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Elftes Kapitel.
Ein neuer Falter, der das Licht der Schönheit sucht

»Nun, lieber Freund«, sagte der Anwalt, »bald wird man von Glück sagen dürfen, wenn man Deiner habhaft wird! Du scheinst anzufangen, Dein Ehrenamt, auf das Du so großes Gewicht gelegt, lässig zu nehmen … Wo warst Du vorhin? Alles hat Dich gesucht, nach Dir gefragt; die Visitenkarten werden Dir sagen, was und wen Du versäumt hast. Selbst eine Exzellenz in vornehmem Aufzug hat sich zur Aufwartung eingefunden!«

Der einfach heitere Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, ließ Hilarius zu seiner Beruhigung erkennen, dass der Freund diesmal keinen Gegenstand berühren wolle, welcher ihn empfindlich machen oder reizen könnte; er behauptete daher die bereits errungene Fassung und sagte nicht ohne Anflug von Humor:

»Erinnere Dich doch, dass die alten Weisen kurz vor Ausführung einer großen Mission sich in die Einsamkeit einer Wüste zurückgezogen haben, um sich zu sammeln … Ich habe kurz vor dem Jubiläumstage den Wald aufgesucht, wo er am dichtesten ist.«

»Hoffentlich ohne Dich von Heuschrecken zu nähren wie Johannes?« lächelte der Staatsanwalt.

»Nein, höchstens mir die Grillen zu vertreiben, die Du mir gelegentlich in den Kopf zu setzen pflegst«, erwiderte Hilarius.

»Du weißt recht gut, dass ich von Zeit zu Zeit, wie jedermann, einiger Nachsicht bedarf und bei Dir, meinem Freunde, herkömmlich darauf rechne. Verzeih' daher, wenn ich in letzter Zeit – nicht aus übler Absicht – Dir etwas stärker mit meiner Opposition zu Leibe gegangen bin … Ich will auch einigermaßen Buße tun und bekenne Dir, dass ich selbst anfange, mich für die Gäste zu interessieren, die bereits angekommen sind und noch erwartet werden. Freilich zu Deiner Idealität vermag ich mich nicht aufzuschwingen, aber ich bin gerne bereit, das Gute anzuerkennen, wo ich es finde, wenn ich auch mit einiger Mühe erst allerlei Schlacken, von denen es umgeben ist, beseitigen muss … Ich war so frei, in Deiner Abwesenheit ein wenig in Deine Mission zu pfuschen und mich einem und dem andern Gaste zu nähern und kleine Aufmerksamkeiten zu erweisen.«

Hilarius dachte besorgt an den Oberschulrat und dessen Töchter, doch der Freund fuhr fort:

»Da habe ich in dem Justizrat einen ausgezeichneten Fachmann erkannt und einen überaus freundlichen Herrn gefunden, der leider – Du verzeihst schon, dass ich das nicht übersehen konnte – in bedauernswerter Weise unter dem Pantoffel steht! … Ferner habe ich in dem Theaterdirektor, welcher zufällig vor Deiner Türe mit mir zusammentraf, einen höchst gescheiten, aufgeweckten Mann kennen gelernt, der mich einlud, mit ihm und seinen Begleitern den heutigen Abend zuzubringen und nach meiner Rückkehr in die Hauptstadt mir den freien Besuch seines Theaters anbot!«

»Gewiss eine ideale Eigenschaft in den Augen aller, die große Theaterliebhaber und kleine Rentenbesitzer sind«, lachte Hilarius.

»Gewiss, gewiss … Und weiter: eine Exzellenz, die ich kommen und gehen sah, eine auf silbernen Stelzen schreitende Diplomatennatur, überlasse ich Deiner ausschließlichen Beurteilung; sie mag auch eine Ideal sein für Miniatur-Staatsmänner oder solche, die es werden wollen.«

»Hast Du den Freigutsbesitzer Roland gesehen und gesprochen?« fragte Hilarius mit Interesse.

»Leider nicht«, erwiderte der Staatsanwalt. »Ich habe dies umso mehr bedauert, als ich kurz zuvor einige höchst merkwürdige Dinge über den zwischen ihm und Meinböck geführten Prozess erfahren hatte, dessen jähe Beendigung man im Hause Deiner ausgezeichneten Vermittlung zuschreibt. Wenn das, was ich erfahren habe, richtig ist – und es soll sich noch viel mehr zu Deinem Lobe sagen lassen – so hast Du ja während der Vortage Deiner Mission Verdienste gehäuft und bist, trotz Deiner heutigen Flucht in die Wildnis, des vollsten Vertrauens würdig, das man in Dich als Stellvertreter Deines Vaters setzt!«

»Diese schmeichelhafte Anerkennung lässt mich wünschen, mir auch ein Verdienst um Dich erwerben zu können«, lachte Hilarius.

»Dein Wunsch soll erfüllt werden; erwerbe Dir ein großes Verdienst um mich: mache mich mit dem Oberschulrat und dessen Töchtern bekannt. Ich habe Letztere nur flüchtig gesehen bei einer Promenade im anstoßenden Klostergarten … es bedarf wohl nur dieser Andeutung, um erraten zu lassen, dass ich keinen sehnlicheren Wunsch hege, als den Genannten vorgestellt zu werden!«

Ein leichter Schauer durchlief Hilarius, doch war er gefasst genug, sogleich zu erwidern:

»Ein begreiflicher Wunsch, der glücklicherweise erfüllt werden kann … Hegst Du indessen kein Bedenken, dass in Gegenwart der schönen Schwestern das Andenken an Deine Verlobte Schaden nehmen könnte?«

Die letztere Bemerkung war nicht ohne die Nebenabsicht hingeworfen, das Interesse des Freundes für die Schwestern etwas abzuschwächen und gefügiger zu machen, die Vorstellung nicht zu rasch zu verlangen.

»Missverstehe mich nicht«, rief der Freund, die Anspielung etwas ernst nehmend, »der Oberschulrat ist der Verfasser einer vortrefflichen Schrift über die belehrende Behandlung der Sträflinge in den Gefängnissen; ich habe also das natürlichste Interesse für den Verfasser. – Nun gestehe ich aber auch gerne«, fügte er leicht errötend hinzu, »dass der Anblick der Schwestern einen Eindruck auf mich gemacht hat, welcher mit nichts in meinem Leben verglichen werden kann … Die Schönheit und der Liebreiz dieser Erscheinungen ist so außerordentlich, dass der Wunsch, mit ihnen näher bekannt zu werden, unwiderstehlich ist! Wenn es eine Versuchung geben kann, ungeprüft eine geistige Vollkommenheit – ein sittliches Ideal – zuzugeben, so wird sie durch den Anblick dieser Schwestern nahe gelegt … Freilich muss ich bekennen, dass eine gewisse – die Schönheit wundersam erhöhende – Schwermut der Schwestern mit aufgefallen ist.«

Hier wurden die Freunde durch den Untersuchungsrichter unterbrochen, welcher kam, um über die Ankunft eines ihm besonders interessierenden Kollegen Erkundigung einzuziehen.


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