Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Abelsberger Studentenpulver.

(1869.)

Da gingen einmal drei Abelsberger Studenten auf Vakanzen. Sie machten eine Bergreise im Salzburgischen und hatten viel Courage und wenig Geld. Der eine, Markus Frischer, hatte in Berchtesgaden wohl eine kleine, zierliche Dose herausgefeilscht und dieselbe hübsch mit Schnupftabak gefüllt, um dem zu besuchenden Pfarrer in Sankt Barbara damit ein Geschenk zu machen. Das sollte bei dem geistlichen Herrn – einem weitläufigen Verwandten Frischers – eine feine Aufnahme und noble Bewirtung bezwecken. Als sich der Herr »Vetter« aber nur mit einem einzigen Glase sauren Weines und etlichen Stücklein Brotes, die er selber vorschnitt, einstellte, ließ der Enttäuschte in den Wirren des Abschiednehmens die Berchtesgadner Dose heimlich wieder mitgehen.

Dann kamen sie ins Pinzgauische hinüber, in das Wildschützenland.

»Hier wohnen lauter fromme Leute,« sagte Studio Grußing, Kandidat der Juristerei, der größte und kühnste von den dreien, »in den Bauernhöfen, wo wir zusprechen, wollen wir fleißig geistlich werden und einstens unsere heiligen Messen lesen für die Wohltäter. Werden dabei nicht verhungern, versteht ihr? Aber Geld! Es gibt pulverisierte Tausender genug zerstreut im Lande, es wäre schmählich für so drei Kreuzköpfeln –«

»Freunde!« rief Stroche, der älteste und verschlagenste vom Kleeblatt, »ihr wißt, ich kenne diese Gegend und die Leute, die ihres Aberglaubens wegen so berühmt sind, wie etwa die Oberammergauer ihrer Passionsspiele halber. Es gibt anderswo auf der ganzen Welt keine Pinzgauer mehr. – Und jetzt habe ich eine Idee.«

»Ah, Ideen hast du viele,« rief Grußing, »zeige endlich nur einmal, daß Idealisten auch praktisch sein können, denn die böse Welt will das nicht glauben.«

»Ich werde sie überzeugen,« versetzte Stroche trocken. »Frischer, willst du mir zum allgemeinen Besten deinen Schnupftabak zur Verfügung stellen? Die Dose magst für deine alten Tage behalten. – Und du, Bruder Grußing, willst du dich einmal ein bißchen totschießen lassen?«

»Oh, mit Vergnügen!« rief der Gefragte.

»Schön,« sagte Stroche, »so werden wir morgen Geld haben. – Der schwarze Hannes ist wieder ausgebrochen, merkt euch das!«

Sie lugten ihn an und dachten: Ist ein komischer Kautz, der Stroche.

Dann stiegen die drei ins Gebirge hinan, einem Hirtenhause zu, das versteckt war zwischen Wald und Wänden.

Unterwegs hatte Stroche mit dem »Jusdoktor« viel zu reden, und es wurden in einem Verstecke die Kleider umgekehrt und der Plaid in Form eines alten Bauernmantels aufgeheftet, es wurde mit ausgepreßtem Kräutersaft das Gesicht Grußings braun gefärbt, es wurde das Hinken auf dem linken Fuß eingeübt und mehreres dergleichen. Dann gingen die zwei, Stroche und Frischer, in die Halterhütte. Der Halter – Duckmichel hießen sie ihn – war ein kleiner, rühriger und doch unbeholfen und blöd aussehender Mann; nur in dem stets halbgeschlossenen Auge hatte er jene stechende Glut, die bei fanatischen und abergläubischen Leuten so häufig zu bemerken ist. Und die ganze Hütte war inwendig mit geweihten Weidenzweigen, Amuletten, Alraunen usw. behangen.

Die beiden Studenten – Stroche war nicht ganz fremd im Hause – wurden mit bäuerlicher Höflichkeit empfangen und mit Brot, Butter und süßer Milch bewirtet. – Täten allbeide auf geistlich studieren, hätten ein heißes Jahr hinter sich – die siebente Schul', wo der Theolog' mit dem Teufel die erste Bekanntschaft machen müsse.

»So, so,« sagte der Duckmichel und klopfte an dem Fingernagel des Daumens die Asche seiner Pfeife aus. »So, so! Tuen die Herren nur essen und trinken! Gesegne Gott, wir haben noch was in der Kammer. Ist wohl vergunnt! – Die siebente Schul', die schwarz' Schul', heißt's, mein' ich –? Na, gelt, weiß es ja. – Viel dicker aufs Brot streichen, junger Herr, die Butter! Recht schad', daß uns der Honig ist gar worden. – Schau, schau. – Vor nächst Jahren sind auch einmal so Herren heroben gewesen; die haben dem Nachbar da unten, dem Schledererferl – heißt er – der Müh' wert ein bissel ein Studentenpulver gegeben.«

»Aha,« murmelte Stroche, seinem Genossen einen recht absichtlich vielsagenden Blick zuwerfend, »ägyptisches Pulver, meint er.«

Der Halter lugte und lauerte, war überzeugt, sie hätten Studentenpulver bei sich. Dieses ist ein gezaubertes Schießpulver, das nicht knallt – für Wildschützen eine gute Sach'.

