Alexander Roda Roda
Russenjagd
Alexander Roda Roda

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An der Front.

– 7. Feber 1916.

Ich reite des Morgens von Schurawitsche zurück nach Mykow zum Divisionskommando, ein Stündchen über gute Knüppelwege. Knüppelwege führen ja hier zu jedem Haus. Der Damm ist hart gefroren und so elastisch, daß er fühlbar schwingt und nebenan im Sumpf das Eis knistert und kracht, als ich dahertrabe.

Bei der Division wartet der Artilleriebrigadier im Auto auf mich. Er besucht die Batterien und wird mich bis zur Infanteriebrigade mitnehmen, nach Lopaten. Von Lopaten gehe ich dann in den Schützengraben. Der Feind ist heute friedlich gestimmt – ich werde wohl ohne Zwischenfälle in die vorderste Stellung kommen können – vielleicht auf hundert Schritt an die Russen heran.

Sandboden, von einer undurchlässigen Lehmschicht unterlagert. Im Sand liegen fast von Meter zu Meter Bruchstücke von buntem Achat. Oder Feuerstein? Manche Stücke sehen aus wie Abfälle eines vorgeschichtlichen Gewerbefleißes; man glaubt, Aexte zu erkennen, die aus dem Stein gespalten, gebohrt und dann weggeworfen 240 wurden, weil sie mißlungen waren. Ueberall in Wolynien, weit südlich von Dubno und weit nördlich von Tschartorysk habe ich diese rätselhaften Gebilde gefunden.

Bei nassem Wetter ist alles Sumpf, Poljesje. Ohne die hunderte Kilometer von Knüppelwegen, die sich die Truppen gebaut haben, käme man da nicht einmal zu Pferde fort, geschweige denn im Auto.

Im Auto liegen übergroße geflochtene Strohstiefel für mich bereit, damit ich unterwegs nicht friere. Es geht in einen Forst, wie ich ihn noch niemals sah: Föhren, die schlank und hoch wie Zedern sind, dick und kerzengrad gewachsen, Prachtstücke von Bäumen. Der Wald wieder, Eigentum eines Radziwill, hat sicherlich nie vorher ein Auto gesehen. In Friedenszeiten gibt es hier Elche und Rotwild in Menge, sagt der Heger. Jetzt nur Säue, Füchse. Gestern sind zwei mächtige Wolfsrüden gespürt worden, sagt der Heger. Ich habe nur Amseln wahrgenommen.

Der Weg auch hier längelang mit Prügeln belegt, Stamm an Stamm. Unterbau: vier Kappschwellen, an besonders nassen Stellen Piloten. Eine schöne Föhre soll selbst in Rußland ihre fünfzehn bis zwanzig Rubel kosten. Man braucht, das sagte ich schon, 12 000 Stämme für einen Kilometer Wegs. Die Arbeit bleibe außer Betracht. Auch dann noch geht die Rechnung in die Millionen.

241 In des Hegers Anwesen am Waldrand hat sich eine Munitionskolonne einquartiert, und einige Pferde stehen sogar im Stall. Die andern dauern mich: selbst wenn sie Heu und Stroh in Ueberfluß hätten – es fehlt ihnen an Wärme und trockener Streu zum Niederlegen. Monate stehen müssen, wird den Pferden zur Qual. Die es aber bisher übertaucht haben, die sind geduldig und genügsam wie Renntiere geworden.

Im Forst steht unterm weißen Schirm ein Mappeur; unsre Karten von Rußland bedürfen der Kontrolle. Zum Glück haben wir Blätter der neuesten russischen Aufnahme in Menge erbeutet – jeder Gefangene bringt die eine oder andre Karte mit – und können uns darnach richten.

Der Infanteriebrigadier, Oberst Schulhoff, hat ein hübsches Häuschen tief innen im Wald. Ein Gärtchen davor. Ein Zimmerchen mit offenem Kamin. Auch sein russisch Wägelchen für Fahrten über Land. Im Zimmer gibt's sogar eine verschlissene Plüschgarnitur. »Das Jagdrevier vor dem Tor,« meint der Brigadier lachend – »was fehlt mir? Ich lebe wie ein herabgekommener Gutsbesitzer.« Nur kommen die Granaten manchmal etwas zu dicht vor seinen Zaun.

