Alexander Roda Roda
Russenjagd
Alexander Roda Roda

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Russenjagd.

– 31. August 1915.

Ja, es ist eine Jagd. Auf dem Tor der Spassower Pfarrei steht in ungelenker zyrillischer Schrift mit Kreide hingemalt:

»Korpusni wratsch, 15. Awgusta;«

unmittelbar darunter deutsch:

Oberstabsarzt Pawletschka, 30. August.«

Man ziehe die dreizehn Tage Kalenderunterschied in Rechnung; da hat also am 30. August der Sanitätschef unsres Korps zufällig jenes Quartier bezogen, das der russische Kollege am Morgen vorher verlassen hatte. Dichter auf konnten zwei Korpsstäbe einander nicht einmal folgen, wenn sie beide einem Heer angehörten. Unsre Vortruppen mußten sich mit den russischen Nachhuten gradezu vermengen.

Um 3 Uhr 15 Minuten nachmittag haben wir die russische Grenze überschritten. Es geschah im herrlichen Sonnenschein, während hinter uns schwere Regenwolken blieben – just jene, die das wellige, offene Land rings um uns in einen Sumpf verwandelt hatten.

Die Grenzlinie zieht sich schief und quer dur.ch die Felder aus der Niederung über einen 126 flachen Hügel. Unten steht der kaiserlich-russische Pfahl friedlich neben dem schwarz-gelben. Oben ragt zwar der gußeiserne österreichische Mast aufrecht, der vierkantige morsche russische Eichenpfosten aber liegt umgestürzt im Gras. Damit haben unsre Spitzenreiter die Erweiterung unsres Machtbereichs symbolisiert.

Die Wiener Truppen marschieren hier sozusagen über jungfräulichen Boden, das heißt einen, den unsre Armee nie vorher in der Geschichte, auch in diesem Krieg noch nie betreten hat. In breitem Echiquier und froh sehe ich die Kolonnen ziehen. Keine leichte Sache, meiner Seel, da vorzuschreiten; die Wege sind spottschlecht, der Dreck so tief und klebrig, wie man sich ihn bei uns daheim schwerlich vorstellen kann. Truppe und Trains müssen sich tastend über freies Feld neben den Karrenwegen lang schlängeln.

Der erste Eindruck von Wolynien ist trotzdem günstig. Wir hörten nämlich vorgestern nachmittag eine mächtige Kanonade im Südosten, nahe von uns, doch schon bei der Nachbargruppe, und sahen gestern den Nachthimmel weithin von furchtbaren Feuersbrünsten gerötet. Es war unheimlich anzuschauen, bedeutete aber dennoch etwas Gutes: daß die Russen abziehen – wobei sie freilich die Dörfer hinter sich verbrennen.

Da reiten wir dem ersten Dorf zu und sehen es schon von fern her intakt. Das zweite, dritte, vierte ebenso. Auf dem Anger weiden Hunderte 127 von kleinen Pferden, Riesenherden von geflecktem Hornvieh, schwarze Schafe. Im Dorf begrüßen uns gackernde Hühner, Gänsescharen. In den Gärten blüht der Tabak, auf der Flur steht der Weizen golden auf den Halmen, zum Teil schon zu haushohen Tristen aufgehäuft. Nein, das ist kein 1812. Verhungern werden wir hier nicht.

Nur arbeiten sieht man nirgends. Doch das ist ja in Rußland auch nicht sehr üblich . . . Später hat sich uns freilich eine andre Erklärung dieser allgemeinen Stille aufgedrängt: sehr viele Einwohner sind von den russischen Behörden weit ins Innere ausgesiedelt worden. Nur Weiber, Kinder, Greise blieben da. Ein alter Bauer, der erste dem ich begegne, spaltet Holz in seinem Schuppen, von uns abgewendet, und schenkt den einziehenden Oesterreichern und Ungarn keinen Blick.

Man sollte es nicht glauben, aber die Grenzlinie scheidet wirklich zwei Welten. Der Boden hier ist fetter, üppiger als in Ostgalizien. Trotzdem lastet, äußerlich wenigstens, Armut auf den Dörfern. Die Strohhütten blicken bedrückt aus trüben, kleinen Fenstern. Die bunten Kirchlein haben nichts vom Bekennerstolz der griechisch-katholischen Kuppelbauten.

