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Siebentes Kapitel.
Ein munterer Helfer in der Not

Für Hilarius bestand kein Zweifel mehr, dass Roland, der Besitzer des Freiguts, zu den Männern gehörte, welche gelobt hatten, nach fünfundzwanzig Jahren sich im Klosterhofe wieder zusammenzufinden. Sein Name war in der Liste aufgeführt, und die Bemerkungen, welche dem Namen beigegeben waren, bezeichneten ihn ausdrücklich als Erben des Freiguts bei Thalbrücken.

Musste es angesichts der feindlichen Spannung zwischen Meinböck und Roland nicht mehr als zweifelhaft erscheinen, dass Letzterer am bestimmten Tage im Hause des Todfeindes, im Klosterhof, erscheinen werde? Und wenn er, um seiner Gelobung nachzukommen, sich zu einem Waffenstillstande, zu Erscheinen entschloss, musste der Ort der Zusammenkunft auf seine Stimmung nicht verderblich wirken, und infolgedessen auch auf die Freude des Wiedersehens einen Schatten werfen?

War hier nichts zu tun? Konnte der Ort des Stelldicheins nicht verändert werden? War hier nicht ein Verdienst zu erwerben durch kluges Vermitteln, durch unverhofftes Friedensstiften?

Hilarius hatte bald nach dem Besuche der Wirtin den Klosterhof verlassen und die umliegenden Höhen bestiegen, voll des Gedankens, wie erfreulich, wie ehrenvoll es wäre, die Hindernisse zu beseitigen und Roland die Wege nach dem Klosterhofe klug und rechtzeitig noch zu ebnen.

In der Tat schien er der Sache nicht fruchtlos nachgedacht zu haben. Er kam voll frischer Laune in sein Absteigquartier zurück, schrieb eiligst einige Briefe und trug sie selbst nach dem Städtchen, wo er in der Stille zahlreiche Erkundigungen einzog.

Dann kehrte er abermals in den Klosterhof zurück, hatte eine lange, denkwürdige Unterredung mit dem Sonderling von Hausknecht, genoss nur flüchtig sein Mittagsmahl und entfernte sich abermals bis zum Abend.

Als Hilarius, in der Dämmerung zurückkehrend, unter das Haustor trat, fix und fertig mit einem geheimnisvollen Vorhaben, in glücklicher Stimmung, sah er die Stubentüre neben der Küche offen stehen und drinnen die Wirtin mit der kleinen Hedwig beschäftigt. Er mochte fühlen, dass er der Frau noch ein Wort der Teilnahme schuldig sei, trat in die Stube und sagte nach freundlichem Gruße teilnehmend:

»Ich habe über Euer Schicksal reiflich nachgedacht und begreife nun wohl, wie Euch und Eurem Manne das Leben viel Verdruss und Kümmernisse bereitet hat!«

»Ja«, seufzte die Wirtin, »das Geschäft hat abgenommen, wir leben wie in einem verwunschenen Hause; bekannte Gäste sind ausgeblieben; hätten wir nichts Erspartes und die Mühle beim Hof, wir hätten Mangel leiden müssen.«

»Wundern will es mich, dass Ihnen nicht alle Dienstleute davon gegangen«, sagte Hilarius. »Es ist sonst nicht die Art dieser Leute, aus Anhänglichkeit zu bleiben.«

»Sie wären auch gegangen«, bemerkte die Wirtin, »aber sie sind nicht untergekommen, auch haben sie das Gespött der Leute gefürchtet. Der Hausknecht ist noch der Treueste!«

»Der Brummbär!« lachte Hilarius.

»Aber doch ein guter Mensch«, verteidigte die Wirtin.

»Für das halte ich ihn auch. Ehrlich währt am längsten, drum wird er auch seinen Lohn noch finden … Unter anderem, ist das Eure Tochter gewesen, die ich heute Morgen im Hof gesehen?«

»Mutter, er meint Monika!« rief die Kleine.