Der Herr Brigadier bringt mich in seinem Wägelchen noch eine Strecke weit vorwärts auf den Feind zu. Der Föhrenbestand ist hier schon etwas gelichtet, unsre Soldaten haben rüstig 242 gearbeitet. Nicht um Brennholz zu gewinnen – Brennholz liegt seit Jahren in meilenlangen Stapeln da, daß man Grönland damit warmheizen könnte; auch nicht zum Wegbau – dazu lagern Massen von fertiggesägten Eisenbahnschwellen bereit. Sondern man braucht die Riesenföhren für den Schützengraben; warum, werde ich später dartun.

Die Arbeit der Soldaten – Holzfällen, Wegebau – wird nicht enden, ehe ein Stellungswechsel eintritt oder der Friedensschluß. Immer gibt es noch mehr zu bessern und zu stützen. Ein Sisyphuswerk: das Straßennetz muß noch dichter, die Stellung vorn immer stärker werden, festungsartig. Auch die Landeseinwohner, Weiber helfen beim Wegebau mit; man belohnt sie mit Suppe und Fleisch aus der Fahrküche.

Vordem sind deutsche Regimenter hier gewesen – ein sorgsam angelegter Friedhof mit Birkenkreuzen zeugt dafür und ein Grab im Wald mit einem Helm darauf. Die Deutschen waren liebenswürdige Nachbarn, die Offiziere sprechen noch heute mit Freundschaft von ihnen, ihrem Mut und ihrer Fröhlichkeit.

Ich bin im Wägelchen auf dem Standort des Regimentskommandos angelangt und werde nun zu Fuße weitermüssen. In der ersten Hälfte des Winters hat es das Regimentskommando gut gehabt; es hatte eine leidliche Unterkunft in einer Hütte am Weg, in der Nachbarschaft der schweren 243 Batterie. Eines Mittags hagelten russische Granaten ein und blieben von nun an nicht mehr aus.

Der Standort mußte dem Feind bekannt geworden sein. Durch Kundschafter? Oder hatte sich ein Soldat verplaudert, der im Feldwachengeplänkel vom Gegner gefangen worden war? Vielleicht hatten die Russen auch nur einen Zünder jener schweren Batterie gefunden und lasen von ihm die Entfernung ab. Wo die Batterie stand, konnten sie dann leicht ausklügeln: gewiß an jenem Weg, der in die russischen Karten genau eingetragen ist. Oder sollten die Russen sich an unsern Fernsprecher angeschaltet haben?

Wie immer die Russen da zu einem Ziel kamen – ob man es ihnen verriet, ob sie es nur suchten – Batterie und Regimentskommando kamen ohne Verlust davon, wechselten die Stellung und freuten sich diebisch, als die Russen wochenlang noch den alten Fleck beschossen.

Ich spaziere als Begleiter des Brigadiers im Schutz des Hochwaldes auf die Schwarmlinie los. Das Bleikabel und überdies noch Wegweiser geben die Richtung an. Vorn knattern träg und launenhaft die Gewehre. Die Amseln singen, Axthiebe hallen. Manch ein Stamm ist von Granaten angerissen, manch ein Ast von ihnen geknickt. Heute ruht das Artilleriefeuer in diesem Abschnitt; rechts nebenan donnert es recht oft.

Ich passiere dritte und zweite Linien im Wald in verschiedenen Stadien der Herstellung, 244 Palisaden, Flankierungen. Ein Blockhaus für kranke Pferde. Eine granatsichere Unterkunft, in die Erde versenkt, für das Nachrichtendetachement. Verhaue, Deckungen der Fahrküchen, des Hilfsplatzes – all das Bauwerk des Grabenkrieges. Die hochstämmigen Föhren und Rasenziegel geben das Material ab. Am schönsten ist der Unterstand des Bataillonskommandos – eine unterirdische Villa, mit Birken ausgelegt.

Die Umgebung wird immer lebhafter. Man zimmert, tischlert, gräbt. Auf einer gefrornen Pfütze produziert ein Eiskünstler sich im Bogenlaufen; er hat aber gar keine Schlittschuhe an, er gleitet auf dem Absatzeisen des Stiefels; nebenan vergnügt man sich mit einem »schwedischen Karussel;« da ist nämlich ein Wagenrad aufs Eis gelegt und ein Schlitten drangebunden; wenn man das Rad dreht, fliegt der Schlitten im Kreis.

Aus dem Schützengraben hört man's knallen. Nein, nicht aus dem Schützengraben, denn er ist leer – ein Teil der Mannschaft ist auf Feldwache, der andre Teil arbeitet, der dritte schläft. Das Knattern kommt von den Feldwachen. Sie liegen in ewigem Kampf miteinander.

Ich bin nun fünfzig Schritte vom Schützengraben. Den Gegner kann ich nicht sehen und er mich ebensowenig, denn das Gelände steigt hier zur Stellung etwas an, um sich dahinter wieder zu verflachen.

