Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im Wirtshause zu Ober-Abelsberg.

Herr Christof war nach der Sommerfrische ein anderer, als er vor derselben gewesen. Er hatte sich erholt, Gott sei Dank, aber er hatte eine Gewohnheit mitgebracht, die seine Frau für ein Laster, seine Freunde für eine Tugend hielten. »Gib nur Zeit, ich werde mir sie schon wieder abgewöhnen,« sagte er zu seiner Frau; »die neue Lebensweise schlägt mir recht gut an,« sagte er zu seinen Freunden. Die Gattin wendete all ihre Mittel an, den Herrn Gemahl des Abends zu rechter Stunde nach Hause zu locken – ein leckeres Nachtmählchen, ein feines Glas Wein, ein gut durchwärmtes Zimmer und alle Vorzüge eines wohleingerichteten Schlafgemaches.

Und es war doch vergebens. – Herr Christof blieb bei den Wirtshausbrüdern sitzen; er, der sonst der erste gewesen, der aufstand und nach Hause ging, wartete nun als der letzte, bis der Kellner höflich mahnen mußte, daß die Sperrstunde geschlagen habe.

Das fiel seinen Mitgenossen selbst auf und sie fragten ihn einmal, worin die so vorteilhafte Änderung denn eigentlich ihren Grund haben möge: ob es die Unterhaltung sei, oder der Wein, oder schmeichelhafterweise die Gesellschaft, was ihn so sehr fessele.

»Es ist bloß die Gewohnheit,« antwortete Herr Christof aufrichtig, »und ich gestehe es gerne, wie ich sie mir angeeignet habe. Kellner, noch eine kleine Flasche Nußdorfer!«

»Ober-Abelsberg, wo ich, wie Ihr wißt, aus Gesundheitsrücksichten den Sommer zugebracht habe, ist ein großes Dorf, in dem noch die alte, landesübliche Gemütlichkeit herrscht. Am Abende kommen die Bürger, an Sonn- und Feiertagen auch die Bürgerinnen im Wirtshause zusammen; ebenso finden sich im Wirtshause die Sommerfrischler ein, und die Gesellschaft verträgt sich mitsammen in brüderlicher Heiterkeit. Meine liebe Frau, das wißt ihr, war in Linz bei ihrer kranken Mutter auf Besuch; so ließ sich für mich das Wirtshaus nicht umgehen. Und ich hatte es – dank meiner Selbsthilfe – auch kaum zu bereuen. Schon am ersten Tage wurde ich mit den Wirtshausbesuchern vertraut, sie kamen mir so treuherzig entgegen, boten mir in uneigennütziger Weise ihre Dienste und verschiedenerlei Vorteile; der Kaufmann stellte mir Wasser von seinem besonders guten Hausbrunnen zur Verfügung, der Schmied seine schattige Gartenbank, der Zimmermeister seinen Wald zum Spazierengehen, der Amtsschreiber sein Konversationslexikon, der Wirt Küche und Keller, der Bürgermeister sein Roß und Wagen, der Schulmeister seinen Feldstecher, der Sattlermeister seine Tochter. Für letztere hatte ich als Ehemann höflich zu danken. – Alles, was mein Herz verlangte, war da. Gerne stießen sie mit mir die Gläser an: Auf gut Freund! Und wahrlich, ich fühlte mich wie unter Brüdern. Trotzdem wich ich von meiner Tages- oder vielmehr Nachtordnung nicht ab; wie gewohnt, mit –«

»Mit dem Schlage neun zahltest du deine Zeche und gingest.«

»So war es. Ich gratulierte mir aber zu dem gemütlichen Kreise, den ich gefunden, und des anderen Abends saß ich zeitlich wieder im Wirtshause. Alles empfing mich, wie einen alten Freund, und der Kaufmann sagte, daß sie gestern nach meinem Fortgehen noch lange von mir gesprochen hätten. Ich fühlte mich sehr geschmeichelt. An diesem Abende ging's noch unterhaltlicher zu, als am ersten; ein Handelsreisender war da, der erzählte allerlei Späße; ein Professor aus Wien, ein in weiten Kreisen berühmter Mann, hatte um seinen Tisch eine Runde von dankbaren Zuhörern gesammelt, denen er in seinem wissenschaftlichen Eifer populäre Erörterungen über Wald und Feld, Wasser und Erdreich hielt; Schätze verschwendete er in seinen Worten, alles war Ohr, und der Ortsschreiber, ein kleines, weißköpfiges Herrchen, wackelte in einem fort zustimmend und sehr begreifend mit dem Kopfe. Bei einem anderen Tische wurde gesungen und der Herr Kurat wußte Schelmenliedchen. Der Professor aus Wien mochte gewohnt sein, nicht länger als eine Stunde zu dozieren. Er war der erste, welcher sich nach allen Seiten verneigend höflich empfahl und nach Hause ging.

»Gimpel!« sagte der Ortsschreiber, »als ob es unsereiner nicht schon längst wüßte, und Gott sei Dank gründlicher wüßte, was der als funkelnagelneu aus der Stadt zu bringen glaubt. Man hat auch studiert.«

»Und wie verzwickt er dabei geschaut hat,« redete ein anderer, »wie er bei seinem Predigen nach Luft geschnappt hat! Ich habe fortweg gefürchtet, er beißt sich in die Nasenspitze.«

Gelächter.

»Tun tut er, als wie wenn er weiß was für ein hochgelahrter Mann sein tät,« bemerkte ein dritter, »Rektor und Direktor!«

»Und Hektor!« warf vom nächsten Tische her der Schneider ein. Gelächter.