»Still sein, Kinder, wo die Großen reden!« scherzte Hilarius.

»Monika, meine Tochter«, bestätigte die Wirtin, zu Boden sehend.

»Frisch und hübsch«, sagte Hilarius. »Jedenfalls auch brav. Die führt ihren Künftigen noch heim trotz Feinden und Neidern!«

Die Wirtin zuckte die Achseln und sagte nur: »Je nun …«

»Darf ich wissen, wo es hier fehlt?« fragte Hilarius.

Die Wirtin war unschlüssig – doch gestand sie endlich, dass Monika vor Beginne des Prozesses so gut als verlobt gewesen, dass aber der Bewerber, aus gutem Hause, sich zweideutig zeige, seitdem seine Familie sich zur Partei Rolands geschlagen. Er wolle nicht ganz loslassen und doch auch nicht bestimmt zusagen; dieser Wankelmut verursache ihrer Tochter großes Leid.

»Herrlich, herrlich!« rief Hilarius zum größten Befremden der Wirtin und fügte erklärend hinzu: »Seid getrost, je verwickelter, desto besser. Ich kuriere das verbitterte Herz Eures Mannes, führe den Ungetreuen zurück zu Eurer Tochter; selbst den Brummbär von Hausknecht hab' ich schon bei Seite genommen, er muss mir noch ein aufgeweckter Bursche werden … Dich aber, Hedwederl, habe ich nicht erst in die Kur zu nehmen, Du bist, wie Du bist, und das ist gerade das Rechte; komm', geb mir ein wenig das Geleite, und damit uns der Weg nicht zu lang wird, soll uns die Uhr einen Kehraus spielen!«

Alsbald ließen sich die anmutigen Klänge wieder hören, Hedwig patschte in die Hände und sah nur immer zu dem heiteren Gaste auf, während die Wirtin halb befangen, halb unterhalten die Treppe hinauf und den Korridor entlang neben beiden herging …

Im Laufe des folgenden Tages machte Hilarius einen Spaziergang in Begleitung der Schwestern Monika und Hedwig. Beide trugen hübsche Kränze am Arm, deren Bestimmung sie selbst noch nicht kannten. – Hilarius erwiderte auf ihre zeitweise wiederkehrenden Fragen immer nur: »Still sein, abwarten; ich werde reden, wenn's Zeit ist!«

Während diese drei gemütlich plaudernd weitergingen, geschah es, dass das Städtchen Thalbrücken von einem Ende zum andern in die absonderlichste Bewegung kam.

Es hatte sich das Gerücht verbreitet, im Klosterhof sei ein reicher, auf englische Art lebender Baron abgestiegen, der an dem alten Gebäude Gefallen finde, längere Zeit daselbst bleiben wolle und sich in den Kopf setze, das Geschäft Mainböcks wieder empor zu bringen; dabei wisse er die Gäste durch Sehenswürdigkeiten und Schnacken bestens zu unterhalten. – Das Erste, was er getan, sei gewesen, dass er den »Prozessgaus« gekauft und im Klosterhof eingestellt habe. Seine Absicht sie, das Tier wieder herauszufüttern, es als Merkwürdigkeit mit auf seine Güter zu nehmen und im Alter als Pensionisten in Pflege zu behalten. Da der Fremde als Gesetzeskundiger sich überzeugt halte, dass der Besitzer des Klosterhofes das Recht auf seiner Seite habe und auch gewinnen müsse, so habe er sich erboten, dem Wirt mit Rat und Tat beizustehen, ihm Geld ohne Interessen vorzustrecken und so dem Recht schneller zu seinem Rechte zu helfen. Merkwürdig sei es – lautete das Gerücht weiter – wie der junge, hübsche Herr den Geist des Hauses binnen Kurzem fast umgewandelt habe. Der von Zorn und Ingrimm aufgezehrte Wirt werde wieder lächelnd gesehen. Die Wirtin habe das Weinen abgeschworen und verzeihe denen, die sie beleidigt haben. Monika, die Tochter, habe wieder so frische, braune Augen, als wären sie neu überfirnisst worden, denn der Fremde habe gelobt, ihr einen Mann zu schaffen, koste es, was es wolle, und müsste er sich selbst zum Bräutigam erklären. Kellner und Knechte hätten dem Besitzer des Klosterhofs ewige Treue geschworen und könnten den nächsten Sonntag nicht mehr erwarten, da ihnen der Fremde versprochen, sie alle zu Wagen in eine ferne Kirche führen zu lassen, um sie den Quängeleien der Thalbrücker zu entziehen. Zum Überfluss und ganz zuletzt wurde verbreitet, dass der lustige Fremde den Männern, die beim gestrigen Tumult so wacker auf Seite des Wirts gestanden, ein großartiges Festessen bereiten lasse, dass es im Klosterhof bereits siede und brate wie an einem Hochzeitstage, die besten Reservefässer würden ans Tageslicht gehoben …

