Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Der Abelsberger Volksmann.

Sein Name ist Johann Häfenpfeifer. Er wird – sagen seine Freunde – genannt, so weit die deutsche Zunge reicht. Er pflegt Volksversammlungen zu veranstalten, um wirtschaftliche Fragen zu besprechen, aber sein feuriger Geist bleibt bei den armseligen Bauern- und Krämerangelegenheiten nicht lange stehen, mit einem graziösen Salto mortale springt er kopfüber in sein Element, in die große Politik hinein, in der er anfangs munter umherplätschert, allmählich aber mit Händen und Füßen so gewaltig dreinzuhauen pflegt, daß Wellen schäumen, die Gischten hoch aufspritzen und ein recht niedlicher Sturm zustande kommt.

Die Versammlung ist begeistert, hingerissen.

In Ober-Abelsberg hat Johann Häfenpfeifer einen politischen Verein »Fanfaria« gegründet. Der Name ist viel zu bescheiden, der Verein könnte »Weltsteuerrad« oder »Generalkompaß« oder »Völkergericht« oder »Nationaler Regulator« heißen. Der Verein »Fanfaria« zu Ober-Abelsberg besteht zwar nur aus fünfunddreißig Mitgliedern; lauter schlichte Leute, aber lauter Patrioten, gesiebt-nationale und politische Hellseher. Eine so edle Uneigennützigkeit wird man nicht bald anderswo finden, als in der »Fanfaria«; die Mitglieder lassen ihre eigenen Geschäfte verlottern, ihre Wirtschaften zugrunde gehen, ihre Familien verkommen, um ganz und voll – wie der technische Ausdruck lautet – ihrem Volke zu leben. Und nicht etwa nur in Phrasen leben sie für ihr Volk, nein, sie greifen tatsächlich ein und stellen in den Bewegungen der Nation sozusagen den Regulator dar. Der Verein »Fanfaria« zu Ober-Abelsberg teilt nämlich nach allen Seiten des öffentlichen Lebens hin Vertrauens- oder Mißtrauensvoten aus. Eine landwirtschaftliche Gesellschaft Deutschlands faßte vor einiger Zeit eine Resolution gegen die Annahme der Steuererhöhung. Sie erhielt eine Vertrauensadresse von der »Fanfaria«. Die Adresse war ein merkwürdiges politisches Memorandum, in welchem die Erhöhung der deutschen Wehrkraft und die Verringerung der Steuern befürwortet wurde. Die Abelsberger Logik ist schon so. Ein Reichsratsabgeordneter hielt eine Rede über die Notwendigkeit der Flußregulierungen in den Alpen. Der Verein »Fanfaria« erteilte ihm ein Mißtrauensvotum, weil er in seiner Rede nicht gegen die Juden polemisiert hatte. Einer Zeitung schickte der Verein »Fanfaria« das Mißtrauensvotum, weil sie anstatt Schriftleitung immer noch das ketzerische Wort: Redaktion gebrauchte. Einem Schneidermeister sandte der Verein »Fanfaria« eine Belobungsadresse, weil derselbe unter der Rechnung für seine Kunden zu schreiben pflegte: »Mit germanischem Gruß saldiert Wenzel Czéchiczek.« Als Bismarck das Septennat verlangte, ward ihm die Auszeichnung, von dem Vereine »Fanfaria« in Ober-Abelsberg mit einem warmen Vertrauensvotum bedacht zu werden. Hingegen ein Mißtrauensdekret dem deutschen Kronprinzen, als der auf seinem Landgute die Garteneinplankungen braun und nicht schwarz-weiß-rot anstreichen ließ. »Euere kaiserliche Hoheit!« hieß es in dem wackeren Schriftstück, »Das große deutsche Volk wendet sein Auge voll Zuversicht den Stufen des Thrones zu. Wie, wenn dort anstatt der herrlichen Farben der Hohenzollern maikäferbraune Gartenplanken stehen? Wohin soll das führen? Soll es dann ein Wunder sein, wenn der nationale Geist wieder erblaßt? Wir beschwören Euere kaiserliche Hoheit usw.«

Der Vereinssekretär der »Fanfaria« las keine Zeitungsnummer, ohne sich aus ihr Vorfälle des In- und Auslandes anzumerken, die mit Kundgebungen zu bedenken wären. Natürlich der französischen Regierung ein Mißtrauensvotum, als sie Belfort befestigte, und dem Papst ein Mißtrauensvotum, als er friedenvermittelnd sich für die Sache der deutschen Regierung entschied. Und wenn dann solche Kundgebungen gar in den Blättern verzeichnet standen, da hüpfte jedem Mitgliede vor Stolz das Vereinsherz.

