Rainer Maria Rilke
Die Erzählungen
Rainer Maria Rilke

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Eine Tote

Psychologische Skizze

(1896)

San Remo, im März 189..

Mein guter, guter Alfred!

Lang war mein Schweigen. Verzeih! Drei Deiner lieben Briefe muß ich heute in Einem beantworten. Sei bedankt. Sie taten mir so wohl. Die zarte, innige Besorgnis, die in Deinen Zeilen liegt, ist Balsam. Ich bin ja so einsam und so müd. – Es ist sonderbar um mein Leiden. Ich bin abgespannt, meine Glieder sind wie zerschmettert; Stunden aber gibts, da glimmert dieser Funken, den sie Leben nennen, wieder auf. Er wird zur Flamme. Lodernd leckt sie empor und ich fühle Kraft, Gesundheit, Zuversicht! . . . Dummheit. – Der Arzt . . . ich will nicht vom Arzte reden. – Aber manchmal ist es sehr schlimm. Die Atembeschwerden, weißt Du, die. . . . Da spür ich manchmal wie die Luft drückt. Schrecklich schwer, sag ich Dir. Und dieser Husten. So langsam kriecht er herauf aus der Brust und dann schnellt er empor und packt mich an der Kehle . . .

Ich sitze auf der Veranda meines Hauses. Die blaue Luft streicht warm, feucht und golddurchwoben vom Meere. Duftige Sträucher schicken ihren Odem den Hang herauf. Ein Anblick voll Glück, Licht und Leben! Und ich schaue mit großen Augen in das volle, flimmernde Blau; und meine Gedanken . . . Meine Gedanken kehren jetzt immer häufiger zu einer Begebenheit zurück, die ich bisher in meiner Brust verborgen gehalten habe. – Es ist wohl ein Jahr her. – Du weißt, daß ich mich im Frühjahr in einem jener kleineren Bäder Böhmens, deren Besuch im Mai beginnt, aufgehalten habe. Ich war damals gesund, oder glaubte es doch zu sein. – Dort ist mir in W. etwas begegnet, was jene Schwermut in meine Seele gesenkt hat, die Du an meinen Briefen rügst, und die Du gewiß meiner Krankheit zuzuschreiben geneigt bist. Es war . . . doch Du wirst ja sehen. Ich habe Dir in meinen besseren Stunden alles kurz aufgezeichnet. Ich will kein Geheimnis vor Dir haben. Nicht sterben, ohne . . . Es kann ja kein Mensch wissen, wann er stirbt! Heut oder morgen und wenn die Sonne noch so hell scheint, und die Luft noch so klar und blau ist . . . Das kommt . . . Unsinn!

Grüß mir die Deinen! Schreibe bald. Gott schirme Dich!

Dein
Gaudolf

*

Ich war den dritten Tag in W. Wenige Leute nur waren erst da. Man konnte die weiten Nadelwälder durchschreiten, sicher, niemandem zu begegnen, als ein paar ehrerbietigen Bauersleuten. Wälder sind meine Freude. Früh nachdem ich einen kargen Imbiß genommen, stieg ich die wurzelgeäderten Pfade hinan, kreuz und quer, und verlor mich bald in der reichbelebten Wildnis. Ich erfreute mein Auge an den mächtigen Farren, unter denen wie unter einem Malachit-Baldachin züchtige Blumenprinzessinnen thronten, ich betrachtete das winzige Geschlecht, das da den grünen Moosboden bevölkerte und mit tätigem Eifer her und hin hastete, und mein lichtes Auge folgte dem neckischen Eichkätzchen, das im kühnen Sprunge Ast mit Ast verband, und sich, durch den Tritt des Wanderers aufgeschreckt, in dem höchsten Wipfel der ragenden Tanne verbarg. Nachmittags spät kehrte ich erst von meinen Wanderungen zurück, nachdem ich in einer Bauernhütte mit leidlich derbem Mahle mich gestärkt hatte.

