Rainer Maria Rilke
Die Erzählungen
Rainer Maria Rilke

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Der Liebende

(1898/99)

Hermann Holzer geht in seiner langen, schmalen Stube auf und ab und spricht seit einer halben Stunde. Ernst Bang liegt ebensolange auf dem alten Studentensofa und betrachtet ihn. Manchmal hebt er ein wenig den Kopf, wie um über die Worte des anderen hinzusehen; denn diese interessieren ihn nicht sonderlich. Der breite, blonde junge Mensch, der immer auf demselben Fleck auf und nieder läuft, mit Schritten, als ob er eine Anhöhe bestiege, scheint ihm viel wichtiger offenbar. Er möchte ihm am liebsten zurufen: Bleib einmal stehen, bitte; damit ich dein Kinn genauer sehe und deinen Mund . . .

Natürlich ruft er es nicht, aber trotzdem bleibt Hermann Holzer stehen, versammelt sich vor dem engen Fenster und deckt mit seinem schwarzen Rücken den Himmel zu und die Schornsteine und den ganzen Sonntagnachmittag. Die Stube dunkelt hinter ihm. Und er sagt: »Hol der Teufel das ganze Examen. Ich bin schon wahrhaft nervös, glaub ich. Ich fange an, euch Konkurrenz zu machen, lieber Bang. Nehmt euch in acht, wenn ich mal nervös werde, dann tu ich's gründlich, – wie alles. Dann seid ihr Zwerge gegen mich.« Und er dreht sich so schnell um, daß er ein ganzes Stück Licht mit seinem Lachen hereinreißt in die rauchige Dachstube.

Bang setzt sich wie erschrocken auf. Er ist sehr schlank und modisch gekleidet. Jetzt besieht er langsam seine linke Hand und dann seine rechte. Mit einem gewissen Eifer, als ob das ein Wiedersehen nach Jahren wäre.

Holzer geht schon wieder auf und ab. »Heute muß auch noch die Antwort kommen, ob ich Aussicht habe, den Privatunterricht bei Holms zu übernehmen. Davon hängt viel ab. Ohne diesen Zuschuß kann ich nicht daran denken, zu heiraten.«

Bang macht eine geräuschvolle Bewegung. Holzer wendet sich ihm erwartungsvoll zu. Aber er erhält nur ein zerstreutes: »Ja, freilich . . .« und fährt fort mit den Schritten und mit den Worten: »Ich denke mir, dann erst wirds Ruhe geben. Dann wird man erst anfangen können, was Vernünftiges zu arbeiten. Bis man so versorgt ist, sich um nichts zu kümmern hat.« Pause . . . und: »Helene versteht das . . .« Pause. »Natürlich werden wir irgendwo draußen wohnen . . .«

Er ist gerade wieder vor dem Fenster.

Bangs feine Lippen wehren sich gegen ein Wort. Dann schlägt es nach innen und treibt den jungen Menschen in die Höhe. Er steht eine Weile ratlos, ehe er ein paar Schritte gegen den Freund zu macht. Als er neben ihn tritt, sagt Holzer gerade: »Hör mal!«

Ein trauriges slavisches Volkslied weht wie Rauch den Lichthof herauf. Es ist, als ob das Lied sich auf die Fußspitzen stellte, um über Dächer und Türme zu schauen . . . irgendwohin.

Bang hebt unwillkürlich den Kopf und schließt die Augen.

»Weißt du, was das ist?« lacht Holzer.

Pause. Dann träumt Bang vor sich hin: »Heimweh . . .«

Holzer rüttelt ihn. »Der kleine Frosch vom Land da unten wäscht Geschirr ab. Da singt sie immer dazu, immer dasselbe mit dieser dummen verwaschenen Stimme. Jeden Nachmittag um halb vier. Sieh mal – (er hält ihm die Uhr hin), pünktlich, was? So ist jede Tageszeit hier bezeichnet. Ich könnte meine Uhr ruhig versetzen: Leiermann, Drahtbinder, Gemüsemann, Lumpenweib: so heißen meine Stunden. Und dabei arbeite einer! Zudem giebt es auch noch ein Vis-à-vis. Sieh mal . . . nett, nicht?«

Hermann Holzer verschwendet ein paar Kußhände; und aus seinem befriedigten Lächeln kann man schließen, daß sie nicht in den Hof hinunterfallen. Dann kehrt er sich plötzlich ins Zimmer: »Darum heirate man . . . ehestens!«

Bang macht eine Bewegung der Abwehr.

