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XV. 625-700

625. Eine Menge großer Künstler und Dichter neigten sich mit der Zeit zur Physik. So neuerdings noch Winkelmann, Goethe u. a. Aber die Erde selbst war erst Künstler und Dichter, ehe sie Physiker wurde, und das Individuum wiederholt nur die Geschichte des Ganzen.

626. Die Sehnsucht nach der Kenntnis der Dinge ist bloß das Ringen nach der Kunst zu lieben. Die Geliebte zu schaffen, und im Schaffen innig, ewig, mit ihr verbündet zu werden, ist unsere Absicht. Wem sie erschien, war sie gefunden: ein Gott hat sie ihm geschenkt. Die Liebe in jener Sehnsucht ist höher als diese. Jene bringt mit dem Verständnis die Liebe zugleich und ihren Genuß, diese Liebe und den Genuß allein.

627. Der Mensch verhält sich zu den Mineralien des Tierreichs, wie das Eisen zu den Mineralien des Mineralreichs. Wie nur das Eisen einer höhern Kraft gehorcht, die gleichsam Himmel und Erde verbindet und scheidet, so der Mensch einer Kraft, die Welt und Gott verbindet.

628. Wir haben einen innern Sinn zur Welterkenntnis, der noch ganz zurück ist. Er sieht nicht, hört nicht usw., aber er weiß, weiß nicht, warum? –, weiß es ganz gewiß, weiß aus allen Welten, und das alles so, wie das Auge sieht, ohne zu wissen, warum? – Es sieht eben, und muß sehen, oder ganz und gar nicht. Jener innere Sinn sollte wohl mehr hervorgerufen werden.

629. Nur die Gattung ist ewig. Darum soll der Mensch lieben. Sterben und Lieben sind Synonyme. In beiden wird die Individualität aufgehoben, und der Tod ist die Pforte des Lebens. Beides ist Vermählung mit der himmlischen Jungfrau, nur daß sie im Weibe incognito erscheint.

630. Noch heute bildet sich jedem Mann das Weib aus ›seiner Ribbe‹. Nicht jeder aber läßt es sich nachmals von Gott zuführen.

631. Wer in der unendlichen Natur nichts als ein Ganzes nur, ein vollendetes Gedicht, findet, wo in jedem Wort, in jeder Silbe, die Harmonie des Ganzen wiedertönt, und nichts sie stört, der hat den Preis errungen, der unter allen der höchste, und das ausschließliche Geschenk der Liebe ist.

632. Es kann Fälle geben, wo es keine unedle Schwachheit des Naturforschers mehr ist, immer von sich selbst zu sprechen. Er ahmt die Natur nach, die ewig nur sich selbst ausspricht.

633. Scientia vitae, theoria vitae, – würde eine künftige vollendete Physik heißen müssen. Erstere würde durch letztere gegeben sein. Vom Leben muß mein künftiges Buch handeln; es faßt alles in sich.

634. Richtung nach irgend etwas (zum Beispiel der Magnetnadel nach Norden), ist Frage. Daß die Antwort nicht fehlt, ist natürlich.

635. Wärme, Licht, Mensch usw., sind Synonyme. Die Wärme ist das Leben der Erde, im Menschen bricht sie ganz zu Tage. Pflanzen sind lau, Tiere heiß, und der Mensch glüht.

636. Das Weib ist das Oxygenierbare, und der Mann das Oxygenierende. Darum nimmt auch das Weib in der Liebe am Gewicht zu, wie alle sich oxydierenden Körper. Gegeben sind damit weiter: leichteres spezifisches Gewicht, größere Wärmekapazität, schwächere Lichtbrechung, höhere Durchsichtigkeit etc., alles wie anderwärts.

637. Das Leben gleicht einer Eisfahrt. Wir springen von einer Scholle zur andern, nur haben wir uns in acht zu nehmen, nicht zwischen hinein zu treten.

638. Die platonisch Liebenden sind Juden gleich: sie bekommen in der Liebe den Messias derselben nicht zu sehen.

639. Der Mensch ist unter den Tieren, was der fliegende Fisch unter den übrigen ist. Er kann sich bisweilen über das Wasser erheben, immer aber fällt er bald wieder herunter.