Man muß sagen, der politische Scharfblick der »Fanfaria« war so weitreichend, daß ihm kein anderer zu folgen vermochte. Man hörte auf den von ihr veranstalteten Wanderversammlungen viel Neues, und wenn Gevatter Böttcher oder Sensenschmied sprach, da eröffneten sich oft ganz ungeahnte Perspektiven in di« politische Zukunft. Daher waren solche Versammlungen auch stets so gut besucht, daß einmal ein berühmter Komiker, der zu gleicher Zeit in der Stadt gastierte, leere Häuser sah, während die Bierhalle der »Fanfaria« die andrängende lachfrohe Menschenmenge kaum fassen konnte.

Nur wenn der Vereinsobmann, Herr Johann Häfenpfeifer – den Humpen Bier zu Händen, im Munde die Zigarre – sprach, hörte man nichts Neues, hingegen wurden die alten Schlagworte und Sprüche mit so oppositionsgewaltiger Wucht hingeworfen, daß es eine Freude war. Nebstdem war Häfenpfeifer ein sehr jovialer Mann. Jedem, an dem er vorbeikam auf seinem Wege zu und von der Tribüne, drückte er die Hand, oder klopfte ihm wenigstens auf die Achsel. Es sind die Wahlen vor der Tür. »Ja, ja,« sagte einer der Bürger, »wie ich höre, soll das Reichsratsgebäude einen unsinnig großen Saal haben, da muß einer sein, der reden kann! Der eine Stimme hat! Ein Zwitscherer tut's nicht in so bewegter Zeit!«

Da war aber ein Zeitungsschreiber – eine niederträchtige Schreiberseele! – Der ließ drucken: Man solle sich den Mann nur einmal näher ansehen, ob einer, der nicht einmal sein eigenes Haus aufrecht zu halten wisse, für das Allgemeine wirken könne? Ob ein Mensch, der seine Familie vernachlässige, ein Herz für sein Volk haben könne? Ob ein Wühler und Hetzer auf den Frieden und das Gedeihen seiner Nation hinarbeite? Ob dieser Johann Häfenpfeifer nicht am Ende ein eitler Tropf wäre? – Man mag sich vorstellen, was auf solches hin dieser Zeitungsschmierer von dem Vereine »Fanfaria« für eine Adresse erhalten hat.

Bei der Wahl erhielt Johann Häfenpfeifer von dem halben Tausend Wählern fünfunddreißig Stimmen, weil auch seine eigene. Nun begann er zu grollen gegen die Undankbarkeit des Vaterlandes. Er fand diesen Boden nicht mehr wert, daß selbiger den großen Patrioten Johann Häfenpfeifer trage, und er wanderte aus. Aber nicht für immer, das sagte er wohl, er gehe ins Reich hinaus, um dort für die nationale Sache Propaganda zu machen, er gehe, um den deutschen Brüdern zu klagen, wie armselig es bestellt sei in seinem Vaterlande, und er wolle mit mächtigen Verbündeten wiederkehren und siegen.

In B., einer norddeutschen Provinzialstadt, ließ er große Plakate anschlagen: Johann Häfenpfeifer werde eine öffentliche Rede halten über die politischen Zustände Österreichs. Zur selben Zeit hatte die Stadtverwaltung von B. von dem Vereine »Fanfaria« zu Ober-Abelsberg eine stilvolle Zustimmungsadresse erhalten darüber, daß B. die schöne Stadt, ein Schoßkind der Germania, edeln Patrioten ein gastliches Asyl bereite. Der Rat ließ in Karten und geographischen Werken nachschlagen, ohne Ober-Abelsberg zu finden, bis der gelehrte Archivarius erklärte, Ober-Abelsberg sei nur ein Deckname für Schildburg, und die Zuschrift sei als munterer Gruß von den weisen Schildbürgern zu betrachten. Nicht besser als dem Rate erging es den guten Bewohnern von B., sie durchblätterten alle Lexika, alle etwaigen Verzeichnisse der Staatsmänner, Redner und Volksvertreter des In- und Auslandes, der Name Johann Häfenpfeifer war nicht zu finden. Die angekündigte Rede konnte wegen Teilnahmslosigkeit des Publikums nicht abgehalten werden.

Nun ließ Häfenpfeifer sich in einen nationalen Verein von B. eintragen und für eine nächste Versammlung erbot er sich, in dem Vereine eine Rede über die politischen Zustände Österreichs halten zu wollen. Natürlich mit Dank angenommen, denn für das schöne alte Österreich haben die Reichsdeutschen stets ein Herz.

Die Versammlung tagte, Häfenpfeifer wurde mit großer Zuvorkommenheit behandelt, und als er fest und ernst die Rednerbühne bestieg, war alle Aufmerksamkeit der zahlreichen Anwesenden auf ihn gerichtet.

