Alexander Roda Roda
Russenjagd
Alexander Roda Roda

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Spassow.

– 30. August 1915.

In Spassow warteten unzählige Leute auf den Kommandierenden.

Da ist zuerst der Gutsbesitzer selbst, Herr v. Raczeborsti. Er bittet um Gendarmen: die Moskalen haben seinen Bruder vom Nachbarschloß als Geisel mitgeschleppt – nun stehlen ungetreue Knechte dort die Habe.

Da sind vier stramme Bursche in Bauerntracht, mit Strohhüten, einer sogar mit Lackstiefeln, die er aber vorsichtig in der Hand trägt: unsre Soldaten sinds, die in russische Gefangenschaft geraten waren, entflohen, hier verkleidet als gedungene Taglöhner weiterarbeiteten und sich nun wieder zum Dienst stellen.

Ein Landmann hat russische Munition vergraben und möchte sie abliefern.

Dann die gefangenen Russen. Ihrer führt die Stabswache Dutzende vor. Ich setze mich sofort zum Kundschafteroffizier, der die Gefangenen vernimmt. Man eilt damit – die Angaben der Gefangenen sind nur wertvoll und wichtig, solang sie neu sind.

121 Und die Gefangenen kargen nicht mit Angaben.

Ein Jude aus Kamjenjetz Podolski, Dragonerunteroffizier, bestätigt mit dem ersten Wort, daß er ahnungslos als Feldwache zurückblieb, während die Seinen abzogen; er fragt, ob er auch nach dem Krieg werde bei uns bleiben dürfen – Rußland habe er gründlich satt. Er redet übrigens auch Deutsch, aber einen so verzwickten Jargon, daß ich mit meinen bißchen Armeeslawisch sein Russisch immer noch besser als sein Deutsch verstehe.

Schon während der erste Gefangene sein Verhör vor dem Kundschafteroffizier besteht, ist ein Feldgendarm daran, die übrigen Russen flüchtig zu sondern – in solche, die dem Offizier vorgeführt werden sollen, und andre, von denen man erhebliche Daten zu erhalten nicht erwarten kann. In diese Klasse gehören die meisten: sie wissen im besten Fall ihren Namen und die Nummer ihres Regiments zu nennen, aber nichts darüber, zum Beispiel nicht einmal mehr die Zahl ihrer Jahre.

Ein polnischer Fähnrich erklärt, er wäre absichtlich zu uns übergelaufen, als er erfuhr, daß die Russen sein Elterngut an die Bauern verteilten. Er denke nicht daran, weiterzukämpfen – es mögen die Dummen für den Zaren bluten.

Ein andrer, wiederum Fähnrich, sagt aus, er hätte Befehl gehabt, mit der Infanteriemunition 122 auf das sorgsamste zu sparen und alle Soldaten zu züchtigen, die auch nur einen Schuß verschwenden; denn die Patrone koste heute dem russischen Staat siebenundzwanzig Kopeken.

Ein Kadett von der Artillerie fällt dem Fähnrich bitter lachend ins Wort:

»Wir haben überhaupt keine Munition.«

Die Fragen an die Gefangenen sind immer dieselben:

»Welchem Truppenkörper gehörst du an, welcher Division, welchem Korps? Wie heißen die Kommandanten? Wo standest du? Wer stand rechts, wer links von dir? Wohin ist deine Truppe abmarschiert, wie stark war sie?«

Die Antworten ergänzen, verbessern, kontrollieren einander und geben alle zusammen ein Bild der russischen Ordre de la bataille, oder wie man jetzt sagt: der Kriegsgliederung. An diesem Frontstück hatten wir's mit Infanterie der Armee Brussilow zu tun; außerdem mit Kuban-, Orenburger Kosaken und Tscherkessen.

Nebenbemerkungen der Gefangenen veranlassen dann Nebenfragen des Kundschafteroffiziers. Man erfährt so, wie ungeheuer groß die Verluste der Russen in den Karpaten gewesen sein müssen: dieses und dieses Korps sind miteinander verschmolzen worden, die und die Brigade besteht nicht mehr.

Ein Sibirier ruft:

»Man hat mich aus Tomsk hergebracht, und 123 ich mußte Werst für Werst ganz Rußland und Galizien aufgraben.«

»Wo hast du gearbeitet, Brüderchen?«

Der Sibirier legt ausführlich und anschaulich genug dar. wo überall in unsrer Marschrichtung Befestigungen angelegt worden sind und wie sie aussehen.

Ein baumlanger Infanterist der Reichswehr von Archangelsk seufzt:

»Marschiert doch nach Kiew, daß endlich Frieden wird! Sonst erlebt ihr noch, daß alle Heere des Zaren zu euch übergehen.«

Da sind Tschernigower, die eine Revolution in Aussicht stellen; zwei Munitionsfabriken daheim wären schon von Unzufriedenen in die Luft gesprengt worden. Sechzehn Schützen, hübsch bekleidet mit Leinenblusen und lederbesetzten Halbstiefeln, aber klein und schwächlich, blattersteppig. Sie haben dreißig Gewehre mitgebracht, darunter einige österreichische. Es gibt Leute da vom Regiment Zar Ferdinand aus Minsk, dann Wolynier, Esten, Bessarabier und Tataren. Wenn ich sie recht ansehe: nicht ein Viertel von ihnen reicht hinsichtlich seiner Tauglichkeit für den Militärdienst an die russische Armee des vergangenen Jahres heran; drei Viertel sind Abfall.

Ich erlebte in Spassow noch einen griechisch-katholischen Gottesdienst in der »Zerkwa«. (Die römischen Kirchen heißen hierzulande »Kostelj«.) Das Aeußere der Zerkwa ist rein byzantinisch mit 124 seinen mächtigen Kuppeln; die Kirche im Innern und die Liturgik halten zwischen Ost und West die Mitte. Es gibt einen Ikonostas, das heißt: eine Bilderwand, die den Altarraum vom Kirchenschiff abschließt, es wiederholt sich das ewige »Gospodin pomiluj« der Sopranstimmen und Trinkerbässe – im übrigen erinnert das Ritual an jenes der lateinischen Messen. Und die Weiber und Mädchen in ihrer buntgestickten Tracht, die Männer in ihren härenen Röcken, sie alle zeigten frohe Mienen nach der harten russischen Prüfung.

Später unterhielt ich mich mit dem Pfarrer. Er schilderte mir einen bestimmten Abend während der feindlichen Okkupation, einen wahren Hexensabbat: die Regimentsmusik der Nowgoroder spielte, die Kosaken tanzten zur Harmonika den Kasatschok; der Gutshof brannte; die Tscherkessen raubten das Vieh und fingen die Bauernmädchen ein. Alles gleichzeitig.

Der Osthimmel ist von russischen Bränden gerötet. Von Süden hört man Gefechtslärm die ganze Nacht. Da ist das k. u. k. Korps Czibulka im Kampf. 125

 


 


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