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Vierzehntes Kapitel.
»Wer bin ich?«

Es war ein Herr von mittlerer Größe, in kanariengelbem Sommerrock und graugrün quadrilliertem Beinkleid, einen weiß-schwarz gestreiften Plaid über der Schulter. Den Kopf bedeckte eine blonde, reichgelockte Perücke, auf welcher ein schmalrandiger, gelber Strohhut saß, über die Stirne auffallend hinaufgeschoben; das Gesicht, welches offenbar durch schminkartige Mittel und gefärbte Augenbrauen einen maskenhaften Ausdruck hatte, war von einem dichten, rötlichen Bart eingerahmt, der nach englischer Art rechts und links vom Kinn in zwei lange, spitze Enden auslief.

Nach dem Auf- und Zurückschnellen von der Zimmertüre hatte der Fremde einige fluchtartige Schritte nach dem rückwärtigen Teile des Korridors gemacht, blieb dann, die Daumen zwischen die Armeinschnitte der Weste steckend und die übrigen Finger steif ausstrecken, eine Moment unbeweglich und hinter sich horchend stehen, und da er, ohne umzusehen, deutlich erkannte, dass niemand aus der aufgestoßenen Türe trat und ihm folgte, ging er ruhig weiter und schien mit ängstlicher Dringlichkeit nach jemand zu spähen.

Ein Kellner, der den Korridor entlang kam, schien sich gelegen zu nähern.

»He – mein lieber Mosje«, sagte der Fremde, die Daumen noch immer in der Weste, aber mit den Fingern lebhaft spielend, »Mosje, sag' Er mir – ich will Ihm seinen Dienst wohl belohnen – ist noch ein ganz kleines, sehr verstecktes, außerordentlich unscheinbares Kabinett – am liebsten rückwärts im Hof – zu haben und sogleich – ohne Umstände und Aufsehen – zu beziehen?«

Der Kellner besah sich den seltsamen Gast etwas befremdet, sagte, dass allerdings noch Stübchen im rückwärtigen Teile des Hoftrakts zu haben seien, dass aber die Verfügung über die Wohnräume im Hause die »Schwefelbande« der Heimann'schen Diener an sich gerissen habe, ohne deren Wissen – soweit sei's im Klosterhof gekommen! – nichts unternommen werden dürfe, wenn man seines Lebens und Postens sicher sein wolle.

»Schwefelbande – Heimanns Diener?« rief der Fremde und fuhr mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand nach der Westentasche, aus welcher er eine namhafte Banknote zog, die er dem erschrocken-glücklich aufschauenden Kellner reichte.

»Schwefelbande ist gut«, fuhr er lächelnd fort … »Aber ein Zimmer jetzt, das ist besser! Das Übrige will ich selber schlichten … Voran! Voran! Kein Wort mehr, voran!«

Der Kellner – noch einmal die Banknote verstohlen betrachtend – folgte nun willenlos dem Kommando, ging den rückwärtigen Korridor entlang voran, eine schmale Hintertreppe hinunter und drückte, im Hofraum angekommen, eine unverschlossene Türe auf, um den Gast in ein gewölbtes Kabinett treten zu lassen, das nur einen kleinen Tisch, zwei Stühle und eine hölzerne Bank mit Lehne enthielt, durch das Bogenfenster aber eine artige Aussicht in den früheren Klostergarten bot.

»So, auch gut, wenn's nicht besser sein kann«, sagte der Fremde eintretend und sich umsehend; dann warf er den Plaid ab, legte den Hut bei Seite und fuhr fort:

»Vor allem jetzt den obersten der Teufel – heißt Diener Heimanns, herbeizitiert, damit ich Ordnung und Ruhe sichere, bevor sie gestört werden!«

Der Kellner – immer noch still besorgt, dass das Geschenk der wertvollen Banknote als Fehlgriff erklärt und zurückgefordert werden könnte – eilte von dannen, suchte und schickte den »Glattrasierten«, der dann auch bald, aber unwirsch und mit der Absicht, sich den Fremden, der ohne sein Wissen sich einquartiert, »ordentlich zu besehen«, in die Zelle trat.