Damit war Stoff genug in Umlauf gesetzt, um Staunen, Neugierte und Ärgernis in Thalbrücken wach zu rufen.

Durch Erkundigungen, die man in Ermangelung eines Hausspions anstellte, fand vor allem Bestätigung, dass der Prozessgaus wirklich angekauft und im Klosterhof untergebracht war. Bestätigung fand auch, dass die Küche des Klosterhofs in ausgedehnte Affektion genommen werde, da die Anhänger des Wirts zum Dank für ihre Parteinahme von gestern reichlich bewirtet werden sollten. Was der Neugierde am lebhaftesten zu schaffen machte, war die Bestätigung der Anwesenheit eines feinen, jugendlichen Herrn im Klosterhof. Da derselbe nachts bei Sturm und Regen angekommen und von niemand als Lucian, dem Hausknecht, gesehen worden war, so ließ sich nicht ermitteln, wie viel Gepäck er mit sich geführt und im Klosterhof untergebracht habe.

Dass im Klosterhof etwas Außerordentliches vorgehen müsse, davon liefert die Person Lucians einen lebendigen Beweis. Wer ihn noch vor Kurzem als grämlichen, verquickten Burschen gesehen hatte, war erstaunt, ihn jetzt als Ausbund guter Laune, voll trefflicher Einfälle zu sehen. Er schien es förmlich darauf anzulegen, alle diejenigen, die ihn seit der Prozessära geärgert und verbittert hatten, auf drastische Weise zu hänseln. Er war es gewesen, der als Zwischenhändler den Prozessgaul kaufte und nach dem Klosterhof brachte; er war es gewesen, welcher die Sensationsnachrichten über den Fremden in Umlauf gebracht und manchen Mund nach der Festtafel des Klosterhofes lüstern gemacht hatte. Ihm verdankte Konradin, der wankelmütige Werber um Monikas Hand, eine Nachricht, welche ihm Speise, Trank und Schlaf verleidete, da Lucian nur so im Vorbeigehen erwähnte, wie gut der junge Fremde der Monika den Hof zu machen verstehe und wie getrost sich Letztere in diese Aufmerksamkeiten zu finden wisse!

Bald gab es nur noch einige ganz Verstockte, die nicht wünschten, unsichtbare Zeugen dessen zu sein, was jetzt und jetzt Sehenswertes im Klosterhofe vorfalle. Besonders kam bei dem schönern Geschlechte die Neugierde in Wallung, und der Klosterhof hatte die Ehre, um eines neuen Bewohners willen die schönsten Augen Thalbrückens forschend auf sich zu lenken.

Es war gerade um die vierte Stunde nachmittags, als die zwei feurigsten Augen Thalbrückens, die der Apothekersali, nach dem Klosterhofe hinüber spähten; es war eben eine seltene und anziehende Szene daselbst im Zuge …


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