Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Der Brückenwirt zu Abelsberg.

Der Brückenwirt zu Abelsberg war ein etwas heruntergekommener Mann; nicht sowohl weil er früher oben auf der Hirschau das große Bauergut besessen hatte und jetzt herunten an der Brücke Haus hielt, als vielmehr weil das Hirschengut voll Reichtum gewesen war, während das Brückenwirtshaus halb im Wasser und ganz in Schulden stak.

Das Wasser tut's freilich nicht, würde Martin Luther gesagt haben. Ich bin nicht so gelehrt, wie der Martin Luther, sage aber kühnlich: Der Wein tut's auch nicht immer. Der Brückenwirt hatte Wein, ja sogar sehr viel Wein getrunken, aber für ihn lag im Weine nicht die Wahrheit, sondern die Armut.

Herabgekommen, blutarm, voll von Schulden, Saufaus! das waren so die Bezeichnungen, unter denen der Brückenwirt schmachtete. Ja, schmachtete! Wie konnte er so viele Schulden haben? Seit er den Hirschenhof verkauft und das Wirtshaus gepachtet hatte, wollte ihm kein Mensch was borgen. Ihm fehlte nur eins, um ein wohlhabender Mann zu sein – der Kredit.

Der Kaufmann in Abelsberg hatte kein anderes Kapital, als den Kredit, aber er betrieb sein großes weitverzweigtes Geschäft, das trug ihm Zinsen und er war ein reicher Mann, eine Stütze der Gemeinde, ein Förderer der Künste, ein Weltmann, der lebte und leben ließ. Der Brückenwirt wußte, daß er um keinen Heller weniger besaß, als der »reiche« Kaufmann, daß er aber trotzdem ein Bettler war. Solches legte er sich so nahe ans Herz, daß er vor Schwermut in eine harte Krankheit verfiel.

Dem Arzte vertraute er's, daß die Welt doch schön sei, und daß er nichts so ungern tue, als sterben, Der Arzt tröstete, er solle daran nicht denken, er, der Doktor, wolle ihm schon helfen.

Aber der Nachbar war da, der ließ bei dem Kranken anfragen, welche Sorge er – der Brückenwirt – getroffen hätte, daß er – der Nachbar – zu seinem letzthalbjährigen Pacht käme.

»Ich habe für alle Sorge getragen,« sagte der Brückenwirt mit schwacher Stimme, »wenn ich nur nicht alles, aber gar alles auf die letzte Stunde verschoben hätt'! – Ist er denn nicht da?«

»Wer?« fragten ihn die Anwesenden.

»Der Notar. Den Notar will ich da haben. Und daß er Tinte und Feder mitbringt.«

Der letzte Wille also! Der Notar läßt nicht auf sich warten, und Tinte und Feder hat der Mann immer im Sack. Zeugen lassen sich auch finden; ganz Abelsberg wollte dabei sein, um zu hören, was denn der Brückenwirt für eine Hinterlassenschaft haben werde.

»Seine Schulden verschreibt er den Gläubigern,« hieß es.

»Nur seine Gurgel möchte ich haben, die ist an ihm das Beste,« rief ein Spaßvogel. Dieweilen machte drinnen in der Krankenstube der Brückenwirt sein Testament.

»Hätt's lieber auch verkaufen sollen, die Liegenschaften von meinem seligen Weib,« sagte er, »die Wirtschaft ist unter fremden Händen nicht besser geworden; alle Jahr' einmal hinreisen, das ist zu weit. – Nu, in Gott'snam'. Was da ist, das will ich redlich verwenden. Kinder sind keine. Sind um und um keine da. So, jetzt tu's der Herr aufschreiben.«

Die Feder war bereit zum Kratzen.