Nun nahm der alte Ortsschreiber das Wort, und um den Leuten zu zeigen, wie ein ganz anderer Kerl er sei, als so ein Professor, begann er nicht bloß über Wald und Wiese, Wasser und Luft, sondern auch über Philosophie und Politik ein Langes und Breites zu salbadern, was den Zuhörern sehr zu imponieren schien. Kaum war er jedoch aus der Stube, so beglückwünschte sich der ganze Tisch, daß der alte Kannegießer endlich einmal fort sei, nannte ihn einen eingebildeten Maulhelden und Windbeutel, der seine ganze Gescheitheit mit alten Scharteken und mit Zeitungsblättern nähre.

Mittlerweile schickte sich unter allgemeinem Bedauern eine Frau Hofrätin an, nach Hause zu gehen. Man bestürmte sie, noch zu bleiben, da man sich bei ihren munteren Gesprächen so einzig unterhalte. Als sie sich aber trotzdem freundlich verabschiedete, küßten ihr mehrere der Herren die Hand und bekomplimentierten sie in liebenswürdigster Weise.

Als sie fort war, stockte die Unterhaltung.

»Hätte sie doch einer nach Hause begleiten sollen, die Frau Hofrätin,« sagte der Kaufmann.

»Die wohl Hofrätin, die!« äußerte der Wirt, »ihre Zeche sieht nicht danach aus. Da gehen so Leute auf das Land, um groß zu tun und zwicken sich um jeden Kreuzer die Fingernägel stumpf.«

»Wahr ist's!« bestätigte der Greisler, »der war anfangs bei mir der feine Emmentaler zu schlecht, heute kauft sie nichts als Quargl, weil er wohlfeiler ist.«

»Bei mir hat sie's mit Zucker und Kaffee genau so gemacht,« rief der Kaufmann.

»Kommt nur der Herr Hauptmann wieder auf Besuch,« bemerkte der Tischler, »da wird sie schon ausrücken!«

»Ich vermein', die rückt schon beim Leutnant aus!« sagte der Zimmermeister und lachte seinen Witz selbst zu Grabe. Denn die anderen lachten bereits wieder über was anderes, über irgendeinen Hohn, den man auf irgendeine abwesende Persönlichkeit gemünzt hatte. – Bei solcher Unterhaltung war es im Fluge dreiviertel Zehn geworden. Fast mit Gewalt mußte ich mich von meinen lieben Zechgenossen losreißen; sie blieben alle noch sitzen – Leut' ausrichten.

Am nächsten Abend scharten sie sich wieder in anhänglichster Weise um den Professor, um die Frau Hofrätin, auch der alte Schreiber war wieder in Ehren und die Herrschaften waren stets neu entzückt von der gutmütigen Zutunlichkeit und Offenheit der Leute. Kaum sie aber wieder fort waren, begann derselbe Tanz über die Abwesenden, wie gestern. Ich blieb instinktmäßig sitzen, noch länger, als den Abend zuvor. Der Kaufmann entfernte sich; da witzelte man über den Schacherer und Pfennigfuchser, über seinen guten Profit und über seine schlechte Ware.

Der Agent war fort; da sprach man von seiner Geckenhaftigkeit und von seinen Schulden. Der Kurat war fort; da machte man sich lustig über seine Schnaderhüpfeln, er solle sie lieber daheim der Köchin vorsingen. Den Schneider hatten sie gehalten, so lange als möglich, hatten sich begastet an dem von ihm in Jubel aufgetischten Wein; nun war er fort, da besprachen sie im Tone mitbürgerlicher Teilnahme, wie es für den Mann weit vernünftiger wäre, er täte für seine Familie, die zu Hause am Hungertuche nage, ein Stück Rindfleisch kaufen, als das Geld im Wirtshause verjuxen.

Schon war es elf Uhr, aber immer noch war so viel Publikum versammelt, daß es mir gewagt schien, die Stube zu verlassen. Ein mutiges Aufraffen, ein kühner Schritt vor die Tür; doch lange, und als ich schon im Bette lag, immer noch fühlte ich es heiß und kalt über meinen Rücken laufen, als ob, wie man sagt, der Tod übers Grab schritte. – Am nächsten Tage ging ich freilich wieder ins Wirtshaus, weil mir erstens das Abendessen und zweitens die Gesellschaft Bedürfnis war. Aber je öfter ich sah und hörte, wie man mit den Fortgegangenen und den Abwesenden umsprang, wie die scharfen Lästerzungen jedes gute Haar an ihnen wegrasierten, daß sie reine Schelme wurden – je weniger konnte ich mich zum Nachhausegehen entschließen. Wenngleich ich mich an dem Wettkampfe im Verlästern und Ehrabschneiden weder beteiligte noch demselben Einhalt zu tun versuchte, so hütete ich durch meine Anwesenheit doch wenigstens meine Person und deren Reputation. Bei solchem Wachtdienste trank ich selbstverständlich einen Schoppen um den andern, sah und hörte einen um den andern scheiden und ausläuten, und blieb und blieb, bis ich der letzte war im Wirtshause, oft spät nach Mitternacht. Auch dem Wirte und der Kellnerin traute ich noch nicht, hielt daher aus, bis eins um das andere in einem Winkel eingenickt war. Nun erst sprang ich leichten Herzens auf und floh vermittelst der Zehenspitzen zum Tempel hinaus. – Und auf solche Weise, meine lieben Freunde, habe ich mir's angewöhnt, bis spät in der Nacht im Wirtshause zu sitzen. –

Und als der letzte darin oblag es selbstredend mir, hiermit alle anderen ausgerichtet zu haben.



 << zurück weiter >>