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Zwölftes Kapitel.
Die heilige Luisabeth

»Der Überbringer dieser Zeilen wird Dir, geehrter Freund, das Weitere mitteilen, warum ich von hier nicht abkommen kann. Er wird Dir zugleich – besser als ich es könnte – über den beifolgenden, mir verkauften und von Dir emsig gesuchten Gegenstand Aufschluss geben. – Auf das Vergnügen, der Gerichtsverhandlung beizuwohnen, muss ich leider verzichten, doch werde ich ja alles bis auf die Sommersprossen der beteiligten Personen in den Blättern lesen, vor allem Deine schöne Rede! Es ist doch was Herrliches um Gutenbergs Erfindung! Gott zum Gruß!«

Der Schreiber dieser Zeilen war Hilarius, die Zeilen waren an den Staatsanwalt in Sonndorf gerichtet; der Antiquitätenhändler sollte am nächsten Morgen Brief und Ring überbringen.

»Herein!« sagte Hilarius, als er nach einer Weile das Paketchen gesiegelt und die Adresse darauf geschrieben hatte.

Der Zimmernachbar, Herr Murmelmayer, trat herein, bequem und originell häuslich gekleidet.

»So«, sagte er vergnügt, »jetzt soll ein guter Bissen einen Appetit erleben! Dreimal Heil Ihnen, Herr von Altringer, dass ich Sie hier gefunden, denn wir werden uns gut, sehr gut unterhalten!«

»So hoffe ich«, erwiderte Hilarius, auf den gedeckten Tisch zeigend. »Was uns zur Unterhaltung an geistiger Kraft mangelt, wird uns der Stoff ersetzen! … Nur gleich Platz nehmen! Ich gebe das Zeichen!«

Hilarius zog die Glocke, und alsbald wurde ein treffliches Abendessen aufgetragen, dem ein ausgesuchter Trank nicht fehlte. Die Tischgenossen hatten seit der letzten Begegnung manches erlebt, das sie nun gegenseitig zum Besten gaben, Hilarius mit leichtem, behaglichem Humor, Herr Murmelmayer mit einem hie und das ergötzlichen Schwung der Empfindung.

Endlich stand Hilarius auf, brachte das Paketchen herbei, das er dem Antiqutätenhändler als sehr wichtig und mit dem dringenden Ersuchen empfahl, es in Sonndorf dem Staatsanwalt morgen zuverlässig einzuhändigen; dann sagte er unter anderem:

»Haben Sie in dem alten Gebäude hier, einem ehemaligen Kloster, nicht schon nach Altertümern geforscht? Man sollte allerlei – insbesondere Schnitz- und Bilderwerke, auch wohl ein und den andern Folianten und wer weiß, was sonst noch da vermuten.«

»Nichts, nichts«, klagte Herr Murmelmayer, »das ist mein Jammer!« Er zupfte an seinem Backenbart, der aus einem Gebüsch grauer Haare bestand, gleich den Moosballen an Weißdornhecken, die das Volk unter die Kopfkissen zu legen pflegt, um Schlaf zu bekommen. »Vor einigen Tagen habe ich alles durchgesucht; Gänge, Zimmer, Boden, Keller; nichts, gar nichts ist aufzufinden gewesen!«

»Dann müssen Sie doch nicht genau nachgesehen haben«, sagte Hilarius schelmisch, »denn ich habe, so kurze Zeit ich da bin, doch die merkwürdigste Antiquität meines Lebens gefunden!«

»Ah!« rief Murmelmayer, Hilarius entzückt anstarrend und beide Hände flach gegen die Tischplatte schlagend. »Wo? Was? Wirklich? Ist's zu haben? Ist's zu sehen?«

»Ich lade Sie ein, die Antiquität sogleich zu sehen«, sagte Hilarius ernsthaft, »nur müssen Sie mir erlauben, Sie vorher zu verlassen. Lucian, der Hausbursche, wird Sie holen und Ihnen auch sonst noch das Nötige mitteilen. Der Anblick der großen Merkwürdigkeit kann heute nur aus der Ferne gestattet werden.«

»Was Sie wollen, wie Sie wollen – wenn ich sie nur sehe!« rief Murmelmayer, vor Ungeduld aufstehend.

Hilarius entfernte sich, indem er die Türe hinter sich sorgfältig zuzog. Herr Murmelmayer aber ging lebhaft im großen Zimmer hin und wider, während der weite, schlafrockartige Haushabit viel zu tun hatte, mit einigem Anstand zu folgen.

