Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Abelsberger Herren- und Frauenrecht.

Reich, aber . . .« damit charakterisierte ein boshafter Dorfinsasse den jungen Schlagelschautz, der als Bräutigam der Kathinka Reckel zu Ober-Abelsberg von der Kanzel verkündet worden war.

»Reich, aber . . .?« fragte Schlagelschautzs Vetter, der Blasius, entgegen, »wie ist das gemeint?«

»Mein Gott,« antwortete der boshafte Dorfinsasse, »wie wird das gemeint sein! Jeder kann nicht gescheit sein; es muß auch einfache Leute geben. Arm, aber gescheit, was hat der Mensch davon? Dumm, aber reich – ist gescheiter.«

Schlagelschautzs Vetter war beruhigt.

Übrigens war der Schlagelschautz nicht so – »einfach«, wie der boshafte Dorfinfasse glauben machen wollte, sonst hätte er sich nicht die Schönste als Braut ausgesucht.

»Bei dieser Hochzeit möchte ich der Schloßherr sein,« bemerkte der Gemeindeschreiber im Wirtshaus.

»Warum der Schloßherr?« fragte der Bräutigam, »den geht ja meine Hochzeit nichts an.«

»Oho!« rief der Schreiber und blinzelte den anderen Gästen zu, »den Schloßherrn geht deine Hochzeit ganz kurios an! Du wirst doch vom Herrnrecht was wissen, Schlagel? Du wirst doch vom Erstlingsrecht was gehört haben, Schlagel? Mußt es ja schon in der Schule gelernt haben: Alle Erstlingsfrucht soll dem Herrn geweihet werden!«

»In die Schul' bin ich zwar mein Lebtag nicht gegangen, aber das von der Erstlingsfrucht, das weiß ich,« sagte der Schlagel. »Ist nachher der Zehent daraus worden.«

»Meinst!« sprach der Schreiber und stützte seine Ellbogen auf den Tisch. »Wenn's der Herr verlangt, muß es ein Erstling sein. Und unser Schloßherr verlangt's, darauf kannst du dich verlassen.«

»Ich weiß nicht, was der Herr Gemeindeschreiber will,« sagte der Bräutigam.

Da nahm der Schneidermeister den Schlagel am Arm und zerrte ihn mit sich in die Stubenecke, dort deutete er ihm flüsternd etwas aus. Der Schlagelschautz wurde blaß wie die neugetünchte Mauer. Das Haupt schüttelte er, die Hände schlug er zusammen und fragte endlich: »Was ist da zu machen?«

»Da kann keiner was machen,« beschied der Tischlermeister, denn alle wußten nun, wovon die Rede war. »Das muß sich jeder gefallen lassen, der ein Weib heimführt. Leider! Ist noch ein altes Recht. Sollte längst abgekommen sein; ist aber nicht abgekommen, weil es den hohen Herren gar so gut gefällt.«

»Daß ich bisher nichts davon gehört habe!« sagte der Schlagel kopfschüttelnd.

»Solche Sachen erzählt man nicht, mußt du wissen,« belehrte der Schreiber, »und die es angeht, sind erst recht still. Das kannst dir denken.«

»Es ist wahr,« meinte der Schlagel und setzte sich wieder an seinen Platz, »es laßt sich denken, daß sie still sind, die es angeht, es laßt sich denken. – Aber wie geht's denn zu? möcht' ich wissen.«

»Wie geht's zu?« sagte der Schreiber. »Musik gemacht wird, getrunken wird, getanzt wird, lustig ist's. Vielleicht ist der Schloßherr selber da und fliegt beim Kranzelabtanzen etlichemal mit der Braut ringsum. Ist eine Ehr'! Ich wollt', er tät's mit der Meinigen. Nun, daß ich's sage. Finster wird's, toll geht's her im Hochzeitshaus. Da ist dir auf einmal die Braut weg. Weiß er nichts, der Bräutigam, so sucht er sie und macht Lärm und wird ausgelacht. Weiß er's, so ist er still und wartet geduldig, bis sie wiederkommt. Bringt ja wolter ein sauberes Präsent mit vom Schloßherrn, ein seidenes Halstuch, ein Ringel, oder was weiß ich! mit leeren Händen kommt sie nicht zurück. Jetzt aber gehört sie sein.«