Zweimal schon war mir auf diesen einsamen Wanderungen ein Mädchen begegnet. Ein seltsames Mädchen. Sie ging immer allein und sobald sie an mir vorüberkam, hob sie die grauen, übergroßen Augensterne empor und schaute mich mit stillen halbverschleierten Blicken an. Diese Augen kann nie vergessen, wer sie einmal gesehen. Es lag etwas Weltverlorenes, überirdisch Ernstes darinnen. So etwa wie Gabriel Max seine Büßerinnen und Heiligen malt. Die Lippen hielt sie fest geschlossen, das verlieh dem durchscheinend bleichen Gesicht einen Zug von Härte, von . . . Ich weiß nicht wie es kam; dieses Antlitz schwebte mir vor, wenn ich nachts in dem ungewohnten Gastzimmer erwachte. Bei der Tür, dort wo die Klinke im Scheine meines Nachtlichts schimmerte, hob sichs empor, und ich sah den Ernst dieses Gesichtes und die ganze schlanke Gestalt in dem anliegenden, schlichten Tuchkleid langsam auf mich zukommen. Mich schauderte . . .

Sie wohnte im selben Hause. Mit ihren Eltern, sagte der Wirt. Dann tat er ein recht verschmitztes Gesicht und schwieg plötzlich, als ob ihm ein Wort hinter den gelben Zähnen stände, das er nicht frei lassen wollte. Dann aber faßte er Vertrauen. Er neigte sich zu mir. – »Nicht wahr, Sie sagens nicht weiter, Herr . . . Das Fräulein ist so ein bißchen, wissens, was man so sagt, nicht ganz bei Vernunft – sie . . .« Sein Redestrom hätte jetzt nicht so bald ein Ende genommen, hätte nicht die Ankunft eines neuen Gastes ihn unterbrochen.

Ich sprach kein Wort und ging. Sollte es wahr sein? Die Augen . . .

Ich mußte dieses Wesen kennen lernen. Zu diesem Zwecke beschloß ich dem gemeinsamen Mittagessen der Gäste anzuwohnen. Ein wohlwollender Zufall begünstigte mich. Ich kam gerade neben den Vater des Mädchens, einen älteren Bureaukraten mit gutmütigen, weichen Zügen zu sitzen. Er selbst begann das Gespräch. Neben ihm saß das Mädchen, dann ihre Mutter. Sie konnten hören was wir sprachen. Über W. im Allgemeinen. Sie stammten aus einem kleinen Städtchen Südsachsens, wo der Vater die Stelle eines Magistratsrates, glaub ich, bekleidete. Der Tochter wegen seien sie hier; die solle die Kaltwasserkur gebrauchen. Die Mutter bestätigte das mit ein paar Worten. Dabei erfuhr ich ihren Namen – Felice. Ich wandte mich an die Tochter: »Wie gefällt es Ihnen hier, gnädiges Fräulein?« Sie schwieg und schaute über mich hin, als durchdränge sie mit diesen tiefen, grauen Augen alles Körperliche. Die Mutter flüsterte ihr etwas zu, was ich nicht verstand. Sie schüttelte den Kopf. Die Mutter wiederholte scheinbar ihre Aufmunterung. Felice sagte leise, sehr leise, aber mit weicher, edler Stimme, wie ein Kind, dem man einen Satz vorsagt: »Danke, gut.« Der Magistratsrat verwickelte mich angelegentlich in ein Gespräch über Kanalbauten; das Essen war beendet. Ich erhob mich. Im Auge der Mutter glänzten Tränen. Sie winkte ihrem Gemahl zu. Der zog mich, nachdem die wenigen Gäste den Saal verlassen hatten, in eine Fensternische. »Mein Herr«, sagte er und seine Stimme zitterte, »unser armes Kind hat seit Jahren ein Gehirnleiden, verzeihen Sie ihr sonderbares Benehmen. Wir reisen von Bad zu Bad. Sie werden mein Vertrauen nicht mißdeuten. Das arme Kind!« Der Vater kämpfte mit den Tränen. »Ein entsetzlicher, unglaublicher Wahn . . .« Der Wirt trat ein und kam auf uns zu. Der alte Herr verstummte. Er drückte mir die Hand, daß es mich schmerzte, und verließ mit hallenden, matten Schritten den Saal.

