Alexander Roda Roda
Russenjagd
Alexander Roda Roda

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Kaschka.

– 29. August 1915.

Spassow ist ein Dörfchen östlich von Sokal, nah der russischen Grenze. Auf einem Hügel das Schloß und der verbrannte Meierhof, beide Eigentum eines feinen alten Herrn, Lemberger Universitätsprofessors. An den Park schließt sich der Sumpf. So ist's dort im Osten immer: Wohlstand und Elend ganz dicht nebeneinander – und der Sumpf ergießt sich manchmal in den Park. Der feine Weltmann – und sein Nachbar, der halbtierische Kuhhirt.

Jenseits des Tümpels eine monumentale griechische Kirche, aus Gaben der Bauern erbaut.

Zwischen zwei Welten – dem polnischen Schloß und der griechischen Kirche – liegt um den Tümpel das Ruthenendorf von Lehm und Stroh.

Als wir vor dem Schloß hielten, saßen die Herren des Stabes ab. Der erste Gruß des Generals galt der Gutsherrin, die erste Frage des Sanitätschefs den Kranken. Der Unteroffizier von den Quartiermachern meldete: es gäbe ihrer fünf im Ort, alle mit Cholera.

115 Nachmittag wurde geimpft, gekalkt, gesäubert. Man impfte vorerst nur die Hausgenossen der Kranken – die andern Dorfleute kommen morgen daran, wenn die Etappentruppe einrückt.

Dann stand ein halbblöder, verwachsener Bursche da beim Schloß umher, drehte den Hut in den Tatzen und schien irgend etwas sagen zu wollen. Als man ihn endlich befragte, lallte er: die Kaschka schicke ihn.

»Wer ist das: Kaschka?«

»No die Kaschka.«

»Und was sollst du hier?«

Er suchte lang nach einem Anfang für den einfachen Satz:

»Meine Mutter ist gestorben.«

»Nun – und?«

»Und an der Cholera,« antwortete der Bursche. »Die Kaschka schickt mich.«

Eine halbe Stunde später stand der Oberstabsarzt weit draußen vor der kleinsten der kleinen Hütten. Die Dorfhütten von Spassow, die doch wahrhaftig keine Paläste sind, selbst sie mußten sich dieser elenden Gefährtin geschämt und sie so weit von sich in den Sumpf verjagt haben.

Ein winziges Mädelchen kam aus der Tür geschossen. Das Mädel war strohblond, sommersprossig, stumpfnäsig und steckte in einer viel zu großen Jacke.

116 »Gelobt sei Jesus!« rief sie – und dann in einem Schwall erregt zum Oberstabsarzt:

»Endlich haben mir die Kerle gehorcht.« Sie zeigte auf zwei Männer, die da hinten mit ihrem Fuhrwerk standen, und herrschte sie an: »Nichts werde ich euch zahlen. Die Gendarmen haben befohlen, daß ihr die Mutter wegbringt. Und es ist Krieg, man muß einander beistehen. Schlimm genug, daß erst die Gendarmen euch treiben mußten.«

Die beiden Bauern blickten verlegen nach dem Arzt, peitschten ihr Pferdchen an und fuhren langsam von dannen.

Kaschka vertraulich zum Oberstabsarzt:

»Ich habe ihnen gesagt, die Gendarmen befehlen es, sonst . . .« – sie weint aus rotgeränderten Augen – »sonst hätten diese Leute meine arme Mutter nicht aus dem Haus getragen. Ich, ich mußte helfen – sie haben sich gefürchtet, zuzufassen.«

Man hört Kinder im Haus schreien.