Stroche erhob sich nun einmal und ging hinaus ins Gebüsch, wo Grußing im Brombeerlaub lag. »Du,« flüsterte er zu diesem, »es geht prächtig, der Dummkopf ist allein zu Hause und er hat selber von dem Pulver angefangen. Puppe dich eilig in deinen Räuberstaat, schleiche dort auf die Felsbank und pflück' Erdbeeren so lange, bis ich vor der Hütte laut rufe: »Feuer!« Dann wird der Hahn knacken und wie du das hörst, so stürze zusammen – vergiß nicht drauf!«

Es war schon früher alles verabredet gewesen, und so genügte die kurze Weisung, nach welcher Stroche sogleich wieder ins Haus eilte. Darauf kam der Halter mit Ingwerbranntwein. Der Student blickte zum Fenster hinaus auf die gegenüberstehende Felswand.

Der Duckmichel hätte gern vom Studentenpulver gesprochen, man merkte es ihm an. Er redete so herum von Venedigerkapseln, deren Feuer den Schuß die doppelte Weite trägt; von Suchkugeln, die jenes Ziel – sei es wo immer – aufsuchen, an das der Schütze beim Losdrücken denkt. Dann fragte er: was denn immer Neues in der Welt?

»Neues genug, aber nicht viel Gutes,« sagte Stroche, auf die gewohnte Sprechart der Landleute eingehend. »Habt's schon gehört, in der Kufsteinerfestung – der schwarze Hannes ist wieder ausgebrochen.«

»Soll's doch wahr sein?« rief der Halter und blinzelnd: »Der braucht den Hörndlbuben (Bezeichnung für den Teufel).«

»Siehst du, der Mann sagt's auch!« rief der eine Student dem anderen zu. »Sakra, bei dem wär' ein Geld zu verdienen!«

»Wieso das, mit Verlaub?« fragte der Halter und machte einen langen Hals gegen den Sprecher, auf daß dieser das Ohr für die Antwort näher hätte.

»Ei!« vertraute Stroche, »sind ja doch dreihundert Dukaten auf des Räubers Kopf gesetzt!«

Der Halter schlug einen Lacher: »Den einbringen! Da müßt' einer ein wenig mehr können, als Birnen sieden.«

»Na, mit gewöhnlichen Mitteln geht es nicht, das geb' ich zu,« sagte der Student, und zu seinem Genossen: »Aber das Ägyptische, das tät's wohl!«

»Weil –« meinte nun der Duckmichel angelegentlich, »weil wir schon davon reden, wie ist das, mit dem Ägyptischen?«

»Ja, guter Mann, das ist das Studentenpulver, von dem Ihr vorhin gesprochen habt,« flüsterte Stroche geheimnisvoll, »nicht allein, daß dieses Pulver nicht kracht, Ihr wißt es ja: es löst an anderen jede Hexerei auf. Kein Zweifel, der Hannes macht sich unsichtbar, macht sich schußfest – aber vor diesem Pulver« – er deutete gegen seine Brusttasche – »ist alles umsonst. Doch, sprechen wir von was anderem. – Ich verwett' meine arme Seele, wir haben gestern da unten bei Hüttau den schwarzen Hannes gesehen.«

»Na, seid mir aber so gut!« hauchte der erschrockene Halter.

»Ganz nach der Beschreibung. Dieselbe Figur, dieselben kohlrabenschwarzen Haar', derselbe Lodenkittel; und hinkt er nicht am linken Fuß?«

»Jesses, freilich, freilich!« wußte der Halter, »hat ihn ja einmal ein Standar ins Knie geschossen.«

»Punktum, er ist's gewesen!« rief der Student und schlug die Faust auf den Tisch. Dann faßte er in heller Freude den Genossen an beiden Rockflügeln: »Bruder, vielleicht gelingt's uns, den Vogel abzuschießen. Jetzt bin ich aber tausendmal froh, daß ich eine Portion Pulver zu mir gesteckt hab'!« Dann wieder zum Halter: »Na, wie geht's immer, Vetter? Mitunter ein wenig wildern, was? Läßt sich denken, ein Gebirgsbewohner. Nu, 's ist ja recht.«

»Wohl, wohl, aber –« fuhr's jetzt dem Manne heraus, »Studentenpulver tät einer halt brauchen. Weil wir schon einmal dabei sind: die Herren haben gewiß eines im Sack?!«

Der schlaue Student schwieg einen Augenblick. »Nu,« sagte er dann, »etwelches trägt man schon bei sich, wenn auch nicht viel, 's ist ein kostspielig Ding!«