Allein bevor er noch Zeit hatte, etwas zu bemerken, stand der Fremde vor ihm und fragte heftig schreiend:

»Wer bin ich?«

Der »Glattrasierte« trat einen Schritt zurück und sah den seltsamsten aller Gäste erstaunt und sprachlos an.

»Wer bin ich?« rief der Fremde mit schriller Stimme noch lauter, streckte die Daumen wieder in die Armausschnitte der Weste und zappelte mit den Fingern.

Aber der Diener, der sich offenbar zu einer frechen, schneidigen Antwort rüstete, war mit dieser noch nicht im Reinen, als die blonde Perücke von dem Haupte des Fremden flog, der rötliche Bart ihr folgte und ein endloses, heiseres, lustiges Lachen folgte.

»Kennst Du mich jetzt?« sagte der Fremde, sein Gelächter fortsetzend, aber seine Stellung nicht verändernd.

»Ah! Ah!« stotterte im höchsten Erstaunen der Diener und verbeugte sich demutsvoll. »Herr von Heimann! Der gnädige Herr!«

»Nun, da Du mich jetzt kennst und wissen wirst, was Deine Pflicht ist«, fuhr Heimann in unveränderter Stellung, zwischen Ernst und Lachen fort, »so gebiete ich Dir erstens: Stillschweigen wie das Grab über mein Hiersein; dann aber: ausführliche Mitteilung über alles, was bisher vorgefallen ist!«

Der Diener verneigte sich zum Zeichen, dass er dem Befehle pflichtschuldigst nachkommen werde, und Heimann fuhr mit großer Bonhomie fort:

»Recht; gut … Also meine Frau ist da – das ist das Übelste – Wichtigste will ich sagen!«

Er ließ sich nun über Ankunft, Stimmung und Äußerungen seiner Frau ausführlich erzählen und ging dazwischen in eigentümlich heiterer Aufregung, dann und wann auflachend und mit dem Knie des rechten Beines zuckend – als würde er in die Seite gekitzelt – hin und wieder.

Der – wie der Diener familienvertraulich gestand – bestellte Empfangstusch der böhmischen Musikanten, die feierliche Begrüßung der Gebieterin am Tor und unter dem Torgang, deren anfängliche Befriedigung hierüber und die später gestellte süffisante Frage, »ob sich nicht gebildet hat ein Komitee zum Empfange?« insbesondere die Bestellung eines guten Platzes im Versammlungssaal, »wo man sich wird erzählen die merkwürdigen Lebensgeschichten!« – das alles wirkte auf Heimann in der seltsamsten Weise; er fragte zuletzt:

»Was hat meine Frau in solche Aufregung versetzt, als sie die Türe nach dem Korridor aufstieß?«

Der Diener schilderte – ohne den Grund der Aufregung seiner Gebieterin selbst recht zu begreifen – die Angst derselben vor dem geheimnisvollen Mönch, der zum Feste gekommen war, und bemerkte nur nebenbei noch, dass auch der Name »Mortara« gerufen worden sei! –

Heimann stand stille und starrte den Diener mit einem schwer definierbaren Ausdruck der Gesichtes an:

»Mortara«, wiederholte er halblaut und in Gedanken: »Mortara?«

Plötzlich warf er sich auf einen der Stühle, streckte die Beine aus, faltete die Hände und stierte nach der gewölbten Decke der Zelle.

So saß er eine Weile lautlos – dann sprang er auf, stürmte mit verwegener Heftigkeit in dem engen Raume hin und wieder, führte allerlei unverständliche Redensarten, unter lebhaften Gestikulationen, wurde heiter und wieder ernst – rief plötzlich: »zu esse und zu trinken, Ungeheuer!« und fiel, als der Diener sich entfernt hatte, auf denselben Stuhl, in dieselbe Lage wie früher zurück.

»Erscheinen? Nicht erscheinen? Bekenne? Nicht bekennen?« rief er, vor sich hinstarrend und die Daumen wickelnd: »Sieben Fragen Jakobis und keine Antwort! …«

Es ist nötig, um Heimanns Lage und Stimmung zu ermessen, dem großen Festtage vorzugreifen und des wunderlichen Gastes Schicksale hier in Kürze zu skizzieren.

*


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