»Die Neudorfer,« hub der Kranke an, »die haben jetzt drei Kirchenglocken; so wollen die Abelsberger viere haben. Die vierte soll angeschafft werden. Nachher – das auch aufschreiben: Beim hintern Altar – der heiligen Magdalena tut ein frischer Anstrich not, hat schon soviel abgefärbt, letzt' Zeit her. – Das Schulhaus braucht ein neues Dach. Fürs Armeleuthaus will ich – daß tausend Gulden kommen sollen. Und extra eine Stiftung von wieder tausend Gulden für arme Waisenkinder aufschreiben. – Nix danken, Leut', nix danken. Wer's hat, der kann's ja wohl geben, und um so lieber, wenn er fort muß von dieser Welt und er sich den Himmel kann kaufen. – Aufgeschrieben ist's? Nachher wär's soweit richtig. Und – wenn sie mich auf die Bank legen, so tut suchen im Bettstroh . . .«

Er war erschöpft und schwieg. Sofort verbreitete es sich in Abelsberg, und der Ortsschreiber rannte von Haus zu Haus und verkündete es frohlockend: »Der Bruckenwirt – wer hätt' sich das vorgestellt! Viertausend Gulden im Sommer (er wollte wegen Neigung zum reinen Hochdeutschen nicht sagen: in Summa) hat er zu wohltätigen Zwecken vermacht! Ja Leut', bei dem seiner Leich' müssen die Abelsberger was tun. Der große Kondukt mit Musik! Nur jammerschad', daß wir die vierte Glocke nit schon haben; aber wollen ja nichts auslassen so geizige Leut', ehvor sie kaputt sind.« Er hielt inne, fast selbst erschrocken über die Wendung seines Gedankenganges. Und die Abelsberger trafen vielseitige Vorbereitungen zu einem prachtvollen Begräbnis. Windlichter! Flor! Die Weiber flochten an Kränzen; der Schulmeister zeichnete ein Grabmal mit der Aufschrift:

»Dem großen Wohltäter der Gemein'
Herrn Hans Michel Scherger
Widmen diesen Stein
Die dankbaren Abelsberger.«

»Wenn er nur stirbt!« bemerkte der Schuster Ferdl bedenklich.

In demselben Augenblicke klang die Glocke auf dem Turme.

»Verschieden!« murmelte der Schneider und zog wehmutsvoll seine Haube vom Kopfe.

Es war aber nur die Elfglocke, welche die Abelsberger alltäglich um die Mittagszeit zum Essen rief.

Der Brückenwirt lebte noch; lebte sogar am Abende noch. In derselben Nacht ließ die Schusterin ihre Haustür offen; sie war die »Leichanlegerin« von Abelsberg. Aber sie wurde nicht geholt. Der Doktor war die ganze Nacht bei dem Kranken geblieben; trotzdem fühlte sich der Brückenwirt am nächsten Morgen besser.

Und nach vierzehn Tagen war er gesund.

Jetzt gaben sich die Leute die Tür in die Hand, um den Genesenen zu beglückwünschen; und jeder versicherte, es wäre ihm soviel unendlich hart gewesen, dieweilen der Herr Scherger auf dem Krankenbett gelegen, und mancher gestand, er hätte gar heimlich eine heilige Mess' gezahlt auf die gute Meinung, daß halt die Krankheit nicht übel ausgehen sollt', na, und weil ein's das nicht mitansehen kunnt, wenn der best' Mensch von der ganzen Gemein' hinaus auf den Friedhof getragen werden tät.

»Das habe ich gar nicht gewußt, daß mich die Abelsberger gleichwohl soviel gern haben,« sagte der Brückenwirt. Aber jetzt erfuhr er's mit tausend Freuden, wie gut es ihm die Leute meinten, wie sie ihm beisprangen in allem mit Rat und Tat. Das Brückenwirtshaus war nun stets besucht, der Wirt geehrt. Bei der nächsten Wahl wurde er Gemeinderat. Da das Geschäft besser ging, so zahlte er allmählich seine Schulden. Die Gläubiger wollten das Geld kaum nehmen: sie wüßten es nirgends so gut aufgehoben als beim Brückenwirt.

Einmal bei verschlossenen Türen las der Wirt sein Testament. – Na, es war ja recht: wenn die Abelsberger eine vierte Kirchenglocke haben wollen, so soll eine angeschafft werden; der Magdalena tut ein Anstrich not; es schaut schon gar überall das Holz aus ihr hervor. Das Schulhaus braucht ein neues Dach – es ist ja wahr! und wer wollte nicht, daß das Armenhaus tausend Gulden bekäme und so auch die armen Waisenkinder? Wer's hat, der kann's geben. Suchen mögen sie, wenn er auf der Bank liegt, suchen im Bettstroh . . .

Gefunden hätten sie freilich nichts.



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