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Zweites Buch.
Einzug der Pilgrime


Erstes Kapitel.
Der erste Gast

Dieser fuhr in einfacher Reisekalesche vor, mit wenig Gepäck, anspruchslos nach Erscheinung und Benehmen.

Dagegen erregte die Begleitung desselben – zwei junge Damen, Töchter des Angekommenen – hohe Bewunderung. Es waren zwei hochgewachsene, in ihren Formen ebenso zarte als üppige Gestalten. Der Kopf der einen, gesegnet mit dem reichsten schwarzen Haar, zeigt mehr den Typus einer ideale Römerin; die zweite war blond, das Urbild einer germanischen Jungfrau. Die Fülle der Haare machte auch bei der Letzteren jede Zutat zur modernen Haartour entbehrlich. – Die hohe, durchgeistigte Schönheit der Gesichtszüge, beim ersten Anblick blendend, wurde bei wiederholter Betrachtung bestrickend und prägte sich dem Herzen des Beschauers unvergängliche ein. Ein Zug von Melancholie vollendete den unwiderstehlichen Reiz der schönen Schwestern.

Der Ruf dieser Schönheit und ein gewisses Aufsehen über die Angekommenen ging von einer zwar nicht sehr kompetenten, hier aber richtig urteilenden Seite aus: von den Dienern.

Der Riese am Tor, der Portier, stand wie ein Flügelmann bei »Habacht-Kommando« schnurgerade da und bewegte nur die hervortretenden Augen von einer Schwester zur andern. Der für die Zimmer bestimmte Diener, welcher anfangs nur den Herrn ins Auge gefasst und ihn wegen seiner schlichten Erscheinung für ein entlegenes Zimmer in Aussicht genommen hatte, schnellte erstaunt zurück und verlor die sonst sorgfältig beobachtete Haltung, als ihn sein Oberer, der Glattrasierte, in die Seite tupfte und auf die Begleiterinnen aufmerksam machte; er kam erst wieder zu sich, als ihm der Obere zuraunte: »Für die Zimmer neben unserem Herrn, verstanden? Er wird uns dankbar sein!«

Beide standen nun mit vollendeter Dienstfertigkeit zu Gebote, wiesen das Besorgen des Gepäcks dem »niederen« Hauspersonale zu, wichen aber stets nicht mehr von der Seite der Fremden bis hinauf in die Zimmer, wo sie endlich ersucht werden mussten, sich zurückzuziehen und weitere Aufträge abzuwarten.

»Ich bin herzensmarod für mein ganzes Leben!« seufzte der zweite Diener, auf den Korridor heraustretend und mit beiden Händen die Wunde zuhaltend, welch ihm Amor geschossen.

»Mir ist's in die Knie gefahren«, sagte der Obere, seine Würde einen Augenblick ganz vergessend und sich ans Fenster des Korridors lehnend, das in den Hof hinab zeigte, wo sich Gruppen bildeten, welche die Schönheit der Schwestern mit Erstaunen und Bewunderung besprachen.


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