Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Wie Abelsberg herabgekommen ist.

Das Herz lachte einem, wenn man an Abelsberg dachte. Es war ein blühender Ort. Es war eine Hauptpoststation, und was das besagt, kann ein Zeitgenosse der Eisenbahn kaum ermessen. Ein Postort war der Herr und Gebieter des Reisenden und nahm ihm erkleckliches Passiergeld ab. Vom Wirt und Sattler bis hinab zum Wagner, Hufschmied, Krämer, Schuster, Rasierer, alle Gewerbe sogen an der gemeinsamen Mutterbrust »Postkutsche«, und sogen sich daran voll und fett.

Allmählich kam die neue Zeit, und sogar mit ihrer Eisenbahn. Aber die alten Menschen änderten sich nicht. Abelsberg nahm nichts wahr, trottete und taumelte so im alten Trab dahin. Wo es aber mittat beim neuen, da mißverstand es den Geist und machte alles verkehrt. Von der Freiheit des Wortes machten die guten Abelsberger den ausgiebigsten Gebrauch; sie setzten sich in Wirtshäuser zusammen, politisierten über Kaiser und Reich, schlugen mit markigen Worten tapfer auf Regierung und Behörden los, auf Staats- und Gemeindezustände, auf alles Denkbare, was sie anging und was sie nicht anging. Als die Wahlen kamen, waren sie auch nicht faul, mit dem Munde zu revoltieren und zu reformieren; leider hatten sie – arbeitsam wie sie schon waren – nicht Zeit, zur Urne zu gehen und ihre Stimmen dort abzugeben. So fiel fürs erste die Gemeindevertretung auf den Großgrundbesitz der Umgebung und dieser wand den Bürgern des Ortes rasch den Herrscherstab aus der Hand, so daß die Bürger in ihrem eigenen Weiler fast wie Fremdlinge waren und von der Gnade der Umgebung abhingen. Großherzig, wie der Abelsberger von jeher gewesen, machte er sich nichts draus und dachte: also brauche ich mich um diese leidigen Gemeindesachen nicht zu kümmern, kann ruhig meinem Erwerbe leben und verfeinde mich mit keinem Kunden, wenn ich zu keiner Partei und zu keinem Rate gehöre.

Er kümmerte sich nun auch tatsächlich weder um Welthandel noch um Kommunalangelegenheiten. Die Verrottung eines Ortes zeigt sich am klarsten in der Gleichgültigkeit und Verständnislosigkeit für geistige Dinge. Der Abelsberger kümmerte sich auch nicht um sein Geschäft. Das ging doch eigentlich von selbst, denn man hat verläßliche Leute, auch einen tüchtigen Geschäftsführer, so kann man sich selber wohlsein lassen. Man lebt ja nur einmal. Des Morgens ist das Bett am besten. Vormittags auf ein Glas Bier ins Wirtshaus, eine Pfeife, ein Plausch. Zu Mittag lassen wir uns nichts abgehen, warum sollen wir uns etwas abgehen lassen, wir haben gearbeitet genug unser Lebtag! Dann das Nachmittagsschläfchen bis zum Kaffee. Nach demselben im Geschäft nachsehen, ob alles in Ordnung geht, denn umsichtig sind wir immer und »das Geschäft, das ist die Hauptsache«!

