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Elftes Kapitel.
Zum Stein am Bach. Untreue macht Leberweh, sagt Lucian. Herr Murmelmayer

Der Abendschein lagerte bereits über der Gegend, als Roland, der Freigutsbesitzer, noch einen Rundgang durch die Räume seines Hofes machte, hie und da einen Auftrag erteilte, dann seinen Hut in die Stirne drückte und in Gedanken nach dem Mühlbach hinabging.

Fast um dieselbe Zeit begab sich der Wirt des Klosterhofes wanderfertig über die breit Vordertreppe seines Hauses herab und ging, die Richtung durch Scheuer und Garten einschlagend, ebenso der Stelle zu, wo das Zusammentreffen der ehemaligen Freunde und späteren Feinde stattfinden sollte.

Dem Freigutsbesitzer folgte niemand mit den Augen, dagegen war der fortwandernde Meinböck Gegenstand großer Aufmerksamkeit von Seite zweier Personen, welche hinter einem Hoffenster stehend, aus dem Gang und den Mienen des Mannes zu entnehmen suchten, was von dessen Stimmung erwartet werden dürfe. Die zwei unruhig Forschenden wer die Wirtin und ihre Tochter Monika.

Obwohl nun die Stimmung Meinböcks unverkennbar Gutes zu verheißen schien und schon der Umstand vielversprechend war, dass er überhaupt zu der Begegnung sich entschlossen, so bedurften doch die Herzen der Wirtin und Monikas noch eines aufmunternden Zuspruchs ihres seit einigen Tagen unentbehrlichen Ratgebers und Trösters Hilarius, der ja, wie sie wussten, auch der geheime Anreger und Leiter der Zusammenkunft war; allein dieser hatte bereits wieder andere Aufgaben und Sorgen, an welche die Klänge der Spieldose erinnerten, welche in dem am Haustore befindlichen Zimmer jetzt frisch und munter ertönten.

Die Wirtin und Monika sahen sich lächelnd an und folgten dem musikalischen Lockrufe, der an sie ergangen. In dem Zimmer befand sich Hilarius mit seinem kleinen Lieblinge »Hedwederl«. – Als die Wirtin mit Monika hereintrat, intonierte die Spieluhr alsbald eine »Francaise«, und Hilarius begann sogleich Monika in diesem Tanze zu unterrichten; er tat es mit ebenso viel Anstand als Galanterie. Dies hinderte nicht, dass Monika, die Wirtin und Hedwig manchmal laut auflachten, da sie nicht begreifen konnten, wie man ein so bequemes Hin- und Her- und um einander Herumgehen einen Tanz nennen könne. Dies hinderte wieder nicht, dass Hilarius ganz ernsthaft fortfuhr, seine Pas zu machen und die französischen Kommandos resolut, wie es einem Tanzmeister ziemte, vorzubringen …

»So, was sagst Du jetzt, hab' ich recht gehabt?« flüsterte draußen hinter einem Mauervorsprung stehend Lucian einem hübschen jungen Manne zu, der, soweit es der herabgelassene Vorhang gestattete, der Tanzlektion zusah.

Der junge Mann stemmte ergrimmt die Fäuste gegen den Fenstervorsprung und stöhnte:

»Dass Dich die Hölle und ihre Großmutter …! Ja, Du hast Recht, sie ist treulos! Tanzen kann sie! Liebäugeln mit einem Fremden, und sie hat für mich sterben wollen!«

»Der Wille ist schwach, aber das Fleisch ist stark!« flüsterte Lucian mit einem Schalksgesicht.

»Ich könnte sie in Stücke reißen!« presste der Eifersüchtige hervor.

»Können könnte man wohl – aber besser verschiebt man's auf morgen, so hitzige Arbeit muss man eine Nacht unterm Kopfkissen haben«, warnte Lucian.

»Ja, Du hast Recht … ich will mich fassen; aber morgen – morgen tu' ich etwas – etwas, sag' ich Dir! …«

»Warum willst Du nichts tun?« bemerkte Lucian ruhig, »ist doch der Mensch zur Arbeit geschaffen und Müßiggang aller Laster Anfang … Aber tu' auch jetzt etwas und geh', denn Du bist um Dein Repete (Reputation), wenn Dich jemand hier sieht – oder gar die Monika erblickt!«

Damit zog Lucian den Wütenden vom Fenster weg und schob ihn nach der Straße, die nach Thalbrücken führt.

»Leb' wohl! Tu' wenigstens Deinem Leben kein Leid an, Du hast genug an dem Düppel Deines Herzens!«

»Ha!« knirschte der Eifersüchtige und drückte dem Lucian eine Münze in die Hand. »Ich danke Dir. Du hast mir die Wahrheit gesagt, Du hast mir gezeigt, wie falsch die Falsche ist. Jetzt weiß ich auch, was zu tun ist und werde es tun, verlass Dich darauf! Aber Du – steh' mir noch eine Weile bei – hab' ein Aug' auf sie, beobachte sie Schritt für Schritt – und fahre dazwischen, wenn der Fremde zutätig werden wollte! Ich will Dir's danken, ewig will ich Dir's danken! … Gute Nacht!«

»Gute Nacht!« erwiderte Lucian und sah dem in voller Wut davongehenden jungen Manne lächelnd nach. »Was doch der Mensch dankbar ist für einen Tropfen Gift, den man ihm beibringt! Der G'scheidtelberger! Die Monika hätte seine Untreue ganz ruhig hinnehmen und doch treu bleiben sollen! So bekommt er jetzt die eigene Medizin zu kosten und sieht, was Untreue für Leberweh macht!«

Indem er sich dem Tore zuwendete, dachte er:

»Der Fremde ist doch ein ganzer Mann. Der hat's hier wie in den andern Sachen gleich beim rechten Trumm ang'fasst. Er wird auch mit mir zufrieden sein; gleich soll er alles erfahren!«

Er wollte dem Zimmer zueilen, in welchem die Tanzlektion stattfand, als er die Türe offen und auf der Schwelle einen Reisenden stehen sah, der erstaunt und lautlos dem Tanzunterricht zusah.

