Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.
Gast Numero 6

Zu den Neugierigen am Toreingang hatte sich auch der Lebemann gesellt, welcher zuvor im Schankzimmer über die jüngst angekommenen Gäste Erkundigungen eingezogen hatte.

Er trat jetzt von der Türschwelle wieder in das Zimmer zurück und ging, den goldenen Knopf des Spazierrohres an den Lippen, nachdenklich auf und nieder.

Die Ankommenden hatten ihn interessiert, insbesondere die Bühnengrößen, welche zuletzt abgestiegen waren und deren Leistungen er ganz wohl kannte.

»Von diesen«, sagte er halblaut vor sich hin, »kann nur der Direktor den Jahren nach zu den Erwarteten gehören, er hat sich offenbar Gesellschaft mitgenommen … Aber was tun? … Die Würde Seiner Exzellenz – seine Empfindlichkeit in solchen Dingen …«

Ein Schatten lagerte auf seiner Stirne; er drehte den Stock fort und fort und schien mit einem Entschlusse noch zu ringen, als ihn ein Ausruf der Verwunderung abermals vor die Türe lockte, wo soeben ein neuer und überraschender Gast vorüberkam.

Es war ein Kapuzinermönch von grandioser Erscheinung. Tiefer, düsterer Ernst ruhte auf seinem von einem langen rötlich-brauen Vollbart umrahmten Gesichte; hinter einer mächtig gewölbten Stirne fanden die Gedanken eine gewaltige Werkstätte, deren Tätigkeit aus großen, unter dichten Brauen hervorleuchtenden Augen ersichtlich war. Den breitkrämpigen Hut vorne etwas in die Höhe gerückt, so dass Stirne und Gesicht in voller Mächtigkeit und Würde hervortraten, ging er, in seiner braunen Kutte mit weißem Gürtel weitausschreitend und die Anwesenden nicht achtend, unter der Torwölbung weg nach dem Hofe, wo er, nur ungeduldig einen Moment anhaltend, vom Diener, der sich in fast komischem Gemisch von Ehrfurcht und Verwirrung genähert hatte, ein kleines abgelegens Zimmer verlangte und erhielt …

Die Erscheinung des Mönches schien den Lebemann in der Schenke endlich zu einem Entschluss gebracht zu haben, er zahlte den Wein, den er nicht berührt hatte, verlangte die noch vorhandenen Wohnräume zu sehen und belegte, nachdem er sich über allerlei Haupt- und Nebendinge orientiert hatte, das größte, stattlichste Zimmer nebst anstoßendem Kabinett im ersten Range; dabei gab er den Auftrag, in den »Salon«, wie er das Zimmer betitelte, die besten vorhandenen Möbel zu stellen, da hier, wie er wirkungsvoll hinwarf – »Seine Exzellenz empfangen dürfte«.

Hierauf begab er sich unverweilt hinweg nach Thalbrücken in den Gasthof »Zum goldenen Schwan«, wo Seine Exzellenz, der Minister eines kleinen Staates, heute abgestiegen war.


 << zurück weiter >>