Ich habe mit Felice gesprochen. Das kam so. Auf einem meiner einsamen Morgengänge traf ich sie wieder. Sie ging wie immer ihres Weges, blickte auf und blieb stehen, als sie meiner gewahr wurde. Eine Weile schaute sie mich regungslos an; dann zuckte es wie eine jähe Erinnerung durch ihr Gesicht. – Vernehmlich sprach sie die Worte, die man ihr neulich vorgesprochen: »Danke, gut!« . . . Ich erschrak. Also doch! Aber schnell faßte ich mich und sagte: »Sie suchen wie ich, Fräulein Felice, einsam den Wald auf, den herrlichen Wald.« – »Den herrlichen Wald«, wiederholte sie fast tonlos; aber ihre Brust hob sich unter dem grauen Kleide und in ihrem Auge wogte eine Flut von Farbe und Licht. Dann ging sie weiter und ich neben ihr. Wir sprachen nichts. Ich gab mich der Weihe des Waldes und dem geheimnisvollen Zauber des schönen jungen Wesens hin, das da so ernst neben mir einherschritt. Ein Feldblümchen wucherte am Rande. Ich brach es und reichte es dem Mädchen hin. Sie nahm es, beschaute es mit traurigem Blick, zerriß dann, wie einem augenblicklichen Unmut gehorchend, den dünnen grünen Stengel, der leise stöhnte. Dann machte mir Felice eine abwehrende Bewegung und verschwand wegabseits in den dichten hohen Stämmen. Ich wagte nicht ihr zu folgen. Noch erkannte ich das graue Kleid in wechselndem Licht zwischen den dunklen Baumriesen, dann war sie ganz meinen Blicken entzogen.

So trafen wir uns einige Male. Sie schien Vertrauen zu mir zu fassen. Sie stimmte, wenn ich die Landschaft bewunderte, oder das köstliche Aroma der tannenduftenden Luft pries, leise ein. Schon das war mir Genugtuung. Auf einem dieser Gänge sagte ich zu ihr: »Fräulein Felice, sehen Sie die Blumen, wie froh die blühen, hören Sie den Gesang der Vögel, die Stimmen der Quellen . . . All das ermahnt zum Frohsinn und Sie sind so traurig?« Als ich aufschaute bemerkte ich, wie mich das Mädchen groß und fragend anblickte; dann bedeckte sie das Gesicht mit den Händen und weinte, weinte, daß mir ganz weh zu Mute ward. An diesem Tage sprachen wir kein Wort mehr.

Seither war eine Woche vergangen. Vergebens hatte ich auf meinen Wanderungen die liebe, gewohnte Begegnung erhofft, auch im Speisesaale fand sich Felice nicht ein. Sie sei ein wenig unpaß, sagte der Rat und die Mutter hatte rote Augen. –

Endlich traf ich sie wieder. Sie kam auf mich zu und sagte: »Sie haben mich heute gefragt . . . oder nicht heute . . .« Ich fühlte ihre Verlegenheit, die Vorstellung der Zeit hatte sich ihr verwirrt . . . »Ich habe gefragt«, ergänzte ich, »Fräulein Felice, warum Sie so traurig sind?« – Nie werde ich vergessen, was jetzt folgte. Das Mädchen trat einen Schritt zurück, sie hob den Kopf, ihre ganze Gestalt schien höher, übergroß, das Auge nahm eine eisige Starrheit an, und durch die blassen Lippen hauchte es, ohne daß sie sich regten: »Ich bin tot.« –