Hermann Holzer bemerkt es, sieht ihn einen Augenblick an und langt sich eine Zigarette vom Tisch her.

»Willst du nicht, Bang?«

»Danke.«

Und Holzer zündet in aller Behaglichkeit eine Zigarette an. Dann sagt er, während er das benutzte Zündholz heftig hin und her bewegt, als ob er irgend etwas durchstreichen wollte, was in der Luft geschrieben steht: »Hm? –«

Bang schaut zum Fenster hinaus. Mit den kleinen, unteren Vorderzähnen quält er sein blondes Schnurrbärtchen.

Pause.

Hermann Holzer geht schon wieder auf und ab und raucht mit unglaublicher Heftigkeit. Plötzlich bleibt er stehen, und seine Stimme bohrt sich durch den Qualm: »Farbe, Farbe, lieber Bang. Rot oder grün? Was ist los?«

Ernst Bang kommt näher, und seine Hand sieht lächerlich zart aus auf der ruhigen, runden Schulter des anderen. Er betrachtet seine Schuhe, seinen linken besonders, und spricht dabei: »Ich bin überzeugt, du wirst mich nicht mißverstehen, Hermann . . .«

Holzer wird unruhig: »Muß es denn so feierlich sein? Heraus damit! Herr Gott, umgebracht hab ich keinen, . . . also . . .«

Bang hebt seine Augen, und sie sind ordentlich schwer von Trauer.

»Oder doch?« lacht Holzer.

Da tritt Ernst Bang zurück zum Fenster, und es wird wieder Raum für das armselige Heimwehlied. Mitten hinein in die kleine ängstliche Melodie streut Bang die langsamen Worte: »Nimm mir's nicht übel, Hermann, aber . . . du . . . zerbrichst . . . sie . . .« Pause.

Hermann Holzer nimmt die Zigarette aus dem Mund und legt sie leise auf den Rand des Tisches. Der feine Rauch steigt steil auf inmitten der Stube. Unwillkürlich folgen beide mit den Blicken dieser ruhigen, feierlichen Bewegung. Da nimmt Holzer einen Stuhl in die Hände und versucht, ihn zu heben. Auf einmal läßt er ihn fallen und schreit in das Gepolter hinein:

»Du bist wohl verrückt?«

»Laß uns ruhig darüber reden, bitte . . .«

Bangs Stimme zittert ein wenig.

Aber Holzer ist noch nicht so weit: »Ich . . . zerbreche . . . sie . . .«, wiederholt er mit Betonung, als müßte er diese Worte auswendig lernen. Immer von neuem beginnt er: »Ich zer . . .«

»Hermann . . .«, bittet der andere.

»Ich zer . . .« Und Holzer lacht auf einmal zügellos. Man muß es im ganzen Hause hören. Endlich geht ihm das Gelächter aus, und er sagt mühsam, mit dem letzten Atem: »Willst du mir vielleicht – erklären . . .?«

Darauf hat Bang gewartet. Er beginnt leise, wie nach guter Vorbereitung. Man kann seine Augen nicht sehen. »Du erinnerst dich doch, wie du Helene kennen gelernt hast? Es war bei mir an einem jener lustigen Abende. Das heißt, für euch war er lustig; für mich und für Helene war es ein Abschied, wenn du willst – ein Abschiedsfest. Aber . . . na also: etwas Wehmütiges jedenfalls. Du hast das nicht bemerkt? – Ich weiß. Zum Schluß haben wir beide es wohl selber nicht mehr gewußt. Wie das so geht. Das Leben ist rasch . . .«

Holzer macht eine Bewegung der Ungeduld.

»Nur einen Augenblick, Hermann. Es ist notwendig, von jenem Abend zu reden. An jenem Abend . . .« Bang kommt ein paar Schritte näher und sucht die unruhigen Blicke Holzers zu halten.