»Prächtig, prächtig!« rief er, sich die Hände reibend, »mein antiquitätensüchtiges Auge ist förmlich ausgehungert seit Wochen! Nichts wollte sich finden lassen. Die Gegend ist ausgekauft von Liebhabern und Händlern. Hätte ich nicht wenigstens die geschnitzte Wiege erobert – ich ginge rein leer aus! … Aber jetzt …« fuhr er nach einer Pause fort, »mein junger Freund, dieser ewige Frühling von Heiterkeit will mich entschädigen für meine wochenlangen Entbehrungen!«

Murmelmayer lächelte vergnügt, wand die Hände ineinander, sang und pfiff abwechselnd, bis die Türe sacht geöffnet wurde, Lucian den Kopf hereinsteckte und geheimnisvoll zu folgen winkte.

Lucian führte den vor Ungeduld Brennenden eine Weile durch dunkle Gänge in der Irre herum, wendete sich dann nach der Treppe, die unter den Torgang hinab führt, lenkte hier wieder rechts ein und sagte endlich:

»So; da sind wir!«

»Da haben wir aber einen unglaublichen Umweg gemacht«, sagte Murmelmayer leise, »die Türe des Herrn von Altringer ist ja nur einige Schritte von mir entfernt!«

»Gut Ding will Weile«, erwiderte Lucian trocken. »Jetzt aber still sein, mäuschenstill hingeguckt, wohin ich deute!«

Lucian schloss sich selbst mit der linken Hand den Mund, mit der rechten öffnete er leise die Tür, vor der sie standen, aber nur so weit, dass Herr Murmelmayer zur Not ins innere Heiligtum sehen konnte.

Hier erblickte er am Ende des schmalen, langgestreckten Zimmers in der Nische die geisterhafte Ahnfrau aufrecht sitzend, malerisch in Linnen gekleidet, die merkwürdig geformte Nachthaube auf dem Kopfe. Zu Füßen derselben saß rechts auf einem Schemel Hilarius und diesem gegenüber auf einen Stuhl die arme Frau vom Lande. Beide sahen eben – Hilarius mehr erwartungsvoll, die arme Frau verlegen und mit verweinten Augen – zu der geisterhaften Erscheinung auf, um der Fortsetzung einer Geschichte, die unterbrochen worden war, zu horchen. Eine Lampe, die von der Zimmerdecke hing, ließ die ganze Szene in einem seltsamen Halbdunkel erscheinen, wodurch die Täuschung, als ob die Urgroßmutter eine meisterhaft gearbeitete Marmorstatue sei, vollkommen wurde.

Murmelmayer hatte kaum einen Blick auf die Gruppe geworfen, als er mit Heftigkeit den Lucian von der Türe weg zu drücken und ganz in das Zimmer zu treten suchte.

»Das finge gut an«, sagte der stets resolute Lucian leise und schloss die Tür rasch, »so haben wir ncith gewettet; da heißt's von der Waide treiben, das Schauspiel ist aus, und wir gehen nach Haus!«

»Aber ich hab' ja die Antiquität sehen und bewundern sollen!« rief Murmelmayer, noch einmal nach der Tür strebend.

»Das haben Sie auch«, erwiderte Lucian, sich mit dem Rücken gegen die Türe lehnend.

»Aber dazu muss man auch Zeit haben!« deprezierte Murmelmayer.

»Zeit ist Geld, verlieren wir also keine Zeit und gehen wir; ich handle im strengsten hohen Auftrag!« erwiderte Lucian und zog Herrn Murmelmayer fort. Dies wäre ihm aber schwerlich gelungen, wenn er nicht sogleich die Bitte hinzugefügt hätte, sich zu gedulden und in das Zimmer des Hilarius zurückzukehren, wo er von diesem aller erfahren werde, insbesondere warum die »Heilige« nur wenige Augenblicke betrachtet werden dürfe.

»›Heilige?‹ unter welchem Namen ist sie im Kloster verehrt worden?« fragte Murmelmayer vertraulich, da er keine Aussicht hatte, den Lucian auf seine Seite zu bringen.

»Wie heißt Luisabeth, soviel ich weiß«, sagte Lucian, sein Ergötzen nur mühsam unterdrückend.