Da stürzt uns ein Leutnant entgegen.

245 Er ist ganz irr vor Erregung.

»Herr Oberst,« stammelt er, »ich hab' ihm noch vor fünf Minuten gesagt: Geh' nicht hinaus!«

»Was ist denn geschehen?« fragt der Brigadier befremdet.

»Leutnant Hruza hat einen Kopfschuß bekommen«

Er war aus dem Schützengraben ins Vorfeld zu den Horchposten gegangen – am hellen Tag; plötzlich sinkt er um.

Eben trägt man ihn, den Armen. Die Bahre wippt im Marschtakt der Sanitätsmänner. Darauf liegt der junge schlanke Leutnant mit verbundenem, blutendem Kopf und röchelt schwer, und seine Zähne klappern sichtbar. Schaum steht ihm vor dem Mund. – Die Amseln flöten.

 
Der Schützengraben.

»Herr Oberst, ich melde mich gehorsamst als Kommandant des dritten Bataillons.« Der Major schloß sich dem Brigadier zum Gang durch den Schützengraben an.

»Herr Oberst, ich melde mich gehorsamst als Kommandant der elften Kompagnie,« rief der Hauptmann.

Der Brigadier fragte dies und das – die Herren antworteten stramm. Auf allen aber, soviel sie darüber wegkommen wollten, schien das Schicksal des armen jungen Leutnants zu lasten.

246 »Hat die Marschkompagnie ihre Schießübung beendet?«

»Jawohl, Herr Oberst! Soeben der vierte Zug – auf eine russische Feldwache.«

»Sind die Horchposten vorgetrieben?«

»Sie haben sich diese Nacht dreißig Meter weiter vorn eingegraben, Herr Oberst.«

»Ohne feindliche Gegenwirkung?«

»Die Russen haben sich kampflos um so viel zurückgezogen. Wir verstärkten dort die Feldwache.«

Plötzlich bleibt der Oberst stehen und sagt:

»In der Offensive muß es sein. Aber so – ohne Not ist es erschütternd.«

Alle wissen, daß er den Schwerverletzten meint.

Dann ist ein langes Schweigen und Wandern. Endlich seufzt man auf, schüttelt es ab und kann wieder sehen und denken. . . .

Der Schützengraben hier im Poljesje ist anders als sonst an der russischen Front. Wo er aber am eigentümlichsten ausgebildet ist, liegt er mit zwei Meter hohem Aufzug ganz über dem Boden. Dann ist er natürlich leider weithin sichtbar. Man durfte aber stellenweis nicht schürfen, weil einen Spatenstich tief unter der Grasnarbe schon das Grundwasser lauert. Da die Brustwehr sich dem feindlichen Geschützfeuer gar so deutlich darbietet, mußte sie um so stärker sein, 247 und dazu brauchte man die vielen Tausende dicker Föhren, Stamm an Stamm, zwischen Piloten. Die Holzwand gibt der Brustwehr Halt, bewahrt sie vor dem Zerrinnen. Es ist ein mühevolles Schaffen und Schuften und Schaufeln.

Und all das im Angesicht der Russen? Ja. Sie hocken hundert bis vier-, fünfhundert Schritt weit. Sie arbeiten eben auch. Am lichten Tag. Man hat so viel gegen Regen, Sumpf und Dreck zu kämpfen, daß man den Kampf mit dem Feind darüber fast vergißt.

Manchmal rückt – bei uns oder beim Gegner – ein neues Regiment aus der Reservestellung in die erste Linie ein und stört in seinem kriegerischen Eifer den halben Waffenstillstand. Es gibt einen Toten. Sofort werfen die Infanteristen hier das Werkzeug hin und rächen sich – durch eine Salve hinüber. Der Gegner antwortet. Das Geplänkel wird immer lebhafter. Artillerie greift ein – auf Ja und Nein ist ein Gefecht entbrannt, dauert zwei, drei Tage, . . . flaut ab und . . . erstirbt. Dann arbeitet man wieder. Das ist der Krieg im Poljesje. »Ich glaube, er wird eines Tages aus Mangel an Beteiligung aufhören,« sagt ein Oberleutnant mit leisem Lächeln.

Auch heute wäre ein Gefecht entstanden, wenn man nicht genau wüßte, daß Leutnant Hruza Opfer eines Zufalltreffers geworden ist. Jetzt zu Frostzeiten, wo man nicht in der Gefahr schwebt, die eben beendeten Erdaufwürfe zerfließen zu sehen, 248 ist man um so eher geneigt, den Spaten mit dem Gewehr zu vertauschen.