»Du hast mich nie gefragt, wie ich eigentlich zu Helene . . .«

Holzer weicht ihm aus, gereizt: »Aber das geht mich ja garnichts an . . .«

Bang lächelt: »Mag sein. Ich möchte trotzdem weitererzählen . . .«

Holzer wirft sich auf das Sofa, daß alle Federn krachen. Der kreischende Mißton liegt eine Weile in der Luft.

Ernst Bang vertieft sich wieder in die Betrachtung seines linken Schuhes und erzählt:

»An jenem Abend also hab ich euch alle zu mir gebeten, um so eine Art Verlobung zu feiern . . .«

Die Federn des Sofas werden unruhig.

»Es war mir nämlich klar geworden, daß es doch etwas anderes ist als einfach Kameradschaft, was mich an Helene band. Ich ging also mit mir zu Rate und beschloß, sie zu heiraten. Ich übersah nicht die Schwierigkeiten, welche meine Familie mir bereiten würde; ich vergaß nicht, daß ich meine Karriere durch diesen Schritt beschränkte. Ich rechnete mit diesen Dingen, also waren sie kein Hindernis. Aber im letzten Augenblick, eine halbe Stunde ehe du damals bei mir eintratest . . .«

Ein Ruck in den Polstern des Sofas.

Bang sieht hin, aber Holzer liegt ganz ruhig, und Bang vollendet also: – »da zeigte sich ein Hindernis, das ich nicht erwartet hatte.«

Pause. ». . . Na, und als ihr kamt, da wußte ich es schon – und Helene . . .«

Auf einmal sitzt Hermann aufrecht und wendet seine lauernden Augen gegen den Sprechenden: »Sie hat dich abgewiesen?«

»Hm«, macht Ernst Bang ungewiß, als ob er etwas anfügen wollte, und denkt: Man sollte das Fenster öffnen vielleicht, nur eine Weile . . .

Inzwischen bricht die Dämmerung über die beiden herein. Jetzt erst zündet sich Bang eine Zigarette an und geht auf und nieder. Ganz anders als Hermann. Langsam, in einem gewissen Erwarten, sich wiegend. Er fühlt sich besonders erleichtert offenbar, denn später sagt er leichthin: »September! Wie bald es schon dunkel wird.«

Wirklich, es ist ganz dunkel. Man kann nur mit Mühe erkennen, daß Holzer am Rande des Sofas sitzt, den Kopf in die Hände gesenkt. Er ändert diese Stellung nicht, und darum klingen seine Worte so dumpf in der Frage: »Das ist mir nicht klar, Bang, was mich das alles angeht, was ich dabei soll?«

Ernst Bang bleibt stehen. Da wird die Stille auf einmal schwer, schwer.

Holzer reißt die Hände vom Gesicht und schreit: »Ich zerbreche sie? Warum?«

»Ruhig, ruhig . . .«, beschwichtigt Bang.

Aber Holzer springt auf. Er tut plötzlich wie einer, der im Traum gelähmt war. Er streckt seine Arme, er probt seine Gelenke und will seine Stimme hören: »Warum?«

»Sieh sie dir mal an, Hermann«, bittet Bang, selbst ein wenig mitgerissen. »Wie blaß sie ist. Sie wird dir krank werden, du wirst sehen. Du quälst sie.«

Da legt ihm Holzer die Hand auf die Schulter. Und sie wird immer schwerer während dieser Worte: »Du weißt nicht, was du sprichst, Bang. Ich tue für Helene alles was ich kann, weißt du. Alles Mögliche. Nur Phrasen mach ich keine. Das will sie auch nicht. Also, was quäl ich sie?«

Bang weiß nichts zu erwidern.

Und langsam spricht Holzer weiter: »Wir sind Kameraden – einfach. So gehört sich's. Wenn ich sie in der letzten Zeit manchmal vernachlässigt habe, so war die Arbeit daran schuld. Sobald sie ihr Kind haben wird, ihre Arbeit, wird sie mich auch vernachlässigen. Das ist so.« Pause.

Ernst Bang hat seine Zigarette ausgehen lassen. Er knöpft unruhig an seinem schwarzen Gesellschaftsrock; seine Hände sind sehr weiß. Dann hört man wieder die Stimme Holzers. Sie wird immer ruhiger und bekommt immer mehr heitere Überlegenheit.