Unwillkürlich tat ich ein paar Schritte zurück. Und wie sie jetzt mit unmerklichen Tritten langsam auf mich zukam, da war mir wirklich, als ginge von dieser Gestalt ein Moderduft aus, so kalt, so schrecklich. Aufgeschrieen hätt ich wie ein Kind am liebsten. Ich ermannte mich. Ein Schauer ging mir über den Rücken. – Aber ich folgte ihr. Bis zu ihrer Wohnung geleitete ich sie. Wir sprachen kein Wort. Mir war entsetzlich zu Mute. Ich hatte Fieber, gewiß. – Die Nacht hindurch quälten mich irre Träume. Morgens erwachte ich matt mit schwerem, wüstem Kopfe.

Jetzt sahen wir uns häufiger. Oft saßen wir stundenlang neben einander auf einer Moosbank; ich erzählte ihr Geschichten. Sie hörte sehr aufmerksam, fast ängstlich zu. Ich trachtete sie möglichst durch heitere Ereignisse zu ermutigen. Dann sagte sie mir: »Du, (seit ein paar Tagen bediente sie sich immer dieses vertraulichen Wortes) weißt du das sicher?« Und wenn ich bejahte: »Ja, aber das waren Menschen, wirkliche lebende Menschen, aber ich bin ja tot, lange tot . . .« Dann mochte ich sagen, was ich wollte, sie blieb still – und ernst.

Einmal als sie meine Erzählung wieder mit diesen entsetzlichen Worten abgebrochen hatte, wagte ich die Frage: »Felice, wann bist du gestorben?« »Wann?« wiederholte sie und ihre Augen nahmen wieder jene Starrheit an, ihr Körper verlängerte sich . . . Dann aber zuckte sie zusammen, setzte sich an meine Seite und sagte mit kindlichem, rührendem Zutrauen: »Wenn ich es noch weiß, sollst du's wissen: Ich war ein Kind, ein kleines Kind, weißt du. So ein Kind, das mit Puppen spielt, Ball wirft und sich an Blumen freut. Das sind viele, viele tausend Jahre her. Ich hatte keine Geschwister, aber ein paar frohe, muntere Spielgenossen, die Maria, die von Bergers«, sie sagte das leise und zählte in kindischer Weise an den Fingern, »die Elsa, die Lene, Gretchen, Kurt, Hans«, beim letzten Namen zögerte sie und brach dann in heftiges Schluchzen aus. Ich konnte sie mit Mühe beruhigen. Dann lächelte sie wieder. »Mutter«, sagte sie mit den Mienen eines entzückten Kindes, »hat mir immer gar schöne Sachen gegeben, Püppchen, so ganz kleine, weißt du, mit wirklichen Schuhen und goldigen Haaren, aber«, über ihr Gesicht floh ein tiefer Schatten, »damals war ich ja noch lebendig und jetzt, jetzt bin ich tausend Jahre tot, tausend Jahre.« Ihr Wort erstarb tonlos. Mich schauerte.