Weil man mit der Zeit gehen muß, so haben wir unseren Gesangverein und unseren Turnverein. Tägliche Übung im Wirtsgarten und Probe im Wirtshause. Beim Geburtstage und Namensfeste eines jeden Mitgliedes Ständchen vor dem Hause desselben und später fröhliche Tafelrunde in dem Hause des Gefeierten. Immer heiter. – Also hat der Abelsberger von sich und seinen geselligen Talenten keine schlechte Meinung, und natürlich auch keinen Grund dazu. Andere Leute denken freilich wieder anders, sie sagen, dieses Abelsberg wäre ein verlottertes Phäakennest. Sie beklagen sich über die Schlamperei und Unverläßlichkeit der Gewerbsleute. Die Handwerker, aus denen das Bürgertum des Städtchens eigentlich besteht, seien in eine große Schleuderhaftigkeit und Lässigkeit hineingeraten, es liege ihnen nichts mehr an ihrem Geschäfte, sie setzten keinen Stolz mehr daran, gute Ware zu liefern, sondern hätten ihr Auge mehr auf augenblicklichen Geldgewinn gerichtet. Und nicht einmal hierin wären sie praktisch. Sie übernähmen wohl Bestellungen, sicherten auch mit großer Bestimmtheit die rechtzeitige Ausführung zu, hielten aber nie Wort. Es sei noch nicht dagewesen, daß der Maurer an dem Tage erschienen, an dem er sein Erscheinen zugesagt; es sei ganz undenkbar, daß der Schmied eine Feuerzange oder ein Torband zu dem versprochenen Termine abliefere, und eher würde der Stadtkirchturm von Abelsberg sich auf die Spitze stellen, als ein Abelsberger Schneider eine Hose an dem Tage fertig habe, für den er sie mit heiligen Eiden zugesagt. Um einige Tage muß gelogen sein. Und wenn der Mann bei seiner Arbeitslosigkeit aus Langeweile vergehen müßte, so dürfte er trotzdem die Arbeit nicht zur bestimmten Zeit fertig haben, es muß gelogen sein. Und kommt das Bestellte endlich zustande, so müßt's ein Wunder sein, wenn es den Wünschen des Bestellers entspreche. Ein echter Abelsberger Gewerbsmann arbeitet nicht nach den Ansprüchen der Kunden, sondern nach seinem eigenen Gutdünken. Die Ungenauigkeit, das Nichtworthalten scheint in Abelsberg die Geschäftsehre zu sein, so wie anderswo die Verläßlichkeit und Pünktlichkeit es ist. Wenn der Mann aus lauter Untätigkeit sich auch nur schwer vor üblem Geruch zu bewahren weiß, wenn seine Familie manchmal wegen Erwerbslosigkeit am Hungertuche nagt, so muß doch der Anschein gewahrt werden, als ob das Geschäft im lebhaften Betriebe stünde und als ob man auf den einzelnen Kunden nicht anstehe. – Dieser noble Zug des kleinen Gewerbsmannes ist wohl auch anderswo zu finden, wie kann er sich da noch wundern, daß mit der Großindustrie nicht zu konkurrieren ist! Nicht in allem, aber in vielem könnte die Werkstatt mit der Fabrik den Wettkampf erfolgreich bestehen, wenn der kleine Gewerbsmann arbeitsam, gewissenhaft, verläßlich und tüchtig wäre, wenn er ordentliche Ware lieferte, Wort hielte und sich mit bürgerlichem Gewinn begnügte. Das aber ist auch eine Eigenschaft unseres Kleingewerbestandes zu Abelsberg, je weniger Arbeit ein Meister hat, je protziger und teurer tritt er mit seiner Ware auf, als ob der einzelne Kunde, der ihm doch einmal zuläuft, den Ausfall der übrigen decken müßte.

Wenn die Fabrik schlecht und billig liefert, so liefert die Werkstatt zu Abelsberg schlecht und teuer; freilich lachen dazu die fremden Agenten, die im Orte Tag für Tag ihre Fabriksware anpreisen und gegen alle möglichen Vorteile absetzen. Sie siegen. Der einheimische Gewerbsmann kann schimpfen wie er will, mit Worten schlägt man keine Konkurrenz tot, nur mit tüchtiger Arbeit. Und die ist ihm zu unbequem.

Wenn der Abelsberger dann seine Kunden richtig verloren hat, so steckt er die Hände in die Hosentaschen, pfeift eins und meint: »Mir ist alles eins, hab' eh nichts dabei gehabt, bei diesem Geschäft, ich tu' nichts mehr.« Und protzt weiter, gleichwohl er flüchtig bei der hinteren Tür hinaushuschen muß, wenn ein Gläubiger bei der vorderen hereingeht. Hochnäsig hat er stets auf seine Kunden herabgeschaut und hochnäsig wird er auch den Weg ins Armenhaus gehen.