»Ich finde übrigens gar nicht, daß sie schlecht aussieht. Alle Mädel sehen so aus um die Zeit. Das wird schon besser werden. Du kannst dich darauf verlassen.« Pause. »Aber das ist so eure Art: Sensation um jeden Preis. Nichts Ruhiges. Lauter Trapezgefühle; und man wartet immer, ob sie nicht im nächsten Augenblick den Hals brechen. Ich kenne das. Aber man fällt euch immer wieder hinein auf eure Empfindelei.«

»Die Dinge sind vielleicht doch nicht so einfach.« Bang sagt das fast pfeifend.

»Gewiß, weil ihr sie nicht einfach wollt.«

»Oh wollen –,« macht Bang, »überhaupt: wollen . . .« und er schaut über alles weg ins Grenzenlose.

»No ja, da wären wir ja glücklich wieder.« Holzer ist fast fröhlich jetzt. Er zündet die Lampe an und verneigt sich dann vor dem Freunde:

»Euer Hochwohlgeboren erlauben: Mein Name ist Holzer. Das ist wörtlich zu nehmen. Mein Vater selig war nämlich der ›alte Holzer‹. Sie können von ihm hören im Dorf drunten. Die meisten werden sich an den breiten Bauern erinnern, den Holzerbauer. Und ich hab auch noch was aus seinem Blut, hoff ich. Sowas Grades, Eichenes . . .«

Ernst Bang fühlt sich durch das grelle gelbe Licht der Lampe gestört: »Ich denke, ich gehe jetzt.«

Holzer lacht: »Wie du willst. Aber damit die Lektion in Gottes Namen doch einen Schluß hat, sag mir doch schnell, was ich, nach deiner Meinung, in diesem Fall zu tun habe? . . .«

Bang macht eine Bewegung, so, an allem vorbei.

»Sprich, die ganze Kultur steht hinter dir, bedenke!« Und er nimmt dem Zögernden den Flut wieder aus der Hand und begütigt, in anderem Ton:

»Wirklich, Ernst, Freund zum Freund. Du hast mir deine Ansicht gesagt, und, so sonderbar sie sein mag, ich bin dir dankbar dafür. Ohne Zweifel hast du auch einen Rat mitgebracht. Ein Medikament gegen das gefährliche Übel, wie? Ihr seid ja alle Ärzte, ihr modernen Menschen.«

Bang versucht zu lächeln.

»Ich bin gespannt. Was soll ich tun, Ernst? Was soll ich sagen?«

Und da wird Bang wieder sehr ernst. Er kommt ein paar Schritte zurück und antwortet sehr hastig: »Sagen? Hm. Ich glaube, es ist deine Sache, einfach zuzuhören . . .«

Auch Hermann lacht nicht mehr: »Ich versteh dich nicht . . .«

»Nun, – Helene ist von denen, die sich aussprechen müssen um jeden Preis . . .« Pause. »Es könnte ja sein, daß Helene dir etwas zu erzählen hat . . . von . . . früher . . .« Pause.

»So«, sagt Holzer dann kurz und begleitet den andern an die Tür.

Da tritt Helene ein, gerade den beiden entgegen.

»Oh« macht sie, als sie Ernst Bang erkennt, und Holzer lacht: »Eine Überraschung, was? Alte Freunde?!«

»Ja –«, versucht Helene und geht an Bang vorbei.

Da hat Hermann einen Einfall, ganz unvermittelt offenbar. »Du hast doch wohl noch Zeit?« Eigentlich klingt das für eine Frage recht entschieden. Unwillkürlich bleibt Bang stehen. Er sieht, wie Hermann das Mädchen bei der Hand nimmt und in den hellen Kreis der Lampe zieht, und es kommt ihm unerhört brutal vor. Dann hört er ihn sagen: »Blaß? – Bist du blaß, Helen'?« Pause.

»Möglich, daß das die Lampe macht; es ist ein ungünstiges Licht. Aber du fühlst dich doch wohl?« Pause.