Unsre Vortruppen sind fleißig gewesen; schon spannen sich die Telefondrähte, erbeutete russische Drähte über Land; die Brunnen sind untersucht und nach ihrer Güte bezeichnet. An den Gemeindehäusern kleben schwarz-gelb geränderte 128 Plakate, die vor Verrat und Spionage warnen; diesmal werden sich die Windmühlen nicht nach rechts und links drehen dürfen, kein Vieh wird hinter unsern Batterien hin und her getrieben werden, um dem russischen Artilleriebeobachter die Fehler anzuzeigen.

Wir rasten auf einem Lagerplatz, den der Feind vor kurzem erst verließ. Er hat ungedroschenes Getreide als Streu verwendet – das muß einen ärgern.

Im Weiterreiten stoßen wir dann auf ein interessantes militärisches Bild: haben da die Russen eine lange Zickzackfront zu befestigen begonnen; die Gräben sind fast fertig, wie immer tief ausgehoben und sehr solid aus Rasenziegeln erbaut. Eben sollten die Schrapnellschirme errichtet werden, Rundholz dazu ist in Stapeln bereitgelegt und angespitzte Träger für die Hindernisse. In diesem Augenblick muß ein Angriff unsrer Vorhut das Werk unterbrochen haben. Man sieht nicht zweihundert Meter weit von der angefangenen russischen Arbeit die flüchtig geschürften Linien unsrer kühnen Schützen, wie sie sich grade nur liegend und in der nämlichen Minute feuernd in die kohlschwarze Erde einscharrten, und sieht die Stellung des Feindes, kaum bezogen, auch schon verlassen Gewiß hätten die Russen die Tristen in ihrem Rücken noch gern angezündet; sie kamen nicht mehr recht dazu; nur eine ist verbrannt.

129 Wir dachten, auf diesen miserabeln Wegen würden wir unsern vorausgesandten Train gar bald wiedersehen Als wir ihn jedoch einholten, war's knapp vor Kwassow, dem Dorf, in dem wir heute nächtigen sollen. Der Train hatte sich also brav durchgewunden, die galizischen Pferdchen stapften mit langen Hälsen, mit hochgewölbten Rücken im Morast und zogen wie die Schrauben. Die Hunde auf den Bagagewagen erkannten in den Reitern ihre Herren und hießen sie jaulend willkommen.

Eine Patrouille meldete, von einer Erkundung heimkehrend, unserm Kommandanten: da vorn wären die Pfade noch schlechter; aber; verbrannt sind in Druschkopol, dem nächsten Städtchen, nur drei Judenhäuser. Als man das Feuer löschen wollte, hätten die Russen die Einwohner beschossen.

Unser Dorf liegt in der Abendsonne auf dem Hügel, hinten in den Wolken wölbt sich ein zarter Regenbogen – das Zeichen des Friedens über Feindesland. Myriaden von Krähen ziehen.

Bin neugierig auf meine Stube; der Quartiermacher sagt, das Haus wäre nicht zu verfehlen: ich müßte nur von dem Bildstock, der mit den grellen Tüchern behangen ist, rechts abbiegen und den Zaun mit den Sonnenblumen suchen; unter dem Vordach stehe Flachs.

Alles habe ich pünktlich so angetroffen, wie es der Quartiermacher beschrieben hat. Die Hütte 130 ist menschenleer. An den Wänden zwei Kasten, ein Tisch, aus denen die Schiebladen gerissen sind – allerhand Kram, der des Mitschleppens nicht wert war, liegt zerstreut auf dem Lehmboden. Der da so eilig vor uns entfloh, war der Matrikelführer des Dorfes.

Ich schreibe diese Zeilen, da ich sonst kein Papier habe, auf die letzten Seiten seines Heiratsregisters hin. Weiter vorn im Buch beim Jahr 1830 bestätigt eine Gräfin Cholonieska Blatt für Blatt durch ihre Unterschrift, daß sie »in die Verehelichung ihres Leibeigenen A. mit der verwitweten Untertanin B. in gutsherrlichen Gnaden willige«. 131

 


 


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