Bei Tauwetter ist es anders. Eines Tages im Spätherbst, als die Deutschen noch hier waren, kam ein Russe mit einem weißen Tuch daher. Ein Deutscher ging ihm entgegen.

»Was willst du?«

»Panje, uns stürzen die Deckungen ein.«

»Uns auch.«

»Dann schießen wir nicht.«

»Gut, schießen wir nicht.«

Der Burgfriede war beschworen; man grub und zimmerte.

Plötzlich ein russisches Schrapnell – mitten unter die Arbeiter. Die Deutschen waren entrüstet.

Die Russen redeten sich aus, die Artillerie sei von dem Pakt nicht verständigt, man werde das Versäumnis nachholen. Sie hielten auch Wort und von nun an Frieden.

Das Glück und die Weisheit unsrer Sappeure haben nämlich bewirkt, daß die russischen Stellungen weiter im Sumpf liegen als unsre, so daß der Feind unter den Unbilden des Tauwetters noch viel schwerer zu leiden hat. Er ist froh, wenn wir ihn bauen und nach harter Arbeit auch verschnaufen lassen.

Der Kleinkrieg der Feldwachen geht nebenher leidenschaftlich weiter. Die russischen Baumschützen nehmen mit den Zielfernrohren die einzelnen Posten aufs Korn, besonders beim 249 Wacheaufziehen. Die Posten sind nur halshoch gedeckt – es gibt oft Kopfschüsse . . . bis man bei uns darüber verärgert wird, das Feuer erwidert – eine der Parteien ruft nach Artillerie, und das Gefecht ist da. »Haust du meine Feldwachen, hau' ich deine Schwarmlinien.« Erziehung des Gegners durch Kanonen.

Am Christtag kamen zwei Russen, Männer ohne Chargengrad mit der weißen Fahne vor unsre Hindernisse, beide Russen sehr nett bekleidet. Ihnen folgte, gleichsam schüchtern den Erfolg der Mission abwartend, eine große Gruppe.

Bei uns war man mißtrauisch und schickte eine Feldwache hinaus in die Flanke der »Parlamentäre«. Es ist nämlich schon einmal vorgekommen, daß solche scheinbar unbewaffnete Russen mit der weißen Fahne bis an unsern Graben kamen, rasch Handgranaten warfen und in den Sekunden der ersten Verwirrung entwichen.

Diesmal war's den beiden Russen ernst. »Wir haben gehört, daß ihr Weihnachten feiert,« sprachen sie; »da habt ihr wohl auch Schnaps?«

»Nein, wir haben keinen Schnaps.«

»So. Hm. Schade . . . Hm . . . Aber vielleicht werdet ihr morgen . . .?«

»Möglich.«

Die beiden Russen blickten einander an, berieten stumm und sagten: »Wißt ihr was? Es ist doch sehr wahrscheinlich, daß ihr morgen Schnaps haben werdet . . . wir bleiben für alle 250 Fälle da . . .« Sie hoben die Arme und gaben sich gefangen.

Einmal zur Zeit der Deutschen bei schönem Sonnenschein, als das Herbstlaub am buntesten war und die Pirole sangen, da kam solch eine russische Deputation mit einem Harmonikaspieler an der Spitze bis vor die Feldwache getanzt. Sie baten um Brot und Salz. Als der vertrauensselige deutsche Posten sich hinauswagte, wollten ihn die Russen verschleppen. Ein deutscher Offizier hatte den Vorgang aber durchs Fernglas beobachtet und preschte mit dem Maschingewehr hinein, bis kein Mann überblieb.

Bei strenger Kälte ist die Verlockung, vorn im Wald Holz zu sammeln, allzu groß: die Leute kriechen aus dem Schützengraben und setzen sich lieber den Geschossen aus, als weiterzufrieren. Unlängst klaubt ein schmächtiger Rekrut, Schneidergehilfe von Beruf, dürre Zweige und ist ganz vertieft in sein Beginnen, als ihm von hinten her ein russischer Goliath auf die Schulter klopft. Der Schneider fährt bestürzt zusammen.

Der Russe mild:

»Braucht ihr auch Holz? Geh nur – ich tu dir nichts.«

Den Wiener Stadtmenschen geht's freilich schwer vonstatten, das Behauen der Föhren, Zuspitzen der Pfähle und Pilotenrammen; die Waldviertler wissen Beil und Hoyer um so geschickter zu handhaben. Und an Findigkeit auf 251 Erkundungen und nächtlichen Patrouillengängen nehmen's die Waldviertler spielend mit den russischen Ochotniki auf; selbst wenn unsre Patrouillen, meist etwa fünfzehn Mann, auf ein ganzes Jagdkommando von sechzig wohlgeübten Kerlen stoßen.