»Dieser Herr da sagt nämlich . . .«

Helene macht eine Bewegung, als ob sie flüchten wollte. Ernst Bang fühlt sich auf einmal vollkommen unbeteiligt, Zuschauer. Er möchte bequem sitzen, um nichts von dem zu verlieren, was kommt. Also:

»Dieser Herr sagt: Ich zerbreche dich?« Pause.

Ernst Bang denkt: Zu schleppend ist diese Szene. Flotter, bitte!

Pause. Dann, sehr laut: »Ist das wahr?«

Heftiges Weinen.

Ernst Bang macht zwei Schritte; er hat die Empfindung: Schluß! Man kann gehen. Es kommt nichts mehr.

Aber das ist ein Irrtum; es kommt noch etwas: Hermann Holzers Riesenlachen. Und hinterdrein: »Kinder seid ihr, richtige Kinder. Ihr beide. Du Helen' und der da. Gott sei Dank, daß wir jetzt beisammen sind, sonst tätet ihr jeder was Sentimentales. Ich sehs euch an. – Wir wollen auch beisammen bleiben heute und irgend etwas feiern; es wird sich schon was finden lassen.«

Pause. Helene neigt sich mit halbgetrockneten Augen zu Hermann und flüstert ihm etwas zu. Er versteht nicht gleich. Dann lacht er: »Wir beide allein? Gott bewahre! Kinderei! Im Gegenteil, was ich jetzt zu sagen habe, muß Ernst mithören. Leg nur deinen Hut fort, mein Lieber.«

Und als Bang keine Anstalten macht, fügt Holzer an: »Wenn ich dich darum bitte.« Und da auch das nichts hilft, braucht er ein letztes Mittel: »Helen' will es auch, – nicht wahr?«

Und da wird eine Stille um ein kleines farbloses »Ja« herum.

Langsam kommt Ernst Bang näher. Er sieht unglaublich müde aus, und Holzer denkt, zur Beruhigung: es ist ein ungünstiges Licht . . . so eine Lampe . . .

Dann zieht er das Mädchen auf seinen Schooß und scherzt: »Nun, kleine Frau, hast du mich lieb? Und zerbrech ich dich nicht?« Da klammert sich das kleine blonde Mädchen an seinen Hals an, mit einem Ungestüm, das ihn staunen macht. Eine Weile fühlt er sie weinen. Aber das können keine tiefen Tränen gewesen sein; denn als er das zarte Gesichtchen in die Höhe zwingt, atmet ihn eine strahlende Seligkeit an, deren er sich gar nicht zu entsinnen weiß.

Bang steht auf einmal am Fenster und zählt die schwarzen Schornsteine. Er will sich draußen beschäftigen um jeden Preis; dennoch hört er Wort für Wort:

»Jetzt ist es ja bald überstanden, Kind. Wenn heute Nachricht von Holms kommt, so können wir heiraten, gleich nach dem Examen.« Pause.

»Du willst doch?«

Ein glückseliges Lachen.

»So feiern wir heute die Zukunft.«

Pause.

»Du bist doch dabei, Bang?« Und er wartet die Antwort gar nicht ab. »Noch eines feiern wir, richtig: deine Kultur, Bang. Wir sind drei moderne Menschen, drei Menschen ohne Vorurteile, nicht? – Wir dekretieren hiermit: es giebt keine Vergangenheit. Die Vergangenheit leugnen wir einfach.«

Ernst Bang ist rasch näher gekommen, wie um zu retten; er hört noch:

»Wer von der Vergangenheit spricht, lügt. Abgemacht.«

Helene ist sehr blaß.

Hermann hat es nicht bemerkt. Eben hat jemand draußen geklingelt, und er beeilt sich zu öffnen; es könnte von Holms sein. Helene erreicht ihn noch an der Tür. Ihre Lippen brennen. Es ist ein letzter Versuch.

Aber Holzer hält sich die Ohren zu und lacht laut.

Da läßt sie ihn los, läßt ihn los – und kommt langsam zur Lampe zurück, ganz ruhig.

Bang steht an der anderen Seite des Tisches, und die Lampe singt zwischen ihnen merkwürdig laut.

Einmal schaut ihn Helene an mit traurigen, hilflosen Augen. Und Ernst Bang hebt ein wenig die Achseln, unmerklich.

Das ist alles.


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