Felice aber fuhr fort: »Wir spielten immer zusammen. Alle wir Kinder. Wir pflückten Blumen . . . Blumen . . .« Sie schien nachzusinnen; dann schüttelte sie mit dem Kopfe: »Ich muß dirs sagen. Es war im Herbst. Ein grauer, grauer Tag drückte auf die Welt. Du mußt zu Hause bleiben, sagt die Mutter. Aber die Uhr tickt so einsam; und die Bilderbücher habe ich so oft gesehen, so oft . . . und die Mutter geht in die Küche. Ich schlüpfe hinaus in den Garten. – Leicht, daß ich einen von den Gespielen seh' . . . Richtig, dort steht Hans zu Seiten des Gesträuches. Mein Schritt klatscht auf dem durchnäßten Boden; – er soll mich nicht hören. Pst! . . . also auf den Spitzen . . . so, so . . . hinters Gebüsch . . . ein feiner Regen sticht mich in die Augen. Hans bemerkt mich nicht. Er hält etwas in der Hand. Ich schau deutlich: ein Vogel, ein kleiner, lieber Vogel. Was tut er? Er streichelt ihn wohl, so denk ich. Da hör ich piepsen. Piep . . . Piep . . . hörst du's?« Sie faßte mich bei der Hand. »Das klingt so bang; und die Luft war so grau und ich bieg' die Äste weg . . . und da, da . . .« Felice war aufgesprungen, sie stieß die Worte in atemloser Erregung hervor und starrte auf einen Punkt, als stünde dort der Knabe. »Da siehst du, siehst du, er drückt dem kleinen, armen Vogel beide Daumen an die Kehle, der schreit und flattert. Hans aber lacht, siehst du's, wie er lacht. Und er drückt zu . . . und ich will schreien und kann, kann nicht . . . Der kleine Vogel reißt den Schnabel weit auf, weit – – – dann fällt das Köpfchen herab . . . da, da zuckt mirs so da, da durch«, sie fuhr nach dem Herzen, »und da – bin – – – ich – – – gestorben.« – Ihr Wort ging tonlos aus. Sie ließ sich neben mir auf die Bank fallen. Ihre Augen waren geschlossen. Kein Atemzug hob ihre Brust . . . sie lag neben mir, ein entsetzliches Bild des bleichen, bleichen Todes . . .

Wir saßen selbander auf der Moosbank. Es war einer jener herrlichen Frühsommertage, wo die Welt eine große volltönende Hymne scheint, die die Schönheit preist des wahren wonnigen Lebens. Der Wald schien ein Tempel, auf dessen stämmigen Säulen die unendliche Decke in blauender Klarheit ruhte; der Wind bewegte mit zartem Hauche die Zweige und aus dem Tannicht stieg des berückenden Duftes schmeichelnder Weihrauch. Stille. Mir war, als ginge an uns vorbei auf dem moosumrandeten Pfade eine gute, milde, segenstreuende Gottheit, der die Menschen zu opfern vergessen, einsam dahin. Ich glaube es war ein Gebet, das mir in der Seele erwachte, tief, tief, ein Gebet zu diesem unbekannten, übermenschlichen Wesen des Waldes, das bis auf die Lippen sich rang. Ich flehte, es möchte das holde Weib neben mir aus der schrecklichen grauen Umnachtung aufwachen und rings um sich freudig den Odem des lieben, lebendigen Lebens ahnen und fühlen . . . Hatte ich laut gesprochen? Das Mädchen legte die Hand sanft auf die meine und blickte mich an so traurig, daß mein Herz aus dem Taumel der Freude jäh auffuhr . . . Es würgte mir die Kehle. Ich wollte etwas sagen, ermuntern, trösten. Das Wort erstarb. Wir schwiegen. – Vor uns lag der weite sonnendurchflutete Wald. Lustige Lichter hüpften in übermütiger Hast hin über den Moosgrund und erloschen ferne im Dunkel verdämmernder Stämme. – Ich starrte vor mich auf den Weg. Da hüpfte gegenüber aus dem Dickicht ein kleiner, kecker Vogel geradenwegs auf uns zu. Er sprang hin über den Kiespfad, badete das graue Gefieder in der glühend durchsonnten Sandflut und kam auf uns zu, dicht bis an unsere Füße. Ich bemerkte, daß Felice aufmerksam das niedliche Tierchen verfolgte, wie ihre Züge heller und heller wurden. Ja, wahrhaftig sie lachte . . . So hatte ich sie noch nie gesehen. Ich erinnerte mich, daß ich ein paar Brosamen in der Tasche trug, die streute ich nun dem zutraulichen Gaste hin, und er pickte sie auf und drehte sein Köpfchen nach rechts und nach links und neigte sich wieder zur Erde. – Das Mädchen neben mir legte behutsam die Hand auf meine Schulter und wandte den Kopf mir zu. Ich sah ihr in die Augen. Aber wie war mir, die Schleier, die trüben, verhüllten nicht mehr die grauen, tiefen Lichtsterne; sie strahlten in so unsagbarem Glück auf, daß es mich wie ein holder, jauchzender Wahnsinn packte: »Felice«, schrie ich, »du lebst«, und drückte das bebende Weib in seliger Sehnsucht an mich. Sie schwieg. Sie hielt mich fest umschlungen, dann riß sie sich los, begrüßte mit klaren Blicken des innigsten Dankes Himmel, Licht, Sonne und Dasein, eilte in meine Arme zurück und weinte, das Köpfchen an meine Schulter gepreßt, erlösende Tränen der Freude. Glücklich wie Kinder schritten wir beide heimwärts und es war des Jubels kein Ende, gar erst, als die bangen Eltern das entzückende Wunder vernahmen.