640. »Heus! Heus! Christophore! expergiscere! tempus est eundi in scholam!« – So sprach Gott, als er den Menschen schuf.

641. Sähe mancher das System ein, welches in der Unordnung eines Gelehrten herrscht, fürwahr er würde sagen: Gott habe das Licht zweimal geschaffen. (Vergl. Pope auch Newton.)

642. Alles, was der Mensch erfährt, ist nur die Anschauung seines Wachstums.

643. Niemand ist so leicht in Gefahr, Taschenspieler zu werden, als ein Chemiker, der seine eigene Theorie hat.

644. Wir sollten es recht bedenken, daß es für alles, was wir begraben, auch einen Auferstehungstag gibt.

645. Die schönsten Gedanken sind oft nichts, als Seifenblasen; mit dem Hydrogen unserer Phantasie gefüllt steigen sie schnell empor, und man denkt nicht daran, daß all der ergötzende Wechsel ihrer Farben bloß der Abglanz ihres trüglichen Innern sei. Mit dem Oxygen der Wirklichkeit in Berührung ist ein einziger Strahl der Vernunft hinlänglich, entzündend sie im Wasser zu wandeln; das große Geräusch dabei ist nur der warnende Zuruf an die anderen, die noch zurück sind, und ein bläulicher Schein leuchtet dem Irrtum in das dunkle Nichts zurück.

646. Dem Satz, daß das Unendliche, die Natur als Totum, nur dadurch gesund sei, daß alles Endliche in ihr krank sei, könnte unter andern auch das zur Bestätigung dienen, daß die Erde selbst, und alle Planeten in beständigem Fieber begriffen sind. Sommer und Winter sind die Perioden der Hitze und des Frostes. Sehr richtig geschieht der Anfang des Jahres mit dem Frost; auch bei Menschen beginnt das Fieber mit dem Frost.

647. Aus dem Abgang und dem, was Gott zu dem, was er vorher schuf, nicht-brauchen konnte, daraus schuf er zuletzt noch den Menschen. Daher auch jenes entsetzliche Gemisch von Widersprüchen in seinem Wesen.

648. Die Welt ist bloß die Porte-chaise, die uns aus dem Himmel in die Hölle bringt. Die Träger sind Gott und der Teufel; der Teufel geht voran.

649. Kein Gift kann einen jungen Menschen niederer Herkunft so schnell zerrütten, als die Liebe zu einem Mädchen, der ihr Stand eine nähere Verbindung verbietet. In Plenks Toxikologie fehlt dieser Artikel ganz, und noch keine einzige Pharmacopoea pauperum hat an ein wirksames Gegenmittel gedacht.

650. Liebe ist das Bedürfnis, mit dessen Befriedigung alle übrigen wegfallen. Sogar des Leibes kann der Sterbende entbehren.

651. Von Zeitschriften erscheint alle Vierteljahre, Monate usw., ein Stück, von Ewigkeitsschriften dagegen alle Ewigkeiten nur eins. Bis jetzt hat bloß Gott dergleichen herausgegeben. Kenntlich ist's am Umschlag, an der Natur. Von der Zeit wird's gedruckt, und im Raume verlegt.

652. Naturforscher und Savoyarden-Jungen gehören zu einer Zunft. Beide spielen schön Schattenspiel an der Wand, nur mit dem Unterschied, daß die Wand des letztern mit Kalk angestrichen ist.

653. Was niemand gehört, dazu hat jeder gleiches Recht. Hätte ein Spitzbube dabeigestanden, als die Welt aus nichts entstand, und sie gestohlen: kein Mensch hätte ihm etwas sagen können.