»Allzuwenig,« meinte nun der Halter, »wollt' ich nicht hergeben dafür. Was tät' der Schuß denn kosten?«

»Ist ja nichts für Euch,« sagte Stroche, mit der Hand abwehrend. »Der Schuß kostet einen Taler.«

Jetzt gab der Halter nicht mehr nach, bis der Studiosus sein braunes Pulver, sorgsam in Papier gewickelt, hervorgezogen hatte. – »Es kann aber höchstens für acht oder zehn Schuß reichen.« – Der Mann holte seine Geldtasche, feilschte eine Weile und murmelte dann: »'s wird die Herren nicht kränken, aber probieren möcht' ich's doch erst.«

»Das versteht sich,« sagte der Student und sein Auge war durchs Fenster auf die gegenüberliegende Felswand gerichtet.

»Bei Gott!« flüsterte er, »jetzt wird mir die Sach' schon verdächtig. Seht ihr nichts dort? Schon eine Weile kriecht euch im Gewände so eine Kreatur herum, die – – ein Spitzbub' will ich sein, wenn das nicht der leibhaftige schwarze Hannes ist!«

Die anderen zwei sahen jetzt die Gestalt auch. Der ganze schwarze Kerl, wie er hinkt und sich duckt und späht – 's ist der flüchtige Räuber.

»Der ist unser!« knurrte Stroche mit leuchtendem Auge, »das ist einmal ein rechtes Ziel zur Prob' fürs Pulver. Ich bitt' Euch, Mann Gottes, einen Kugelstutzen!«

»Ah na,« sagte der Duckmichel, »da schieß' ich selber.«

»Um so besser, Ihr habt ein gutes Auge. Aber, Freund, das Gewehr ist doch nicht schon geladen?«

»Noch nicht,« antwortete der Halter, »haben die Herren, wie sie da heraufgegangen, keinen Schuß gehört? Da hab' ich meinen Stutzen auf einen Raben losgedrückt.«

»Gut,« sagte der Student, »nichts schlechter, als wenn die beiden Pulvergattungen zusammenkommen.«

»Soviel weiß ich wohl selber,« brummte der Michel und lud das Gewehr mit einer Bleikugel und dem braunen Studentenpulver.

Sie schlichen vors Haus. Der Mann im Gewände schien Beeren zu pflücken.

»Man merkt es seiner Sorglosigkeit wohl an, daß er sich für unsichtbar hält,« versetzte Frischer.

»Ja, unser Pulver!« lispelte der andere, »aber, Vetter, zielet gut, und wartet, bis ich rufe.«

Der Halter spannte das Schloß und fuhr mit dem Gewehre zur Wange. Stroche blinzelte entzückt seinem Genossen, dann rief er laut: »Feuer!« In demselben Augenblicke loderte die Mündung des Laufes, gellend knallte der Schuß.

Die beiden Studenten stießen einen Schreckruf aus und erbleichten. Pulverrauch verdeckte ihren Augen, was vorging drüben an der Felswand.

Der Halter aber wendete sich höhnisch gegen den bebenden Stroche: »Ist das euer Pulver, das nicht kracht?«

»Was ist geschehen?« stöhnte dieser, »wieso kann das sein! Da gibt's ein Unglück!«

Hierauf stellte sich der Duckmichel, das Gewehr fest auf die Erde stemmend, gerade vor die Studenten hin und sagte gelassen: »Meint ihr denn, ihr sauberen Herrlein, unsereiner ist gar so dumm? – Nasses Pulver schon ist mir zuwider, viel weniger schieß ich mit Schnupftabak. – Studentenpulver! Oh, wir kennen den Spaß schon seit lange! Hab's auch recht gut gehört, was ihr da unten im Strupp mit eurem Spießgesellen beredet habt. Hab' mich unterhalten bei eurer Gescheitheit. Und so müßt ihr mir's schon zu gut halten, daß ich das echt geladene Zeugel losgeschossen habe, weil mir der Vogel da drüben einmal gar so prächtig auf der Mücke gesessen ist.«

»Jesus und Maria!« jammerten die beiden Studenten, »was ist mit unserem Kameraden geschehen?«

Jetzt löste sich der Rauch und vom Felsen heran eilte Grußing, hoch in der rechten Hand einen toten Falken haltend, der ihm nach dem Schusse förmlich in den Schoß gefallen war.

»Den Vogel will ich euch schenken,« sagte der Halter, »spannt ihm hübsch die Flügel aus und nagelt ihn über eure Bücher an die Wand, daß ihr's ja nicht vergeßt, wie wir Bauersleute gar so abergläubisch und dumm sind. – Ist noch Buttermilch anständig!«

Wie Duckmäuser schlichen die drei genarrten Musensöhne davon. Sie leben heute noch. Geistlich ist keiner geworden; alle drei sind Advokaten in Abelsberg und Umgebung, haben immer noch viel Courage und wenig Geld. Aber das Studentenpulver schnupfen sie selber.



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