Der Krämer von Abelsberg hat sich seit Ewigkeit auf einen Großkaufmann hinausgespielt, der Patrizier sieht nicht ein, warum er nun auf einmal mit dem lumpigen Kunden artig sein solle, warum er ihm in höflicher Gefälligkeit das ganze Pult mit Schnittware vollräumen solle zur Auswahl, da der Kunde dann im besten Falle doch nur einen halben Meter Segeltuch kauft. Der Mann vergißt, was seines Amtes ist, er vergißt, daß in dem Augenblicke, wo Kunden mit verschiedenartigen Bedürfnissen vor sein Pult treten, er Krämer und nichts als Krämer ist, der den Käufern dienend gegenübersteht, gefällig mit ihnen zu verkehren hat und keine Miene verziehen soll, wenn nach halbstündigem Suchen und Wühlen in der Ware der Kunde, ohne etwas erstanden zu haben, zur Tür hinausgeht. Diese Geduld und Selbstverleugnung gehört einmal zum Geschäft und lohnt sich im ganzen immer auch mit klingender Münze.

Der Jude weiß das besser. Und der Jude, der jetzt in Abelsberg seine Bude aufgeschlagen hat, macht mit untertänigstem Lächeln die besten Geschäfte, während der angestammte Kaufmann in seiner stolzen Bürgerwürde finster unter dem Tore seines Hauses steht und in schweren Sorgen ist wegen drohenden Konkurses. Weil durch Preisgebung des Feldes jüdische Ware Eingang gefunden, so gaben die unzufrieden gewordenen Abelsberger alle Schuld an den schlechten Zuständen den Juden. So schlau wie der Jude vorzugehen, meinten sie, dazu wäre ihre Bravheit zu groß.

Emsigkeit, Findigkeit, Klugheit, das ist mit der bürgerlichen Ehre doch wohl vereinbar. Wenn dazu auch Fleiß, Arbeitsamkeit und Promptheit kommt, dann kann's auch dem kleinen Gewerbsmann noch glücken. Arbeitsamkeit, Verläßlichkeit und Sparsamkeit ist der beste Antisemitismus. Nur schade, daß es die Abelsberger nicht glauben wollen. Sie gedenken mit Schreien und Schimpfen ans Ziel zu kommen, nur wird dieses Ziel ein anderes sein als das, welches sie meinen.

In unserer Zeit hat sich das Land für Fremdenbesuch eingerichtet. Städte, Flecken und Dörfer rüsten sich lebhaft zur Aufnahme von Sommergästen. Auf diese »närrische Mode« schaut nun Abelsberg mit ganz besonderer Geringschätzung nieder. Man merkt diese Geringschätzung gleich, wenn man seine schlechten Steige, grundlosen Wege, schmutzigen Plätze, verwahrlosten Brunnen, dumpfigen Gasthäuser sieht. Auf Plätzen und freien Angern kein Baumschatten, keine Ruhebank. »Wenn die Fremden kommen, so sollen sie sich ins Wirtshaus setzen, da haben sie Schatten und Bank.« In diesem weisen Satze gipfelt ihre Fürsorge für die Fremden. Trotz dieser Geringachtung trachtet doch ein Gasthaus dem anderen den Fremden wegzustibitzen, wenn sich einer am Bahnhofe zeigt, und sie raufen fast um ihn und suchen scheelsüchtig einander zu verdächtigen. Hat man aber einen Fremden im Garn, dann wird er auch tüchtig gerupft. In nichts ist Abelsberg so modern, als in den Preisen.

Also ist es dahin gekommen, daß auf diesem Bahnhofe außer geldgierigen Agenten, die den Bürgern des Ortes das Brot von ihrem eigenen Tische wegschnappen, kein Fremder mehr aussteigt.

Von Jahr zu Jahr wird es stiller in Abelsberg. Die Gewerbe lösen sich auf, die Geschäfte sperren zu, die Häuser bröckeln ab, lassen Regen sickern durch ihre Bedachung. Viele Bürger dieses schönen Ortes irren in der Welt umher. Wenn sich draußen einmal zwei begegnen, so suchen sie sich rasch unkenntlich zu machen, denn sie schämen sich voreinander.

Lieber Leser, der Erzähler ist diesmal ungemütlich geworden, nicht wahr? Und du suchst endlich auf der Landkarte nach diesem Abelsberg. Weißt du denn noch immer nicht, daß es viele Abelsberge gibt, daß sie auf der Karte aber andere Namen haben?



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