Kaschka ruft liebreich in die Tür: »Ja, Kinder, ja, ihr sollt Suppe haben – betet nur noch ein Weilchen weiter, damit unsre liebe Mutter in den Himmel kommt.« Zum Arzt: »Nicht wahr, Herr, Sie schicken die Sanität? Ich bitte den Herrn! Wir werden alles . . . ich weiß nicht, wie man das nennt . . . desfezieren.« Rasch zum Bruder, dem halbblöden, plumpen Burschen: »Du gehst auf den Anger und bringst die Ziege heim! Dann die 117 Gänse!« Zum Arzt: »Das Stroh werden wir wohl verbrennen? Die Kinder sind dumm, sie setzen sich darauf und werden krank. Und wenn der Herr es tun kann, wäre es gut, uns alle gleich zu impfen. Schmerzt es auch – wenigstens wirkt es.« Ins Haus: »Kommt, Kinder! Der Herr Doktor ist da und will sehen, ob ihr gesund seid.« Zum Arzt: »Das größte fiebert mir etwas. Es hat bei der Mutter gelegen und ließ sich nicht vertreiben . . . ›Marsch fort!‹ rief ich, ›Mutter ist krank und wird sterben.‹ Aber was soll ich tun, die Bälger gehorchen nicht.« Kaschka schluckt mühsam ihre Tränen. »Die arme Mutter hat die Kinder im Sterben noch an sich gepreßt . . .«

Kaschka läuft plötzlich ins Haus davon; sie mag vor dem fremden Herrn nicht weinen.

Unterdessen ist der Sanitätskorporal mit Reis, Tee, Zucker, Schmalz angekommen – Dingen, die der Oberstabsarzt vorsorglich bei der Intendanz bestellt hat. Vier Männer räumen auf Weisung des Korporals die Hütte aus – alles muß ins Freie: die Kinder, der Hausrat, das Stroh.

Welch ein Hausrat! Er ist der armen Hütte würdig. Am einfachsten wäre, den Plunder, wie er steht, an allen vier Ecken anzuzünden.

Tags darauf ist das Wichtigste geschehen. Kaschka ist nun ruhiger, das winzige dreizehnjährige Hausmütterchen. Sie erörtert mit dem 118 Arzt ihre Angelegenheiten: »Wir haben viel Unglück durchgemacht. Zwei schöne Kühe hatten wir im Wald versteckt, aber die Kosaken fanden sie und haben Pawel . . .« – das ist der verwachsene Bruder – ». . . und haben Pawel sehr geprügelt. Er ist vorher ein kluger, grader Junge gewesen, wissen Sie – aber von den Hieben auf den Kopf ist er ganz irr geworden. Die Hüfte haben sie ihm ausgerenkt. Schließlich gaben sie uns einen Zettel auf achtzig Rubel – die Mutter mußte unterschreiben – aber wir kriegten nur vierzig.«

»Wie geht es dem fiebernden Kind?« fragt der Arzt.

Kaschka hat es auch schon geholt und stellt es vor. »Es fühlt sich wohl, Gott sei Dank.«

»Kaschka, ich habe Hunger!« wimmert die Kleine.

»Ja, ja, Maryscha, warte nur – die Suppe brodelt schon!« Sie schiebt das Kindchen ab und schwätzt eifrig weiter:

»Ich habe ihnen Tee gekocht und Reis und Milch mit Zucker – das Volk ist unersättlich. Eine Weile gehts ja noch – so lang wir etwas haben. Aber was dann? Vater ist in Amerika. Früher hat er uns immer Geld geschickt. Könnte man ihm telegrafieren? Ich glaube nicht – es ist ja doch englischer Krieg auf dem Meer, und Amerika liegt auf dem englischen Meer. Als die Russen noch da waren, hätte man vielleicht telegrafieren können, weil die Russen doch 119 Freunde der Engländer sind . . . Mutter hat ja viel Geld bei den Leuten stehen, über fünfzehn Gulden. Ob ich das Geld nun hereinbekomme? Einem kleinen Mädchen werden sie nichts wiederzahlen wollen.«

»Sprich doch mit dem Dorfrichter!«

»Er ist einer von den Schuldnern . . . Sondern wenn der Herr ein Wort zu den Gendarmen sagen wollte? Das wäre das beste. Mit den fünfzehn Gulden kämen wir dann schon durch den Winter. Kleider haben wir genug – von der seligen Mutter her. Etwas Frucht ist noch auf dem Feld, die bringen Pawel und ich ein. Unterdessen muß Maryscha daheim auf die Kinder aufpassen und Martin auf die Ziege und die Gänse. Der Hund machts ja ohnehin allein. Wissen Sie, Herr: man muß nur nicht verzagen – es wird schon gehen. Sind noch viel, viel ärmere Leute auf der Welt und verzagen nicht.« 120

 


 


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