Es war ein Mann von sonderbarem Aussehen. Der Oberleib war ziemlich breit und kräftig, allein bei den Beinen hatte es die Natur versehen, denn sie waren von ängstigender Hagerkeit und durch den Druck der Oberlast bedeutend gekrümmt. Den Kopf zierte eine Sommerstrohmütze, die mit gespießten Schmetterlingen und Alpenblumen geschmückt war. Was der Mann seiner wehmütigen Untergestalt aufgebürdet hatte, war erstaunlich. Nicht genug, dass die linke Hüfte mit einem weitbauchigen Ranzen beschwert wurde, hingen über den Rücken, durch Stricke und Bänder gekoppelt, alte geschnitzte Möbelstücke, die Lucian nicht sobald näher betrachtet hatte, als er laut auflachte, von einem Fuß auf den andern trat und ausrief:

»Herr Murmelmayer! Was schleppen Sie da zusammen? Das ist ja wahrhaftig und Gott eine Kinderwiege!«

Herr Murmelmayer kümmerte sich wenig um da, was hinter seinem Rücken vorging, er rief vielmehr, unverwandt nach dem Zimmer sehend, mit ausgebreiteten Armen:

»Herr von Altringer! Seh' ich recht? Sie hier? Und froh und alert wie immer?«

Hilarius hielt in seinem Pas inne, sah und erkannte den originellen gemütlichen Rufer zwischen der Türe und eilte ihm entgegen.

»Herr Murmelmayer«, sagte er, »das ist ja ein prächtiger Zufall, Sie hier zu sehen! Woher? Wohin? Sie bleiben doch heute und morgen hier?«

»Längstens über Nacht«, erwiderte Murmelmayer mit näselnder Betonung. »Morgen geht's in aller Frühe nach Sonndorf, ich muss der Gerichtsverhandlung beiwohnen, die immer merkwürdiger wird!«

»Gut«, sagte Hilarius, »dann wird die Frau Wirtin Sorge tragen, dass Sie ein Zimmer neben dem Meinigen erhalten, damit wir den Abend ausnützen können, denn wir haben manches miteinander abzumachen!«

»Herrlich!« rief Murmelmayer, während die Wirtin die nötigen Befehle gab. »Ein solches Zusammentreffen ist der schönste Lohn, den mir der Himmel für die Strapazen des heutigen Tages entgegenbringen kann!«

»Sogleich wird alles bereit und in Ordnung sein«, bemerkte die Wirtin zurückhaltend. »Wie freut mich's, dass die Herren sich kennen! Herr Murmelmayer ist auch vor drei Tagen bei uns über Nacht geblieben!«

»Und hat sein Trinkgeld bei Heller und Pfennig bezahlt!« fiel Lucian ein, einen Schlüsselbund in der Hand schüttelnd.

»Das will ich glauben«, bemerkte Hilarius, den alten Herrn auf die Schulter klopfend. »Mein verehrter Freund ist ein guter Zahler – nimmt aber ungeniert auch schöne Prozente für seine Antiquitäten. Wir haben manche Geschäfte gemacht und … ich bin auch immer zufrieden gewesen – mit Ausnahme eines Falles – in neuester Zeit – da hat er mich schön in die Tinte gesetzt.«

»Wieso?« fragte Murmelmayer überrascht.

Hilarius griff an die Tasche, ob er noch im Besitz des verhängnisvollen Ringes sei, und als er sich von dem Vorhandensein desselben überzeugt hatte, brach er ab, wendete sich nach dem Zimmer zurück, in welchem Monika seitwärts stand und wahrscheinlich wegen des unterbrochenen Tanzvergnügens etwas verstimmt drein sah.

»Die Fortsetztun folgt, Goldmoneterl«, sagte er, »nur so fortfahren, liebe Schülerin, bald können wir uns überall für Geld sehen lassen! … Lucian!«

»Befehlen?« rief Lucian und trat militärisch grüßend näher.

»Gib mir die Schlüssel, ich selbst will meinem Freund sein Zimmer anweisen. Nummer?«

»Neun!« sagte Lucian und lieferte die Schlüssel ohne Umstände aus.

»Ei, das geht – das schickt sich nicht!« protestierten die Wirtin und Monika.

Hilarius aber beharrte auf seinem Willen und sagte:

»Nummer neu! Dabei bleibt's! … Du aber, Lucian, teile der Monika mit, was Du Neues erfahren … Guten Abend, Frau Wirtin; gut Heil, lieb' Hedwederl! Wir haben noch viel miteinander zu reden – bald sehen wir uns wieder!«


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