Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Ein junger Abelsberger in der Residenz.

Ein Junge aus Ober-Abelsberg kam in die Hauptstadt, um zu studieren. Unter seinen Professoren hatte der treuherzige Knabe mehrere Gönner, wovon ihm einer eines Tages für sich und einen Freund zwei Eintrittskarten schenkte. Die Eintrittskarten galten für eine philosophische Vorlesung, die derselbe Professor in einem öffentlichen Saale halten sollte. Der junge Student aus dem Dorfe freute sich schon den ganzen Tag auf den Abend der Vorlesung, und sein Kummer war nur der, daß er unter seinen wenigen Bekannten keinen Genossen fand, welcher die zweite Eintrittskarte angenommen hätte. Die Studenten wollten den Abend lieber anderswo zubringen, als den Herrn Professor anhören, dessen Stimme sie ohnehin gut kannten.

Als die Stunde kam, ging der wißbegierige Junge nach dem Saale der Vorlesung und war betrübt, daß der Schatz, den er in der Tasche trug, zum Teile unverwertet bleiben sollte. Da sah er an der Gassenecke einen schlichten, anspruchslosen Mann stehen, dem Anzuge nach vielleicht ein Bahnschaffner oder so etwas. Ah, dachte sich der kleine Student, dem kann ich einen Gefallen tun, der hat just nichts zu tun und ist gewiß froh, wenn er meinen Herrn Professor einmal hört.

»He, Vetter!« rief er dem Manne zu, »wenn Sie was profitieren wollen, so kommen Sie mit!«

»Ich bitte!« entgegnete der andere und ging mit dem Jungen. Dieser gab an der Pforte die zwei Karten ab, die beiden traten in den Saal. Die Vorlesung begann. Der Student hörte mit Begeisterung zu, in der Hoffnung, all die schönen Worte, die er heute anhörte, dereinst in den höheren Schulen auch zu verstehen. Neben ihm stand bewegungslos wie ein Baum der Mann von der Straßenecke. – Das ist ein dankbarer Mensch, dachte sich der Student. – Der Kleine wird vielleicht einen Schützer im Gedränge, einen Begleiter auf dem Heimweg haben wollen, dachte der andere.

Nach der Vorlesung sagte der Junge zu seinem Manne: »Nichts danken, mich freut's, wenn's gefallen hat. Behüt' Gott!« Und er wollte im Trosse davon.

»Ich bitte,« warf der andere rasch ein und hielt den Jungen am Arme fest, »ich bekomme neunzig Kreuzer. Ja, neunzig; für die Stunde ist des Nachts sechzig, und anderthalb Stunden bin ich zu Diensten gestanden.«

Der unglückliche Bursche aus dem Dorfe hatte einen Dienstmann mit in die philosophische Vorlesung gezogen. Geld hatte er keines im Sack. Der Auftritt wurde laut; der Junge war sprachlos vor Schreck und Ärger. Der Professor kam und tat, was vielleicht an seiner Stelle noch keiner getan hatte: er entschädigte einem seiner Zuhörer mit neunzig Kreuzern die in der Vorlesung verlorne Zeit.



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