Der Redner begann mit einem Appell an die deutsche Nation. Dann ging er auf die Zustände Österreichs über und machte dabei das einemal eine geringschätzige, das anderemal eine tiefbekümmerte Miene, rang auch gelegentlich die Hände, als flehe er um Hilfe. Bittere Klagen führte er über die Fahrlässigkeit der Deutschen, die sich lieber mit Ackerbau, mit Eisennägelfabrikation, Leinweberei und Ledergerben beschäftigten, als mit politischen Taten. Bittere Klagen gegen die katholische Kirche, welche gegen die deutsche Nationalkirche stets Front mache. Von feisten Pfaffen und leckeren Nönnlein war die Rede, die parasitenartig . . . In der Versammlung war ein Zischlaut zu hören. Was ist das? Mitten im katholischen Österreich ist derlei stets hell bejubelt worden, und hier im protestantischen Norden? – Der Redner fuhr fort und führte bittere Klagen gegen die österreichischen Schulen, die immer noch den Patriotismus von dazumal vorbeteten; bittere Klagen gegen die österreichischen Schriftsteller und Dichter, welche lau gegen die nationale Idee einen ekeligen Humanitätsdusel trieben, als lebe man noch zur Zeit Lessings und Goethes; leidenschaftliche Klagen gegen den Beamtenstand, welcher kriecherisch seine habsburgische Stefansturmpolitik . . .

Der Redner wurde unterbrochen. Ein Mann des Gesetzes, mit der preußischen Mütze auf dem Haupte, war aufgestanden und erklärte nun mit einer ganz eigentümlichen Schneidigkeit, er könne den Sprecher in diesem Tone nicht fortfahren lassen.

Johann Häfenpfeifer hatte es sonst geliebt, bei seinen Reden die Polizeiorgane zu provozieren; ein Ordnungsruf im Namen des Gesetzes hatte seinem Esel erst den richtigen Sattel aufgesetzt. Aber heute, an dieser Stelle und in diesem Lande, erschrak er vor dem Polizeiorgane so sehr, daß er den Faden seiner Rede verlor. Er tappte eine Weile herum, erwischte noch einige Phrasen von nationaler Größe, von politischer Verbrüderung usw., in denen er seine sonore Stimme kräftig auftönen ließ.

Keine Hand rührte sich zum Beifall, als er geendet hatte. Stark verblüfft stieg er von der Tribüne, und um seinen Platz, wo er beim Glase Bier nun saß, blieb es öde. Nur ein mitleidiger Kandidat der Theologie trat zu ihm heran und fragte, ob er nicht erschöpft sei? Es scheine der Saal nicht besonders akustisch zu sein. Der wohlwollende Kandidat erhofft für diesen Samariterdienst einen Sitz im Himmel.

Nun bestieg der Vorstand des Vereins die Tribüne und sagte: »Indem ich dem Herrn Häfenpfeifer für seinen Vortrag höflich danke, wollen wir zur Tagesordnung übergehen.«

Das war alles. Herr Häfenpfeifer machte sich bald unauffällig davon, seine heutige Tagesordnung war ein rasender Ärger, bis der gute Morpheus ihm die Augen schloß.

Am nächsten Tage stand in dem K. Regierungsblatte von B. gelegentlich des Referates über die Versammlung des nationalen Vereines: »Die nun erfolgte Rede eines Herrn J. Häfenpfeifer aus Österreich glauben wir nicht ernst nehmen zu sollen. Der Mann hat sich so wütig ins eigene Nest gespuckt, daß auf den Gesichtern der Zuhörerschaft nachgerade ein mitleidiges Befremden zu sehen war. Wahrlich schlecht stünde es um das deutsche Volk, wenn es viele solcher Individuen unter sich hätte, die ihre Lebensaufgabe darin erblicken, alle Autoritäten ihres Vaterlandes zu beschimpfen und zu verhöhnen. Wir ehren gewiß die heutigen schweren Sorgen der Deutschen in Österreich, wir freuen uns des deutschen Bewußtseins, das in ihnen erwacht ist, wie wir geloben, unsere deutschen Brüder in der Not nicht zu verlassen, aber mit einem Renegatentum schließt der Deutsche keinen Pakt.«

Nun ist Herr Johann Häfenpfeifer wieder heimgekehrt nach Ober-Abelsberg. Er spricht nicht mehr soviel wie früher, am wenigsten von seinen politischen Erfolgen in Deutschland. Die »Fanfaria« teilt nach wie vor ihre Kundgebungen aus und hat erst vor kurzem in einem energischen Schriftstück den Rothschild aufgefordert, sofort nach Jerusalem zu übersiedeln, widrigenfalls usw. –

Auch derlei Schrullen zeitigt das erregte politische Leben eines Volkes. Ihr Fluch liegt in ihrer Lächerlichkeit und es ist besser, wir selbst sehen und brennen diese Schäden an unserem Fleisch, als daß es der Feind tue.

Der Johann Häfenpfeifer merkt zwar nichts. – Guten Abend!



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