Alexander Roda Roda
Russenjagd
Alexander Roda Roda

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Plaschewo.

7. September 1915.

Jenseits des Styr setzt sich das System der russischen Feldbefestigungen womöglich in noch größerm Stil fort: Drahthindernisse, die breiter, dichter und stachliger sind als alles, was man bisher in offenem Gelände an Hindernissen sah – tiefe, bequeme Schützengräben mit Sturmbrücken für den Ausfall – granatsichere Unterstände in der Kontereskarpe, worin die Mannschaft während der Artillerievorbereitung auf Lehmbänken hätte sitzen sollen – sogar für die Füße der Leute ist der Platz vorsorglich ausgeschaufelt.

All die Forts – diesen Namen verdienen die Stellungen fast – beherrschen eine einzige unübersehbare Stoppelfläche, die ohne die kleinste Deckung, ohne Maske sich eben und grade als Glacis vor den russischen Maschingewehrläufen gedehnt hätte, wenn – wenn unser Vorstoß dem Feind Zeit ließ, die vorbereiteten Gräben zu beziehen.

In einem dieser Gräben fand ich einen betonierten Beobachtungsstand, den die Russen fertig hergebracht und hier eingebaut hatten. Er bestand aus einer starken Kuppel und einem 153 Halbringstück; zusammengesetzt stellte er ein Panzertürmchen dar. Das erste im Feld eingebaute Stück Beton an dieser Front.

Die Landschaft rings erinnert an Syrmien oder das ungarische Tiefland: Riesentafeln üppigsten schwarzen Weizenbodens, jetzt freilich längst abgeerntet; hie und da eine Eichenparzelle, ein Hopfengarten. Ueberbreite Wege strömen dahin; wer fortkommen will, läßt sie abseits liegen und zielt querfeldein; er findet da den besten Reitboden der Welt. – Welch schöne Ackerkrume! Was könnten deutsche oder magyarische Bauern Schätze daraus pflügen!

Es ist ein gleichförmiges, ermüdend langweiliges Marschieren im unermeßlichen Wolynien. Kaum je unterbricht ein Dorf den Ablauf der Stunden. Doch das Dorf ist ohne Leben Ein Greis vielleicht, der sich tief verbeugt, ein verlassener Hund, der uns um Brot anwedelt – sonst keine Regung. »Kosaki schnitzko wignali,« die Kosaken haben alles vertrieben. Man trabt, trabt, blickt drei Schritt weit vor sich, um den Drähten und Stangen eines kaiserlich russischen Telegrafen auszuweichen, den die Kosaken meilenlang zerschnitten und zerstört haben . . .

Da steht plötzlich mitten in der einsamsten Einsamkeit ein weitläufiger, großartiger Bau: das orthodoxe Kloster Plaschewo.

Man sagt mir, der Archimandrit Witalj von Potschajew (bei Kremjenjetz), ein steinreicher 154 Kirchenfürst, habe vor zwei oder drei Jahren das Kloster gegründet – auf einer Stätte, die der Volksüberlieferung von jeher heilig war. Ortsgeschichte, Sage, Umdeutung und Stiftung – das alles ist so interessant und für Rußland bezeichnend, daß ich es erzählen möchte – auf die Gefahr hin, nicht in allen Punkten zutreffend unterrichtet worden zu sein:

Um das Jahr 1650 belagerten die Kosaken unter Hetman Chmelnitzki die polnische Feste Berestetschko am Styr. Da kam ein polnisches Entsatzheer, überflügelte die Kosaken und drängte sie in die Sümpfe. Tausende von ihnen fielen. Ihre Gebeine hat man in den »Kasatschiji Mogili«, Kosakengräbern, bestattet. Es waren also Ukrainer im Kampf gegen Polen, Katholiken gefallen. Indem nun die Orthodoxie das Schlachtfeld durch eine Kirche verherrlicht, nimmt sie den Ukrainern kurzweg eine große Tradition und demonstriert gleichzeitig gegen den polnischen und katholischen Gedanken. Doch damit nicht genug.

Das Kloster ist nur im rohesten fertig, hat noch nicht einmal ein Portal, wohl aber steht schon die Umfassungsmauer da mit zwölf aufreizend bunten Riesenbildern. Der rechtgläubige Wallfahrer mag daraus ersehen, wie polnische Fürsten und Priester das »russische« Volk marterten und dezimierten, die Heiligtümer den Juden in Pacht gaben und wie die Juden die 155 Habe der Bauern raubten. Die Bilderreihe dient der Erziehung zu Polenhaß und Pogrom zugleich.

Eine Grabkapelle mit dem üblichen Ikonostas, der Bilderwand – hundert Schritte weiter erhebt sich der Dom; modernster russischer Kirchenstil und nicht ohne Reiz; eine hellgrün angestrichene Kuppel, die ein patiniertes Kupferdach vortäuscht, ist von fünf blaugrünen Türmen umkränzt; die goldnen Kreuze leuchten, Ketten hangen daran. Die Fassade der Kirche trägt wieder ein Kolossalgemälde, die Kreuzigung Christi, al fresco, von Meisterhand. In der Gruft unterhalb des Altars sind sie zu Hunderten aufgeschichtet, die Schädel von Chmelnitzkis Kosaken, in Sarkophagen, Nischen und Vitrinen.

Nun etwas sehr merkwürdiges:

Als unsre Patrouillen das Kloster betraten, fanden sie es geräumt. Die Brüder hatten ihr Kostbarstes verpackt und waren davon. Was zurückgeblieben war: Bilderwände aus einer Paramentenfabrik, wertlose Meßgewänder und etliche Ausgrabungen, verrostete Gewehrläufe.

Als unsre Leute dann die Gruft ein wenig beklopften, fanden sie unterirdische Gänge auf – allein nichts Verdächtiges darin. Unter einem Haufen alter Pelze rührte sich aber etwas, und man faßte einen bejahrten Mann ab; er hatte eine Kiste schimmeliger Brotrinden neben sich in seinem Versteck, einen Wasserkrug, war zerlumpt, 156 langhaarig, über und über verlaust. Wie lange mochte er in dem finstern Winkelchen gehockt haben?

Man fragte ihn, wer er wäre – er deutete durch Zeichen an, er sei taub. Ich schrieb in zyrillischen Buchstaben auf einen Zettel: »Bist du ein Mönch?« Da sprang er auf, suchte unter den Pelzen flink eine zerschlissene Kutte hervor, einen Popenhut mit wehendem schwarzem Tuch und begann, sich vor dem Kruzifix zu neigen und zu bekreuzigen. Mit ungelenker Zunge fang der Alte einen Vers, und seine Stimme hallte in den Kellern. Er zeigte auf ein Meßgewand und schien es heftig abzulehnen: das dürfe er nicht anlegen, wollte er durch Gebärden sagen. Ein Mönch der niedersten Weihe also, ein Laienbruder. Und schreiben könne er nicht, kaum lesen.

Die Patrouillen mit ihren Laternen, mit blitzenden Bajonetten, standen da und sahen einander hilflos an. Was tun?

Da kam die Feldgendarmerie. Eine kurze Meldung – die unterirdischen Gänge werden noch einmal durchsucht, jedes Eckchen, jede Ritze der Mauer.

Was weiter geschah, weiß ich nicht – ich sah nur beim Abreiten acht solch kellerbleicher schmutziger Laienbrüder auf dem Hof stehen, und ich bin sehr begierig, zu erfahren, ob zwischen diesen verborgenen Gruftbewohnern und der schlauen Telefonstörung, von der ich sprach, irgendein Zusammenhang bestehe. 157

 


 


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