»Wem!«

»Dem Ehemann.«

»Na, siehst es!« trösteten die anderen, »nachher ist ja alles recht.«

Der Bräutigam aber schüttelte immer den Kopf. »Mag euch recht sein,« murmelte er, »mir nicht. Wenn ich das früher gewußt, hätt' ich alles stehen lassen. Ein solches Heiraten! Für einen anderen! Du verflucht!«

»Und ist das allemal?« fragte der Tischler überlaut den Schreiber.

»Es gibt Ausnahmen,« berichtete der Schreiber.

»Wie fert (im vorigen Jahre) der Gugelfranz die Bäckerwitib hat geheiratet, da hat der Herr auf sein Vorrecht verzichtet. Geschieht selten, wunderselten! Die Kathinka. Müßt nicht gescheit sein, der Schloßherr.«

»Wenn ich aber hinginge,« meinte der Schlagelschautz, »und meine Aufwartung tät' machen!«

»Nach dir geht's ihm nicht.«

»– Aufwartung machen und ihn rechtschaffen bitten, er möcht' diesmal Gnade für Recht geben.«

»Probieren kannst es,« sagte der Schreiber, »glaube aber nicht, daß es was nutzt.«

»Lieber fang' ich noch einmal an zum Roboten und zum Zehentgeben, wie es mein Vater hat gemacht, als daß ich so was wollt' leiden. Ich nicht, ich! Da bin ich heikel! Ich gehe zum Schloßherrn.«

Den Spaß, den die Tischgesellschaft unter sich hatte, als der Bräutigam fortgegangen war, kann man sich denken.

Was nun den Schloßherrn anbelangt, von dem die Dorfleute gesprochen, so hatten sie einen solchen gar nicht. Das Schloß stand wohl noch da, auf dem vor Zeiten die Herren gehaust und von dem aus sie die Bevölkerung vergewaltigt hatten; aber dieses Schloß war von einem Bankdirektor angekauft worden, der nun darin wohnte, sich auf den hohen Herrn hinausspielte, doch weiter nicht viel Beachtung fand. Dieser Schloßherr war schon nahe den Sechzigern, hatte aber noch pechschwarzes, stets fein gekräuseltes Haar und einen ebenso schwarzen aufgespitzten Schnurrbart. Eine hellrote Halsbinde trug er und lauter lichtfarbige Beinkleider, unter denen jedoch die Beine manchmal ein wenig schlotterten, was er durch einen tänzelnden Gang recht geschickt zu verbergen wußte.

Weil sich der Bauer Schlagel nicht anmelden ließ, sondern geradeswegs in seine Gemächer trat, so wäre der Schloßherr schier beim Malen überrascht worden. Er war ein Meister in der Kunst, Haar und Bart zu färben. Rasch steckte er seine Lorgnette auf die scharfe Nase und näselte in jenem lallenden Tone, der so vornehm lassen soll: »Wer ist's? Was sucht man?«

»Herr!« stotterte der Schlagel und zerknitterte den Hut zwischen seinen zum Bitten aneinandergelegten Fäusten, »Herr, ich bin der Bauer Schlagelschautz, der jetzt heiratet, der gnädige Herr kann sich denken, warum ich da bin.«

Nun hatte der »gnädige Herr« von der Geschichte schon gehört und war nicht gewillt, den Spaß zu verderben – im Gegenteil, er wollte ihn treiben, so weit er ging. Die Leute sind dumm, vielleicht geht er weit.