»Luisabeth!« rief Murmelmayer entzückt. »Obwohl ich dem Zwillingsnamen nicht recht beikommen kann, finde ich die Kontraktion doch merkwürdig, wahre und realistisch!«

Lucian nießte, Murmelmayer sagte in Gedanken: »Sie haben genießt.« Lucian erwiderte: »Ist gern geschehen!«

Es war Herrn Murmelmayer nur willkommen, das ihn Lucian wieder den Umweg durch die Gänge führte, da er noch einige Neuigkeiten herauszulocken hoffte; allein er täuschte sich, denn Lucian verfiel von einer Schnake auf die andere, statt auf die Fragen zu antworten …

»Nun, lieber Freund, was sagen Sie zu dem Kabinettstück?« fragte Hilarius in dem Augenblicke, als Murmelmayer und Lucina endlich den Umweg vollendet hatten und an seine Tür traten. »Was sagen Sie?«

»Unglücklicher!« rief der Angeredete. »Nachdem Sie meine Neugierde aufs Höchste gespannt, sind Sie so grausam, sich um mein Urteil zu kümmern? Kehren wir um! Führen Sie mich wieder hin! Ich muss das örtliche Werk näher sehen! Ähnliches ist noch nicht dagewesen!«

»Gemach, lieber Freund«, erwiderte Hilarius und führte den Enthusiasten in sein Zimmer, »gemach, denn die Heilige ist etwas erschöpft von einer Lebensgeschichte, die sie eben in Betreff der armen Frau vom Lande erzählt hat.«

»Lebensgeschichte? Erzählt hat?« rief Murmelmayer, einen Schritt zurücktretend. »Hilarius! Sollte auch diesmal Ihnen der Schalk wieder im Nacken gesessen haben? – Redet die Heilige?«

Hilarius nahm den Freund lachend am Arm, führte ihn an den Tisch und sagte, ihn zum Sitzen nötigend:

»Sie sollen alles erfahren – nur erst ruhiger werden! Ein Glas nehmen! Anstoßen!«

»Ach Gott«, sagte Murmelmayer, ganz schwach von der ungeheuren Enttäuschung, »leben nicht genug Menschen, dass diese wunderbare Gestalt der Kunst als Antiquität erhalten bleiben könnte?«

»Ich wollte Ihnen einen Augenblick beglückender Überraschung bereiten und wollte sehen, ob Sie ebenso getäuscht werden würden, wie ich selbst bei meiner Ankunft«, sagte Hilarius und stieß an.

»Aber wer ist die Erscheinung?«

»Die Urgroßmutter oder Ahnfrau des Hauses, neunundneunzig Jahre alt, geistig klar und frisch und voll Interesse für alles, was im Hause vorgeht … Die arme Frau vom Lande, welche Sie gesehen haben, war vor fünfundzwanzig Jahren der Liebling der Urgroßmutter, die erste Schönheit der Gegend und wurde das Opfer einer seltsamen Herzens- und Familiengeschichte. Ihr Kind, ein Knabe, die Folge eines vertrauten Verhältnisses, wurde der Armen auf geheimnisvolle Weise entrissen und bisher nicht aufgefunden. Noch ist die Urgroßmutter der einzige Trost der Armen und unterstützt sie auf jegliche Weise.«

Diese Aufklärung gereichte dem enttäuschten Antiquitätenfreunde nicht zum Troste, er stützte den Kopf in die Hände, wiegte ihn mit komischer Betrübnis hin und her, während ein tiefer, lang anhaltender Seufzer sich seiner Brust entrang.

»Dieser Seufzer hat viele Ähnlichkeit mit jenem eines – Geistes – vielleicht der ruhelosen Seele eines Mönches – der in der Nacht meiner Ankunft durch den Korridor da draußen geschritten«, bemerkte Hilarius lächelnd.

»Ein Geist?«

»So schien es mir – eine Art Geist Lucian im Silbergewand.«

»Wann?«

Hilarius bezeichnete die Nacht seiner Ankunft genauer.

»Um welche Stunde?«

»Gegen Mitternacht!«

Herr Murmelmayer lehnte sich im Stuhle zurück und errötete leicht.

»Der Geist bin ich gewesen«, gestand er mit lobenswerter Aufrichtigkeit und setzte zu Hilarius' großem Ergötzen hinzu, dass er aus Verzweiflung über sein vergebliches Forschen nach Altertümern in jener Nacht seufzend durch die Gänge des Hauses geschritten …


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