Felice war genesen. – – –

Erlaß mir von der Zeit zu sprechen, die jetzt folgte; laß mich kurz enden. Es war eine Zeit namenlosen Glückes. Ich müßte die Sprache der Himmel reden, um dir diese Wonnen zu schildern. Das holde Wesen zu sehen, das in kindischer Freude das flutende Leben begrüßte, die kleinen Freuden der Natur, an denen wir verwöhnt und gefühllos vorübergehen, mit bebendem Busen und flammendem Blicke genoß, und das jetzt im unschuldsreinen Herzen mit mädchenhafter Scheu das heilige Geheimnis niegeahnter Liebe aufkeimen fühlte . . .

Das schreckliche Gespenst, dem ich zum Opfer falle, und dessen Nahen ich von Kindheit auf fürchtete, trat damals zuerst an mich heran. Ich fühlte Beschwerden, spuckte Blut. Die Ärzte schüttelten den Kopf: Nach Süden, nach Süden. Lange verschwieg ichs Felice, die meine Braut geworden war. – Endlich überfiel mich einmal in ihrer Gegenwart der Husten. Sie scherzte erst. Ich winkte ihr zu gehen. Da ward sie ängstlich. Sie blieb. Als ich mich von meinem Anfall erholt hatte, gestand ich: – Daß ich sie nie heimführen dürfe, daß . . . was weiß ich was Alles . . . Sie lag schluchzend in meinen Armen. Ich weinte auch. Spät trennten wir uns. Entsetzlicher Abend! Als ich sie zur Tür geleitete, war es schon dunkel. Und da, wie sie so vor mir stand, da legte sich wieder der trübe Nebelhauch schrecklicher Starrheit über die fluttiefen großen Augen, ihre Gestalt wuchs, die Hand in der meinen ward eiskalt, und ein Moderhauch schien von ihr auszugehen . . .

Damals sahen wir uns zum letzten Mal. Den nächsten Tag reiste ich ab. Der Rat war beim Wagen. Felice schickte ein Briefchen. Ich nahm es zu mir, bat ihr meinen letzten Gruß zu bringen und riß mich endlich aus den Armen des alten Mannes. Im Coupé erst wollte ich Felice's Zeilen lesen. Ich war noch zu erregt. – Ich hatte im Zuge Platz genommen. Als das Hin- und Herlaufen der Reisenden vorüber und ich in meinem Abteil allein geblieben war, nahm ich das teuere Kleinod vor. Ich las nur die Worte . . . »Leb wohl, ich muß zum zweiten Male sterben!« . . . Ein schreckliches Ahnen ergriff mich. – Ich mußte zurück. Ewigkeiten schienen mir die Minuten bis zur nächsten Haltestelle. Endlich! »Wann geht der Zug zurück?« »In zwei Stunden!« – Da tritt der Stationschef auf mich zu: »Sind Sie Herr M . . .?« . . . Ich nickte, zu sprechen vermag ich nicht. – Ich sehe, wie er ein Telegramm hervorzieht. Mechanisch öffne ich: »Felice beim Teich abgerutscht, – alles vorüber. Gott stärke uns . . .«


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