja wahrlich nicht schön gewesen von den Leuten, allein der Urbrandel war ihnen zu widerlich geworden. Die Leute haben wohl selbst nicht recht gewußt, was sie tun, es war nur etwas in ihnen, das immer und immer drängte: Dem Urbrandel müssen wir einmal was antun! – Eine Wiege, die zu nichts mehr gut ist, als zu einem Schornsteinhütchen, damit sind wohl alle Geschlechter gezeichnet, die sich freiwillig verlöschen lassen. – Und an den Hagestolzen ist alles erlaubt. Wer soll den Schimpf rächen, wenn – keine Söhne vorhanden sind?

 


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