654. Die Alchimisten wollen aus Steinen Gold machen. Nun dient das Gold selbst nur dazu, um Brot daraus zu machen. Richtiger also ist die Aufgabe der Alchemie eigentlich die, aus Steinen Brot zu machen. Eben das aber war's, womit der Teufel Christum in der Wüste versuchte, und worunter auch er nichts verstehen konnte, als daß dieser aus seinem Stein Gold machen sollte, weil man letzteres schon damals seit längerem in Brot zu verwandeln wußte. Nun spricht aber der Teufel zu Christo: ›Bist du Gottes Sohn‹ etc., (Luc. 4,3), – welches voraussetzt, daß das Goldmachen ein Familiengeheimnis Gottes sein müsse. Und so wird wohl alle menschliche Bemühung, es auszuforschen, immer und ewig vergeblich sein. – Ein schlechter Trost für die Alchemisten.

655. Der Mensch steht vor der Natur wie ein Fragezeichen, seine Aufgabe ist, den krummen Strich daran gerade, oder ein Ausrufungszeichen daraus, zu machen.

656. R*** wurde geboren den 2ten J., und starb den 4ten. Nun ist 4 das Quadrat von 2, folglich ist der Tod das Quadrat vom Leben.

657. Die Tiere bei den Evangelisten bedeuten, wie sie sich selber objektiv geworden.

658. Der Körper ist der Einband des Geistes, das Gesicht der Titel, und das Auge der Name des Verfassers.

659. Nur die ganze Natur ist die Gattung; bei jeder Begattung zeugt die ganze Natur.

660. Der Mittelpunkt des Universums ist das Sensorium commune der Gottheit, die Weltkörper ihre Muskeln und Nerven etc.

661. Was der Mensch nicht versteht, sieht er für Druckfehler im Buche der Natur an. Naturforscher sind ihm Korrektoren in der Druckerei Gottes.

662. Alles Gute besitzt den Charakter der Gattung; es bringt ewig wieder Gutes hervor. Darum ist auch der Rechtschaffene unsterblich.

663. Es gibt verschiedene Arten von Güte: theologische, juristische, medizinische usw. In der religiösen sind sie alle vereinigt.

664. Die Kunst, Gold zu machen, besteht in der Kunst, es zu entbehren. Dann hat man immer so viel, als man braucht.

665. Als Ballast mitgegeben ist der Leib des Geistes Schifflein auf dem Strom der Zeit; bei Sturm und Ungewitter wird er über Bord geworfen, daß das Schiff nicht scheitre, und heiter folgt der Wogentanz dem leichten Spiel der freien Elemente.

666. Im Spiel des Lebens ist der höchste Trumpf das Herz.

667. Man wird wahrhaftig nicht eher verstanden, bis einen etliche, und überhaupt die gewisse Quantität, ganz und gar nicht mehr verstehen.

668. Mit verbundenen Augen führen unbekannte Hände uns den dunklen unterirdschen Gang durchs Leben. – Wir sind hindurch, es fällt die Binde, Gott in aller seiner Herrlichkeit steht vor uns, um uns, Sternen ähnlich, selig glänzend, scheinen wir uns selbst dem Gott des Himmels gleich geworden, und – – dies nennt man Tod?

669. Der Mensch ist eine schwingende Saite, das Leben der Ton. Aber erst zwei Töne geben einen Akkord.

670. Auf den Menschen reimt sich die ganze Natur.

671. Blind führt uns die Natur den Weg zu den größesten Wahrheiten; darum ist es so schwer, ihn wieder zu finden, und sehend mit andern zu gehen.

672. Arbeit ist, was man nicht gern tut. Tun, was man gern tut, heißt müßiggehen.

673. Wie im Verbrennungsprozeß die Sonne hervorbricht, so im Dichter das allgemeine Naturlicht.

674. Man handelt überall aus Instinkt. Gründe sind klar gewordener Instinkt.

675. Engel – Wesen aus Liebe entstanden, der geeinte vom Körper geschiedene Geist.

676. Daß die Sonne nicht zu schnell verbrenne, begießt sie Gott von Zeit zu Zeit mit Wasser, und das gibt die Sonnenflecken.