Die Russen schicken nämlich gern große Abteilungen aus und suchen ihre Horchposten verstohlen immer näher vorzuschieben. Die Posten graben sich Schützenlöcher aus, um die Löcher dann ohne viel Aufsehen zu verbreitern – immer zu verbreitern, so daß sie schließlich eine zusammenhängende Linie bilden könnten – und der neue russische Schützengraben wäre da. Dem widersetzen sich die Unsern, und daraus wird allnächtlich das Geräufe. Nur grade ein Geräufe – denn die Russen knausern mit Munition.

Auf Wegwerfen von Patronenstreifen steht bei ihnen Todesstrafe. Sie leiden Mangel nicht nur an Infanterie- und Artilleriepatronen, sondern auch an Gewehren; die Hälfte der Mannschaft soll nur mit Handgranaten bewaffnet sein. Aus all diesen Gründen eben fechten allein die Wachen. Einmal ist eine freche Kosakenbatterie bis an den Waldrand vorgefahren, gab rasch ein paar Schuß gegen unsre Wachen ab und verschwand wieder. Das ist der Krieg im Poljesje: gleichförmige Tage, bewegte Nächte, strenge Bereitschaft.

Ich wandle die Holzkolonnade des Schützengrabens hin. Ueber mir die Schrapnelldecke, von 252 dicken Stämmen gestützt. Die Scharten tragen die Namen der Schützen; Gewehre, Patronen, Handgranaten neben jedem Stand; die Gewehrschlösser durch Wachsleinenhüllen vor Nässe gewahrt. Feste Schulterwehren zur Abgrenzung der feindlichen Granatwirkung. Maschingewehrstände, mit Eisenbahnschienen gedeckt. Wo die Brustwehr besonders hoch ist, kann mich nicht einmal ein Schartentreffer erreichen; an andern Stellen sind die Scharten verhängt, damit man vom Feind her nicht den Umriß unserer huschenden Köpfe sehe; wo eine Sumpfstelle zu überschreiten ist, da allerdings sieht mich der Feind deutlich. Ich blicke durch die Scharte aus: Draußen wacht am Astverhau unser Horchposten Ich möchte nicht mit ihm tauschen. Zehnfache Hindernisse; jenseits der Drähte unsre Patrouillen.

Im Laufgraben Latrinen, Werkstätten, endlich bombensicher eingedeckte Unterstände, worin man sich bei Trommelfeuer sammeln wird; Fuchslöcher (5 bis 6 Meter unter der Erde) kann man hier im Sumpf nicht anlegen.

Dann ruhe ich in einem Offiziersunterstand von der langen Fußwanderung aus. Der Unterstand ist in die Erde versenkt; will man sich sein Inneres vorstellen, denke man an eine Jagdhütte. Die Wände sind mit Birkenstämmchen verkleidet, aus weißen Birkenästen auch die Möbel zusammengenagelt – Betten, Tisch und Stühle. 253 Ein schweres, schön geperltes, schädelechtes Zwölfergeweih ist der Schmuck. Der Hauptmann hat die Trophäe hier hinten im Wald erbeutet.

Bei der Artillerie ist's ähnlich. Mann und Pferd gut untergebracht. Deckungen, wie sie das Dienstbuch im Frieden vorschrieb, kennt man freilich nicht. Die Feldgeschütze mußte man betten, sonst versänken sie im Morast.

Man hat Zeit im Poljesje, liest Zeitungen und Briefe. Man weiß also ungefähr, was in der Welt vorgeht, und denkt sich, daß der Krieg noch lange, aber nicht ewig währen kann. Man weiß auch genau, wie arg die Kämpfe am Isonzo waren. Ich dachte, grade hier müßten Offizier und Mann den Frieden heiß herbeisehnen – statt dessen habe ich eher eine Art gutmütig-fröhlicher Resignation gefunden.

Die Stimmung malt sich am besten in dem Ausspruch eines Offiziers: »Wenn hier im Norden ein Ende werden soll, werde ich nichts dagegen haben dürfen und mich in Gottes Namen fügen. Dann soll man uns aber wenigstens erlauben, uns divisionsweis das Mütchen an den Italienern zu kühlen.« Er nannte diese Art zu fühlen »militärische Erotik.« 254

 


 


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