»Sehr erfreut, Schlagelschautz,« sagte der Schloßherr, »sehr erfreut über Ihre Aufmerksamkeit. Wenn es mir irgend möglich ist, so werde ich mich zu Ihrer Hochzeit einfinden.«

»Einfinden?« entgegnete der Bauer und machte ein langes Gesicht. »Es ist niemand dabei, nur die nächsten Verwandten, sonst niemand. Machen es ganz einfach. Führen keine Hochzeitsgebräuche auf, gar keine.«

»Das ist aber nicht schön von dem Schlagelschautz, he, he,« entgegnete der Gutsherr und guckte ihn nickenden Kopfes immer durch die Lorgnette an, die er sich mit der Hand an die Augen hielt.

»Ich hab's nicht gern,« fuhr der Bauer etwas dreister werdend fort, »die Meinige mag's auch nicht. Wir möchten nach der Trauung gleich davonfahren, wenn ich bitten dürft'.«

»Das ist aber nicht schön von Euch,« wiederholte der Herr, »die alten ehrwürdigen Sitten soll man nicht abkommen lassen. Ist ein Gläschen Süßer gefällig?«

Likör wartete er ihm auf. Der Bauer tat einen Schluck, wischte sich den Mund und sagte: »Der ist gut. Hab's ja alleweil gehört, daß mit dem gnädigen Herrn leicht umzugehen ist. Wir wollten uns schon verstehen allzwei. Aber an meiner Braut ist nichts dran. Einzig nichts. Einen guten Honig habe ich daheim, wenn ich ihn herschicken darf. Aber das mit der Braut, da tät' ich wohl recht schön bitten. 's ist der Abreise wegen. Wollt' tausendmal bitten, daß der gnädige Herr bei uns eine Ausnahme möcht' machen. Wollt' recht erkenntlich sein dafür.«

Der Bauer mußte sich auf einen Diwan setzen, der Schloßherr setzte sich neben ihn und streichelte seine Knie und kicherte.

»Mein Liebster,« sagte er dann, »recht gern möchte ich Ihnen den Gefallen tun, recht gern, hi, hi, jedoch ich darf nicht. Geschätzter, ich darf nicht. Sie mögen die Gebräuche der werten Voreltem abkommen lassen; ich will und kann es nicht, bin das meinen Ahnen und meinen Nachkommen schuldig. Sie werden das begreifen, mein Bester, übrigens, es ist ja nicht so schlimm, als Sie etwa annehmen mögen, hi, hi. Ein Kuß auf die Stirn, wie der Vater die Tochter küßt zum Segen. Ist das was Unrechtes? Sie werden doch Ihre Braut nicht um die Gratifikation bringen wollen, die damit verbunden ist. Eh nein, das müßt Ihr nicht so schlimm auffassen. Von einer Störung im Hochzeitsprogramm kann gar keine Rede sein. Sie können nach der Trauung sofort mit Ihrem Weibchen abreisen, wann's beliebt.«

»Vergelt's Gott!« rief der Schlagelschautz und faßte die weiße kalte Hand des gnädigen Herrn, »Vergelt's Gott!«

»Ein paar Tage früher schicken Sie Ihre Braut her in das Schloß, weil sie sich in den Katalog schreiben muß.«

»Einschreiben?« stöhnte der Bauer, »zum Einschreiben ist's? Sie kann nicht schreiben. Ich kann zwar auch nicht, aber das Kreuz mach' ich. Kann's gleich tun, weil ich schon da bin. Auch für die Kathinka.«

Der Schloßherr läutete einem Diener und gab Befehl, die Arrestanten auf eine halbe Stunde in den Hof zu führen, »damit sie einmal ein bißchen Luft schnappen können, und dem armen Teufel von jungen Ehemann, der sich in voriger Woche heimlich hat trauen lassen, jeden Donnerstag aus der Einzelhaft. Man will auch menschlich sein.«

Der Diener nickte verständnisvoll. Der Schloßherr wendete sich ruhig wieder dem Schlagel zu, klopfte ihm auf die Achsel und sagte: »Ne, ne, mein Freund, sie muß ihr Kreuz selber machen.«

»Wenn's sein muß!« murmelte der Bauer und stand schwerfällig auf, »im Gottesnamen.« Dachte aber bei sich: »Daß ich sie allein hergehen lasse, so dumm bin ich nicht.«

Und torkelte zur Tür hinaus.