677. Die Mädchen sind geborne Hexameter; wenn sie Weiber und **** werden, werden Pentameter draus.

678. Es ist gut, Feinde zu haben. Sie zeigen uns gleich, wo wir geirrt haben, und was drüber ist, tut uns ja nichts.

679. Fehler im Wählen des Zeichens des Begriffs sind Druckfehler des menschlichen Geistes.

680. Im Weinen tritt der Urin in die Augen, im Lachen die Träne in die Blase. Sanchica läßt vor Freuden ihr Wasser fahren, die kleine Kinder lächeln dabei, und die Pferde versetzt man durch Pfeifen in eine angenehme Stimmung dazu. Urin und Träne gleichen sich auch in den Bestandteilen sehr.

681. Bei schlechten Gedichten usw. wäre eine ›Erinnerung an den Buchbinden gut, alles zuvor auch in rechte Ordnung zu bringen, das Schlechte wegzulassen, und das Gute hinzuzufügen. Man würde aus so etwas wenigstens den guten Willen des Verfassers erkennen.

682. Wenn die anorgische Natur in Fäulnis übergeht, so entsteht Leben. Der Todestag jener ist allemal der Geburtstag der organischen, ein Übergang in eine andere Welt, und unser Geist schwebt über beiden Welten.

683. Ein Physiker, der ein Schelm dabei ist, ist keiner. Die Natur lehrt alle Tugenden; sie ist das wahre Liber de officiis. Glaube, Liebe, Hoffnung, alles kann sie gewähren; wem sie es gewährt, der ist der Glückliche.

684. Der Mensch ist eine Vorrede zu der Natur. Der Autor hat darin einen hübschen Begriff von letzterer gegeben; er ersucht daher den gütigen Leser, sie ja zuerst zu lesen, es werde eine kleine Erläuterung geben.

685. Alle Menschen haben etwas Tierisches an sich, nur der Apollo von Belvedere nicht. So haben auch alle Tiere etwas Menschliches an sich, nur Madame ** zu *** nicht.

686. Alle historischen Porträts, Büsten, Statuen usw., müssen Ideale sein. Sie haben anzuzeigen, was der Mensch .... in dem Augenblicke hätte sein müssen, wenn er äußerlich genau das war, und weiter nichts, als was er innerlich war. Die Alten haben diesen Grundsatz befolgt, und die Neueren sollten ihn befolgen wollen.

687. Nur daß Unsterbliches entstehe, darf der Mensch die Hand an etwas legen. Fleiß auf das Vergängliche zu wenden, ziemt ihm nicht, und Schande bringt's ihm, wenn er selbst es ist, der, was er schafft, mit eignem Zahn zernichtet. So ist zum Beispiel jede Küche eine Kirche und jeder Herd ein wahrer Hochaltar des Teufels. Bei jedem Bissen, der gekocht, gebraten, unsern Gaumen kitzelt, läßt der Fürst der Hölle sich Te Deum singen, und die bösen Geister alle halten Schmaus.

688. Ist es wahr, daß die Erde ein Blutkügelchen des Universums ist, so könnte auch sie auf ihre alten Tage noch fett (Fett) werden, wenn einst der Stickstoff und Sauerstoff der Atmosphäre zu Salpetersäure zusammengingen.

689. Aus Steinen Brot machen, und sich selber helfen, muß schon zu Christi Zeiten gleich schwer gewesen sein, denn in beiden Fällen heißt es: ›Bist du Gottes Sohn‹, etc.

690. Über vielen Zitaten wird man selbst zum Zitat.

691. Die Zeit ist edler, als die Menschen. Denn sie macht die Geschichte, und die Menschen kompromittieren sich dran.

692. Musik in den Gedanken eines Gedichts, – verschieden von der in den Worten eines Gedichts.

693. Animalische Trigonometrie.

694. Trigonometrie des Ichs. Sinus, Cosinus, Tangente, Cotangente, usw.

695. Leidenschaft ist, was uns Leiden schafft.

696. Wehmut ist Mut, der wehe tut.

697. Lebendig wird man, wenn das Leben endigt.

698. Auch im Tode geht um 12 Uhr schon der neue Tag an.

699. Mond in der Nacht des Todes.

700. Unsre irdische Hülle ist nur eine Anmerkung, die der Schöpfer zum geistigen Text gemacht hat. Man liest sie zuletzt, überschlägt sie auch wohl.


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