Der Schloßherr rieb sich die Hände, und als sie warm waren, lachte er sich ins Fäustchen.

Der Schlagelschautz ging schnurgerade zu seiner Braut und erzählte ihr alles. Sie streichelte sein Haupt, seine Stirne, schaute ihm ins Gesicht und sagte mit zärtlicher Stimme: »Du lieber Kerl!« Denn das ahnte sie, je einfältiger der Mann, je besser für das Weib. »Weil du nur gesund bist, Schatz,« sagte sie und streichelte ihn, »Gesundheit ist das beste.«

»Aber, was sagst du dazu?« war seine Frage.

»Ich freue mich drauf – daß ich ins Schloß gehen kann,« antwortete die Kathinka.

»Ich werde mit dir gehen,« sagte er.

»Ich werde allein gehen,« erklärte sie bestimmt, »ich werde ihm das Kreuz schon allein machen, wenn er eins haben will.«

»Aber einen süßen Schnaps hat er,« gab der Bräutigam zu bedenken.

»Das ist schon recht,« darauf sie schneidig, »süßen Schnaps trink' ich gern.«

Am nächsten Tage ging die Kathinka ins Schloß. Der Schlagelschautz schlich außen um das Gebäude und horchte an dem Fenstern. Eines ist offen, und wenn's darauf ankommt, springt man hinein. Es mag ja sein, ein Vaterskuß. Der Schloßherr ist ja immer als Vater seiner Untertanen betrachtet worden. Es mag ja sein. Aber sobald er einen Hilferuf hört, der Schautz, will er ins Schloß und dreinschlagen, und wenn er ein Jahr lang eingesperrt wird, es ist ihm schon alles eins.

Und nun soll man wieder einmal sehen, wie sich mancherlei im Leben und in den Büchern wiederholt. – Zuerst hörte der Schlagel, wie sie eintritt, ihr »Küß die Hand« sagt und von dem gnädigen Herrn freundlich empfangen wird. Dann ist einige Zeit hinter den Mauern alles still. Natürlich, bis er den Katalog aus der Lade tut und aufschlägt und die Feder spitzt, so ein hoher Herr hat noch lauter Gänsefedern; und sie ist auch nicht die Geschickteste, ein Kreuzel aufs Papier, das braucht eine Viertelstunde Vorbereitung. Nachher erst kommt er mit dem süßen Schnaps. Sie soll nur trinken, wenn er ihr schmeckt. Das alles stellt sich der Bauer vor, da hört er drinnen plötzlich einen Schall und Wehschrei. Der Schlagel schwingt sich auf den Mauersockel, springt durchs Fenster und sieht, was vorgefallen ist. – Im Winkel kauert der gnädige Herr, preßt seine Hände an die Wange und starrt auf die zerschmetterte Lorgnette am Boden. An der anderen Ecke steht die Kathinka, ihren Arm hat sie noch halb ausgestreckt. Dann tritt sie aufrecht wie eine Königin gegen den noch immer wimmernden Schloßherrn und sagt: »Ja, mein Gnädiger! Es gibt nicht allein ein Herrenrecht, es gibt auch ein Frauenrecht. Und das hab' ich ausgeübt. Ich will Ihm zeigen, Leute zu foppen und nach Weibsbildern zu langen, die Ihn nichts angehen. Und jetzt laden wir den gnädigen Herrn höflich zu unserer Hochzeit ein, wenn Er mag dabei sein. – Komm', Schlagelschautz, das Kreuz ist gemacht.«



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